Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war letzte Woche beim grünen Kinoabend meines Kollegen Arndt Klocke, der den Film „Die Unsichtbaren – Wir wollen leben“ gezeigt hat. In dem Film geht es um vier junge jüdische Menschen, die der Shoah entkommen, indem sie sich unter sehr widrigen Umständen in Berlin verstecken.

Ich kann den Film allen, die ihn noch nicht gesehen haben, nur sehr empfehlen. Denn dieser Film regt sehr zum Nachdenken an und wirft die Frage auf: Wie hätte ich mich eigentlich als Teil der Mehrheitsgesellschaft in der Zeit des Nationalsozialismus gegenüber verfolgten Minderheiten verhalten?

In der anschließenden Diskussion stand eine ältere Dame auf – selbst Jüdin – und wies darauf hin, dass aus ihrer Sicht jüdisches Leben viel zur oft nur auf die Zeit von 1933 bis1945 verkürzt würde, aber die sehr reichhaltige deutsch-jüdische Geschichte vor 1933 in Vergessenheit gerate. Ich glaube, da ist etwas dran.

Ich darf sicher auch für uns alle hier im Haus sagen, dass wir als Demokratinnen und Demokraten froh darüber sind, dass es wieder jüdisches Leben in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen gibt. Es gibt jüdische Institutionen, von der Kita bis zum Altenheim; es gibt ein jüdisches Gymnasium hier in Düsseldorf. Jüdische Menschen gehören wieder ganz selbstverständlich zu unserer Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Meine Vorrednerin hat sich schon ähnlich geäußert, und auch ich würde mich freuen, wenn wir im Jahr 2018 nicht einen solchen Antrag bräuchten und wir nicht darüber nachdenken müssten, einen Antisemitismusbeauftragten einzusetzen. Die traurige Realität ist jedoch, dass Jüdinnen und Juden zum Ziel von antisemitischen Angriffen und von Alltagsdiskriminierung werden. Der Antisemitismus ist in der Mitte unserer Gesellschaft verankert.

Es gibt historische Kontinuitäten des Antisemitismus. Es gibt Neonazis, es gibt neurechte Strömungen, die die Gewaltverbrechen der Nationalsozialisten verharmlosen und eine 180- Grad-Wende in der Erinnerungskultur fordern. Es gibt einen israelbezogenen Antisemitismus, auch in linken Kreisen, der Kritik an der Politik Israels übt und diese Kritik pauschal gegen alle Jüdinnen und Juden wendet und diese für israelisches Regierungshandeln verantwortlich macht. Israelbezogen ist auch der Antisemitismus bei Menschen mit palästinensischem oder arabischem Hintergrund, der insbesondere dann, wenn sich die Situation im Nahostkonflikt wieder zuspitzt, neu entflammt.

Eines muss uns klar sein, nämlich dass wir gegen jede Spielart dieses Antisemitismus, egal aus welcher politischen Motivation er stammt, gemeinsam vorgehen müssen und ihn niemals tolerieren dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Aus meiner Sicht muss die oder der Antisemitismusbeauftragte Ansprechpartner sein für die vielen und unterschiedlichen Facetten: für die jüdischen Gemeinden zur Unterstützung des vielfältigen jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen, vor allem aber für die Betroffenen antisemitischer Diskriminierung sowie für die vielen Institutionen und Behörden, die sich gegen Antisemitismus wenden.

Die oder der Antisemitismusbeauftragte soll die Maßnahmen gegen Antisemitismus bündeln und koordinieren. Damit es auch etwas zu bündeln und zu koordinieren gibt, dürfen wir nicht bei der Einrichtung dieser Stelle stehenbleiben, sondern wir brauchen Maßnahmen gegen Antisemitismus in vielen verschiedenen Bereichen. Ich will kurz drei Bereiche ansprechen.

Erstens: die Erfassung der Straftaten. Letztes Jahr wurden 324 antisemitische Straftaten in Nordrhein-Westfalen von der Polizei erfasst. Das ist ein Anstieg von 9 % gegenüber dem Vorjahr. Dieser Anstieg ist erschreckend. Aber wir wissen auch, dass das Dunkelfeld wahrscheinlich sehr viel höher ist, weil nicht alle Straftaten zur Anzeige gebracht werden und weil angezeigte Straftaten nicht unbedingt in der Statistik auftauchen.

Deshalb ist es aus meiner Sicht unerlässlich, dass wir eine Dunkelfeldstudie brauchen, die genau das aufarbeitet, die das wahre Ausmaß von Antisemitismus und auch die politischen Hintergründe für die Taten aufzeigt, damit es möglich ist, konkret Maßnahmen zu entwickeln und dagegen vorzugehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Zweitens: der Bereich „Schule“. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder von furchtbaren antisemitischen Vorfällen auf Schulhöfen lesen müssen. Das ist so nicht hin- nehmbar. Es sind vor allem die Lehrerinnen und Lehrer, die sehr konkret damit konfrontiert werden und mit diesen Situationen umgehen müssen.

Daher ist es aus meiner Sicht wichtig – das ist die Aufgabe des Schulministeriums –, Handlungsempfehlungen für Lehrerinnen und Lehrer, für pädagogische Fachkräfte in der Schule und in der Jugendarbeit zu entwickeln, um dort mit Antisemitismus und Diskriminierung ganz konkret umgehen zu können.

Ich möchte mich Frau Müller-Witt anschließen. Wir sollten nicht den Fehler machen, immer nur über Antisemitismus bei Kindern und Jugendlichen zu reden. Denn wir wissen auch aus der Einstellungsforschung, dass Antisemitismus und andere menschenverachtende Einstellungen gerade in der älteren Bevölkerung stärker vertreten sind als bei Jugendlichen. Also müssen wir alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen ansprechen, wenn wir in der Bekämpfung des Antisemitismus erfolgreich sein wollen.

Drittens: die Frage, wie wir Betroffene unterstützen können. Im vergangenen Herbst wurde die Antidiskriminierungsstelle Sabra der jüdischen Gemeinde Düsseldorf eröffnet. Das ist eine Antidiskriminierungsstelle, die vom Land gefördert wird. Solche Angebote sind enorm wichtig, weil sie Betroffene von Antisemitismus, Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung unterstützen, beraten und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind, sondern dass sie von dieser Gesellschaft unterstützt werden.

Mir ist im Gespräch mit Sabra eines deutlich geworden: Die Mitarbeiterinnen dieser Beratungsstelle sagen selbst, dass die Antidiskriminierungsarbeit insgesamt eine wichtige Bedeutung hat. Das ist der Punkt. Wir wissen aus der Einstellungsforschung, dass menschenverachtende Einstellungen sich bedingen; dass jemand, der homophob ist, eher dazu neigt, auch antisemitisch zu sein; dass jemand, der rassistisch ist, eher dazu neigt, auch islamfeindlich zu sein.

Deshalb muss uns natürlich die Bekämpfung des Antisemitismus am Herzen liegen – und sie liegt uns am Herzen. Wir müssen aber darüber hinausgehen. Wir werden Antisemitismus und andere menschenverachtende Einstellungen nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn wir sie alle in den Blick nehmen und die Bekämpfung angehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aus meiner Sicht muss sich eine demokratische Gesellschaft immer auch daran messen lassen, wie wir mit den Minderheiten in unserer Gesellschaft umgehen. Jeder Angriff auf einen Menschen aufgrund seiner Religion, Herkunft, Sexualität ist ein Angriff auf diese demokratische Gesellschaft. Das dürfen und werden wir als Demokratinnen und Demokraten nicht hinnehmen.

Für mich ist die Einrichtung dieser Stelle ein wichtiger Schritt, den wir heute gemeinsam gehen. Ich bin froh, dass wir gemeinsam einen fraktionsübergreifenden Antrag stellen.

Es ist ein erster Schritt. Ich fordere Sie auf – das schaffen wir zusammen auch –, gemeinsam weitere Schritte auf dem Weg gegen Antisemitismus, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu gehen, damit wir den Kampf erfolgreich führen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)