Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 458 vom 10. Januar 2011 der Abgeordneten Matthi Bolte und Verena Schäffer

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 458 mit Schreiben vom 15. Februar 2011 namens der Landesregierung wie folgt beantwortet:

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

Unter der Überschrift „Wenn der NPD-Mann zweimal klingelt“ berichtete Spiegel-Online am 7.1.2011 über die Aufforderung der sächsischen NPD an ihre Mitglieder, sich freiwillig als Erhebungsbeauftragte im Rahmen des Zensus 2011 zu melden (URL:www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,738308,00.html). Ziel dieser Aufforderung sei nach Aussage des sächsischen NPD-Abgeordneten Jürgen Gansel, „nationaldemokratische ‚Marktforschung‘ zur idealen Wähleransprache“ zu betreiben. Für den Zensus 2011 werden auch in NordrheinWestfalen freiwillige Volkszähler in erheblichem Umfang benötigt, um wie vorgesehen ca. 10% der Bevölkerung persönlich zu befragen.

1. In welcher Weise werden die Erhebungsbeauftragten gewonnen, insbesondere die freiwilligen Erhebungsbeauftragten?

Insgesamt werden in Nordrhein-Westfalen zwischen 20 000 und 22 000 Erhebungsbeauftragte benötigt. Diese werden weit überwiegend durch die 53 Erhebungsstellen eingesetzt. Etwa 700 Erhebungsbeauftragte werden direkt von IT.NRW im Rahmen der Wiederholungsbefragung nach § 17 Abs. 2 bis 4 ZensG 2011 eingesetzt.

Zur Übernahme der Tätigkeit als Erhebungsbeauftragter sind alle Bürgerinnen und Bürger verpflichtet, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und für die die Tätigkeit nicht aus gesundheitlichen oder anderen wichtigen Gründen unzumutbar ist (§ 10 Abs. 3 ZensG 2011 AG NRW). Für die Gewinnung von Erhebungsbeauftragten sind zwei Wege vorgesehen:

Bund, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände und die unter Aufsicht des Landes stehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts benennen den örtlichen Erhebungsstellen auf Ersuchen Bedienstete und stellen sie für die Tätigkeit als Erhebungsbeauftragte frei, sofern lebenswichtige Tätigkeiten öffentlicher Dienste dadurch nicht unterbrochen werden (§ 11 Abs. 2 ZensG 2011, § 10 Abs. 3 ZensG 2011 AG NRW). Das Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Bezirksregierungen mit Runderlass vom 24. Januar 2011 gebeten, eigene Bedienstete auf Ersuchen zu benennen und die Benennung von Beschäftigten in ihrem Geschäftsbereich zu fördern.

Geeignete Bürgerinnen und Bürger werden durch öffentliche Bekanntmachungen sowie Meldungen in lokalen oder regionalen Medien geworben.

2. Hinsichtlich welcher Kriterien werden die Bürgerinnen und Bürger auf ihre Eignung und Zuverlässigkeit überprüft, die sich freiwillig als Erhebungsbeauftragte melden?

Als Erhebungsbeauftragte dürfen nur solche Personen eingesetzt werden, die die Gewähr für Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit bieten. Erhebungsbeauftragte dürfen nicht eingesetzt werden, wenn aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit oder aus anderen Gründen Anlass zur Besorgnis besteht, dass Erkenntnisse aus der Tätigkeit als Erhebungsbeauftragte zu Lasten der Auskunftspflichtigen genutzt werden (§ 14 Abs. 1 BStatG, § 11 Abs. 3 ZensG 2011). Die werbenden Stellen sind verpflichtet, die Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit der Bewerber zu prüfen. Wenn danach zu befürchten ist, dass diese ihre Erkenntnisse für sachfremde Zwecke nutzen könnten, dürfen sie nicht bestellt werden.

Für die Bewerbung als Erhebungsbeauftragter ist ein Bewerbungsbogen auszufüllen, in dem u.a. die berufliche Tätigkeit, die Motivation zur Meldung als Erhebungsbeauftragter und die Wahrnehmung vorangegangener ehrenamtlicher Tätigkeit erfragt werden.

Die Erhebungsstellen verschaffen sich vor der Bestellung beispielsweise durch persönliche Gespräche einen Eindruck über die Bewerber.

Erhebungsbeauftragte werden vor Aufnahme ihrer Tätigkeit bei ihrer Bestellung schriftlich nach § 1 Verpflichtungsgesetz verpflichtet, die Tätigkeit als Erhebungsbeauftragte(r) nicht für andere Zwecke als die des Zensus 2011 zu nutzen, insbesondere nicht zur Vertretung kommerzieller, religiöser oder karitativer Interessen und nicht zur Verbreitung politischen Gedankenguts. Die Verpflichtung enthält ausdrücklich auch die Pflicht zur Geheimhaltung und Zweckwahrung solcher Erkenntnisse, die ihnen im Rahmen bzw. bei Gelegenheit ihrer Erhebungstätigkeit bekannt werden. Die Verpflichtung gilt auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit fort. Ein Verstoß gegen die statistische Geheimhaltung ist strafbar.

Die Erhebungsbeauftragten werden vor ihrem Einsatz umfangreich geschult und auf ihre Rechte, ihre Pflichten und die Folgen etwaiger Verstöße hingewiesen.

Die Erhebungsstellen werden sich durch stichprobenartige Nachfrage bei den Auskunftspflichtigen ein Bild über den Verlauf der Erhebung durch den Erhebungsbeauftragten verschaffen. Den Erhebungsbeauftragten wird die Durchführung stichprobenartiger Kontrollen bei der Schulung angekündigt.

Die Auskunftspflichtigen sind für den Fall, dass im Rahmen der Befragung durch den Interviewer Schwierigkeiten auftreten oder sich Anlass zu Bedenken über die Zuverlässigkeit des Interviewers ergeben, aufgefordert, sich bei der zuständigen örtlichen Erhebungsstelle oder bei dem Statistischen Landesamt zu melden.

Niemand ist gezwungen, den Erhebungsbeauftragten in seine Wohnung zu lassen oder ein Interview zu führen. Es besteht wahlweise die Möglichkeit, den Fragebogen schriftlich oder online zu beantworten.

Schließlich werden im Rahmen der Wiederholungsbefragung (§ 17 Abs. 2 bis 4 ZensG 2011) Qualitätskontrollen durchgeführt. Dabei werden andere Erhebungsbeauftragte zu Qualitätssicherungszwecken bei zufällig ausgewählten Haushalten vorstellig. Hierdurch können Unregelmäßigkeiten bei der ersten Erhebung aufgedeckt werden. Auch hierüber sind die eingesetzten Erhebungsbeauftragten bereits zu Beginn ihrer Tätigkeit informiert.

3. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung darüber vor, dass die NPD oder andere rechtsextreme Gruppierungen auch in Nordrhein-Westfalen ihre Mitglieder aufgerufen haben, sich freiwillig als Erhebungsbeauftragte zu melden, oder dies beabsichtigen?

Zeitgleich am 06.01.2010 haben die NPD Landesverbände Sachsen und Nordrhein-Westfalen auf ihrer jeweiligen Homepage die eigenen Mitglieder aufgefordert, sich als Freiwillige(r) Helfer beim Zensus 2011 zu melden. Dabei unterscheiden sich die Aufrufe inhaltlich allerdings deutlich. Die NPD in Sachsen nennt als Zielrichtung unverhohlen auch das Ausspähen von potenziellen Antifa-Angehörigen:

„Der besondere Reiz solcher Haushaltsbefragungen liegt darin, dass man auch Eindrücke von den persönlichen Lebensverhältnissen des ein oder anderen „Antifaschisten“ bekommen kann. Für öffentlich nicht bekannte Anhänger des NPD-Kreisverbandes Dresden dürfte es beispielsweise sehr aufschlussreich sein, in der Dresdner Neustadt soziodemographische Daten zu sammeln“

Der NPD Landesverband Nordrhein-Westfalen formuliert die Aufforderung, sich als Befrager zu melden dagegen deutlich allgemeiner. Dort heißt es sinngemäß, dass der „Zensus 2011“ die Möglichkeit biete, mit den Befragten „persönliche Gespräche“ zu führen und „Die Aufwandsentschädigung, die Mitglieder der NPD für ihre ehrenamtliche Tätigkeit erhalten, sollte natürlich umgehend in die politische Arbeit investiert werden […]“2. In einer weiteren Einstellung auf der Homepage des NPD-Landesverbandes NRW vom 16.01.2011 wird noch einmal auf die laufende Aktion der NPD verwiesen, ebenso auf einen Bericht des WDR „Lokalzeit Münsterland“. Nach dieser Eigenmeldung der Partei sollen sich „viele“ NPD-Anhänger gemeldet haben, darunter der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer aus Bochum-Wattenscheid. In diesem Zusammenhang hatte auch der Vorsitzende des NPD Kreisverbandes Steinfurt bekannt gegeben3, dass er sich in seiner Heimatstadt Lengerich die Unterlagen für die Bewerbung als „Erhebungsbeauftragter“ besorgt habe. Weitere Meldungen von NPD-Mitgliedern sind bislang nicht bekannt geworden. Daher liegt es nahe, dass es der NPD eher an der erzielten Medienwirkung, als an der tatsächlichen Durchführung ihres Aufrufes lag.

4. Welche Sanktionsmöglichkeiten bestehen gegenüber freiwilligen Erhebungsbeauftragten, die ihre Tätigkeit nutzen, um Erkenntnisse aus den Befragungen in privatem Kontext weiterzuverwenden, bzw. wie kann dies von vornherein ausgeschlossen werden?

Gegenüber Erhebungsbeauftragten, die ihre Tätigkeit nutzen, um Erkenntnisse aus den Befragungen im privaten Umfeld weiterzuverwenden, bestehen strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten. Erhebungsbeauftragte werden vor Aufnahme der Tätigkeit förmlich nach § 1 Verpflichtungsgesetz darauf verpflichtet, das Statistikgeheimnis gem. § 16 BStatG zu wahren. Hierdurch sind für Erhebungsbeauftragte alle Strafvorschriften anwendbar, die an die Eigenschaft eines „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten“ anknüpfen. In Betracht kommt insbesondere eine Strafbarkeit aufgrund der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 Abs. 2 Strafgesetzbuch. Dies kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden. Handelt der Erhebungsbeauftragte gegen Entgelt oder in der Absicht, sich bzw. einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, kann dies mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden.

5. In welcher Weise beabsichtigt die Landesregierung, die Erhebungsstellen in denKommunen hinsichtlich dieses Sachverhalts zu sensibilisieren?

Die Erhebungsstellen wurden bereits im Rahmen von Schulungsveranstaltungen vom 25. Oktober 2010 bis 18. November 2010 durch den Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) als dem für die Durchführung des Zensus 2011 in NordrheinWestfalen zuständigen statistischen Landesamt über Regelungen zur Gewinnung und Bestellung von Erhebungsbeauftragten unterrichtet. Zusätzlich wurden die Erhebungsstellenleitungen mit Schreiben vom 10. Januar 2011 schriftlich von IT.NRW über Vorkehrungen bei der Gewinnung der Erhebungsbeauftragten und bei der Durchführung der Befragungen informiert, die sicherstellen sollen, dass nur solche Personen eingesetzt werden, die die Gewähr für Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit bieten. In weiteren Schulungsveranstaltungen im Februar 2011 werden die Erhebungsstellen durch IT.NRW intensiv speziell auf den Einsatz der Erhebungsbeauftragten vorbereitet. Zusätzlich finden seit Mitte Januar bis Anfang März Dienstbesprechungen mit Vertretern von IT.NRW in allen 53 Erhebungsstellen in Nordrhein-Westfalen statt. Auch bei diesen Gesprächen werden Fragen der Gewinnung und des Einsatzes von Erhebungsbeauftragten erörtert.