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Abschlussbericht NSU-Untersuchungsausschuss

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorgestern jährte sich zum elften Mal der Tag, an dem eine junge Frau in meinem Alter ihren Vater verlor. Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kuba?ik grausam ermordet. Er war das achte Mordopfer des rechtsterroristischen NSU.

Heute jährt sich der Todestag von Halit Yozgat. Wir werden Mehmet Kuba?ik und Halit Yozgat und auch die anderen Mordopfer des NSU niemals vergessen.

(Allgemeiner Beifall)

Bereits 2001 und 2004 wurden insgesamt 23 Menschen bei Bombenanschlägen in Köln verletzt, einige von ihnen schwer. Mehmet Kuba?ik und die anderen Opfer wurden deshalb ermordet und verletzt, weil sie nicht in das rassistische Weltbild der Neonazis passten. Doch erst mit der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU wurde klar, wer hinter diesen Verbrechen steckte.

Es macht mich ehrlich gesagt nach wie vor fassungslos, dass eine solche Gruppierung über 13 Jahre im Untergrund agieren und morden konnte, ohne dass sie von den Sicherheitsbehörden aufgedeckt und gestoppt wurde. Den Behörden ist nicht nur die Nichtermittlung des NSU vorzuwerfen, sondern vor allem auch, dass sie die Opfer jahrelang verdächtigten. Das Verhalten der Polizei führte zu einer erneuten Viktimisierung der Opfer, und deshalb spreche ich auch ganz bewusst von einem staatlichen Versagen, das beispiellos ist.

Unser Untersuchungsausschuss war der erste bundesweit, der auch den Opfern eine Stimme gegeben hat. Ich will hier auch noch einmal den Opfern aus der Keupstraße und aus Dortmund danken, dass sie vor unserem Untersuchungsausschuss ausgesagt haben. Gamze Kuba?ik hat sehr eindrücklich von den Folgen der polizeilichen Ermittlungen für ihre Familie berichtet, und ich möchte sie gern zitieren.

– Zitat –: Ich muss sagen, es ist ja schon schlimm, wenn man den Vater verliert. Aber dass man uns dann auch noch den Stolz wegnimmt, das war das Schlimmste für mich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte mich hier noch einmal für die gute Zusammenarbeit bedanken. Dieser Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen, aber besonders den Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, die mich vor allem in der Mutterschutzzeit, aber auch darüber hinaus sehr unterstützt haben. Außerdem möchte ich mich bei den Referentinnen und Referenten bedanken. Vielen Dank für die großartige Arbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Das gemeinsame Aufklärungsinteresse aller Fraktionen im Untersuchungsausschuss ist von enormer Bedeutung. Wir konnten gemeinsam die zahlreichen Fehler der Behörden sowohl bei den Ermittlungen vor der Selbstenttarnung als auch bei den Nachermittlungen herausarbeiten.

Bei dem Anschlag in der Probsteigasse bestehen erhebliche Zweifel daran, dass Mundlos und Böhnhardt die Täter waren. Es gibt zahlreiche Aspekte, die auf eine weitere Person als Mitglied oder als Unterstützer des NSU hindeuten, und dem sind die Behörden aus meiner Sicht bisher nicht ausreichend nachgegangen.

Die Ermittlungen zum Anschlag in der Keupstraße waren faktisch von einer großen Einseitigkeit geprägt. Anhaltspunkte und Hinweise, die auf einen rassistischen Tathintergrund deuteten, wurden kaum verfolgt. Die Hinweise auf Parallelen zum Anschlag in Köln mit der Anschlagserie des David Copeland in London wurden schlicht ignoriert, und auch Zeugenaussagen, die eine Verbindung zur Ceska-Mordserie herstellten, wurde nicht ausreichend nachgegangen.

Auch bei den Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kuba?ik in Dortmund müssen wir leider feststellen, dass es keine konkreten Ermittlungsmaßnahmen in Richtung Rechtsextremismus gab. Die Aussage einer Zeugin, die Junkies oder Nazis gesehen hatte, wurde in puncto Nazis ignoriert.

Ich finde, wir konnten ein wichtiges Ergebnis in Bezug auf Dortmund herausarbeiten. Die zeitliche und räumliche Nähe der Morde an Mehmet Kuba?ik in Dortmund und Halit Yozgat in Kassel ist bemerkenswert. Wir haben hier auch die sehr enge Vernetzung und die Militanz der Neonazi-Szene in Dortmund und Kassel Mitte der 2000er-Jahre nachgewiesen. Das nährt aus grüner Sicht die These, dass es sehr wohl ein lokales Unterstützernetzwerk gegeben hat.

Am haarsträubendsten – das will ich hier noch einmal sagen – waren aus meiner Sicht die Untersuchungen zum Tod des V-Mannes Corelli. Die Verwaltungshaltung des Bundesamts für Verfassungsschutz trägt alles andere als zur Vertrauensbildung bei.

(Vereinzelt Beifall von der SPD, der FDP und den PIRATEN)

Noch schlimmer aber waren die Aussagen der Zeugen. Man wollte Corelli anonym und ohne Nachricht an die Angehörigen bestatten – ganz offenbar, um den unbequemen Fragen aus der Öffentlichkeit auszuweichen. Dazu will ich noch mal sagen, dass ich das Verhalten des Bundesamts für Verfassungsschutz wirklich unglaublich finde.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es – und auch das ist schon deutlich geworden – bei der Bewertung der Ermittlungen eben auch Differenzen unter den Fraktionen. Dass die Ermittlungen in jedem Fall immer nach demselben Muster geführt wurden, dass trotz der verschiedenen Hinweise nicht – oder zumindest nicht ernst zu nehmend – in Richtung Rechtsextremismus ermittelt wurde, dass man immer die Opfer als Mitglieder der organisierten Kriminalität oder verstrickt in Drogenmilieu und Schutzgelderpressung sah – und das, obwohl jegliche Ermittlungen in diese Richtung keine Ergebnisse brachten –, kann ich nicht als eine Aneinanderreihung von Fehlern, Pech, Pleiten und Pannen abtun.

Aus meiner Sicht lässt sich das eben auch nicht dadurch erklären, dass es ein mangelndes Wissen bei den Behörden über rechtsterroristische Konzepte und Organisationen gab. Nach der Definition der britischen Macpherson-Kommission kann ein institutioneller Rassismus in Einstellungen und Verhaltensweisen gesehen und aufgedeckt werden, die durch unwissentliche Vorurteile, Ignoranz und Gedankenlosigkeit zur Diskriminierung führen.

Genau dieser institutionelle Rassismus kommt aus grüner Sicht bei den Ermittlungen zu den NSU-Verbrechen zum Ausdruck. Ich bin der Meinung, dass wir dieses strukturelle Problem thematisieren müssen, damit es nie wieder zu solchen fatalen Fehleinschätzungen im Hinblick auf die Motive der Täter kommen kann.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die Tatsache, dass Konsequenzen aus dem Versagen der Behörden gezogen werden müssen, eint uns. Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, 30 gemeinsame Handlungsempfehlungen zu erarbeiten – und das sehe ich wirklich als großen Wert dieses Untersuchungsausschusses. Die Handlungsempfehlungen reichen von der Unterstützung des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei der Kontrolle des Verfassungsschutzes bis hin zur Finanzierung der Beratungsstruktur gegen Rechtsextremismus und Rassismus.

Es ist unsere gemeinsame Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode, genau diese Handlungsempfehlungen auch umzusetzen. Denn das Problem des Rechtsextremismus, des Rassismus, ist in den letzten zweieinhalb Jahren ja nicht kleiner geworden – im Gegenteil, es ist größer geworden. Ich hoffe und erwarte von uns allen hier, dass die gute Zusammenarbeit, die wir im Untersuchungsausschuss hatten, Bestand hat, und zwar über den Wahltermin hinaus, und dass wir gemeinsam daran arbeiten, diese Handlungsempfehlungen umzusetzen, um gemeinsam gegen Rechtsextremismus und Rassismus auch hier in Nordrhein-Westfalen vorzugehen. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)