Meine Rede zum Antrag der Piratenfraktion (Drucksache 16/4436).
Es gilt das gesprochene Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen:
„Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger nicht total erfasst wird und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss.“
Wer meint, dieses Zitat wäre im Zusammenhang mit der anlasslosen und massenhaften Überwachung unserer Daten durch die amerikanische NSA oder den britischen GCHQ gefallen, der irrt. Das Zitat stammt vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen seines Urteils vom 02. März 2010 zur Vorratsdatenspeicherung. Gegen das Gesetz hat es eine breite bürgerrechtliche Bewegung gegeben. Über 34.000 Menschen hatten Verfassungsbeschwerde eingelegt und letztendlich Recht bekommen. Denn die anlasslose und massenhafte Vorratsdatenspeicherung ist ein tiefer Eingriff in unsere Privatsphäre.
Mit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung werden alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht gestellt, obwohl sie zu dem Zeitpunkt der Datenerhebung und -speicherung keine Straftaten begangen haben. Unsere Daten sollen also präventiv erhoben und gespeichert werden, weil es denkbar wäre, dass wir alle zu Kriminellen oder Terroristinnen und Terroristen werden. Damit wird die Unschuldsvermutung praktisch ausgehebelt; das halten wir Grüne nicht für verhältnismäßig und haben uns deshalb immer gegen eine anlasslose Bevorratung von Daten ausgesprochen!
Es stimmt zwar, dass keine Daten über die Inhalte der Kommunikation gespeichert werden sollen, sondern „nur“ die Verkehrsdaten. Aber allein mit den Verkehrsdaten kann rekonstruiert werden, war wann wie lange mit wem und von wo aus kommuniziert hat. Damit lassen sich bereits Bewegungsprofile von jedem von uns erstellen, denn wir alle kommunizieren ständig und produzieren Mengen an Daten.
Der Satz „ich habe nichts zu verbergen“ ist fatal, denn schon mit der Speicherung der Verkehrsdaten kann die Ausübung unserer Freiheitsrechte beeinträchtigt werden oder um es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts auszudrücken:
„Die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten ist geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigten kann.“
Dieser Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts ist nichts hinzuzufügen.
Nach den schrecklichen Anschlägen vom 11. September 2001 hat es eine Reihe von Verschärfungen in den Sicherheitsgesetzen gegeben. Die EU-Richtlinie zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung war eine konkrete Reaktion auf die Terroranschläge in Madrid im März 2004. Allerdings kann eine Bevorratung von Daten keine Terroranschläge verhindern so wie eine Videobeobachtung im öffentlichen Raum ebenfalls keine Straftaten verhindern kann, sondern allenfalls Informationen für die Ermittlungen liefern. Man darf den Bürgerinnen und Bürger keine angebliche Sicherheit vorgaukeln, die man letztendlich nicht einlösen kann, und im gleichen Atemzug die Bürgerrechte mit einem nicht einzuhaltenden Versprechen einschränken.
Derzeit sind noch zwei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig, in denen die Vereinbarkeit der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit den Grundrechten in der Europäischen Union überprüft werden. Wir warten gespannt auf die Entscheidung des Gerichtshofs. Diese Entscheidung des EuGH sollte abgewartet werden, bevor neue Pläne zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gemacht werden.
Sowohl über die Videoüberwachung als auch über die Vorratsdatenspeicherung hat dieses Parlament in der Vergangenheit mehrfach diskutiert und wird es voraussichtlich auch zukünftig tun. Der Standpunkt der Grünen ist dabei klar: Wir lehnen eine anlasslose Regelung zur Vorratsdatenspeicherung als unverhältnismäßigen Eingriff in unsere Freiheitsrechte ab. Dass wir damit einen Dissens mit unserem Koalitionspartner haben, ist allgemein bekannt. Bekannt ist aber auch, wie Koalitionen in solchen Fällen abstimmen und entsprechend werden wir uns verhalten.
In Richtung Piraten will ich aber auch noch einmal betonen, dass die Piraten mit diesem verkürzten Antrag offensichtlich keine qualifizierte inhaltliche Debatte führen wollten, die es aus meiner Sicht bedarf, sondern einzig allein die Koalition über eine Bundesfrage spalten.