Einfach mal schweigen…

Für heute, den 23. Februar, um 12 Uhr haben Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dazu aufgerufen, mit einer Schweigeminute den Opfern rechtsextremistischer Gewalt zu gedenken. An dieser Schweigeminute werden sich auch die Grünen im Landtag beteiligen. Wir rufen alle dazu auf, einen Moment inne zu halten für die Opfer und gegen den menschenverachtenden Terror.

Meine Rede: „Unterstützernetzwerk des NSU aufdecken“

Verena Schäffer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rechtsextreme Terrorgruppe NSU, die auch durch NRW gezogen ist, die in Dortmund gemordet hat, die zwei Anschläge in Nordrhein-Westfalen in Köln begangen hat, die Menschenleben aufs Spiel gesetzt hat, hat eine menschenverachtende Haltung gezeigt. Diese Taten haben uns alle erschüttert. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land fragen sich zu Recht, wie es eigentlich sein kann, dass diese Terrorgruppe zehn Jahre unerkannt in Deutschland unterwegs sein konnte und morden konnte.

Vor diesem Hintergrund ist es gut und richtig, dass jetzt im Bundestag ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde und dass man auch in Thüringen einen entsprechenden Untersuchungsausschuss eingerichtet hat.

Auch wenn wir hier in Nordrhein-Westfalen noch keine Erkenntnisse haben, dass die Sicherheitsbehörden mitverantwortlich für diese Ermittlungspannen waren, muss sich der Landtag NRW sehr wohl mit notwendigen Konsequenzen, mit der Arbeit des Verfassungsschutzes, aber auch mit einer wirksamen Prävention auseinandersetzen.

Mit der Festnahme von Carsten S. in der letzten Woche in Düsseldorf ist auch für uns klar geworden, dass Nordrhein-Westfalen nicht nur ein Tatort dieser Terrorgruppe war, sondern dass sie unter Umständen auch in Nordrhein-Westfalen ein Unterstützungsnetzwerk hatte. Mit dieser Festnahme von Carsten S. hat sich zwangsläufig auch der Fokus unserer Diskussion noch einmal ein Stück weit verändert. Es ist unsere Aufgabe als NRW-Abgeordnete, entsprechend hinzuschauen und Fehler aufzudecken.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Da stellt sich für mich schon die Frage, wie es eigentlich sein kann, dass der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen erst seit zweieinhalb Monaten, also erst seit November letzten Jahres, Erkenntnisse über Carsten S. hat. Darüber, dass der Thüringer Verfassungsschutz den Umzug an die NRW-Behörden hätte melden müssen, sind wir uns wohl einig. Warum das nicht passiert ist, ist aus meiner Sicht auch eine Frage, die man jetzt im Thüringer Landtag im dortigen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss klären muss. Für mich stellt sich aber schon die Frage, warum die NRW-Verfassungsschutzbehörden nicht zumindest nach 2004 entsprechend nachgefragt haben.

Denn am 30. Januar 2004 erschien in der Düsseldorfer Antifa-Zeitung „TERZ“ ein Artikel, der ganz klare Hinweise gegeben hätte. Daraus würde ich gern zitieren. Dort steht:

Bis ungefähr Ende 2000 war dieser – damit ist Carsten S. gemeint – einer der führenden Aktivisten und Funktionäre der Neonaziszene in Thüringen, insbesondere im Raum Jena. Er brachte es bis zum NPD-Kreisvorsitzenden, stellvertretenden JN-Landesvorsitzenden, zum Landesbeauftragten der JN-Bundesführung, sogar kurzzeitig in den JN-Bundesvorstand. Er dürfte zu den wichtigsten Organisatoren und Koordinatoren der damaligen Thüringer Neonaziszene gehört haben, war auch für Schulungen des Nachwuchses und als Versammlungsleiter für Aufmärsche zuständig.

Diese Beschreibungen zeigen sehr eindeutig, welche Rolle und welche Bedeutung Carsten S. in der Thüringer Neonaziszene gehabt haben muss. Carsten S. war dort nicht irgendjemand, sondern er war NPD-Kreisvorsitzender in Jena, in der Stadt, wo 1998 drei Neonazis nach Ausheben eines Waffenlagers untergetaucht waren. Er war stellvertretender Landesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation und damit offensichtlich auch überregional gut vernetzt.

Im Übrigen ist das – mein Kollege hat gerade schon darauf hingewiesen – ein Hinweis darauf, dass die NPD immer wieder mit Personen zusammenarbeitet, dass es sogar personelle Überschneidungen zwischen freien neonazistischen Szenen und der NPD gibt. Ich finde, dass wir die Diskussion über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren zu Recht anheizen; denn die NPD, das wissen wir, ist eine verfassungsfeindliche, eine antidemokratische Partei, die immer wieder Gewalttäterinnen und Gewalttäter in ihren eigenen Reihen hat und toleriert und damit die Gesellschaft gefährdet.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Einen blinden Aktionismus, der vorschnell vonstattengeht, finde ich falsch, weil die Voraussetzungen für ein NPD-Verbotsverfahren gegeben sein müssen. Dann muss ein neues Verbotsverfahren aber auch eingeleitet werden.

Carsten S. hat selbst betont – nach eigenen Angaben, aber das sagen uns auch alle möglichen Berichte –, dass er aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen ist. Es gibt unterschiedliche Angaben, wann das gewesen sein soll. Natürlich darf jemand, der ausgestiegen ist, nicht Jahre danach noch vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ein ausgestiegener, ehemaliger Neonazi, der das glaubhaft machen kann, muss auch die Chance haben, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren, zumindest dann, wenn er keine Straftaten begangen hat. Wenn der NRW-Verfassungsschutz den Ausstieg aber nicht selbst unterstützt hat, dann hätte er zumindest die Glaubhaftigkeit des Ausstiegs überprüfen müssen.

Vor diesem Hintergrund, aber auch im Hinblick auf die Tatsache, dass der Innenminister in der vergangenen Woche zwei Pannen beim Verfassungsschutz aufgezeigt hat – ich bin froh, dass er es öffentlich gemacht hat; dabei handelt es sich zum einen um einen Aussteiger, der als V-Mann weitergeführt wurde, zum anderen um einen V-Mann, der erst bei Erreichen von Führungspositionen abgeschaltet wurde –, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Bevölkerung fragt: „Was macht der Verfassungsschutz eigentlich?“ und dass das Vertrauen in den Verfassungsschutz schwindet.

Nicht zuletzt deshalb ist es unsere Aufgabe als Abgeordnete, kritisch zu hinterfragen, hinzugucken und über Änderungen beim Verfassungsschutz hin zu mehr Transparenz und Kontrolle zu diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und von der LINKEN)

Aus meiner Sicht stehen wir momentan erst am Anfang einer Diskussion, die noch folgen muss. Wir müssen über die Aufgaben und Zuständigkeiten, aber auch die Richtlinien und die Kontrolle des Verfassungsschutzes diskutieren. Wir müssen uns Gedanken über eine gesellschaftspolitische Strategie zur Bekämpfung von Rechtsextremismus machen. Dazu brauchen wir einen festen Rahmen, ein Gremium. Eine konstruktive, nach vorne gerichtete Debatte bekommen wir nicht – ich kann mir vorstellen, dass viele das ähnlich sehen – im Rahmen von Plenarsitzungen innerhalb von anderthalb Stunden oder in Innenausschusssitzungen im Rahmen der normalen Tagesordnung hin.

Wir brauchen eine systematische Diskussion. Dazu gehören für mich die Fragen nach der Neuausrichtung der Ermittlungsbehörden beim Thema Rechtsextremismus und die Frage nach der Effizienz und den Grenzen des Verfassungsschutzes. Wir müssen aber auch darüber diskutieren, wie wir rechtsextreme Strukturen systematisch zurückdrängen können. Wir müssen Ungleichwertigkeitsvorstellungen thematisieren. Dafür brauchen wir eine starke Zivilgesellschaft, ohne die schaffen wir es nicht.

Diese Diskussion erwartet die Öffentlichkeit von uns. Aber auch im Hinblick auf die Angehörigen der Opfer und die Verletzten der Bombenanschläge ist es nur geboten, dass wir die politische Diskussion führen, zu Konsequenzen kommen und diese dann auch einbringen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von der LINKEN)

Rede von Matthi Bolte MdL:

Matthi BolteMatthi Bolte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Biesenbach, Sie sagten, es gebe keinen Grund für diese Aktuelle Stunde. Ich sage Ihnen: Es gibt drei sehr gute Gründe, heute diese Aktuelle Stunde abzuhalten.

In der vergangenen Woche wurden zwei Fälle bekannt, bei denen es in der Vergangenheit erkennbar Probleme beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz gab. Und am Tag darauf wurde ein mutmaßlicher Unterstützer des NSU hier in Düsseldorf festgenommen. Über diese Punkte wurden sowohl das Parlamentarische Kontrollgremium als auch der Innenausschuss unterrichtet.

Darüber hinaus hat der Innenminister angekündigt, einen Beauftragten einzusetzen, um Vorschläge zu entwickeln, wie der Verfassungsschutz hinsichtlich Transparenz und parlamentarischer Kontrolle neu aufgestellt werden soll. Das ist – das habe ich in den Debatten seit November 2011 immer wieder betont – ein dringend notwendiger Schritt. Ich fand es – ganz ehrlich – enttäuschend, Herr Biesenbach, dass Sie diesen notwendigen Schritt lediglich kommentiert haben mit der Bemerkung, ob Rot-Grün jetzt den Verfassungsschutz abschaffen wolle. – Herr Biesenbach, ich habe den Eindruck, dass Sie gar nicht wissen, warum wir hier heute diskutieren.

Wir reden darüber, dass eine Gruppe von rechten Terroristen durchs Land gezogen ist, gemordet hat, Anschläge begangen hat, Banküberfälle verübt hat. Wir reden darüber, dass diese rechte Terrorgruppe ein weit verzweigtes Unterstützernetzwerk hatte, dass dieses Trio viel zu lange nicht als terroristische Gruppe erkannt wurde und dass man stattdessen den wirklich menschenverachtenden Begriff der „Döner-Morde“ erfunden hat.

Und jetzt kommen Sie, Herr Biesenbach, und erzählen uns: Beim Verfassungsschutz, war doch alles im Lot, bei den Sicherheitsbehörden war doch alles im Lot. – Aber das ist es eben nicht.

Wir als regierungstragende Fraktionen haben diese Probleme erkannt. Und weil wir diese Probleme erkannt haben, haben wir diese Aktuelle Stunde angemeldet. Der Innenminister hat das, weil diese Probleme erkannt wurden, in der letzten Woche transparent gemacht und einen Beauftragten eingesetzt.

Wir haben all diese Maßnahmen veranlasst, weil wir als Rot-Grün uns mit der rot-grünen Landesregierung der Verantwortung stellen, die aus diesen schrecklichen, diesen menschenverachtenden und diesen viel zu lange unentdeckten Taten erwächst, und weil wir dafür sorgen wollen, dass das Parlament die Kraft und die Möglichkeit hat, den Verfassungsschutz genau so zu kontrollieren, dass es nicht zu Fällen kommt, wie sie in der letzten Woche öffentlich gemacht wurden.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Diese beiden Fälle müssen jetzt konkret aufgearbeitet werden. Wir haben gesehen, dass ein V-Mann in der Szene aufsteigt. Und wenn ein V-Mann in der Szene aufsteigt, dann muss er ab einer bestimmten Höhe abgeschaltet werden. Das ist der Grundsatz der Staatsferne. Ich habe schon letzten Donnerstag im Innenausschuss versucht, Ihnen das zu erklären. Sie wissen vielleicht, dass das erste NPD-Verbotsverfahren genau an dieser fehlenden Staatsferne gescheitert ist.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Es ist also notwendig, diesen Grundsatz beizubehalten und nicht darüber zu jammern, dass wir Informationen eben nicht aus den Führungsgremien bekommen. Solche V-Leute können nicht in einer entsprechenden Höhe in der Hierarchie geduldet werden.

Wer aussteigen will, der muss in ein Aussteigerprogramm. Wer nicht aussteigen will, der muss nicht in ein Aussteigerprogramm. Diejenigen, die Informationen beschaffen, müssen das nach klaren Regeln tun. – Auch da haben wir eine Baustelle vor uns, weil wir auch da sehen: Es sind zwar sinnvolle Veränderungen bei den Aussteigerprogrammen geplant, aber wir müssen jederzeit die klare Trennung zwischen Aussteigerprogramm und Informationsgewinnung einhalten. Wir müssen jetzt also auch debattieren, wie es da weitergeht.

Schließlich der Fall Carsten S. Auch der muss aufgearbeitet werden. Dazu haben wir hier schon vieles gehört. Eines ist völlig klar: Wer aus der rechten Szene aussteigt, der hat einen Anspruch darauf, danach ein neues Leben beginnen zu können. Aber wir brauchen auch eine Kontrolle darüber, dass dieser Ausstieg tatsächlich passiert. Und wir brauchen schlagkräftige Behörden, die darüber wachen.

All diese Erkenntnisse, finde ich, sind ein guter Grund, darüber nachzudenken, wie wir Transparenz erhöhen, wie wir parlamentarische Kontrolle verbessern und wie wir das Verfassungsschutzgesetz modernisieren und neu aufstellen.

Wir müssen anhand dieser Fälle durchdeklinieren: Was heißt Transparenz? Wie schaffen wir parlamentarische Kontrolle? Wie sorgen wir dafür, dass das Parlamentarische Kontrollgremium den hohen Legitimationsanforderungen der Abgeordneten, die darin sitzen, gerecht wird? Wie schaffen wir es, mehr Öffentlichkeit herbeizuführen? Wie schaffen wir es, das Gremium schlagkräftiger zu machen? Wie schaffen wir es, die Abgeordneten besser zu unterstützen, die im PKG vertreten sind?

Ich wünsche mir wirklich inständig, dass wir in diesen Prozess mit allen Fraktionen einsteigen, diesen Prozess gemeinsam gestalten, und zwar ohne ideologische oder parteitaktische Scheuklappen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus

Anlässlich des heutigen Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt Verena Schäffer MdL, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus:

„Wir gedenken insbesondere heute allen Opfern des Nationalsozialismus. Die schrecklichen Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsstaats, der systematische Genozid an Millionen von Menschen darf nicht in Vergessenheit geraten. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus hält die Auswirkungen und Konsequenzen rassistischer und nationalistischer Einstellungen und Handlungen im kollektiven Bewusstsein wach. Gerade vor dem Hintergrund anhaltend hoher Zustimmungswerte zu rassistischen, antisemitischen, islamfeindlichen und anderen menschenfeindlichen Einstellungen und den Erkenntnissen über den Rechtsterrorismus zeigt sich, dass die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten bis heute existiert und eine Gefahr für unsere Demokratie und die Gesellschaft darstellt. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen und aktiv für Demokratie und Vielfalt eintreten.“

Antrag: Landesprogramm gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Die Neonaziszene in NRW tritt seit Jahren immer selbstbewusster, offensiver und gewaltbereiter auf. Aber auch die weite Verbreitung rassistischer, antisemitischer und islamfeindlicher Einstellungen in der Gesellschaft gibt zunehmend Anlass zu Sorge. Um dieser Entwicklung wirksam und nachhaltig entgegentreten zu können, haben wir in der heutigen Plenarsitzung gemeinsam mit der SPD den Antrag „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ (Drucksache 15/3536) in den Landtag eingebracht. Der Antrag sieht die Erstellung eines Landesprogramms gegen Rechtsextremismus unter Federführung der Landeszentrale für politische Bildung bis Ende 2012 vor. Dies soll unter Einbeziehung des „Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus in NRW“, wissenschaftlichen Expertinnen und Experten und weiteren Akteurinnen und Akteuren in dem Themenfeld geschehen. Ziel soll sein, die bisherigen Projekte des Landes NRW zu koordinieren und zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu unterstützen. Der Antrag wird zunächst im federführenden Haupt- und Medienausschuss sowie mitberatend im Kinder/Jugend-, Justiz-, Innen-, Schul- und Sportausschuss diskutiert werden.

Rede: Landesprogramm gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, die auch bei uns in NRW durch unsere besondere Betroffenheit wegen des Mordes in Dortmund und der Anschläge in Köln große Fassungslosigkeit und tiefe Bestürzung ausgelöst hat, müssen wir uns eine Tatsache wohl immer wieder vor Augen führen: Niemand wird als Rechtsextremist geboren, nicht als Nazi und nicht als Terrorist. Es ist daher Aufgabe der ganzen Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht ins rechte Milieu abgleiten.

Meine Damen und Herren, wir brauchen hierfür einen Gleichklang aus repressiven und präventiven Maßnahmen.

Es ist die Ausgestaltung dieses Gleichklangs, die rot-grüne Demokratie und Innenpolitik auszeichnet.

Repressive Maßnahmen sind – das hat der Kollege Hans-Willi Körfges eben richtig gewürdigt – eine notwendige Reaktion eines handlungsfähigen Staates, wenn seine innere Sicherheit bedroht ist. Der demokratische Rechtsstaat zeichnet sich aber dadurch aus, dass er seine Freiheit nicht einer Sicherheit opfert, die in unverhältnismäßiger Weise in die Grundrechte einschneidet. Die beste Prävention gegen rechtes Gedankengut ist eine offene Gesellschaft, in der Transparenz auch für schwierige Fragen gilt. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs, der betont, wie wichtig das friedliche Zusammenleben in Vielfalt, das unser Land auszeichnet, für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ist.

Wir brauchen aber auch die Offenheit für kritische Fragen. Diese kritischen Fragen dürfen wir nicht denjenigen überlassen, die ihre einfache Antwort stets mit der Bemerkung „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“ verbinden.

Es ist zentral, gemeinsam Perspektiven für alle zu schaffen. Wir müssen Abstiegsängste bekämpfen und gerechte Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen. Mit dieser Landesregierung ist NRW auf einem guten Weg dahin, gerade jungen Menschen die Chancen zu eröffnen. Wir meinen das auch, wenn wir sagen: Wir wollen niemanden zurücklassen.

Meine Damen und Herren, viel zu lange – das ist schon angeklungen – wurde die Gefahr von rechts nicht so gesehen, wie es notwendig gewesen wäre. In dem Prozess der Aufklärung, wie er im Zusammenhang mit den rechtsterroristischen Morden und Anschlägen jetzt vor uns liegt, wird auch zu klären sein, wie es genau dazu kommen konnte.

Die Morde des NSU stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Ohne Frage ist die terroristische Netzwerkstruktur wie beim NSU einerseits eine neue Qualität rechter Aktivitäten. Andererseits gibt es eine große Vielfalt von rechter Alltagsgewalt. In beiderlei Hinsicht sind einige Sicherheitsbehörden offensichtlich nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen. Rechtsextreme Gewalt wurde – das wissen wir heute – an und von verschiedensten Stellen immer wieder nicht als solche erkannt und verharmlost. Daher muss eine schon jetzt absehbare Konsequenz lauten: Wir müssen die Ermittlungsbehörden stärker als in der Vergangenheit für das Thema Rechtsextremismus sensibilisieren. Rechte Gewalt muss endlich, und zwar überall, als solche erkannt und bekämpft werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, um Rechtsextremismus entschieden zu bekämpfen, brauchen wir starke Strukturen. Der Minister hat – dafür bin ich sehr dankbar – in seinem Programm eine personelle Aufstockung in diesem Bereich angekündigt, die Einrichtung eines Kompetenzzentrums beim LKA und ebenso Sonderkommissionen in den besonders betroffenen Behörden. Das ist der richtige Weg. Wir brauchen jetzt starken Ermittlungsdruck, ein starkes und entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus.

Wir haben allerdings auch viele Diskussionen in dem Zusammenhang, die darüber hinausgehen, was jetzt konkret zu tun ist. Die Zusammenarbeit der Sicherheits? und Ermittlungsbehörden ist in diesem Zusammenhang eine viel diskutierte Frage. Es ist völlig klar, dass es Reibungsverluste geben kann, wenn so viele Stellen beteiligt sind, wie es heute der Fall ist. Wir werden diese Defizite ausräumen müssen. Zugleich müssen wir aber auch immer wieder konstatieren: An vielen Stellen und in vielerlei Hinsicht hat sich die föderale Struktur der Sicherheitsbehörden in unserem Land bewährt. Verfassungsmäßige Beschränkungen und das Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz dürfen an keiner Stelle unter Druck geraten.

Die Landesämter für Verfassungsschutz stehen momentan insgesamt und in einigen Fällen besonders stark in der Diskussion. Es gibt eine ganze Reihe von Baustellen. Da wird noch ein langer Debattenprozess vor uns liegen. Als Grundsatz lässt sich schon sagen: Ein jedes Landesamt für Verfassungsschutz muss effizient, aber auch rechtsstaatlich arbeiten. Wann immer es Zweifel daran gibt, müssen diese Zweifel auf den Tisch, genauso wie die Debatte über den Einsatz und auch die Bedeutung von V-Leuten in der rechten Szene geführt werden muss.

Die Angemessenheit und die Effizienz der eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel zu beurteilen, bedeutet, auch die Frage der Transparenz und der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes und der Verfassungsschutzbehörden zu vertiefen. Es geht nicht nur um die Frage: „Haben die Parlamente ausreichende Kontrollrechte?“, sondern auch um die Frage: Sind diese Kontrollrechte so gestaltet, dass die Parlamente damit etwas bewegen können? Wenn ja, werden diese Kontrollrechte ausreichend durch die Parlamente genutzt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Achtpunkteprogramm der Landesregierung beinhaltet zahlreiche Maßnahmen, die zeitnah umsetzbar sind. Hans-Willi Körfges und auch ich haben einige weitere Punkte angesprochen, die es in der Diskussion zu vertiefen gilt, die wir nicht hier im Plenum, möglicherweise auch nicht im Innenausschuss oder im Parlamentarischen Kontrollgremium abschließend klären können. Es sind aber Diskussionen, die geführt werden müssen. Wir brauchen – auch um unsere Demokratie voranzubringen – die Räume dafür.

Meine Damen und Herren, wir dürfen eines nicht vergessen: Rechte Gewalttaten und rechter Terrorismus richten sich nicht allein gegen die konkreten Opfer. Jeder Anschlag des NSU, jeder Übergriff von Neonazis, jede Verbreitung von Angst und psychischem Druck durch rechte Gruppierungen ist immer auch eine Attacke auf die Art und die Werte, nach denen unsere Gesellschaft in Freiheit, Vielfalt, Toleranz und Mitmenschlichkeit zusammenlebt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte eingangs: Der Mensch wird nicht als Rechtsextremist geboren. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen: Der Mensch wird nicht als Demokratin oder Demokrat geboren. Deshalb ist der Kampf für unsere Demokratie eine Aufgabe für uns alle. Lassen Sie uns die Chancen schaffen. Lassen Sie uns die Feinde unseres demokratischen Rechtsstaats gemeinsam, entschieden und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen. Lassen Sie uns jeden Tag für Demokratie werben, für Demokratie eintreten und für Demokratie begeistern.

Eine Gelegenheit dafür bietet sich am kommenden Samstag. Ich weiß, dass das der Heilige Abend ist. Aber für diesen Heiligen Abend haben Neonazis in meiner Heimatstadt Bielefeld eine Demonstration angemeldet. Ich würde mich sehr freuen, viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, am kommenden Samstag in meiner Heimatstadt sehen zu dürfen. Lassen Sie uns gemeinsam mit einer starken Zivilgesellschaft ein starkes Zeichen für die Demokratie in unserem Land setzen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von der LINKEN)

Rede von Verena Schäffer MdL:

Verena Schäffer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich gut erinnern an die schockierte Öffentlichkeit und den Aufruf zu einem „Aufstand der Anständigen“ nach dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Oktober 2000. Ich war damals erst 13 Jahre alt und konnte nicht begreifen, dass ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Nazidiktatur ein Anschlag in Deutschland mit offensichtlich antisemitischem Hintergrund auf eine Synagoge möglich sein sollte.

Später stellte sich heraus, dass der Anschlag keinen rechtsextremen Hintergrund hatte. Aber es hieß damals, es müsse ein Ruck durch die Gesellschaft gehen; antisemitische und rechtsextreme Tendenzen müssten endlich ernst genommen und bekämpft werden. Dieser Appell gilt leider heute immer noch.

Wo stehen wir heute, elf Jahre später? In den Jahren von 2000 bis 2011 sind in Nordrhein-Westfalen acht Menschen von Neonazis getötet worden. Es gibt alle paar Tage einen rechtsextremen Angriff auf Personen. Immer wieder werden jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus geschändet. Jeden Monat finden in Nordrhein-Westfalen Aufmärsche von Neonazis statt, ob in Wuppertal, Stolberg, Köln, Dortmund oder anderen Orten. Ständig werden Jugendzentren und Geschäftsstellen der demokratischen Parteien angegriffen.

All das zeigt uns – und das sagen uns ja auch immer wieder die Berichte des Verfassungsschutzes und von unabhängigen Initiativen –, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein erhebliches Problem mit rechtsextremen Strukturen und Parteien haben. Es zeigt uns aber auch, dass einschlägige Ereignisse wie der Anschlag in Solingen im Jahre 1993, als fünf Menschen getötet wurden, oder die Morde der rechtsterroristischen NSU nur die Spitzen rechtsextremer Gewalt sind, die in ihrer Grausamkeit und in ihrem Menschenhass für sich stehen und dennoch in einer Kette von rechtsextremer Bedrohung und Gewalt zu sehen sind.

Deshalb sind Maßnahmen gegen rechtsextreme Strukturen längst überfällig. Mit einer Verharmlosung rechter Gewalt muss endlich Schluss sein.

Um Präsenz zu zeigen, einzuschüchtern und der Erlebnisorientierung der Szene gerecht zu werden, haben rechtsextreme Gruppierungen in den vergangenen zehn Jahren Hunderte von Aufmärschen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Damit wollen sie auch den demokratischen Widerstand zermürben. Weshalb sonst – mein Kollege Matthi Bolte hat es angesprochen – sollten die Neonazis am 24. Dezember in Bielefeld demonstrieren wollen?

Diese Zermürbungsstrategie der Neonazis wird aber nicht aufgehen. Denn immer wieder finden sich Menschen aus den demokratischen Parteien, aus den Kirchen, aus Schüler- und Jugendgruppen zusammen, die gegen diese rechtsextremen Aufmärsche auf die Straße gehen und gemeinsam für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft einzutreten.

(Beifall von den GRÜNEN und von der LINKEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist gut so, denn wir brauchen diese Zivilgesellschaft, die unsere Demokratie verteidigt.

Auf die Stärkung der Zivilgesellschaft haben auch die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung 2001 ins Leben gerufenen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus gesetzt. Civitas und Entimon waren die erfolgreichen Vorgängerprogramme des jetzigen Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ von Kristina Schröder, die ja leider immer wieder mit ihrer Verhinderungs- und Verharmlosungspolitik ein falsches Signal an die Bevölkerung sendet.

Aber schon damals unter der rot-grünen Bundesregierung sind die heute zum unverzichtbaren Teil gewordenen mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt in den ostdeutschen Bundesländern entstanden.

Es war damals aus meiner heutigen Sicht ein Fehler, dass man gesagt hat, man guckt nach Ostdeutschland, aber man fördert diese Programme eben nicht auch in Westdeutschland. Erst seit 2008 werden die mobilen Beratungsteams auch in westdeutschen Bundesländern gefördert. Auch in Nordrhein-Westfalen haben wir in allen fünf Regierungsbezirken mobile Beratungsteams, die Prävention leisten und Strukturen gegen Rechtsextremismus nachhaltig aufbauen.

In den letzten Landeshaushalt haben wir als rot-grüne Landtagsfraktion Mittel für die Einrichtung von Opferberatungsstellen in NRW eingestellt. Vor wenigen Wochen erst wurde die Beratungsstelle für den westfälischen Raum in Dortmund eröffnet. Seitdem gibt es bereits knapp 30 Beratungsfälle.

Ich glaube, dass vor dem Hintergrund dieses Beratungsbedarfes und der Aktualität dieses Themas niemand aus diesem Hause wirklich die Notwendigkeit dieser Beratungsstellen noch anzweifeln kann.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Es gibt vielerorts in Nordrhein-Westfalen Bündnisse gegen Rechts. Es gibt in knapp 15 Städten derzeit in NRW lokale Aktionspläne aus dem Bundesprogramm. Es gibt über 200 Schulen in NRW, die sich an dem Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ beteiligen. Das Land NRW fördert das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit mit seinem sehr erfolgreichen Elternberatungsnetzwerk. An der FH Düsseldorf haben wir den vom Land anerkannten Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus.

Es gibt also bereits in Nordrhein-Westfalen viele Strukturen, viele Maßnahmen, die sich gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus wenden und die wir mit unserem Landesprogramm einbinden können, auf denen wir aufbauen können. Es geht uns bei diesem Landesprogramm nicht darum, einen neuen Katalog mit Einzelmaßnahmen zu erstellen, der dann in einer Hochglanzbroschüre gedruckt und ins Regal gestellt wird. Nein, wir wollen eine Gesamtstrategie unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Initiativen, um Rechtsextremismus, um Rassismus nachhaltig bekämpfen zu können.

Aber es darf bei diesem Landesprogramm auch nicht nur die Bekämpfung des organisierten Neonazismus im Fokus stehen, den man vielleicht noch, wie Herr Innenminister Jäger das auch vorhat, mit repressiven Mitteln klein kriegt. Wir brauchen vielmehr die Debatte über den Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft.

Dass Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus, Homophobie und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen weit verbreitet sind, das wissen wir nicht nur aus den Studien. Vor Kurzem, vor zwei Wochen, glaube ich, ist das letzte Band der Heitmeyer-Studie, einer Langzeitstudie über zehn Jahre, veröffentlicht worden. Diese Studie macht sehr stark deutlich, wie weit diese Ungleichwertigkeitsvorstellungen in unserer Gesellschaft verbreitet sind.

Wir wissen es nicht nur aus den Studien, sondern wir wissen es auch aus den Erfahrungsberichten von den vielen Menschen in NRW und in Deutschland, die alltäglich, immer wieder ausgegrenzt werden, weil sie bestimmte Merkmale tragen, die andere Menschen verachten. Ich finde, das ist ein Punkt, an dem wir ansetzen müssen, bei dem wir unsere demokratische Gesellschaft stärken müssen. Denn letztendlich sind genau diese Einstellungen der Nährboden dafür, dass rechte Gewalt verharmlost wird, und dafür, dass rechtsextremem Terror der Boden geebnet wird.

(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von der LINKEN)

Unsere Kollegin Carina Gödecke hat uns in der Debatte über den NSU vor zwei Wochen an unsere Verantwortung erinnert, das Erstarken der Rechten zu verhindern und den Anfängen zu wehren. Diese Verantwortung müssen wir als Demokratinnen und Demokraten annehmen. Wir müssen handeln, bevor es wieder einmal zu spät ist.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Pressemitteilung: NRW gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Zur Einbringung des Antrags „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ von SPD und Grünen erklären Verena Schäffer MdL, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und Rainer Bovermann MdL, Sprecher der SPD Landtagsfraktion im Haupt- und Medienausschuss:

„Wir begrüßen, dass Innenminister Ralf Jäger mit einem breiten Maßnahmenplan gegen die rechtsextreme Szene in NRW vorgehen will. Neben den polizeilichen Mitteln bedarf es zur Bekämpfung des Rechtsextremismus aber auch der Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der vielen Initiativen gegen Rechts. Die Neonaziszene in NRW tritt seit Jahren immer selbstbewusster, offensiver und gewaltbereiter auf. Aber auch die weite Verbreitung rassistischer, antisemitischer und islamfeindlicher Einstellungen in der Gesellschaft gibt zunehmend Anlass zu Sorge. Um dieser Entwicklung wirksam und nachhaltig entgegentreten zu können, haben wir als Landtagsfraktionen einen Antrag zur Erstellung eines integrierten Handlungskonzeptes gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf den Weg gebracht. Dieses Landesprogramm soll die bisherigen Projekte des Landes NRW koordinieren und zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus unterstützen. Damit nehmen wir unsere Verantwortung für eine demokratische und weltoffene Gesellschaft wahr.“