Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heribert Prantl hat vor einigen Tagen einen Hilferuf für die Rechtspolitik in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht, in der er schreibt, dass aus seiner Sicht die Rechtspolitik viel zu oft nur noch der inneren Sicherheit dient. Er weist zu Recht darauf hin, dass die Rechtspolitik in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland wichtige gesellschaftspolitische Debatten abgebildet hat. Er sprach von der Debatte über die Wiederbewaffnung, über die rechtliche Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen oder aber der Diskussion über den § 218 Strafgesetzbuch.

Mir persönlich – nicht nur, weil ich Heribert Prantl sehr gut finde – hat dieser Kommentar außerordentlich gut gefallen, weil er deutlich macht, welche Stellung die Rechtspolitik haben sollte und dass die Rechtspolitik sich natürlich aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen annehmen und sich damit auseinandersetzen muss, um eben Recht und Instrumente der Rechtsdurchsetzung weiterzuentwickeln. Das ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker.

Dazu gehört selbstverständlich auch die Frage, wie man das Recht von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber Unternehmen durchsetzen kann. Es ist ja nicht so, dass es heute noch dieses direkte Verhältnis vom Verbraucher gegenüber der Besitzerin des Tante- Emma-Ladens gibt, die sich im Streitfall auf Augenhöhe vor Gericht begegnen. Wir haben heute eine Situation, dass Verträge mit Unternehmen abgeschlossen werden, deren AGBs von hochspezialisierten, hochbezahlten Rechtsabteilungen bzw. Rechtsanwälten erarbeitet werden.

Für die einzelne Verbraucherin oder den einzelnen geschädigten Verbraucher geht es dabei um rechtswidrige AGBs und Vertragsänderungen, um Täuschungen und Tricksereien in Verträgen und bei Produkten. Es ist so, dass vielleicht der Schaden für den einzelnen Betroffenen sehr gering ist, vielleicht nur wenige Euro beträgt. Dann stellt man sich als Verbraucherin und Verbraucher natürlich die Frage: Gehe ich jetzt wegen einer Schadenssumme von 3 € oder von 30 € vor Gericht? Tue ich mir das an, die Arbeit, die Zeit, die Mühe, die ich damit habe, weil mich die Stadtwerke betrogen haben oder weil mich ein Anbieter einer App betrogen hat?

Ich behaupte – und es gibt sogar Untersuchungen dazu –, dass die wenigsten sich tatsächlich die Arbeit und die Mühe machen, den Rechtsweg zu beschreiten, zumal die Prozesskosten oftmals um ein Vielfaches höher sind als der Schaden selbst. Wenn nur 100.000 Verbraucherinnen und Verbraucher wegen 30 € eben nicht klagen, dann mögen diese 30 € für jeden Einzelnen von uns nicht viel Geld sein, aber für das Unternehmen ist es schon eine gewaltige Summe, die da zusammenkommt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Punkt ist doch, dass die Unternehmen durchaus damit rechnen und kalkulieren, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher eben nicht vor Gericht gehen und sich somit die Summe nicht einklagen. Ich finde, es kann nicht sein, dass Unternehmen nichts zu fürchten haben. Es geht mit Blick auf das Rechtsempfinden in unserem Rechtsstaat einfach nicht, dass Unternehmen so handeln. Hier müssen wir die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kehrl, wenn Sie sagen, die Bundestagsfraktion der CDU habe bereits 2016 ein Eckpunktepapier dazu vorgelegt, dann entschuldigen Sie: Die grüne Bundestagsfraktion hat bereits im Jahr 2014 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Und deshalb, Herr Mangen, kann man hier auch nicht von Schnellschüssen reden. Die Debatte gibt es seit etlichen Jahren, es gibt mehrere Gesetzentwürfe dazu. Also, hier von einem Schnellschuss zu reden, finde ich doch ziemlich daneben.

Die grüne Fraktion ist mit einem Vorschlag in den Bundestag gegangen und hat gesagt, sie wolle eine Gruppenklage einführen. Sie will, dass Verbraucherinnen und Verbraucher selbst zu Prozessbeteiligten werden und das Urteil direkt für oder gegen sie wirkt, ohne dass weitere Prozesse erforderlich sind. Dann könnten auch direkt im Verfahren Anträge auf Zahlung von Schadenersatz gestellt werden. Leider – und das ist auch nicht sehr überraschend – wurde dieser Gesetzentwurf von der Großen Koalition, also von SPD und CDU, im Deutschen Bundestag abgelehnt.

Nichtsdestotrotz finde ich – auch wenn wir Grüne eigentlich weitergehen wollten, als Heiko Maas es in seinem Entwurf vorgeschlagen hat –, dass auch die Musterfeststellungsklage immerhin schon ein Schritt nach vorne wäre, ein Erfolg für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich habe es heute noch einmal nachgelesen – und auch die Tagesschau hat es gemeldet –, dass derzeit bei den Jamaika-Verhandlungen über dieses Thema diskutiert wird. Wenn wir es wirklich schaffen, dass eine Musterfeststellungsklage Bestandteil eines Koalitionsvertrages in Berlin wird, dann wäre das aus meiner Sicht eine deutliche Stärkung des Verbraucherschutzes und der kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten in Deutschland.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Biesenbach, sie werden gleich als Minister hier Stellung beziehen müssen zum Antrag der SPD. Ich hoffe, dass Ihre Position nicht wieder so windelweich und so wie ein Wackelpudding sein wird wie bei unserem Antrag zum Thema Schwarzfahren, wo Sie sich ja total aus der Affäre gezogen und eigentlich überhaupt nichts Inhaltliches gesagt und sich auch nicht positioniert haben. Also, positionieren Sie sich hier bitte schön, und positionieren Sie sich für einen starken Verbraucherschutz!

Ich glaube, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen schuldig. – Vielen Dank.