Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bekanntwerden des rechtsterroristischen NSU hat schonungslos offengelegt, wie katastrophal fehlerhaft die Sicherheitsbehörden hier gearbeitet haben, welche Auswirkungen mangelnde Sensibilität im Bereich Rechtsextremismus und das Gerangel um Zuständigkeiten, das Sitzenbleiben auf Informationen, ganz konkret auf Menschenleben hatten.

Herr Kruse, die Frage der WE-Meldung haben wir im Ausschuss ausreichend diskutiert und meines Erachtens geklärt. Nichtsdestotrotz werden wir uns die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses in Berlin in Bezug auf Nordrhein-Westfalen, wenn der Abschlussbericht vorliegt, genau angucken. Deshalb – das möchte ich hier noch einmal betonen – ist es gut, dass die grüne Bundestagsfraktion damals dafür gesorgt hat, dass es diesen Untersuchungsausschuss in Berlin überhaupt gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

In unserer ersten Diskussion über den NSU, die wir vor etwas über einem Jahr geführt haben, habe ich den norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg zitiert, der nach den Anschlägen in Oslo und Utoya gesagt hatte: „Unsere Antwort wird mehr Demokratie und Offenheit sein.“ Ich habe das damals sehr bewusst zitiert, weil nach dem Aufdecken des NSU sehr schnell der Ruf nach mehr Sicherheit, mehr Kontrolle, mehr Eingriffsbefugnissen laut geworden ist.

Für uns Grüne gilt der Grundsatz: Für ein vermeintliches Mehr an Sicherheit – das ist es häufig, wenn wir über bestimmte Maßnahmen diskutieren – werden wir die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger nicht aufgeben. Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit muss immer gewahrt bleiben.

Alle Sicherheitsmaßnahmen, die mit Eingriffen in die Bürgerrechte verbunden sind, müssen sich an zwei verfassungsrechtlichen Bedingungen messen lassen: Erstens müssen sie erforderlich und zweitens verhältnismäßig sein.

Bürgerrechte gelten nun einmal auch für Verfassungsfeinde. Das ist in einem Rechtsstaat so, und das ist auch gut so. Deshalb schauen wir als Grüne auf die Verbunddatei Rechtsextremismus unter den Gesichtspunkten der Bürgerrechte und der Verhältnismäßigkeit, aber auch der Wahrung des Trennungsgebotes von Polizei und Verfassungsschutz. Das sind Grenzen, die für uns unbedingt auch gewahrt bleiben müssen.

Die Errichtung der Verbunddatei macht deutlich, worin ein Fehler der Sicherheitsbehörden im Falle NSU lag. Die Verfassungsschutzämter und Polizeibehörden der Länder und des Bundes haben mangelhaft miteinander kooperiert und schlichtweg Informationen nicht weitergegeben. Es ist richtig, wenn dieser Informationsaustausch im Bereich Rechtsextremismus nun gefördert wird, wie das auch beim Gemeinsamen Abwehrzentrum Rechtsextremismus bereits der Fall ist. Auch die Verbunddatei kann hier aus unserer Sicht Sinn machen, solange das Trennungsgebot und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.

Ich hätte mir aber vom Bundesgesetzgeber gewünscht, dass er das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sowie die Evaluation der Antiterrordatei abwartet. Denn die Rechtsextremismus-Datei – das hat Herr Kruse bereits gesagt – ist nach dem Vorbild der Antiterrordatei im Bereich Islamismus aufgebaut worden.

Beim Bundesverfassungsgericht – Sie werden die Debatte verfolgt haben – liegt gerade eine Verfassungsbeschwerde gegen die Antiterrordatei, insbesondere bezogen auf das Trennungsgebot sowie die Bestimmtheit und die Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Daten von Kontaktpersonen.

Die Evaluation der Antiterrordatei hätte es schon längst geben müssen. Die Frist ist bereits abgelaufen.

Aber auch hier sieht man, dass die schwarz-gelbe Regierung in Berlin anscheinend die Bürgerrechte nicht so hoch bewertet – so viel zum Thema FDP und liberale Partei.

(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das ist ja wohl ein Treppenwitz!)

– Es ist so. Die Frist ist abgelaufen. Sie können ins Gesetz gucken.

Ich finde, man hätte auf die Evaluation und das Urteil warten müssen, denn bei den Fragen, die wichtige Grundsätze unseres Rechtsstaates berühren, sollte der Gesetzgeber immer gründlich prüfen und vorgehen.

Der Fehler der Sicherheitsbehörden liegt aber nicht nur in der mangelnden Kooperation begründet – auch das wissen wir im Prinzip seit einem Jahr –, sondern auch in der fehlenden Sensibilität hinsichtlich der Gefahr von Rechtsextremismus. Deshalb ist es mit einer Verbunddatei alleine nicht getan. Denn eine Verbunddatei wird immer von Menschen mit Informationen gefüttert. Das sind Personen, die geschult sein müssen, die sensibilisiert sein müssen, damit sie auf der einen Seite die Verbunddatei auch wirklich mit relevanten Informationen versorgen und auf der anderen Seite nicht so viele unwichtige Daten eingeben, dass man einen undurchsichtigen Datensumpf schafft, durch den nachher niemand mehr durchblicken kann.

Betreffend die Sensibilisierung – das vielleicht noch als Anmerkung – sehe ich den vielleicht größten Handlungsbedarf – nicht nur in Bezug auf die Behörden, sondern auch was Gesellschaft, was uns, die Politik, angeht, aber auch beispielsweise die Medien. Denn nur dann, wenn wir für dieses Thema Sensibilität schaffen, werden wir Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus effektiv bekämpfen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der FDP)

Nichtsdestotrotz werden wir als grüne Fraktion der Änderung des Polizeigesetzes zustimmen, damit die nordrhein-westfälische Polizei an der Rechtsextremismus-Datei teilnehmen kann.

Die entsprechende rechtliche Grundlage für die Rechtsextremismus-Datei ist auf Bundesebene geschaffen worden. Wir hätten uns da noch striktere Regelungen in Bezug auf den Eilfall oder die Kontaktpersonen gewünscht.

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin, Sie kommen zum Ende?

Verena Schäffer (GRÜNE): Ja, ich komme zum Ende. – Aber natürlich werden wir es der Polizei in Nordrhein-Westfalen ermöglichen, an dem Verbund von 35 anderen Behörden auf Bundes- und auf Länderebene teilzunehmen. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Dr. Orth.