Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, die auch bei uns in NRW durch unsere besondere Betroffenheit wegen des Mordes in Dortmund und der Anschläge in Köln große Fassungslosigkeit und tiefe Bestürzung ausgelöst hat, müssen wir uns eine Tatsache wohl immer wieder vor Augen führen: Niemand wird als Rechtsextremist geboren, nicht als Nazi und nicht als Terrorist. Es ist daher Aufgabe der ganzen Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht ins rechte Milieu abgleiten.
Meine Damen und Herren, wir brauchen hierfür einen Gleichklang aus repressiven und präventiven Maßnahmen.
Es ist die Ausgestaltung dieses Gleichklangs, die rot-grüne Demokratie und Innenpolitik auszeichnet.
Repressive Maßnahmen sind – das hat der Kollege Hans-Willi Körfges eben richtig gewürdigt – eine notwendige Reaktion eines handlungsfähigen Staates, wenn seine innere Sicherheit bedroht ist. Der demokratische Rechtsstaat zeichnet sich aber dadurch aus, dass er seine Freiheit nicht einer Sicherheit opfert, die in unverhältnismäßiger Weise in die Grundrechte einschneidet. Die beste Prävention gegen rechtes Gedankengut ist eine offene Gesellschaft, in der Transparenz auch für schwierige Fragen gilt. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs, der betont, wie wichtig das friedliche Zusammenleben in Vielfalt, das unser Land auszeichnet, für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ist.
Wir brauchen aber auch die Offenheit für kritische Fragen. Diese kritischen Fragen dürfen wir nicht denjenigen überlassen, die ihre einfache Antwort stets mit der Bemerkung „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“ verbinden.
Es ist zentral, gemeinsam Perspektiven für alle zu schaffen. Wir müssen Abstiegsängste bekämpfen und gerechte Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen. Mit dieser Landesregierung ist NRW auf einem guten Weg dahin, gerade jungen Menschen die Chancen zu eröffnen. Wir meinen das auch, wenn wir sagen: Wir wollen niemanden zurücklassen.
Meine Damen und Herren, viel zu lange – das ist schon angeklungen – wurde die Gefahr von rechts nicht so gesehen, wie es notwendig gewesen wäre. In dem Prozess der Aufklärung, wie er im Zusammenhang mit den rechtsterroristischen Morden und Anschlägen jetzt vor uns liegt, wird auch zu klären sein, wie es genau dazu kommen konnte.
Die Morde des NSU stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Ohne Frage ist die terroristische Netzwerkstruktur wie beim NSU einerseits eine neue Qualität rechter Aktivitäten. Andererseits gibt es eine große Vielfalt von rechter Alltagsgewalt. In beiderlei Hinsicht sind einige Sicherheitsbehörden offensichtlich nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen. Rechtsextreme Gewalt wurde – das wissen wir heute – an und von verschiedensten Stellen immer wieder nicht als solche erkannt und verharmlost. Daher muss eine schon jetzt absehbare Konsequenz lauten: Wir müssen die Ermittlungsbehörden stärker als in der Vergangenheit für das Thema Rechtsextremismus sensibilisieren. Rechte Gewalt muss endlich, und zwar überall, als solche erkannt und bekämpft werden.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, um Rechtsextremismus entschieden zu bekämpfen, brauchen wir starke Strukturen. Der Minister hat – dafür bin ich sehr dankbar – in seinem Programm eine personelle Aufstockung in diesem Bereich angekündigt, die Einrichtung eines Kompetenzzentrums beim LKA und ebenso Sonderkommissionen in den besonders betroffenen Behörden. Das ist der richtige Weg. Wir brauchen jetzt starken Ermittlungsdruck, ein starkes und entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus.
Wir haben allerdings auch viele Diskussionen in dem Zusammenhang, die darüber hinausgehen, was jetzt konkret zu tun ist. Die Zusammenarbeit der Sicherheits? und Ermittlungsbehörden ist in diesem Zusammenhang eine viel diskutierte Frage. Es ist völlig klar, dass es Reibungsverluste geben kann, wenn so viele Stellen beteiligt sind, wie es heute der Fall ist. Wir werden diese Defizite ausräumen müssen. Zugleich müssen wir aber auch immer wieder konstatieren: An vielen Stellen und in vielerlei Hinsicht hat sich die föderale Struktur der Sicherheitsbehörden in unserem Land bewährt. Verfassungsmäßige Beschränkungen und das Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz dürfen an keiner Stelle unter Druck geraten.
Die Landesämter für Verfassungsschutz stehen momentan insgesamt und in einigen Fällen besonders stark in der Diskussion. Es gibt eine ganze Reihe von Baustellen. Da wird noch ein langer Debattenprozess vor uns liegen. Als Grundsatz lässt sich schon sagen: Ein jedes Landesamt für Verfassungsschutz muss effizient, aber auch rechtsstaatlich arbeiten. Wann immer es Zweifel daran gibt, müssen diese Zweifel auf den Tisch, genauso wie die Debatte über den Einsatz und auch die Bedeutung von V-Leuten in der rechten Szene geführt werden muss.
Die Angemessenheit und die Effizienz der eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel zu beurteilen, bedeutet, auch die Frage der Transparenz und der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes und der Verfassungsschutzbehörden zu vertiefen. Es geht nicht nur um die Frage: „Haben die Parlamente ausreichende Kontrollrechte?“, sondern auch um die Frage: Sind diese Kontrollrechte so gestaltet, dass die Parlamente damit etwas bewegen können? Wenn ja, werden diese Kontrollrechte ausreichend durch die Parlamente genutzt?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Achtpunkteprogramm der Landesregierung beinhaltet zahlreiche Maßnahmen, die zeitnah umsetzbar sind. Hans-Willi Körfges und auch ich haben einige weitere Punkte angesprochen, die es in der Diskussion zu vertiefen gilt, die wir nicht hier im Plenum, möglicherweise auch nicht im Innenausschuss oder im Parlamentarischen Kontrollgremium abschließend klären können. Es sind aber Diskussionen, die geführt werden müssen. Wir brauchen – auch um unsere Demokratie voranzubringen – die Räume dafür.
Meine Damen und Herren, wir dürfen eines nicht vergessen: Rechte Gewalttaten und rechter Terrorismus richten sich nicht allein gegen die konkreten Opfer. Jeder Anschlag des NSU, jeder Übergriff von Neonazis, jede Verbreitung von Angst und psychischem Druck durch rechte Gruppierungen ist immer auch eine Attacke auf die Art und die Werte, nach denen unsere Gesellschaft in Freiheit, Vielfalt, Toleranz und Mitmenschlichkeit zusammenlebt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte eingangs: Der Mensch wird nicht als Rechtsextremist geboren. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen: Der Mensch wird nicht als Demokratin oder Demokrat geboren. Deshalb ist der Kampf für unsere Demokratie eine Aufgabe für uns alle. Lassen Sie uns die Chancen schaffen. Lassen Sie uns die Feinde unseres demokratischen Rechtsstaats gemeinsam, entschieden und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen. Lassen Sie uns jeden Tag für Demokratie werben, für Demokratie eintreten und für Demokratie begeistern.
Eine Gelegenheit dafür bietet sich am kommenden Samstag. Ich weiß, dass das der Heilige Abend ist. Aber für diesen Heiligen Abend haben Neonazis in meiner Heimatstadt Bielefeld eine Demonstration angemeldet. Ich würde mich sehr freuen, viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, am kommenden Samstag in meiner Heimatstadt sehen zu dürfen. Lassen Sie uns gemeinsam mit einer starken Zivilgesellschaft ein starkes Zeichen für die Demokratie in unserem Land setzen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von der LINKEN)
Rede von Verena Schäffer MdL:
Verena Schäffer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich gut erinnern an die schockierte Öffentlichkeit und den Aufruf zu einem „Aufstand der Anständigen“ nach dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Oktober 2000. Ich war damals erst 13 Jahre alt und konnte nicht begreifen, dass ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Nazidiktatur ein Anschlag in Deutschland mit offensichtlich antisemitischem Hintergrund auf eine Synagoge möglich sein sollte.
Später stellte sich heraus, dass der Anschlag keinen rechtsextremen Hintergrund hatte. Aber es hieß damals, es müsse ein Ruck durch die Gesellschaft gehen; antisemitische und rechtsextreme Tendenzen müssten endlich ernst genommen und bekämpft werden. Dieser Appell gilt leider heute immer noch.
Wo stehen wir heute, elf Jahre später? In den Jahren von 2000 bis 2011 sind in Nordrhein-Westfalen acht Menschen von Neonazis getötet worden. Es gibt alle paar Tage einen rechtsextremen Angriff auf Personen. Immer wieder werden jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus geschändet. Jeden Monat finden in Nordrhein-Westfalen Aufmärsche von Neonazis statt, ob in Wuppertal, Stolberg, Köln, Dortmund oder anderen Orten. Ständig werden Jugendzentren und Geschäftsstellen der demokratischen Parteien angegriffen.
All das zeigt uns – und das sagen uns ja auch immer wieder die Berichte des Verfassungsschutzes und von unabhängigen Initiativen –, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein erhebliches Problem mit rechtsextremen Strukturen und Parteien haben. Es zeigt uns aber auch, dass einschlägige Ereignisse wie der Anschlag in Solingen im Jahre 1993, als fünf Menschen getötet wurden, oder die Morde der rechtsterroristischen NSU nur die Spitzen rechtsextremer Gewalt sind, die in ihrer Grausamkeit und in ihrem Menschenhass für sich stehen und dennoch in einer Kette von rechtsextremer Bedrohung und Gewalt zu sehen sind.
Deshalb sind Maßnahmen gegen rechtsextreme Strukturen längst überfällig. Mit einer Verharmlosung rechter Gewalt muss endlich Schluss sein.
Um Präsenz zu zeigen, einzuschüchtern und der Erlebnisorientierung der Szene gerecht zu werden, haben rechtsextreme Gruppierungen in den vergangenen zehn Jahren Hunderte von Aufmärschen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Damit wollen sie auch den demokratischen Widerstand zermürben. Weshalb sonst – mein Kollege Matthi Bolte hat es angesprochen – sollten die Neonazis am 24. Dezember in Bielefeld demonstrieren wollen?
Diese Zermürbungsstrategie der Neonazis wird aber nicht aufgehen. Denn immer wieder finden sich Menschen aus den demokratischen Parteien, aus den Kirchen, aus Schüler- und Jugendgruppen zusammen, die gegen diese rechtsextremen Aufmärsche auf die Straße gehen und gemeinsam für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft einzutreten.
(Beifall von den GRÜNEN und von der LINKEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Das ist gut so, denn wir brauchen diese Zivilgesellschaft, die unsere Demokratie verteidigt.
Auf die Stärkung der Zivilgesellschaft haben auch die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung 2001 ins Leben gerufenen Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus gesetzt. Civitas und Entimon waren die erfolgreichen Vorgängerprogramme des jetzigen Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ von Kristina Schröder, die ja leider immer wieder mit ihrer Verhinderungs- und Verharmlosungspolitik ein falsches Signal an die Bevölkerung sendet.
Aber schon damals unter der rot-grünen Bundesregierung sind die heute zum unverzichtbaren Teil gewordenen mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt in den ostdeutschen Bundesländern entstanden.
Es war damals aus meiner heutigen Sicht ein Fehler, dass man gesagt hat, man guckt nach Ostdeutschland, aber man fördert diese Programme eben nicht auch in Westdeutschland. Erst seit 2008 werden die mobilen Beratungsteams auch in westdeutschen Bundesländern gefördert. Auch in Nordrhein-Westfalen haben wir in allen fünf Regierungsbezirken mobile Beratungsteams, die Prävention leisten und Strukturen gegen Rechtsextremismus nachhaltig aufbauen.
In den letzten Landeshaushalt haben wir als rot-grüne Landtagsfraktion Mittel für die Einrichtung von Opferberatungsstellen in NRW eingestellt. Vor wenigen Wochen erst wurde die Beratungsstelle für den westfälischen Raum in Dortmund eröffnet. Seitdem gibt es bereits knapp 30 Beratungsfälle.
Ich glaube, dass vor dem Hintergrund dieses Beratungsbedarfes und der Aktualität dieses Themas niemand aus diesem Hause wirklich die Notwendigkeit dieser Beratungsstellen noch anzweifeln kann.
(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)
Es gibt vielerorts in Nordrhein-Westfalen Bündnisse gegen Rechts. Es gibt in knapp 15 Städten derzeit in NRW lokale Aktionspläne aus dem Bundesprogramm. Es gibt über 200 Schulen in NRW, die sich an dem Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ beteiligen. Das Land NRW fördert das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit mit seinem sehr erfolgreichen Elternberatungsnetzwerk. An der FH Düsseldorf haben wir den vom Land anerkannten Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus.
Es gibt also bereits in Nordrhein-Westfalen viele Strukturen, viele Maßnahmen, die sich gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus wenden und die wir mit unserem Landesprogramm einbinden können, auf denen wir aufbauen können. Es geht uns bei diesem Landesprogramm nicht darum, einen neuen Katalog mit Einzelmaßnahmen zu erstellen, der dann in einer Hochglanzbroschüre gedruckt und ins Regal gestellt wird. Nein, wir wollen eine Gesamtstrategie unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Initiativen, um Rechtsextremismus, um Rassismus nachhaltig bekämpfen zu können.
Aber es darf bei diesem Landesprogramm auch nicht nur die Bekämpfung des organisierten Neonazismus im Fokus stehen, den man vielleicht noch, wie Herr Innenminister Jäger das auch vorhat, mit repressiven Mitteln klein kriegt. Wir brauchen vielmehr die Debatte über den Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft.
Dass Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus, Homophobie und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen weit verbreitet sind, das wissen wir nicht nur aus den Studien. Vor Kurzem, vor zwei Wochen, glaube ich, ist das letzte Band der Heitmeyer-Studie, einer Langzeitstudie über zehn Jahre, veröffentlicht worden. Diese Studie macht sehr stark deutlich, wie weit diese Ungleichwertigkeitsvorstellungen in unserer Gesellschaft verbreitet sind.
Wir wissen es nicht nur aus den Studien, sondern wir wissen es auch aus den Erfahrungsberichten von den vielen Menschen in NRW und in Deutschland, die alltäglich, immer wieder ausgegrenzt werden, weil sie bestimmte Merkmale tragen, die andere Menschen verachten. Ich finde, das ist ein Punkt, an dem wir ansetzen müssen, bei dem wir unsere demokratische Gesellschaft stärken müssen. Denn letztendlich sind genau diese Einstellungen der Nährboden dafür, dass rechte Gewalt verharmlost wird, und dafür, dass rechtsextremem Terror der Boden geebnet wird.
(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von der LINKEN)
Unsere Kollegin Carina Gödecke hat uns in der Debatte über den NSU vor zwei Wochen an unsere Verantwortung erinnert, das Erstarken der Rechten zu verhindern und den Anfängen zu wehren. Diese Verantwortung müssen wir als Demokratinnen und Demokraten annehmen. Wir müssen handeln, bevor es wieder einmal zu spät ist.
(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)