Drucksache 16/6730 in Verbindung mit dem Antrag der FDP „Islamistische Propaganda erreicht mit Scharia-Polizei neue Qualität – Die rot-grüne Landesregierung muss endlich handeln“ Drucksache 16/6728 und dem Antrag der CDU „Frontalangriff auf den Rechtsstaat: „Scharia-Polizei“ patrouilliert in Nordrhein-Westfalen“ Drucksache 16/6729
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Präsenz der CDU im Parlamentarischen Kontrollgremium – in der letzten öffentlichen Sitzung waren Sie ja mal wieder nicht da – würde vielleicht bei Ihnen auch zu der Erkenntnis führen, dass das Thema „Salafismus“ eines der Hauptthemen unserer Sicherheitsbehörden ist, des Verfassungsschutzes, aber eben auch der Polizei hier in Nordrhein-Westfalen. Vielleicht beteiligen Sie sich einfach mal an den Debatten in den Fachgremien des Landtags und reden dann vielleicht hier auch mal ein bisschen differenzierter über das Thema.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Denn ich meine schon, dass wir die differenzierte Debatte über das Thema brauchen. Wir sind uns einig, dass wir hier ein großes Problem haben und dass das Vorhaben einer radikalisierten Gruppe, einen Teil unserer Gesellschaft, und zwar junge Musliminnen und Muslime, durch vermeintliche Sittenwächter kontrollieren zu lassen, einen fundamentalen Angriff auf die freiheitlichen Werte unserer Gesellschaft darstellt.
Unsere Gesellschaft zeichnet sich gerade durch diese Werte und Grundrechte aus. Dazu gehört auch, dass junge Menschen – egal, welcher Herkunft, egal, welchen Glaubens – selbstbestimmt entscheiden können, ob sie abends feiern gehen, ob sie Bier trinken, ob sie in der Disko tanzen gehen. Maßgeblich dafür sind die deutsche Gesetzgebung und nicht die Regeln von selbsternannten Tugendwächtern. Alle Versuche, den Rechtsstaat hier zu unterlaufen und Menschen einzuschüchtern, dürfen wir als Gesellschaft nicht dulden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Deshalb war die Klarstellung des Innenministeriums, was das Tragen dieser Westen angeht, dass es sich hier um Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und das Uniformverbot handelt, richtig. Das konsequente Handeln der Polizei in Wuppertal hat ja auch dazu geführt, dass diese Aktion relativ schnell unterbunden werden konnte. Das ist auch gut so.
Der Salafismus ist die am schnellsten wachsende verfassungsfeindliche Bestrebung in Deutschland mit bundesweit ungefähr 6.000 Anhängerinnen und Anhängern.
Auch das ist wichtig: Darunter sind auch Frauen. Auch das müssen wir in die Debatte einbeziehen. Da gibt es andere Bedarfe. Da sind auch andere Ansprachen notwendig. Es sind nicht nur junge Männer. Es sind auch Frauen. In Nordrhein-Westfalen sind ungefähr 1.800 Personen in dieser salafistischen Szene.
Das betrifft aber nicht nur Deutschland, sondern das ist ein europaweites Phänomen. Die Europäische Kommission hat schon Anfang des Jahres gesagt, dass seit 2012 etwa 2.500 gewaltbereite Salafisten nach Syrien ausgereist sind, um dort zu kämpfen, davon ungefähr 130 Personen aus Nordrhein-West-falen.
Was auch noch wichtig für die Diskussion ist: Mittlerweile reisen diese gewaltbereiten Salafisten ja nicht nur nach Syrien aus, sondern auch weiter in den Irak. Was das heißt und welche Anziehungskraft dieser Irakkonflikt wiederum auf die salafistische Szene in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland und in Europa hat, können wir, meine ich, zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wirklich beurteilen und noch gar nicht wirklich absehen. Deshalb ist diese Auseinandersetzung darüber hier auch so wichtig.
Viele Rückkehrer sind geschult im Umgang mit Waffen, haben Kriegshandlungen miterlebt, sind traumatisiert und verroht. Wichtig ist: Das sind ja nicht nur die Kampfhandlungen, sondern das ist verbunden mit einer Ideologie, die von Menschenverachtung geprägt ist, die antidemokratisch ist und deshalb auch eine Gefahr für unsere Sicherheit in Europa und in Deutschland darstellt.
Aber schon heute gibt es ja auch die Versuche und Möglichkeiten, Ausreisen zu verhindern, zum Beispiel durch den Entzug des Reisepasses. Die IMK hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet zur Erarbeitung von weiteren Maßnahmen unter der Federführung von Nordrhein-Westfalen. Soviel auch dazu, wir würden hier in NRW das Problem nicht sehen. Das stimmt einfach nicht. Auch bundesweit sind wir hier, meine ich, führend, was die Maßnahmen sowohl in der Repression als auch in der Prävention angeht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wenn wir über den Entzug von Reisepässen reden, finde ich, muss man hier aber auch klar sagen: Es gibt hier hohe Hürden. Es gibt zu Recht hohe Hürden, weil das natürlich Grundrechte einschränkt, weil es verhindert, dass Menschen ausreisen können. Insofern sind diese hohen Hürden richtig.
Ich möchte auch noch einmal mahnend sagen: Wir dürfen uns von Salafisten, von Islamisten nicht einschüchtern lassen, in unserer Gesellschaft nicht verunsichern lassen. Es kann nicht sein, dass jetzt schon wieder auf Bundesebene vonseiten der CDUGesetzesverschärfungen diskutiert werden und dass voreilig die Grundrechte und Werte unserer Gesellschaft anscheinend über Bord geworfen werden. Denn genau das wollen Islamisten und Salafisten doch. Sie wollen, dass wir uns verunsichern lassen. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir dürfen nicht darauf hereinfallen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir sind als Gesellschaft gefragt, unsere freiheitlichen Werte mit Leben zu füllen. Gerade diejenigen, die ansprechbar sind, die potenziell einfache Antworten auf komplexe Fragen suchen, müssen wir stärken und davor schützen, auf diese Propaganda von Salafisten hereinzufallen. Wir müssen sie für unsere demokratische Gesellschaft gewinnen.
Deshalb muss die Debatte auch über sicherheitspolitische Fragen hinausgehen. Wir müssen über Gesellschaftspolitik reden. Wir müssen jungen Menschen in dieser Gesellschaft eine Perspektive geben, damit sie nicht auf solche Ideologien hereinfallen und damit sie gesellschaftliche Teilhabe erfahren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Ich meine: Es geht hier sehr viel um gesellschaftliche Werte. Es geht um die Fragen, ob wirklich alle gesellschaftliche Teilhabe erfahren, ob es eine Anerkennung gibt, oder ob wir nicht zum Teil Menschen in dieser Gesellschaft ausgrenzen. Ich glaube, das gehört zu der Frage dazu. Ich finde, das sollten wir auch diskutieren.
(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])
In Nordrhein-Westfalen …
(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Wo leben Sie?)
– Ich lebe hier, ich lebe in dieser Gesellschaft, und ich sehe, was in dieser Gesellschaft los ist.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Marc Olejak [PIRATEN])
Ich sehe auch, dass es immer wieder zu Ausgrenzungsversuchen und Diskriminierungserfahrungen gerade bei jungen Musliminnen und Muslimen in dieser Gesellschaft kommt. Ich meine, dass wir darüber diskutieren müssen.
(Beifall von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE] – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)
Das ist keine Entschuldigung für salafistische Einstellungen. Es geht nicht darum, das zu relativieren oder zu entschuldigen, aber man muss doch über die Ursachen sprechen, wenn man das Problem angehen will.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der CDU: Oh!)
Ihr Vorgehen in der CDU – hier wird darüber geredet, man müsse deutsche Gesetze auf ihre Islamfestigkeit überprüfen – halte ich für hochgradig problematisch.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Es geht um die Religionsfreiheit in diesem Land.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Um Rechtsstaatlichkeit!)
Dazu gehören Musliminnen und Muslime. Es kann nicht sein, dass diese Menschen ausgegrenzt werden, denn dann haben wir die Probleme, vor denen wir jetzt stehen. Insofern sind Prävention und gesellschaftspolitische Diskussion so notwendig. Da fangen wir an.
Wir haben mit „Wegweiser“ das bundesweit einmalige Präventionsprojekt geschaffen. Im Übrigen werden die Hotline und das Bundesprojekt „HATIF“ gerade abgeschaltet. Das muss man an dieser Stelle auch sagen. Auf nordrhein-westfälischer Seite sind wir offenbar sehr erfolgreich mit dem Präventionsprojekt, das wir gestartet haben.
(Unruhe von der CDU und der FDP)
Ich glaube, dass das der richtige Weg ist, gemeinsam mit den muslimischen Gemeinden daran zu arbeiten, dass junge Menschen eben nicht auf die salafistische Ideologie hereinfallen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)