Rede zum Haushaltsplan des Innenministeriums 2012

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie Sie wissen, hat sich weder der Haushaltsentwurf insgesamt noch der Einzelplan 03 gegenüber dem ersten Haushaltsentwurf für das Jahr 2012 wesentlich verändert. In fünf Wochen wird schon der nächste Haushaltsentwurf, der für das Jahr 2013, eingebracht. Ich halte es für richtig, die Grundsatzdebatte da zu führen.

Heute möchte ich vor allen Dingen einen Blick nach vorne richten und beschreiben, welche Fragestellungen wir in der Innenpolitik eigentlich zu beantworten haben. Übrigens müssen nicht nur die Regierungsfraktionen, sondern auch die Oppositionsfraktionen diese Fragen beantworten können.

(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])

Wir wissen alle, dass der Ton mit jedem Jahr, das wir voranschreiten und der Schuldenbremse im Jahr 2020 näherkommen, schärfer werden wird. Ich finde, da kann die Opposition nicht einfach sagen: „Auf der einen Seite wollen wir mehr Polizei; auf der anderen Seite wollen wir mehr sparen“, sondern sie muss sagen, was sie eigentlich will, sie muss hier auch mal richtige Vorschläge vorlegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wissen, dass die Diskussion wegen der Schuldenbremse schwierig ist. Trotzdem haben wir als rot-grüne Koalition an unserer Absicht festgehalten, 1.400 neue Polizistinnen und Polizisten einzustellen. Wir wollen weiterhin das von Schwarz-Gelb Versäumte aufholen. Schwarz-Gelb hat es nämlich versäumt, die Neueinstellungen entsprechend einzuplanen. Das werden wir nun machen. Mit der erhöhten Einstellungsermächtigung haben wir auch 13 neue Stellen bei der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung eingerichtet.

Die Ausbildungskapazität der nordrhein-westfäli­schen Polizei ist mit diesen 1.400 neuen Stellen bereits erschöpft. Trotzdem wird diese Zahl der Neueinstellungen nicht ausreichen, um den demografischen Wandel innerhalb der Polizei aufzufangen. Sie, die Opposition, haben jahrelang die Berichte unter Verschluss gehalten und nicht offengelegt, wie es bei der Polizei eigentlich aussieht. Die Polizei wird natürlich älter. Wenn das Ganze 2016 kippen wird, wenn es mehr Pensionierungen als Einstellungen geben wird, dann haben wir ein Problem. Auf dieses Problem kann man nicht sehenden Auges zulaufen, finde ich. Vielmehr müssen wir überlegen: Wie gehen wir mit diesem hohen Altersdurchschnitt – den es jetzt schon gibt, insbesondere in vielen Kreispolizeibehörden, gerade im ländlichen Raum – eigentlich um? Wie machen wir Polizei effizienter? Wie können wir das Gesundheitsmanagement stärken?

Für mich heißt das aber auch, dass wir darüber reden müssen, wie wir die Polizei entlasten können. Als Beispiel ist in der öffentlichen Diskussion die Begleitung von Schwertransporten genannt worden. Warum kann diese Aufgabe nicht von Privaten, von zertifizierten Dienstleistern, übernommen werden?

Ein anderes Beispiel ist die Bereitschaftspolizei. Es ist doch total irre, dass andere Bundesländer ihre Bereitschaftspolizei abbauen und unsere Hundertschaften jedes Wochenende in andere Bundesländer fahren müssen, anstatt hier eingesetzt zu werden, und immer mehr Überstunden anhäufen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Wir haben diese Diskussion über die Aufgabenkritik gerade erst begonnen. Die Opposition täte gut daran, diese Aufgabenkritik konstruktiv mit zu führen, damit es – da haben wir ja ein gemeinsames Ziel – eine bürgernahe Polizei in wahrsten Sinne des Wortes gibt: bürgernah auf der Straße bei den Menschen, aber auch gut qualifiziert und professionell in den Bereichen, wo wir sie brauchen, wo es neue Herausforderungen gibt, zum Beispiel bei der Internetkriminalität.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Heute Morgen ist über das Gemeindefinanzierungsgesetz diskutiert worden. Ich glaube, dass viele von denen, die hier sitzen, gar nicht wissen, wie viel das mit Sicherheitspolitik zu tun hat. Feuerwehrleute sind Kommunalbeamtinnen und -beamte, die unmittelbar von der finanziellen Lage in den Kommunen abhängig sind, und zwar dann, wenn es um die Beförderung geht, die bei der Feuerwehr viel zu häufig ausbleibt, weil das Geld dafür nicht vorhanden ist.

Da können wir noch so viel über Kinderfeuerwehren und über Imagekampagnen diskutieren; das hilft der Berufsfeuerwehr auch nicht, Nachwuchs zu finden, wenn wir es nicht schaffen, Perspektiven zu eröffnen, gerade auch im Wettbewerb um Fachkräfte. Schließlich arbeiten bei der Feuerwehr Personen, die mit einer Ausbildung dahin kommen. Wir müssen dafür sorgen – und das ist ein sicherheitspolitisches Anliegen –, dass es den Kommunen besser geht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Ich möchte noch kurz auf den Datenschutz eingehen. Auch hier haben wir es geschafft, die Veränderungen aus dem Haushaltsgesetz 2011 fortzuführen. Wir wissen, dass wir starke Gesetze für den Datenschutz brauchen – wie die europäische Datenschutzgrundverordnung, die momentan diskutiert wird. Wir brauchen aber auch starke Institutionen. Dafür sorgen wir. Wir haben das schwarz-gelbe Streichkonzert beim Datenschutz beendet. Wir haben größere Personalkapazitäten geschaffen. Daran halten wir fest, um dem Datenschutz insgesamt einen höheren Stellenwert zukommen zu lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Redezeit läuft ab, aber ich möchte schon noch auf das Thema „Verfassungsschutz“ eingehen, weil es mich wirklich ärgert. Es geht nicht darum, dass wir Einsparungen beim Verfassungsschutz wollen, sondern es geht darum, dass wir über die Folgen der NSU-Morde diskutieren: Was muss beim Verfassungsschutz anders, besser und neu gemacht werden? Es geht darum, wie man den Verfassungsschutz auf seine Kernbereiche zurückführen kann, damit er den gewalttätigen verfassungsfeindlichen Rechtsextremismus und den gewalttätigen verfassungsfeindlichen Islamismus beobachtet und nicht wie bisher …

(Zuruf von Dr. Robert Orth [FDP])

– Ja, es geht aber darum, dass die Gefahr nicht von Links, sondern von Rechts und von den Salafisten und von den Islamisten ausgeht! Darauf müssen wir doch gucken!

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht auch nicht darum, dass wir beim Verfassungsschutz einsparen wollen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass auch die Opposition diese Diskussion führen und aus den NSU-Morden lernen würde. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schäffer. – Für die Fraktion der Piraten spricht nun Kollege Schatz.

 

Newsletter Gegen Rechtsextremismus März 2012

Liebe Freundinnen und Freunde,

in den letzten Wochen wurde das Thema Rechtsextremismus und Rassismus wieder breiter diskutiert. In der zentralen Gedenkfeier für die Opfer des NSU haben vor allem die Reden der Angehörigen viele Menschen beeindruckt. Der 23. Februar stand sowohl mit der Gedenkfeier als auch mit der Schweigeminute um 12.00 Uhr in Gedenken an die Opfer des NSU und aus Solidarität mit deren Hinterbliebenen ganz im Zeichen des Eintretens gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Auch wir als Grüne Landtagsfraktion haben den Aufruf des DGB und des BDA zur Schweigeminute unterstützt. Wir finden es sehr erfreulich, dass dieser Aufruf breit getragen worden ist und den Menschen wieder ins Bewusstsein gerückt wurde, dass Rassismus leider immer noch im Alltag vorkommt.

Doch die Arbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus geht natürlich darüber hinaus. Deshalb haben wir bereits Ende letzten Jahres einen rot-grünen Antrag zur Erstellung eines Landesprogramms gegen Rechtsextremismus und Rassismus eingebracht. Inzwischen hat der Haupt- und Medienausschuss des Landtages beschlossen, eine öffentliche Anhörung zu dem Antrag durchzuführen. Diese wird am 22. März mit vielen Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus stattfinden. Über den Fortgang in dem Prozess zum Landesprogramm halten wir Euch natürlich auf dem Laufenden.

Da es noch etwas Zeit brauchen wird, bis der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 veröffentlicht wird, haben wir bereits jetzt zwei kleine Anfragen zu politisch motivierter Kriminalität gestellt, die wir Euch mit diesem Newsletter kurz vorstellen möchten.

 

Die Themen

  • Kleine Anfrage: Straftaten mit antisemitischem Hintergrund im Jahr 2011
  • Kleine Anfrage: Straftaten im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – Rechts in NRW im Jahr 2011
  • Veranstaltung: Politikum Sport: Zwischen Vielfalt und Diskriminierung

 

Kleine Anfrage: Straftaten mit antisemitischem Hintergrund im Jahr 2011

Die Kleine Anfrage über Straftaten mit antisemitischem Hintergrund im Jahr 2011 hat Folgendes ergeben: Die Gesamtanzahl der antisemitischen Straftaten ist von 240 in 2010 auf 242 in 2011 leicht gestiegen. Die Anzahl der Gewaltdelikte hierunter ist von 4 in 2010 auf 10 Gewalttaten in 2011 deutlich gestiegen. Alle neun Tatverdächtigen, die zu diesen Straftaten festgenommen wurden, waren männlich und zwischen 16 und 44 Jahren. Es wurden 300 Ermittlungsverfahren wegen antisemitischer Straftaten eingeleitet. Von den 52 zur Klage gebrachten Straftaten führten 24 zu einer Verurteilung. In 252 Fällen wurden die Ermittlungen eingestellt.

Die Antwort zur Kleinen Anfrage könnt Ihr hier herunterladen.

Kleine Anfrage: Straftaten im Bereich der politisch motivierten Kriminalität – Rechts in NRW im Jahr 2011

Besorgniserregend war auch das Ergebnis zur Kleinen Anfrage über politisch motivierte Kriminalität Rechts. In 2011 wurden 3.015 Straftaten mit politisch rechter Motivation in der Polizeistatistik erfasst. In 2010 waren es noch 2.890 Straftaten. Bei Betrachtung der Anzahl der Gewaltdelikte zeigt sich ein überproportionaler Anstieg im Vergleich zum Anstieg der politisch motivierten Kriminalität Rechts insgesamt. Mit 190 Gewalttaten (darunter 169 Körperverletzungen) mit politisch rechter Motivation im Jahr 2011 wurde nicht nur das Vorjahresniveau von 155 Gewalttaten in 2010 übertroffen, sondern auch der bisherige Höchststand von 186 Gewalttaten in 2008. Das bestätigt aus unserer Sicht, dass die Gewaltbereitschaft der Neonazis weiter gestiegen ist, wie uns schon durch Berichte von betroffenen Personen und dem zunehmend selbstbewussten und aggressiven öffentlichen Auftreten der Neonazis deutlich wurde.

Die Antwort zur Kleinen Anfrage könnt Ihr hier herunterladen.

Veranstaltung: Politikum Sport: Zwischen Vielfalt und Diskriminierung

Am 13. März 2012 veranstalten wir gemeinsam mit der sportpolitischen Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion, Josefine Paul MdL, ein Fachgespräch zu den Themen Diskriminierung und Rechtsextremismus im Sport mit dem Titel „Politikum Sport: Zwischen Vielfalt und Diskriminierung“. In dem Fachgespräch wollen wir sowohl über Strukturen im Sport sprechen, die zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen können, aber auch über den Umgang mit Rechtsextremismus im organisierten Sport diskutieren. Als ExpertInnen konnten wir Ronny Blaschke, Angelika Ribler und Adam Bednarsky für das Fachgespräch gewinnen.

Die Einladung findet Ihr hier, über eine Weiterleitung der Veranstaltungseinladung würden wir uns freuen.

 

Viele Grüße aus dem Landtag!

Verena Schäffer und Hasret Karacuban

Meine Rede: „Unterstützernetzwerk des NSU aufdecken“

Verena Schäffer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rechtsextreme Terrorgruppe NSU, die auch durch NRW gezogen ist, die in Dortmund gemordet hat, die zwei Anschläge in Nordrhein-Westfalen in Köln begangen hat, die Menschenleben aufs Spiel gesetzt hat, hat eine menschenverachtende Haltung gezeigt. Diese Taten haben uns alle erschüttert. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land fragen sich zu Recht, wie es eigentlich sein kann, dass diese Terrorgruppe zehn Jahre unerkannt in Deutschland unterwegs sein konnte und morden konnte.

Vor diesem Hintergrund ist es gut und richtig, dass jetzt im Bundestag ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde und dass man auch in Thüringen einen entsprechenden Untersuchungsausschuss eingerichtet hat.

Auch wenn wir hier in Nordrhein-Westfalen noch keine Erkenntnisse haben, dass die Sicherheitsbehörden mitverantwortlich für diese Ermittlungspannen waren, muss sich der Landtag NRW sehr wohl mit notwendigen Konsequenzen, mit der Arbeit des Verfassungsschutzes, aber auch mit einer wirksamen Prävention auseinandersetzen.

Mit der Festnahme von Carsten S. in der letzten Woche in Düsseldorf ist auch für uns klar geworden, dass Nordrhein-Westfalen nicht nur ein Tatort dieser Terrorgruppe war, sondern dass sie unter Umständen auch in Nordrhein-Westfalen ein Unterstützungsnetzwerk hatte. Mit dieser Festnahme von Carsten S. hat sich zwangsläufig auch der Fokus unserer Diskussion noch einmal ein Stück weit verändert. Es ist unsere Aufgabe als NRW-Abgeordnete, entsprechend hinzuschauen und Fehler aufzudecken.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Da stellt sich für mich schon die Frage, wie es eigentlich sein kann, dass der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen erst seit zweieinhalb Monaten, also erst seit November letzten Jahres, Erkenntnisse über Carsten S. hat. Darüber, dass der Thüringer Verfassungsschutz den Umzug an die NRW-Behörden hätte melden müssen, sind wir uns wohl einig. Warum das nicht passiert ist, ist aus meiner Sicht auch eine Frage, die man jetzt im Thüringer Landtag im dortigen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss klären muss. Für mich stellt sich aber schon die Frage, warum die NRW-Verfassungsschutzbehörden nicht zumindest nach 2004 entsprechend nachgefragt haben.

Denn am 30. Januar 2004 erschien in der Düsseldorfer Antifa-Zeitung „TERZ“ ein Artikel, der ganz klare Hinweise gegeben hätte. Daraus würde ich gern zitieren. Dort steht:

Bis ungefähr Ende 2000 war dieser – damit ist Carsten S. gemeint – einer der führenden Aktivisten und Funktionäre der Neonaziszene in Thüringen, insbesondere im Raum Jena. Er brachte es bis zum NPD-Kreisvorsitzenden, stellvertretenden JN-Landesvorsitzenden, zum Landesbeauftragten der JN-Bundesführung, sogar kurzzeitig in den JN-Bundesvorstand. Er dürfte zu den wichtigsten Organisatoren und Koordinatoren der damaligen Thüringer Neonaziszene gehört haben, war auch für Schulungen des Nachwuchses und als Versammlungsleiter für Aufmärsche zuständig.

Diese Beschreibungen zeigen sehr eindeutig, welche Rolle und welche Bedeutung Carsten S. in der Thüringer Neonaziszene gehabt haben muss. Carsten S. war dort nicht irgendjemand, sondern er war NPD-Kreisvorsitzender in Jena, in der Stadt, wo 1998 drei Neonazis nach Ausheben eines Waffenlagers untergetaucht waren. Er war stellvertretender Landesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation und damit offensichtlich auch überregional gut vernetzt.

Im Übrigen ist das – mein Kollege hat gerade schon darauf hingewiesen – ein Hinweis darauf, dass die NPD immer wieder mit Personen zusammenarbeitet, dass es sogar personelle Überschneidungen zwischen freien neonazistischen Szenen und der NPD gibt. Ich finde, dass wir die Diskussion über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren zu Recht anheizen; denn die NPD, das wissen wir, ist eine verfassungsfeindliche, eine antidemokratische Partei, die immer wieder Gewalttäterinnen und Gewalttäter in ihren eigenen Reihen hat und toleriert und damit die Gesellschaft gefährdet.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Einen blinden Aktionismus, der vorschnell vonstattengeht, finde ich falsch, weil die Voraussetzungen für ein NPD-Verbotsverfahren gegeben sein müssen. Dann muss ein neues Verbotsverfahren aber auch eingeleitet werden.

Carsten S. hat selbst betont – nach eigenen Angaben, aber das sagen uns auch alle möglichen Berichte –, dass er aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen ist. Es gibt unterschiedliche Angaben, wann das gewesen sein soll. Natürlich darf jemand, der ausgestiegen ist, nicht Jahre danach noch vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ein ausgestiegener, ehemaliger Neonazi, der das glaubhaft machen kann, muss auch die Chance haben, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren, zumindest dann, wenn er keine Straftaten begangen hat. Wenn der NRW-Verfassungsschutz den Ausstieg aber nicht selbst unterstützt hat, dann hätte er zumindest die Glaubhaftigkeit des Ausstiegs überprüfen müssen.

Vor diesem Hintergrund, aber auch im Hinblick auf die Tatsache, dass der Innenminister in der vergangenen Woche zwei Pannen beim Verfassungsschutz aufgezeigt hat – ich bin froh, dass er es öffentlich gemacht hat; dabei handelt es sich zum einen um einen Aussteiger, der als V-Mann weitergeführt wurde, zum anderen um einen V-Mann, der erst bei Erreichen von Führungspositionen abgeschaltet wurde –, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Bevölkerung fragt: „Was macht der Verfassungsschutz eigentlich?“ und dass das Vertrauen in den Verfassungsschutz schwindet.

Nicht zuletzt deshalb ist es unsere Aufgabe als Abgeordnete, kritisch zu hinterfragen, hinzugucken und über Änderungen beim Verfassungsschutz hin zu mehr Transparenz und Kontrolle zu diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und von der LINKEN)

Aus meiner Sicht stehen wir momentan erst am Anfang einer Diskussion, die noch folgen muss. Wir müssen über die Aufgaben und Zuständigkeiten, aber auch die Richtlinien und die Kontrolle des Verfassungsschutzes diskutieren. Wir müssen uns Gedanken über eine gesellschaftspolitische Strategie zur Bekämpfung von Rechtsextremismus machen. Dazu brauchen wir einen festen Rahmen, ein Gremium. Eine konstruktive, nach vorne gerichtete Debatte bekommen wir nicht – ich kann mir vorstellen, dass viele das ähnlich sehen – im Rahmen von Plenarsitzungen innerhalb von anderthalb Stunden oder in Innenausschusssitzungen im Rahmen der normalen Tagesordnung hin.

Wir brauchen eine systematische Diskussion. Dazu gehören für mich die Fragen nach der Neuausrichtung der Ermittlungsbehörden beim Thema Rechtsextremismus und die Frage nach der Effizienz und den Grenzen des Verfassungsschutzes. Wir müssen aber auch darüber diskutieren, wie wir rechtsextreme Strukturen systematisch zurückdrängen können. Wir müssen Ungleichwertigkeitsvorstellungen thematisieren. Dafür brauchen wir eine starke Zivilgesellschaft, ohne die schaffen wir es nicht.

Diese Diskussion erwartet die Öffentlichkeit von uns. Aber auch im Hinblick auf die Angehörigen der Opfer und die Verletzten der Bombenanschläge ist es nur geboten, dass wir die politische Diskussion führen, zu Konsequenzen kommen und diese dann auch einbringen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von der LINKEN)

Rede von Matthi Bolte MdL:

Matthi BolteMatthi Bolte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Biesenbach, Sie sagten, es gebe keinen Grund für diese Aktuelle Stunde. Ich sage Ihnen: Es gibt drei sehr gute Gründe, heute diese Aktuelle Stunde abzuhalten.

In der vergangenen Woche wurden zwei Fälle bekannt, bei denen es in der Vergangenheit erkennbar Probleme beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz gab. Und am Tag darauf wurde ein mutmaßlicher Unterstützer des NSU hier in Düsseldorf festgenommen. Über diese Punkte wurden sowohl das Parlamentarische Kontrollgremium als auch der Innenausschuss unterrichtet.

Darüber hinaus hat der Innenminister angekündigt, einen Beauftragten einzusetzen, um Vorschläge zu entwickeln, wie der Verfassungsschutz hinsichtlich Transparenz und parlamentarischer Kontrolle neu aufgestellt werden soll. Das ist – das habe ich in den Debatten seit November 2011 immer wieder betont – ein dringend notwendiger Schritt. Ich fand es – ganz ehrlich – enttäuschend, Herr Biesenbach, dass Sie diesen notwendigen Schritt lediglich kommentiert haben mit der Bemerkung, ob Rot-Grün jetzt den Verfassungsschutz abschaffen wolle. – Herr Biesenbach, ich habe den Eindruck, dass Sie gar nicht wissen, warum wir hier heute diskutieren.

Wir reden darüber, dass eine Gruppe von rechten Terroristen durchs Land gezogen ist, gemordet hat, Anschläge begangen hat, Banküberfälle verübt hat. Wir reden darüber, dass diese rechte Terrorgruppe ein weit verzweigtes Unterstützernetzwerk hatte, dass dieses Trio viel zu lange nicht als terroristische Gruppe erkannt wurde und dass man stattdessen den wirklich menschenverachtenden Begriff der „Döner-Morde“ erfunden hat.

Und jetzt kommen Sie, Herr Biesenbach, und erzählen uns: Beim Verfassungsschutz, war doch alles im Lot, bei den Sicherheitsbehörden war doch alles im Lot. – Aber das ist es eben nicht.

Wir als regierungstragende Fraktionen haben diese Probleme erkannt. Und weil wir diese Probleme erkannt haben, haben wir diese Aktuelle Stunde angemeldet. Der Innenminister hat das, weil diese Probleme erkannt wurden, in der letzten Woche transparent gemacht und einen Beauftragten eingesetzt.

Wir haben all diese Maßnahmen veranlasst, weil wir als Rot-Grün uns mit der rot-grünen Landesregierung der Verantwortung stellen, die aus diesen schrecklichen, diesen menschenverachtenden und diesen viel zu lange unentdeckten Taten erwächst, und weil wir dafür sorgen wollen, dass das Parlament die Kraft und die Möglichkeit hat, den Verfassungsschutz genau so zu kontrollieren, dass es nicht zu Fällen kommt, wie sie in der letzten Woche öffentlich gemacht wurden.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Diese beiden Fälle müssen jetzt konkret aufgearbeitet werden. Wir haben gesehen, dass ein V-Mann in der Szene aufsteigt. Und wenn ein V-Mann in der Szene aufsteigt, dann muss er ab einer bestimmten Höhe abgeschaltet werden. Das ist der Grundsatz der Staatsferne. Ich habe schon letzten Donnerstag im Innenausschuss versucht, Ihnen das zu erklären. Sie wissen vielleicht, dass das erste NPD-Verbotsverfahren genau an dieser fehlenden Staatsferne gescheitert ist.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Es ist also notwendig, diesen Grundsatz beizubehalten und nicht darüber zu jammern, dass wir Informationen eben nicht aus den Führungsgremien bekommen. Solche V-Leute können nicht in einer entsprechenden Höhe in der Hierarchie geduldet werden.

Wer aussteigen will, der muss in ein Aussteigerprogramm. Wer nicht aussteigen will, der muss nicht in ein Aussteigerprogramm. Diejenigen, die Informationen beschaffen, müssen das nach klaren Regeln tun. – Auch da haben wir eine Baustelle vor uns, weil wir auch da sehen: Es sind zwar sinnvolle Veränderungen bei den Aussteigerprogrammen geplant, aber wir müssen jederzeit die klare Trennung zwischen Aussteigerprogramm und Informationsgewinnung einhalten. Wir müssen jetzt also auch debattieren, wie es da weitergeht.

Schließlich der Fall Carsten S. Auch der muss aufgearbeitet werden. Dazu haben wir hier schon vieles gehört. Eines ist völlig klar: Wer aus der rechten Szene aussteigt, der hat einen Anspruch darauf, danach ein neues Leben beginnen zu können. Aber wir brauchen auch eine Kontrolle darüber, dass dieser Ausstieg tatsächlich passiert. Und wir brauchen schlagkräftige Behörden, die darüber wachen.

All diese Erkenntnisse, finde ich, sind ein guter Grund, darüber nachzudenken, wie wir Transparenz erhöhen, wie wir parlamentarische Kontrolle verbessern und wie wir das Verfassungsschutzgesetz modernisieren und neu aufstellen.

Wir müssen anhand dieser Fälle durchdeklinieren: Was heißt Transparenz? Wie schaffen wir parlamentarische Kontrolle? Wie sorgen wir dafür, dass das Parlamentarische Kontrollgremium den hohen Legitimationsanforderungen der Abgeordneten, die darin sitzen, gerecht wird? Wie schaffen wir es, mehr Öffentlichkeit herbeizuführen? Wie schaffen wir es, das Gremium schlagkräftiger zu machen? Wie schaffen wir es, die Abgeordneten besser zu unterstützen, die im PKG vertreten sind?

Ich wünsche mir wirklich inständig, dass wir in diesen Prozess mit allen Fraktionen einsteigen, diesen Prozess gemeinsam gestalten, und zwar ohne ideologische oder parteitaktische Scheuklappen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Rede: Landesprogramm gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, die auch bei uns in NRW durch unsere besondere Betroffenheit wegen des Mordes in Dortmund und der Anschläge in Köln große Fassungslosigkeit und tiefe Bestürzung ausgelöst hat, müssen wir uns eine Tatsache wohl immer wieder vor Augen führen: Niemand wird als Rechtsextremist geboren, nicht als Nazi und nicht als Terrorist. Es ist daher Aufgabe der ganzen Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht ins rechte Milieu abgleiten.

Meine Damen und Herren, wir brauchen hierfür einen Gleichklang aus repressiven und präventiven Maßnahmen.

Es ist die Ausgestaltung dieses Gleichklangs, die rot-grüne Demokratie und Innenpolitik auszeichnet.

Repressive Maßnahmen sind – das hat der Kollege Hans-Willi Körfges eben richtig gewürdigt – eine notwendige Reaktion eines handlungsfähigen Staates, wenn seine innere Sicherheit bedroht ist. Der demokratische Rechtsstaat zeichnet sich aber dadurch aus, dass er seine Freiheit nicht einer Sicherheit opfert, die in unverhältnismäßiger Weise in die Grundrechte einschneidet. Die beste Prävention gegen rechtes Gedankengut ist eine offene Gesellschaft, in der Transparenz auch für schwierige Fragen gilt. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs, der betont, wie wichtig das friedliche Zusammenleben in Vielfalt, das unser Land auszeichnet, für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ist.

Wir brauchen aber auch die Offenheit für kritische Fragen. Diese kritischen Fragen dürfen wir nicht denjenigen überlassen, die ihre einfache Antwort stets mit der Bemerkung „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“ verbinden.

Es ist zentral, gemeinsam Perspektiven für alle zu schaffen. Wir müssen Abstiegsängste bekämpfen und gerechte Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen. Mit dieser Landesregierung ist NRW auf einem guten Weg dahin, gerade jungen Menschen die Chancen zu eröffnen. Wir meinen das auch, wenn wir sagen: Wir wollen niemanden zurücklassen.

Meine Damen und Herren, viel zu lange – das ist schon angeklungen – wurde die Gefahr von rechts nicht so gesehen, wie es notwendig gewesen wäre. In dem Prozess der Aufklärung, wie er im Zusammenhang mit den rechtsterroristischen Morden und Anschlägen jetzt vor uns liegt, wird auch zu klären sein, wie es genau dazu kommen konnte.

Die Morde des NSU stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Ohne Frage ist die terroristische Netzwerkstruktur wie beim NSU einerseits eine neue Qualität rechter Aktivitäten. Andererseits gibt es eine große Vielfalt von rechter Alltagsgewalt. In beiderlei Hinsicht sind einige Sicherheitsbehörden offensichtlich nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen. Rechtsextreme Gewalt wurde – das wissen wir heute – an und von verschiedensten Stellen immer wieder nicht als solche erkannt und verharmlost. Daher muss eine schon jetzt absehbare Konsequenz lauten: Wir müssen die Ermittlungsbehörden stärker als in der Vergangenheit für das Thema Rechtsextremismus sensibilisieren. Rechte Gewalt muss endlich, und zwar überall, als solche erkannt und bekämpft werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, um Rechtsextremismus entschieden zu bekämpfen, brauchen wir starke Strukturen. Der Minister hat – dafür bin ich sehr dankbar – in seinem Programm eine personelle Aufstockung in diesem Bereich angekündigt, die Einrichtung eines Kompetenzzentrums beim LKA und ebenso Sonderkommissionen in den besonders betroffenen Behörden. Das ist der richtige Weg. Wir brauchen jetzt starken Ermittlungsdruck, ein starkes und entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus.

Wir haben allerdings auch viele Diskussionen in dem Zusammenhang, die darüber hinausgehen, was jetzt konkret zu tun ist. Die Zusammenarbeit der Sicherheits? und Ermittlungsbehörden ist in diesem Zusammenhang eine viel diskutierte Frage. Es ist völlig klar, dass es Reibungsverluste geben kann, wenn so viele Stellen beteiligt sind, wie es heute der Fall ist. Wir werden diese Defizite ausräumen müssen. Zugleich müssen wir aber auch immer wieder konstatieren: An vielen Stellen und in vielerlei Hinsicht hat sich die föderale Struktur der Sicherheitsbehörden in unserem Land bewährt. Verfassungsmäßige Beschränkungen und das Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz dürfen an keiner Stelle unter Druck geraten.

Die Landesämter für Verfassungsschutz stehen momentan insgesamt und in einigen Fällen besonders stark in der Diskussion. Es gibt eine ganze Reihe von Baustellen. Da wird noch ein langer Debattenprozess vor uns liegen. Als Grundsatz lässt sich schon sagen: Ein jedes Landesamt für Verfassungsschutz muss effizient, aber auch rechtsstaatlich arbeiten. Wann immer es Zweifel daran gibt, müssen diese Zweifel auf den Tisch, genauso wie die Debatte über den Einsatz und auch die Bedeutung von V-Leuten in der rechten Szene geführt werden muss.

Die Angemessenheit und die Effizienz der eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel zu beurteilen, bedeutet, auch die Frage der Transparenz und der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes und der Verfassungsschutzbehörden zu vertiefen. Es geht nicht nur um die Frage: „Haben die Parlamente ausreichende Kontrollrechte?“, sondern auch um die Frage: Sind diese Kontrollrechte so gestaltet, dass die Parlamente damit etwas bewegen können? Wenn ja, werden diese Kontrollrechte ausreichend durch die Parlamente genutzt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Achtpunkteprogramm der Landesregierung beinhaltet zahlreiche Maßnahmen, die zeitnah umsetzbar sind. Hans-Willi Körfges und auch ich haben einige weitere Punkte angesprochen, die es in der Diskussion zu vertiefen gilt, die wir nicht hier im Plenum, möglicherweise auch nicht im Innenausschuss oder im Parlamentarischen Kontrollgremium abschließend klären können. Es sind aber Diskussionen, die geführt werden müssen. Wir brauchen – auch um unsere Demokratie voranzubringen – die Räume dafür.

Meine Damen und Herren, wir dürfen eines nicht vergessen: Rechte Gewalttaten und rechter Terrorismus richten sich nicht allein gegen die konkreten Opfer. Jeder Anschlag des NSU, jeder Übergriff von Neonazis, jede Verbreitung von Angst und psychischem Druck durch rechte Gruppierungen ist immer auch eine Attacke auf die Art und die Werte, nach denen unsere Gesellschaft in Freiheit, Vielfalt, Toleranz und Mitmenschlichkeit zusammenlebt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte eingangs: Der Mensch wird nicht als Rechtsextremist geboren. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen: Der Mensch wird nicht als Demokratin oder Demokrat geboren. Deshalb ist der Kampf für unsere Demokratie eine Aufgabe für uns alle. Lassen Sie uns die Chancen schaffen. Lassen Sie uns die Feinde unseres demokratischen Rechtsstaats gemeinsam, entschieden und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen. Lassen Sie uns jeden Tag für Demokratie werben, für Demokratie eintreten und für Demokratie begeistern.

Eine Gelegenheit dafür bietet sich am kommenden Samstag. Ich weiß, dass das der Heilige Abend ist. Aber für diesen Heiligen Abend haben Neonazis in meiner Heimatstadt Bielefeld eine Demonstration angemeldet. Ich würde mich sehr freuen, viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, am kommenden Samstag in meiner Heimatstadt sehen zu dürfen. Lassen Sie uns gemeinsam mit einer starken Zivilgesellschaft ein starkes Zeichen für die Demokratie in unserem Land setzen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von der LINKEN)

Rede von Verena Schäffer MdL:

Verena Schäffer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich gut erinnern an die schockierte Öffentlichkeit und den Aufruf zu einem „Aufstand der Anständigen“ nach dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Oktober 2000. Ich war damals erst 13 Jahre alt und konnte nicht begreifen, dass ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Nazidiktatur ein Anschlag in Deutschland mit offensichtlich antisemitischem Hintergrund auf eine Synagoge möglich sein sollte.

Später stellte sich heraus, dass der Anschlag keinen rechtsextremen Hintergrund hatte. Aber es hieß damals, es müsse ein Ruck durch die Gesellschaft gehen; antisemitische und rechtsextreme Tendenzen müssten endlich ernst genommen und bekämpft werden. Dieser Appell gilt leider heute immer noch.

Wo stehen wir heute, elf Jahre später? In den Jahren von 2000 bis 2011 sind in Nordrhein-Westfalen acht Menschen von Neonazis getötet worden. Es gibt alle paar Tage einen rechtsextremen Angriff auf Personen. Immer wieder werden jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus geschändet. Jeden Monat finden in Nordrhein-Westfalen Aufmärsche von Neonazis statt, ob in Wuppertal, Stolberg, Köln, Dortmund oder anderen Orten. Ständig werden Jugendzentren und Geschäftsstellen der demokratischen Parteien angegriffen.

All das zeigt uns – und das sagen uns ja auch immer wieder die Berichte des Verfassungsschutzes und von unabhängigen Initiativen –, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein erhebliches Problem mit rechtsextremen Strukturen und Parteien haben. Es zeigt uns aber auch, dass einschlägige Ereignisse wie der Anschlag in Solingen im Jahre 1993, als fünf Menschen getötet wurden, oder die Morde der rechtsterroristischen NSU nur die Spitzen rechtsextremer Gewalt sind, die in ihrer Grausamkeit und in ihrem Menschenhass für sich stehen und dennoch in einer Kette von rechtsextremer Bedrohung und Gewalt zu sehen sind.

Deshalb sind Maßnahmen gegen rechtsextreme Strukturen längst überfällig. Mit einer Verharmlosung rechter Gewalt muss endlich Schluss sein.

Um Präsenz zu zeigen, einzuschüchtern und der Erlebnisorientierung der Szene gerecht zu werden, haben rechtsextreme Gruppierungen in den vergangenen zehn Jahren Hunderte von Aufmärschen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Damit wollen sie auch den demokratischen Widerstand zermürben. Weshalb sonst – mein Kollege Matthi Bolte hat es angesprochen – sollten die Neonazis am 24. Dezember in Bielefeld demonstrieren wollen?

Diese Zermürbungsstrategie der Neonazis wird aber nicht aufgehen. Denn immer wieder finden sich Menschen aus den demokratischen Parteien, aus den Kirchen, aus Schüler- und Jugendgruppen zusammen, die gegen diese rechtsextremen Aufmärsche auf die Straße gehen und gemeinsam für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft einzutreten.

(Beifall von den GRÜNEN und von der LINKEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist gut so, denn wir brauchen diese Zivilgesellschaft, die unsere Demokratie verteidigt.

Auf die Stärkung der Zivilgesellschaft haben auch die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung 2001 ins Leben gerufenen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus gesetzt. Civitas und Entimon waren die erfolgreichen Vorgängerprogramme des jetzigen Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ von Kristina Schröder, die ja leider immer wieder mit ihrer Verhinderungs- und Verharmlosungspolitik ein falsches Signal an die Bevölkerung sendet.

Aber schon damals unter der rot-grünen Bundesregierung sind die heute zum unverzichtbaren Teil gewordenen mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt in den ostdeutschen Bundesländern entstanden.

Es war damals aus meiner heutigen Sicht ein Fehler, dass man gesagt hat, man guckt nach Ostdeutschland, aber man fördert diese Programme eben nicht auch in Westdeutschland. Erst seit 2008 werden die mobilen Beratungsteams auch in westdeutschen Bundesländern gefördert. Auch in Nordrhein-Westfalen haben wir in allen fünf Regierungsbezirken mobile Beratungsteams, die Prävention leisten und Strukturen gegen Rechtsextremismus nachhaltig aufbauen.

In den letzten Landeshaushalt haben wir als rot-grüne Landtagsfraktion Mittel für die Einrichtung von Opferberatungsstellen in NRW eingestellt. Vor wenigen Wochen erst wurde die Beratungsstelle für den westfälischen Raum in Dortmund eröffnet. Seitdem gibt es bereits knapp 30 Beratungsfälle.

Ich glaube, dass vor dem Hintergrund dieses Beratungsbedarfes und der Aktualität dieses Themas niemand aus diesem Hause wirklich die Notwendigkeit dieser Beratungsstellen noch anzweifeln kann.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Es gibt vielerorts in Nordrhein-Westfalen Bündnisse gegen Rechts. Es gibt in knapp 15 Städten derzeit in NRW lokale Aktionspläne aus dem Bundesprogramm. Es gibt über 200 Schulen in NRW, die sich an dem Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ beteiligen. Das Land NRW fördert das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit mit seinem sehr erfolgreichen Elternberatungsnetzwerk. An der FH Düsseldorf haben wir den vom Land anerkannten Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus.

Es gibt also bereits in Nordrhein-Westfalen viele Strukturen, viele Maßnahmen, die sich gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus wenden und die wir mit unserem Landesprogramm einbinden können, auf denen wir aufbauen können. Es geht uns bei diesem Landesprogramm nicht darum, einen neuen Katalog mit Einzelmaßnahmen zu erstellen, der dann in einer Hochglanzbroschüre gedruckt und ins Regal gestellt wird. Nein, wir wollen eine Gesamtstrategie unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Initiativen, um Rechtsextremismus, um Rassismus nachhaltig bekämpfen zu können.

Aber es darf bei diesem Landesprogramm auch nicht nur die Bekämpfung des organisierten Neonazismus im Fokus stehen, den man vielleicht noch, wie Herr Innenminister Jäger das auch vorhat, mit repressiven Mitteln klein kriegt. Wir brauchen vielmehr die Debatte über den Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft.

Dass Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus, Homophobie und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen weit verbreitet sind, das wissen wir nicht nur aus den Studien. Vor Kurzem, vor zwei Wochen, glaube ich, ist das letzte Band der Heitmeyer-Studie, einer Langzeitstudie über zehn Jahre, veröffentlicht worden. Diese Studie macht sehr stark deutlich, wie weit diese Ungleichwertigkeitsvorstellungen in unserer Gesellschaft verbreitet sind.

Wir wissen es nicht nur aus den Studien, sondern wir wissen es auch aus den Erfahrungsberichten von den vielen Menschen in NRW und in Deutschland, die alltäglich, immer wieder ausgegrenzt werden, weil sie bestimmte Merkmale tragen, die andere Menschen verachten. Ich finde, das ist ein Punkt, an dem wir ansetzen müssen, bei dem wir unsere demokratische Gesellschaft stärken müssen. Denn letztendlich sind genau diese Einstellungen der Nährboden dafür, dass rechte Gewalt verharmlost wird, und dafür, dass rechtsextremem Terror der Boden geebnet wird.

(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von der LINKEN)

Unsere Kollegin Carina Gödecke hat uns in der Debatte über den NSU vor zwei Wochen an unsere Verantwortung erinnert, das Erstarken der Rechten zu verhindern und den Anfängen zu wehren. Diese Verantwortung müssen wir als Demokratinnen und Demokraten annehmen. Wir müssen handeln, bevor es wieder einmal zu spät ist.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Newsletter Gegen Rechtsextremismus Dezember 2011

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

auch im Dezember beschäftigen uns die immer neuen Informationen über die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Inzwischen wurden mehrere weitere Personen aus dem Umfeld der NSU wegen des dringenden Verdachts der Unterstützung der terroristischen Vereinigung NSU festgenommen. Darunter sind sowohl Personen, die aus der freien neonazistischen Szene kommen, als auch Personen, die teilweise in führenden Positionen in der NPD waren. Die These von einer isolierten rechtsterroristischen Gruppierung kann also als widerlegt angesehen werden. Allerdings gibt dies der Frage danach, wie die NSU über 13 Jahre unentdeckt bleiben und immer wieder Morde und andere Straftaten begehen konnte, eine neue Dimension. Selbstverständlich bleiben wir an dem Thema dran und werden auf eine umfassende öffentliche Aufklärung drängen.

Jenseits der Aufklärung der Taten und der Entschädigung der Opfer und ihrer Angehörigen müssen wir uns aber auch die Frage stellen, wie wir die Themen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Zukunft angehen wollen. Vor einiger Zeit sind wir bereits in die Diskussion zu einem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus eingetreten, mit dem wir das zivilgesellschaftliche Engagement für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft und die bisherigen Projekte des Landes koordinieren und stärken wollen. Gestern haben wir dann gemeinsam mit der SPD einen Antrag zu Erstellung eines solchen Landesprogramms in den Landtag eingebracht.

Inhalt des Newsletters

 

  1. Landesprogramm gegen Rechtsextremismus und Rassismus
  2. Unterrichtung der Landesregierung zu NSU
  3. Einsatz von V-Leute

 

1. Landesprogramm gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Gemeinsam mit der SPD haben wir gestern den Antrag „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ (Drucksache 15/3536) in den Landtag eingebracht, der die Erstellung eines Landesprogramms gegen Rechtsextremismus unter Federführung der Landeszentrale für politische Bildung bis Ende 2012 vorsieht. Dies soll unter Einbeziehung des „Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus in NRW“, wissenschaftlichen Expertinnen und Experten und weiteren Akteurinnen und Akteuren in dem Themenfeld geschehen. Ziel soll sein, die bisherigen Projekte des Landes NRW zu koordinieren und zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu unterstützen. Der Antrag wird zunächst im federführenden Haupt- und Medienausschuss sowie mitberatend im Kinder/Jugend-, Justiz-, Innen-, Schul- und Sportausschuss diskutiert werden. Wir halten euch auf dem Laufenden, wie es weitergeht!

Den Antrag könnt ihr hier herunterladen, Verenas Plenarrede dazu könnt ihr hier anschauen undhier nachlesen.

 

2. Unterrichtung der Landesregierung zu NSU

Der Innenminister des Landes NRW, Ralf Jäger MdL, hat den Landtag über von ihm geplante Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus unterrichtet. Der „Acht-Punkte-Plan“ enthält vor allem repressive Mittel:

 

1.)    Erfassung aller Straftaten von Rechtsextremen in der polizeilichen Kriminalstatistik

2.)    Einrichtung eines Kompetenzzentrum Rechtsextremismus im Landeskriminalamt

3.)    Fokus der Beobachtung durch Sicherheitsbehörden nicht mehr nur auf Strukturen, sondern rechtsextreme Personen

4.)    Kontrolldruck auf die rechtsextreme Szene steigern, z.B. verstärkte Kontrolle von Szene-Treffpunkten

5.)    Ermittlungsdruck auf rechtsextreme StraftäterInnen erhöhen

6.)    Änderungen bei Waffenrecht

7.)    Aufklärung und Prävention

8.)    AussteigerInnenprogramm ausbauen

 

Die konkrete Umsetzung der einzelnen Maßnahmen werden wir auch innerhalb der rot-grünen Regierungsfraktionen noch diskutieren. Für uns Grüne ist dabei klar, dass die BürgerInnen- und Grundrechte auch im Kampf gegen Rechtsextremismus gewahrt werden müssen.

3. Einsatz von V-Leuten

Mit den Erkenntnissen über den NSU und dem Versagen der Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutzämtern ist zu Recht eine neue Diskussion über den Einsatz von V-Leuten eingetreten. Trennen muss man in der aktuellen Diskussion jedoch das Abschalten von V-Leuten in der NPD, um die Voraussetzungen für ein neues Verbotsverfahren zu schaffen, und den Verzicht auf V-Leute in der rechtsextremen Szene insgesamt.

Die NPD ist ganz klar eine rassistische, antisemitische und rechtsextreme Partei, die unsere Demokratie und unsere Verfassung ablehnt und abschaffen will. Ein Verbot dieser Partei würde organisatorischen und finanziellen Strukturen der NPD zerschlagen und damit auch die militante rechtsextreme Szene schwächen. Ein neues Verbotsverfahren sollte jedoch nur dann eingeleitet werden, wenn die Voraussetzungen für ein Verbot gegeben sind. Sofern das Abschalten der V-Leute der Verfassungsschutzämter dafür notwendig ist, muss dies auch geschehen und zwar bundesweit.

Die grundsätzliche Frage über den Einsatz von V-Leuten muss auch aus Grüner Sicht geführt werden. Konkret muss geklärt werden, ob V-Leute möglicherweise zu einer Stärkung rechtsextremer Strukturen beitragen, wie wertvoll die Informationen von V-Leuten sind und ob die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes derzeit wirklich ausreicht. Der Einsatz von V-Leuten ist auch immer eine Gratwanderung eines demokratischen Rechtsstaats. Hierzu gibt es keine einfachen Antworten, sondern wir werden uns als Grüne Fraktion die Zeit nehmen, die Diskussion angemessen und ausführlich zu führen.

Diskutiert wurde der Einsatz von V-Leuten in der Plenarsitzung am 08.12.2011 aufgrund eines Antrages der Fraktion Die Linke. Die Rede von Verena in der Plenardebatte könnt ihr euch hieranschauen und hier nachlesen.

Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit im vergangenen Jahr, wünschen euch eine ruhige Weihnachtspause und alles Gute für 2012!

Viele Grüße aus dem Landtag!

Verena Schäffer und Hasret Karacuban