Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Mittwoch hat der Bundesinnenminister drei salafistische Vereine in Hessen und in Nordrhein-Westfalen verboten. Außerdem wurden die Anschlagspläne von vier nordrhein-westfälischen Salafisten vereitelt.
Ich denke, dass diese Ereignisse in der letzten Woche uns allen deutlich gemacht haben, welche Gefahren von salafistischen Bestrebungen für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft ausgehen. Die Fragen nach Ursachen und nach Bekämpfungsstrategien des gewaltorientierten und verfassungsfeindlichen Salafismus beschäftigen uns schon länger.
Wir wissen, dass der Salafismus eine der schnell wachsenden Strömungen ist, die sich im letzten Jahr auf 1.000 Personen in Nordrhein-Westfalen verdoppelt hat, von denen etwa 100 gewaltbereite Dschihadisten sind. Dieser politische, gewaltorientierte Salafismus richtet sich gegen die parlamentarische Demokratie und gegen ein pluralistisches Gesellschaftsmodell. Damit ist er antidemokratisch, er ist verfassungsfeindlich und durch seine Gewaltbereitschaft eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Deshalb ist es richtig, dass die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen diese verfassungsfeindlichen salafistischen Gruppen beobachten. Darum muss sich auch die Politik mit diesem Thema beschäftigen. Aber nur dann, wenn wir wirklich differenziert an diese Problematik herangehen, werden wir den verfassungsfeindlichen und gewaltorientierten Salafismus wirksam bekämpfen.
(Beifall von der SPD)
Für diese Differenzierung möchte ich hier werben.
Da hilft es aus meiner Sicht überhaupt nicht weiter, wenn in der Regel konservative Politikerinnen und Politiker, allen voran der Bundesinnenminister Friedrich, eine Vereinfachung bei der Ausweisung von gewaltbereiten Fundamentalisten fordern. Denn die größte Zahl – das muss man sich einfach einmal ansehen – der Salafisten sind Deutsche, darunter sowohl Konvertiten ohne Migrationshintergrund als auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund.
(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
Insofern betreibt der Bundesinnenminister, der sich wahrscheinlich ein paar Monate vor der Bundestagswahl als Hardliner präsentieren will, eine reine Schaumschlägerei, ohne irgendwelche Lösungsansätze parat zu haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch und Zurufe von der CDU und der FDP)
Zweifelsohne ist die dynamische Zunahme der salafistischen Bestrebungen erschreckend. Natürlich müssen wir uns als Demokratinnen und Demokraten fragen …
(Zuruf von Holger Müller [CDU])
– Ja, Herr Müller, Sie können schreien, wie Sie wollen. Ich verstehe Sie hier sowieso nicht, hören Sie mir einfach einmal zu! Auch Sie müssen sich die Fragen stellen: Warum gibt es denn diese Zunahme bei den salafistischen Bestrebungen? Wie kann es sein, dass junge Menschen, meistens junge Männer, sich von der demokratischen Gesellschaft abwenden, dass sie sich hier nicht geborgen fühlen? Wie kann es sein, dass wir ihnen nicht das bieten, was sie suchen, sodass sie Anerkennung und Gemeinschaftsgefühl in diesen Bestrebungen suchen?
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Auch wenn ich die Durchführung von Vereinsverboten politisch richtig finde – wobei man auch hier darüber diskutieren muss, wie wirksam die Repression in diesem Bereich ist, man bräuchte meines Erachtens noch viel mehr Begleitforschung, um es wirklich evaluieren zu können –, die Bekämpfung des Salafismus ist nicht nur eine sicherheitspolitische Frage, sondern sie ist auch eine Frage von gesellschaftlicher Teilhabe und von Anerkennung.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Nur wenn wir es schaffen, diesen jungen Männern eine Alternative in der demokratischen Gesellschaft zu geben, werden wir diesen fundamentalistischen Bestrebungen, die auf die Abschaffung unserer freiheitlichen Grundordnung aus sind, auch die Anziehungskraft nehmen. Deshalb sprechen wir hier von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die alle Politikbereiche, das heißt uns alle hier im Parlament, betrifft.
Wir reden hier zum Beispiel über die demokratische Jugendarbeit, wir reden hier über politische Bildungsarbeit, wir reden aber auch über Bereiche wie zum Beispiel die Justiz. Denn gerade in der Haft – das wissen wir – können Radikalisierungsprozesse stattfinden.
Wichtig ist uns aber auch die Zusammenarbeit mit den Moscheegemeinden, mit den muslimischen Verbänden, die für unsere Anliegen auch wichtige Verbündete sind. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal ganz deutlich sagen, dass die Salafisten mit dem Islam und der Großzahl der Musliminnen und Muslime in unserer Gesellschaft, die hier friedlich leben und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen, nicht in einen Topf geworfen werden dürfen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Personen und Gruppen, die mit Hinweis auf den gewaltorientieren, verfassungsfeindlichen Salafismus versuchen, Ressentiments gegen Musliminnen und Muslime zu schüren, müssen wir als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam klar entgegenstehen. Deshalb dürfen wir es Pro NRW auch nicht durchgehen lassen, dass sie jetzt versuchen, sich als Opfer einer salafistischen Kampagne darzustellen, ohne dabei das geplante Mordattentat verharmlosen zu wollen.
Aber Pro NRW provoziert immer wieder ganz gezielt in der Gesellschaft und trägt auch mit dazu bei, dass sich Anhänger von Pro NRW und dem salafistischen Spektrum gegenseitig hochschaukeln. Dabei ist Pro NRW eine eindeutig menschenverachtende, eine rassistische, eine verfassungsfeindliche Partei, die immer wieder rassistische Hetze gegen Musliminnen und Muslime und momentan ganz aktuell mit ihrer Kampagne gegen Flüchtlinge betreibt.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Deshalb bin ich froh – ich will es hier noch einmal deutlich sagen –, dass es so viele Menschen gibt, die in diesen Tagen gegen Pro NRW auf die Straße gehen. Denn das ist ein wichtiges Zeichen für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft, die wir sowohl gegen rassistische Hetze von Pro NRW und anderen Nazis als auch gegen die antidemokratischen Pläne der Salafisten verteidigen müssen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Sieveke.