Text und Video meiner Rede zum Antrag von Grünen, SPD und Piraten „Alltagsrassismus und rechte Gewalt bekämpfen – Erfassung politisch rechts motivierter Straftaten verbessern“ Drucksache 16/6122 – Neudruck

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Dienstag dieser Woche – also vor wenigen Tagen – haben viele Menschen genutzt, um gegen antimuslimische Gewalt und antimuslimischen Rassismus aufzustehen. Am Dienstag hat sich nämlich zum fünften Mal der Todestag von Marwa El-Sherbini gejährt, die vor fünf Jahren im Dresdener Landgericht ermordet wurde – von einer Person, die gegen Musliminnen und Muslime gehetzt und Marwa El-Sherbini auch schon vorher bedroht und beleidigt hatte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das zeigt noch mal sehr deutlich, mit welchem Problem wir es bei dem Phänomen Rassismus zu tun haben, auch, dass antimuslimischer Rassismus in unserer Gesellschaft zunimmt – nicht nur in der Gesellschaft ; er wird zunehmend auch von Neonazis, von Rechtsextremisten als Propagandathema genutzt. Das haben wir zuletzt bei den Kommunal- und Europawahlen erlebt. Das finde ich sehr erschreckend.

Aber der Mord an Marwa El-Sherbini zeigt auch: Rassismus tötet. Man muss klar sagen, dass rassistische Einstellungen und Stimmungsmachen in der Gesellschaft auch dahin gehend Auswirkungen haben, dass Neonazis Gewalt gegen jene Menschen anwenden, die nicht in das rechtsextreme, menschenverachtende Weltbild passen, und dass Neonazis das als Legitimation für Gewalt nutzen.

Das haben wir beispielsweise in Solingen vor 20  Jahren auch erlebt, als es dort den Brandanschlag gegeben hat. Das macht noch einmal so deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns gesellschaftspolitisch mit Rassismus auseinandersetzen müssen, mit menschenverachtenden Einstellungen in der Gesellschaft, um Rechtsextremismus und rechtsextremer Gewalt insgesamt entgegenzutreten und sie bekämpfen zu können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wollen mit dem Antrag – als einen der wichtigsten Punkte – eine eigene Statistik für die antimuslimischen Straftaten erreichen. Bisher ist es so, dass in der Statistik über die „politisch motivierte Kriminalität–rechts“ die Hasskriminalität aufgeführt wird. Unter diese Hasskriminalität fallen Straftaten, die beispielsweise aufgrund antisemitischer Einstellungen oder gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder gegen Menschen mit Behinderung begangen werden. Nicht erfasst werden bisher die Strafteten gegen Musliminnen und Muslime. Wir wollen auf Bundesebene eine eigene Erfassung erreichen. Die Innenministerkonferenz hat in den letzten Jahren immer wieder mehrheitlich dagegen gestimmt. Eine bundeseinheitliche Regelung war bisher nicht möglich.

Wir aber haben gesagt: Wenn Herr Jäger und die Landesregierung das in der IMK nicht schaffen, wollen wir, dass Nordrhein-Westfalen eine eigene Erfassung der antimuslimischen Straftaten in Nordrhein-Westfalen einrichtet. Wir sind das Land mit den meisten Musliminnen und Muslimen. Deshalb ist eine solche Erfassung für NRW so wichtig.

Auf den Alltagsrassismus bin ich schon eingegangen. Wenn wir über Kriminalstatistiken bzw. polizeiliche Statistiken reden, muss man ganz klar sagen: Diese Statistiken können nicht die Dimensionen des Alltagsrassismus in seiner Gänze abbilden. Aber sie sind trotzdem wichtig, obwohl es natürlich eine Dunkelziffer gibt; auch die muss man hier ansprechen. Die Statistiken sind leider nicht frei von einer Dunkelziffer, weil Straftaten nicht angezeigt werden, weil die Opfer diese Straftaten aus den unterschiedlichsten Gründen nicht immer zur Anzeige bringen. An der Stelle brauchen wir die verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Opferberatungsstellen, die wir von Rot-Grün eingerichtet haben.

Es gibt aber eine weitere Dunkelziffer, weil nicht alle Straftaten, die rechtsextremistisch oder rassistisch motiviert sind, als solche erkannt werden bzw. den Tätern eine solche Motivation nachgewiesen werden kann. Es gibt immer wieder die Diskussionen über die Einordnung von Morden, die durch Neonazis begangen werden. Wir hatten gestern schon über Dortmund diskutiert. In dem Zusammenhang sind mehrere Morde genannt worden, die von Neonazis begangen wurden, aber nicht als rechtsextremistisch motivierte Taten eingeordnet wurden – auch nicht von den Gerichten.

An der Stelle hilft uns ein Stück weit die Statistik des Innenministeriums zur allgemeinen Kriminalität durch Neonazis. Deutlich zeigt sich aber auch, dass noch eine Überarbeitung des Themenfeldkatalogs „PMK–rechts“ stattfinden muss. Das ist eine Empfehlung aus dem NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin, die von allen Fraktionen so beschlossen worden ist. Eine solche Überarbeitung brauchen wir im Zusammenspiel mit Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Das fordern wir in unserem Antrag auch.

Die „PMK–rechts“, eine Polizeistatistik, kann nur Anhaltspunkte dafür bieten, wie die Lage in Nordrhein-Westfalen und bundesweit zu Neonazis und ihrer Entwicklung aussieht. Trotzdem ist das wichtig, auch für die Einschätzung und die Arbeit vor Ort. Viele von uns erleben es, dass wir uns vor Ort zwar gegen Rechtsextremismus engagieren, aber gerade Bürgermeisterinnen und Bürgermeister es nicht so gerne sehen, wenn man darüber redet, dass es in den Orten rechtsextreme Probleme gibt. Eine solche Statistik kann Hilfe bieten, wenn man das Thema vor Ort ansprechen will.

Wir wollen – das steht auch in unserem Antrag – außerdem erreichen, dass es einen institutionalisierten Austausch der Mobilen Beratungsteams in den fünf Regierungsbezirken mit der Polizei gibt. Das haben wir bereits angestoßen. Das wird, so glaube ich, noch einmal sehr stark mithelfen, eine bessere Einschätzung über die Lage und die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen zu gewinnen.

Insofern ist der Antrag ein sehr guter Antrag, meine ich. Ich freue mich auf breite Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)