Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lürbke, Sie zeichnen hier ein Zerrbild über die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dazu würde ich gerne einmal die Zahlen und Fakten sehen. Da fragt man sich wirklich ernsthaft, was aus der FDP geworden ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Aber um eines von vornherein klarzustellen: Es gibt in Nordrhein-Westfalen keine rechtsfreien Räume. Es gibt sie nicht in Duisburg, es gibt sie nicht in Essen, und es gibt sie auch nicht in Dortmund. Sie von der CDU stigmatisieren hier mit Ihren Vorwürfen, mit Ihrem Antrag einen ganzen Stadtteil in Dortmund. Das finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich unsäglich, Herr Golland.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das wird meines Erachtens auch denjenigen, die vor Ort aktiv sind, die vor Ort gute Arbeit leisten, in keiner Weise gerecht.
Es gibt Probleme in der Dortmunder Nordstadt. Das ist überhaupt keine Frage, und diese Probleme dürfen nicht verharmlost werden, sie müssen angesprochen werden. Sie sind aber so vielschichtig, dass sie aus meiner Sicht nicht allein durch die Polizei zu lösen sind.
Da würde mich auch einmal interessieren, was die Ordnungsdezernentin in Dortmund zu dieser Situation, die Sie hier beschreiben, sagt. Frau Diane Jägers hat ja immerhin Ihr Parteibuch; die Ordnungsdezernentin der Stadt Dortmund ist CDU-Mitglied. Was sagt die denn eigentlich dazu, dass sich angeblich unter ihr ein Stadtteil in Dortmund als No-Go-Area entwickelt? – Da würde mich interessieren, wie Ihre parteiinternen Diskussionen dazu laufen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie beschreiben in Ihrem Antrag, worüber wir hier diskutieren, im Prinzip ja zwei Komplexe. Das ist einmal der konkrete Anlass, und zwar der Einsatz am vergangenen Samstag in der Dortmunder Nordstadt und die Einkreisung der Polizeibeamtinnen und -beamten. Das ist ja das, was wir schon häufiger erleben und was aus meiner Sicht eine gefährliche Entwicklung ist, dass Polizeieinsätze, aber auch Einsätze von Rettungskräften immer häufiger durch eigentlich Unbeteiligte gestört werden, dass es bei solchen Einsätzen Solidarisierungseffekte von solchen Personen gibt, die mit dem eigentlichen Einsatz nichts zu tun haben, die sich aber mit den Personen solidarisieren, gegen die sich die Maßnahmen richten.
Das ist eine gefährliche Entwicklung. Wir haben ja kürzlich erst einen Gesetzentwurf eingebracht und diskutiert, und zwar zum Einsatz von Bodycams.
(Gregor Golland [CDU]: Auf unseren Druck hin! Nach Silvester! – Lächerlich! Jetzt sind Sie Vorkämpfer für die Bodycams!)
Das ist für uns ein Instrument, von dem wir sagen: Das ist eine Möglichkeit, wie man diese Solidarisierungseffekte durchbrechen kann, wie man gegensteuern kann. Wir werden dieses Gesetz auch noch in diesem Jahr, im November, beschließen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das andere, über das wir reden – und das ist vielleicht das Wichtigere bei dieser Debatte –, ist die Dortmunder Nordstadt und sind auch andere Stadtteile und Viertel in anderen Städten im Ruhrgebiet. Ich finde, da muss man einfach sagen, dass dies Orte sind, wo vielfältige Probleme aufeinandertreffen. Da spielen Herkunft und Armut eine Rolle, da spielen Problemimmobilien eine Rolle genauso wie Perspektivlosigkeit, Drogenhandel und vieles mehr. Das muss man sich doch anschauen.
Natürlich muss es eine hohe Präsenz seitens der Polizei geben. Es muss konsequente Ermittlungsarbeit geben, es muss konsequente Strafverfolgung geben. Aber diese sozialen und gesellschaftlichen Probleme, die sich dort zusammenballen, werden Sie doch nicht durch die Polizei alleine lösen können.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Es ist doch naiv zu glauben, dass Polizei alleine die Lösung des Problems ist.
Ich will noch einmal auf den Begriff des rechtsfreien Raumes zurückkommen. Rechtsfreier Raum würde ja bedeuten, dass die Polizei nicht mehr in diese Viertel fährt, dass das Gesetz nicht gilt, dass der Rechtstaat kapituliert hat. Aber das Gegenteil ist doch in der Dortmunder Nordstadt der Fall. Die Polizei ist seit Jahren mit einem Präsenzkonzept der Bereitschaftspolizei vor Ort. Es gibt die Sicherheitskonferenzen. Es gibt die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure des Ordnungsamts, der sozialen Dienste und vieler anderer. Die Staatsanwaltschaft hat einen eigenen Schwerpunkt auf die Dortmunder Nordstadt gelegt und das vor Kurzem bei einem Rundgang mit dem Oberbürgermeister und dem Polizeipräsidenten auch gesagt.
Schauen wir uns einmal die Zahlen und Fakten – darauf sollten wir uns als Politiker doch berufen – für die Dortmunder Nordstadt an: Im ersten Halbjahr 2016 gingen die Straftaten in der Dortmunder Nordstadt zurück. Die Straßen- und Gewaltkriminalität ist um über 10 % gesunken. Die Gesamtzahl der Delikte ist um fast 8 % gesunken. Was heißt das denn, wenn man das einmal auf die einzelnen Delikte herunterbricht, auch für das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger? Die Raubdelikte sind um 36 %, die Taschendiebstähle um 34 % und die Wohnungseinbrüche um 14 % zurückgegangen. Auch die schweren und gefährlichen Körperverletzungen sind um 14 % gesunken.
Meine Damen und Herren, wenn man sich diese Fakten anschaut, muss man wirklich sagen: Diese Zahlen sprechen eine andere Sprache. Aber diese Wahrheit wollen Sie offensichtlich nicht hören, und das ist das eigentlich Fatale an der Diskussion.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das Schlimme und Fatale an Ihrer Politik ist, dass Sie mit Ihrem Reden über die angeblichen Schwächen des Rechtsstaates und über angebliche rechtsfreie Räume in Nordrhein-Westfalen die Falschen stärken. Der WDR veranstaltet heute ein Stadtgespräch zum Thema „Rechtsfreie Räume“; ich glaube, es findet in Essen statt. Ich habe bereits in den sozialen Netzwerken gesehen, dass die AfD sehr massiv genau zu diesem Stadtgespräch hin mobilisiert. Was Sie hier machen, diese Debatte, dieser Antrag – das ist doch Wasser auf die Mühlen genau dieser Rechtspopulisten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Gregor Golland [CDU]: Das ist doch Ihr Wasser auf deren Mühlen! – Gegenruf von Dietmar Bell [SPD]: Anstifter! – Weitere Zurufe und Gegenrufe)
Sie schüren Ängste in der Bevölkerung. Ich sage ganz klar: Probleme benennen, Probleme angehen – ja. Aber populistisch Ängste schüren, das finde ich einfach unsäglich, und das finde ich, ehrlich gesagt, auch unverantwortlich.
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN – Beifall von der SPD)