Drucksache 16/8106 sowie dem Entschließungsantrag der Piraten Drucksache 16/8226
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der Anhängerinnen und Anhänger des gewaltbereiten, verfassungsfeindlichen Salafismus ist in den letzten Jahren bundesweit, aber auch in Nordrhein-Westfalen sprunghaft angestiegen. Aktuell gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass es bundesweit etwa 7.000 gewaltbereite Salafisten gibt, davon rund 1.900 Personen in Nordrhein-Westfalen. Dieser Trend, der sich für Deutschland abzeichnet, ist nicht nur ein deutscher Trend, sondern spiegelt sich auch in anderen westeuropäischen Ländern wider.
Aus Nordrhein-Westfalen sind schon über 150 Personen ausgereist, um sich an den grausamen Kampfhandlungen in Syrien und im Irak zu beteiligen. Besonders die Rückkehrerinnen und Rückkehrer stellen für uns eine ganz konkrete Gefahr dar, weil sie häufig traumatisiert, verroht und im Umgang mit Waffen geschult sind.
In dieser Plenarwoche diskutieren wir sehr viel über das Thema: über den Nachtragshaushalt nach der veränderten Sicherheitslage, über mehr Stellen bei Polizei und Verfassungsschutz. Die personelle Verstärkung bei den Sicherheitsbehörden ist aus grüner Sicht notwendig, reicht aber nicht aus, um die gesellschaftspolitische Dimension, die eigentlich hinter dem Thema steckt, anzugehen und ihr gerecht zu werden.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Für uns stellt sich ganz konkret die Frage: Warum fühlen sich junge Menschen in dieser Demokratie, in dieser demokratischen Gesellschaft nicht aufgehoben? Warum wenden sie sich davon ab? Unser Ziel muss es sein, den Zulauf zur salafistischen Szene zu stoppen. Deshalb sind die verschiedenen Ministerien der Landesregierung aufgefordert, ihre bereits vorhandenen Maßnahmen sowie neue Maßnahmen zusammenzubinden, eine abgestimmte ganzheitliche Strategie zu entwickeln und koordiniert vorzugehen.
Deshalb sagen wir: Wir brauchen ein ganzheitliches Handlungskonzept zur Prävention gegen den gewaltbereiten Salafismus.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich hatte bereits gesagt, dass es schon Aktivitäten gibt. Das hat auch die schriftliche Unterrichtung der Landesregierung von Oktober 2014 deutlich gemacht. Es gibt Maßnahmen wie zum Beispiel das Projekt „Wegweiser“ mit Beratungsstellen, die in Bonn, Bochum und Düsseldorf schon laufen. Ihre Aufgabe ist es, Eltern, Lehrkräfte und andere Personen zu beraten und sich radikalisierende junge Menschen aufzufangen und zu betreuen.
Uns ist hierbei die Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinden vor Ort wichtig. Und es wird eine Ausweitung dieser Beratungsstellen auf weitere Städte geben: auf Köln, Dortmund, Duisburg, Dinslaken und auch in das Bergische Land.
Man kann sicherlich darüber diskutieren, wo dieses Projekt am besten zugehörig ist. Ob der Verfassungsschutz der richtige Ort ist, darüber diskutieren wir Grüne auch immer gern. Nichtsdestotrotz bin ich erst mal froh, dass es das Projekt gibt und dass der Verfassungsschutz die Initiative ergriffen und angefangen hat, solche Beratungsstellen zur Verfügung zu stellen.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Damit sind wir auch bundesweit einen wichtigen Schritt vorangegangen. Nicht umsonst übernehmen auch andere Bundesländer, wie zum Beispiel das Land Niedersachsen, diesen Gedanken.
Eine weitere wichtige Maßnahme im Bereich der tertiären Prävention, ebenfalls vom Verfassungsschutz durchgeführt, ist das Aussteigerprogramm, das im letzten Jahr gestartet wurde. Auch das halte ich für notwendig und richtig.
Aber aus unserer Sicht gibt es auch in weiteren Bereichen noch Handlungsbedarf, zum Beispiel bei den Justizvollzugsanstalten, wo es darum gehen muss, Radikalisierungen von Inhaftierten zu vermeiden oder radikalisierte inhaftierte Salafisten zu resozialisieren. Wir brauchen etwa die Sensibilisierung durch Fortbildung bei JVA-Bediensteten, wir brauchen Anti-Gewalt-Trainings, wir brauchen die proaktive Ansprache bezüglich des Aussteigerprogramms.
Uns Grünen ist auch wichtig, die muslimische Seelsorge in den JVAs auszubauen – nicht nur als Deradikalisierungsmaßnahme, sondern auch, weil wir der Meinung sind, dass muslimische Inhaftierte eine Betreuung von Angehörigen ihrer Glaubensgemeinschaft bekommen sollten. Insofern legen wir auch hierauf einen Schwerpunkt.
Außerdem brauchen wir – das halte ich für wesentlich – die Forschung zum gewaltbereiten Salafismus: zu Radikalisierungsverläufen, zur Motivation, zur Rolle von Frauen und Mädchen im gewaltbereiten Salafismus. Denn wir haben derzeit in Deutschland quasi keine eigenständige Forschung zu diesem Phänomen. Wir stützen uns immer auf die Annahmen der Sicherheitsbehörden. Das reicht uns aber nicht. Wir brauchen die eigenständige Forschung und wollen diese anstoßen.
Bei all diesen Maßnahmen, die ich genannt habe – das ist nur ein Bruchteil der Maßnahmen, die im Antrag stehen –, ist uns wichtig, nie den Blick auf die Frauen und Mädchen zu verlieren. Denn Frauen und Mädchen stellen im Salafismus mindestens 10 % der Anhängerinnen und Anhänger. Das ist viel. Bei den Ausgereisten sind es noch mal mehr.
Es darf uns hier nicht das passieren, was uns im Rechtsextremismus passiert ist, dass nämlich die Rolle von Frauen im Rechtsextremismus lange Zeit verharmlost wurde. Das darf nicht im Salafismus geschehen. Hierauf müssen wir einen Blick werfen und auch die Rolle von Frauen im Auge behalten.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir stehen für einen Mix aus Prävention, Intervention und Repression. Ich würde mich freuen, wenn sowohl der Nachtragshaushalt als auch dieser Antrag eine breite Mehrheit in diesem Hause finden würden. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)