„Die Erkenntnisse über die Mordserie der rechtsterroristischen Gruppe, die sich selbst ‚Nationalsozialistischer Untergrund‘ nennt, erschüttern zu Recht die politische Landschaft und die Bevölkerung. Aber wer jetzt mit großer Überraschung auf das Bekanntwerden des Mordtrios reagiert, der muss die letzten Jahren entweder verschlafen oder schlicht die Augen vor der rechtsextremen Gewalt in Deutschland verschlossen haben.

Wer die rechtsextremen Mordanschläge Anfang der 1990er Jahre in Mölln und Solingen für lange Vergangenes hält, dem sollte gesagt sein, dass vor eineinhalb Jahren eine DGB-Demo von einem rechten Schlägertrupp am helllichten Tage in Dortmund angegriffen wurde. Der sollte auch wissen, dass im letzten Jahr selbstgebaute Bomben bei der Kameradschaft Aachener Land gefunden wurden, die ganz offensichtlich für einen Anschlag auf Polizei und sogenannte politische Gegnerinnen und Gegner bestimmt waren.

Und wer das immer noch für Einzelfälle hält, sollte endlich in die Statistiken schauen und wahrnehmen, dass mindestens jeden zweiten Tag in NRW Menschen Opfer von rechtsextremer Gewalt werden. Einfach nur deshalb, weil sie nicht in das menschenfeindliche Bild der Neonazis passen. Wer weiterhin, die Gefahr des Rechtsextremismus und die steigende Gewaltbereitschaft von Neonazis verharmlost, der hat nicht nur das Problem nicht verstanden, der trägt auch dazu bei, dass wir ein gewaltiges Problem mit Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland haben!

Die bisherigen Erkenntnisse werfen eine Vielzahl von Fragen auf, die dringend und lückenlos aufgeklärt werden müssen. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage erlaubt sein, warum bei den Morden an den neun Männern mit türkischem bzw. griechischem Migrationshintergrund dem Anschein nach nicht intensiv in der rechtsextremen Szene ermittelt wurde, sondern man die Täterinnen und Täter im Drogen- und Schutzgeldmilieu suchte. Warum wurde nicht gesehen, dass bei Mordanschlägen, die sich allesamt gegen Migranten richten, ein rechtsextremer Hintergrund naheliegend ist?

Meine Erklärung ist, dass es uns als Gesellschaft an Sensibilität für die Gefahr fehlt, die vom Rechtsextremismus ausgeht. Viel zu lange wurden Übergriffe von Rechtsextremen als Auseinandersetzung zwischen links-alternativen und rechten Jugendlichen gesehen. Viel zu lange hat man der rechtsextremen Szene nicht zugetraut, dass sie sich organisieren und gezielt Anschläge vorbereiten würde. Deshalb ist es richtig, dass die NRW Polizei alte Fälle neu aufrollt und mögliche Verbindungen zur rechtsextremen Szene überprüft. Die Gefahr von Rechts muss endlich ernst genommen werden, dazu fordere ich auch die Kolleginnen und Kollegen  von CDU und FDP auf!

Natürlich kann und muss man die Frage stellen, welche Fehler die Verfassungsschutz- und Strafverfolgungsbehörden mindestens in Thüringen, Hessen und Niedersachsen begangenen haben. Für mich ist schwer nachzuvollziehen, dass die Verfassungsschutzämter trotz Hinweisen weder die Taten verhindern noch zu ihrer Aufklärung beitragen konnten. Und es wirft auch die Frage auf, ob die V-Leute in diesem Fall Teil des Problems waren.

Aber klar ist auch: Wir können die Verantwortung für die Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt nicht allein beim Verfassungsschutz abladen.

Worüber wir diskutieren müssen, sind die rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen und islamfeindlichen Einstellungen in unserer Gesellschaft, die den Nährboden und die Legitimation für rechte Gewalt und rechtsextremen Terror bilden. Die unterschiedlichen Studien der vergangenen Jahre haben gezeigt, welches Problem, welche antidemokratischen und rassistischen Einstellungen wir in der Mitte der Gesellschaft haben, auch in den demokratischen Parteien und Gewerkschaften. Deshalb ist es auch so unmöglich, dass Bundesministerin Kristina Schröder immer wieder die Extremismustheorie anführt. Denn die Extremismustheorie setzt nicht nur Links- und Rechtsextremismus gleich, was wegen der völlig unterschiedlichen Phänomene unhaltbar ist,  sondern behauptet auch, es gebe neben zwei extremistischen Rändern eine lupenreine demokratischen Mitte, die sich nichts vorzuwerfen hat. Wir wissen aus den Studien, dass dies nicht so ist.

Wir müssen endlich handeln, und zwar nicht nur dann, wenn das Thema Rechtsextremismus aufgeregt von allen diskutiert wird, sondern wir müssen nachhaltige demokratische Strukturen schaffen. Dazu werden die von uns geplanten Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt beitragen.

Dazu muss aber auch die Bundesfamilienministerin Schröder einen Beitrag leisten und sowohl die vorgesehenen Kürzungen beim Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus und der Antidiskriminierungsstelle als auch die Misstrauen fördernde Extremismusklausel zurücknehmen.

Nach den rechtsextremen Anschlägen in diesem Sommer in Oslo und Utøya hat der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg einen bemerkenswerten und nachdenklichen Satz gesagt, den ich gerne zitieren möchte: „Unsere Antwort wird mehr Demokratie und Offenheit sein.

Wir sollten diese schreckliche Mordserie endlich als Anlass und als Weckruf nehmen, um über unsere Werte zu diskutieren, und gemeinsam für eine demokratische, offene und pluralistische Gesellschaft streiten!“