Integriertes Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus

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Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die Nachricht über rechtsextreme Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte schon fast zur Randnotiz verkommt, weil wir sie in den letzten Monaten so häufig hören mussten, wenn am Wochenende 900 gewaltbereite Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet nach Dortmund reisen, um ihre menschenverachtenden Parolen zu verbreiten, und wenn ein älterer Herr einer rechtspopulistischen Partei keinen schwarzen Profi-Fußballspieler als Nachbarn will, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, braucht es eine demokratische Gesellschaft, die sich über eine Verfünffachung der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte innerhalb eines Jahres empört und die Menschen, die bei uns Schutz suchen, willkommen heißt.

Dann braucht es eine demokratische Gesellschaft, die sich nicht von Neonazis einschüchtern lässt, sondern immer wieder gegen Rechtsextremismus auf die Straße geht. Dann braucht es Demokratinnen und Demokraten, die mutig sind, die Alltagsrassismus und Diskriminierung immer wieder zur Sprache bringen und das nicht ertragen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In Nordrhein-Westfalen können wir uns genau auf diese demokratische Zivilgesellschaft verlassen und auf sie bauen. Denn die Mehrheit in diesem Land steht für Demokratie, für Menschenrechte, für Vielfalt. Und das müssen wir auch immer wieder so klar benennen.

Genau diese demokratische Zivilgesellschaft zu unterstützen, sie zu stärken, ihr Wissen in die Analyse des Rechtsextremismus einzubinden und die Vernetzung zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen zu fördern, ist ein Ziel des Handlungskonzeptes.

Herr Stamp, gerade die Vernetzung zwischen Zivilgesellschaft und den staatlichen Institutionen, die Vernetzung von mobiler Beratung und Polizei ist hier wichtig. Und das war vor einigen Jahren noch keine Selbstverständlichkeit. Es ist wichtig, dass wir das hingekriegt haben und dass das stattfindet.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Stamp, noch etwas, wir lassen uns nicht die Konzepte von der Bertelsmann Stiftung schreiben, sondern wir fragen die Zivilgesellschaft, wir erarbeiten gemeinsam mit der Zivilgesellschaft unsere Programme.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In vielen Regionalkonferenzen haben wir gemeinsam mit den Personen aus der Beratungspraxis, aus der Kommunalpolitik, aus dem Sport, aus den Religionsgemeinschaften, von der Polizei, aus den Gewerkschaften und vielen anderen Personen diese Maßnahmen erarbeitet. Ich war bei vielen Regionalkonferenzen selbst anwesend. Da habe ich häufig die Kolleginnen und Kollegen von der CDU, von der FDP vermisst. Ich war bei vielen dieser Regionalkonferenzen dabei.

Ich will mich hier auch noch einmal im Namen der Grünen-Fraktion bei den vielen Akteurinnen und Akteuren dafür bedanken, dass sie sich hier eingebracht haben und mit uns gemeinsam diese Vorschläge erarbeitet werden. Ich finde, es ist vieles Gutes dabei herausgekommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben viele Maßnahmen in diesem Konzept aufgeführt mit einer klaren Zuständigkeit, welches Ministerium für welche Maßnahme zuständig ist. Ich verstehe das als Abgeordnete als Arbeitsauftrag jetzt an die Ministerien, dass man innerhalb einer dreijährigen Laufzeit diese Maßnahmen umsetzt und dem Landtag regelmäßig einmal im Jahr über den Umsetzungsstand berichtet. Ich kann von uns als grüner Fraktion sagen, dass wir den weiteren Prozess des Handlungskonzeptes sehr aktiv mit begleiten werden, weil wir davon überzeugt sind, dass wir eine gut abgestimmte, nachhaltige Gesamtstrategie in der Präventionsarbeit brauchen – gegen Rechtsextremismus und Rassismus.

Das ist genau die Überlegung auch dieses Handlungskonzeptes. Wir haben uns 2010 hingesetzt und 2012 bei den Koalitionsverträgen gesagt, es passiert in diesem Land schon vieles Gutes. Es gibt viele gute Maßnahmen, die von der Landesregierung gefördert werden. Was wir brauchen, ist eine abgestimmte Strategie. Wir brauchen die Nachhaltigkeit, wir brauchen die Verzahnung und die Vernetzung. Ich sehe genau in diesem Handlungskonzept einen Meilenstein in der Bekämpfung von rechten, von rechtspopulistischen und rassistischen Tendenzen. Ich glaube, dass dieses Handlungskonzept zu einem wichtigen und wesentlichen Beitrag zur Eindämmung von steigender rechtsextremer Gewalt und auch zu einer Diskursverschiebung, die wir momentan erleben, beitragen kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Neben den Maßnahmen, die vom Land gefördert werden und die landesweit arbeiten, braucht es aber auch eine Beratungsstruktur und Aktivitäten vor Ort in den Kommunen. Deshalb haben wir als Fraktionen von SPD und Grünen gesagt, dass wir in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren zwei Millionen Euro Haushaltsmittel zur Verfügung stellen, um genau diese kommunale Struktur vor Ort gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus zu stärken.

Wir wissen, dass die Kommunen sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Natürlich ist eine Stadt wie Köln oder Dortmund anders aufgestellt als zum Beispiel Kommunen vor allem im ländlichen Raum. Genau diese unterschiedlichen Ansätze, die unterschiedlichen Bedarfe werden wir bei diesem kommunalen Stärkungsprogramm natürlich berücksichtigen.

Die Kommunen, die bereits jetzt viel machen, werden wir weiterhin unterstützen, und die Kommunen, in denen momentan vielleicht noch nicht so viel läuft, wollen wir mit diesem Programm ermutigen. So können wir in vielen Orten Handlungskonzepte gegen Rassismus und Rechtsextremismus entwickeln.

Rassismus und Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen sind nicht nur an den Hotspots rechtsextremer Gewalt ein Thema, sondern das findet überall im Lande statt. Deshalb müssen wir mit unserem Programm und mit unseren Ansätzen in die Fläche kommen, um überall Strukturen für Demokratie und für Vielfalt zu entwickeln. Dazu dient dieses gute Programm.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich habe es gerade schon gesagt: Wir haben uns bei den Koalitionsverträgen 2010 und 2012 auf die Erarbeitung eines solchen Handlungskonzepts verständigt. Damals war die Dimension von rechtsextremer Gewalt, von rassistischer, rechtspopulistischer Hetze, wie wir sie momentan erleben, noch nicht abzusehen.

Aber auch damals schon – das muss man ganz klar sagen – sind Menschen Opfer rechtsextremer Bedrohungen und Gewalt geworden. Jüdische Friedhöfe wurden geschändet, wir haben Schmierereien an muslimischen Einrichtungen erlebt. Das war traurige Realität.

2012 mussten wir erleben, dass statistisch gesehen jeden zweiten Tag ein Mensch Opfer rechtsextremer Gewalt wurde. Herr Sternberg, wir reagieren nicht erst jetzt – das ist falsch, wenn Sie das so behaupten –, sondern wir haben seit Regierungsantritt eine Vielzahl an Maßnahmen gegen den organisierten Rechtsextremismus eingeleitet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auf der Ebene der Repression sind beispielsweise im Jahr 2012 vier gewaltbereite Kameradschaften in Nordrhein-Westfalen verboten worden: die Kameradschaft „Aachener Land“, die Kölner Kameradschaft „Walter Spangenberg“, die „Kameradschaft Hamm“ und der „Nationale Widerstand Dortmund“.

Ja, ich weiß, daran gibt es auch Kritik, weil wir uns jetzt mit der Partei Die Rechte neuen Herausforderungen gegenübersehen. Die Verbote dieser Kameradschaften waren jedoch richtig. Und nicht nur das – wir haben im Rahmen der Repression noch vieles mehr gemacht. Wir haben die Sonderkommissionen in den Polizeipräsidien eingerichtet. Wir haben eine eigene Statistik zur allgemeinen Kriminalität von Rechtsextremen eingeführt. Wir haben das Verbotsverfahren der NPD vorangetrieben und unterstützt. Im LKA haben wir eine Taskforce zur Bekämpfung rechter Hetze im Internet gegründet.

Klar ist aber auch, dass wir alleine mit Repression nicht gegen den Rechtsextremismus und Rassismus vorgehen können, sondern wir brauchen auch die Prävention. Deshalb, Herr Stamp, legen wir genau darauf den Schwerpunkt unseres Handlungskonzeptes.

Eines möchte ich noch einmal klar betonen: Auch bei der Prävention fangen nicht erst heute an. Wir haben mit dem Haushalt 2011 schon für die Einrichtung von zwei Beratungsstellen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt gesorgt. Wo war denn damals eigentlich die CDU?

(Beifall von den GRÜNEN)

Die CDU hat damals nicht mitgestimmt, als wir diese Stellen eingerichtet haben.

Wir haben die fünf mobilen Beratungsteams in die Landesförderung aufgenommen und in diesem Jahr im Zusammenhang mit den Themen „Asyl“ und „Flucht“ noch einmal finanziell aufgestockt. Wir haben das Aussteigerprogramm im Verfassungsschutz evaluiert – übrigens mit einem sehr guten Ergebnis. Gleichzeitig haben wir das zivilgesellschaftliche Landesprogramm NinA – auch ein Aussteigerprogramm – in die Landesförderung aufgenommen.

Wir fördern die Antidiskriminierungsbüros. Wir haben das Projekt „Schule ohne Rassismus“ aufgestockt und gestärkt. Ich will noch einmal daran erinnern: In Nordrhein-Westfalen beteiligen sich schon fast 580 Schulen daran; in diesem Jahr sind alleine 60 hinzugekommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das alles haben wir bereits getan, Herr Stamp, und das waren eben nicht CDU und FDP, obwohl es auch schon 2010 und davor massive rechtsextreme Gewalt in Nordrhein-Westfalen gab.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte aber auch noch einmal betonen: Angesichts der aktuellen Entwicklungen, die sich in diesem Themenfeld abzeichnen, sind wir noch lange nicht am Ende, was die Bekämpfung rechtsextremer, rassistischer, rechtspopulistischer Tendenzen angeht. Das wird eine Daueraufgabe bleiben. Wir werden weiter daran arbeiten, weil es uns eben nicht egal ist, wenn Menschen, die hierher geflohen sind – unsere schwarzen Nachbarn oder muslimische Freundinnen und Freunde –, angegriffen oder bedroht werden.

Der Staat hat hier ganz klar die Aufgabe, neben der Repression auch in der Prävention und in der Intervention tätig zu werden und strukturelle Dimensionen von Diskriminierung zu berücksichtigen. Ich bin der Meinung, dass das integrierte Handlungskonzept dafür eine solide Grundlage bietet. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)