Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Katzidis, Herr Reul, die 100 zusätzlichen Stellen bei der Polizei begrüßen wir ausdrücklich; das habe ich bereits im Innenausschuss gesagt. Sie setzen damit eine Linie fort, die wir unter Rot-Grün begonnen haben. Es ist, gerade wenn mehr Geld zur Verfügung steht, nur richtig, das auch weiterzuführen. Insofern haben Sie hier die Unterstützung der Grünen.

Hierzu haben wir, Herr Katzidis, wie Sie das gerade sehr unredlich dargestellt haben, keine Änderungsanträge gestellt. Wir haben Änderungsanträge gestellt, aber sicherlich nicht zu den 100 Stellen. Ganz im Gegenteil, diese begrüßen wir.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch dass Sie 500 Regierungsbeschäftigte einstellen wollen, halte ich für eine gute Idee. Das haben wir im Ausschuss immer so kommuniziert. Nur finde ich es immer lustig, wenn Sie sich dafür hier loben. Denn wir haben mal nachgefragt, wie viele von den 500 im letzten Jahr eingestellt worden sind. Bis zum 01.10.2018 waren gerade einmal 370 Stellenäquivalente besetzt.

(Zurufe von der CDU – Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Ja, Herr Katzidis, auch das gehört zur Wahrheit, wenn man hier von der Schaffung von 500 neuen Stellen spricht. Wenn sie nicht besetzt sind, sind sie nicht da und helfen der Polizei auch nicht. Ich finde, das muss man hier richtigerweise darstellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und weil Sie auf die Abgänge infolge von Pensionierungen hingewiesen haben: Ja, genau das ist das Problem.

Ja, wir haben bei der Polizei eine hohe Zahl von Abgängen durch Pensionierung, weshalb da auch ein Loch entstanden ist und weshalb wir auch in der rot-grünen Regierungszeit mehr Personen eingestellt haben. Worauf ist dieses Loch denn zurückzuführen? Das geht auf die schwarz-gelbe Regierungszeit von 2005 bis 2010 zurück.

(Beifall von den GRÜNEN)

In dieser Zeit haben Sie nämlich weniger Personal eingestellt, da sind die Lücken durch Pensionierung entstanden. Das ist doch genau das Problem, vor dem wir jetzt stehen.

Ich will aber auch noch einmal – ich finde, dazu eignet sich eine Haushaltsdebatte sehr gut – …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, Entschuldigung, dass ich Sie jetzt unterbreche. Herr Dr. Katzidis würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Verena Schäffer (GRÜNE: Bitte.

Dr. Christos Georg Katzidis (CDU): Kollegin Schäffer, ist es nicht zutreffend, dass von 2003 auf 2004 die Einstellungszahlen von 1.090 jährlich auf 500 reduziert worden sind? Und ist es nicht zutreffend, dass in der Zeit von Ministerpräsident Rüttgers die Einstellungszahlen von 500 auf 1.100 erhöht worden sind? Ist das zutreffend oder ist das nicht zutreffend?

(Beifall von der CDU)

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Katzidis, gucken Sie sich bitte noch einmal die Berechnungen an, über die wir im Innenausschuss bereits diskutiert haben.

(Dr. Christos Georg Katzidis [CDU]: Ist es zutreffend? Ja oder nein?)

– Es ist so, dass zwischen 2005 und 2010 weniger eingestellt wurde. Dadurch ist ein Defizit entstanden. Auch ist es richtig, dass davor schon unter Rot-Grün die Zahlen reduziert wurden. Das geschah aber in Verbindung mit der Erhöhung der Arbeitszeit. Das heißt, dass die zur Verfügung stehende Stundenanzahl der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten unter Rot- Grün gleichgeblieben ist. Sie müssen das ins Verhältnis zu den Arbeitsstunden setzen, die damals geleistet wurden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die sind erhöht worden. Insofern gab es da keine Reduzierung.

Unter Schwarz-Gelb aber ist damals die Zahl der Einstellungen bei der Polizei abgesenkt worden. Deshalb haben wir dieses – ich nenne es einmal so – Pensionsloch. Das können Sie in allen dem Innenministerium vorliegenden Berechnungen noch mal nachlesen, Herr Katzidis. Wenn Sie das machen, werden Sie sicherlich zum selben Ergebnis kommen wie ich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte die Haushaltsdebatte gerne nutzen, um den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie den Einsatzkräften bei Feuerwehr und Bevölkerungsschutz – die Menschen insbesondere beim Bevölkerungsschutz arbeiten dort ehrenamtlich – auch von grüner Seite herzlichen Dank zu sagen. Ich finde, es gehört sich so, zum Ende des Jahres denjenigen Danke zu sagen, die immer zur Verfügung stehen und auch dann im Einsatz sind, wenn wir unter dem Weihnachtsbaum sitzen oder am Wochenende bei der Familie sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme auf den Haushalt zurück: Der Haushaltsentwurf zeichnet die politische Linie von Schwarz-Gelb nach. Sie wollen hier in zwei Wochen das Polizeigesetz verabschieden. Die Mittel für die Umsetzung dieses Gesetzes stellen Sie – natürlich ist das konsequent – in dem hier zur Diskussion stehenden Haushalt zur Verfügung. Darauf beziehen sich übrigens, Herr Katzidis, unsere Änderungsanträge. Wenn Sie hier am Rednerpult redlich gewesen wären, hätten Sie das auch so gesagt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Unsere Haushaltsänderungsanträge beziehen sich genau auf die Mittel, welche für die Umsetzung des Polizeigesetzes, welches wir in erheblichem Umfang kritisieren, gebraucht werden. Ich gehe gerne auf die einzelnen Punkte ein:

Stichwort „Bodycams“: Sie haben hier gerade gesagt, dass Sie beschließen wollen, im Haushalt 4,5 Millionen Euro zur Beschaffung von 4.200 Bodycams bereitzustellen. Dabei ist noch nicht einmal die Evaluation fertig. Und der Innenminister konnte auf meine Nachfrage im Innenausschuss die Frage nicht beantworten, wie die 4.200 Geräte auf die Kreispolizeibehörden verteilt werden sollen. Dafür gibt es überhaupt keine Planung.

Ich will noch einmal auf den Zwischenbericht zu den Bodycams hinweisen. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass es durchaus sein kann, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die Bodycams tragen, im Vergleich zu solchen ohne Bodycams häufiger Opfer von Angriffen werden. Solche Ergebnisse müssen wir doch, meine ich, ernst nehmen. Wir alle haben doch dasselbe Ziel, nämlich die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten schützen zu wollen.

(Zuruf von der CDU)

In der rot-grünen Regierungszeit haben wir die Rechtsgrundlage für Bodycams geschaffen. Auch wir wollen diese Bodycams; aber wir wollen sie nur, wenn sie auch wirklich für Sicherheit sorgen. Alles andere wäre doch kontraproduktiv. Das kann doch keiner von uns wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb bin ich der Meinung, Herr Golland, dass wir die Evaluation abwarten müssen. Dass Sie von Schwarz-Gelb nicht wirklich Interesse an Evaluation haben, sehen wir gerade beim Tierschutzverbandsklagerecht. Ich finde das sehr bedauerlich. Politik sollte, wie ich finde, nicht auf der Grundlage von Bauchgefühl gemacht werden. Vielmehr brauchen wir, bevor wir solche Mittel einführen, diese Evaluation und wissenschaftliche Erkenntnisse, weil Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten durch diese Mittel wirklich geschützt werden sollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweites Stichwort „Ausweitung der Videobeobachtung“: Dafür sehen Sie 2 Millionen Euro vor. Die bisherige Regelung des § 15a Polizeigesetz tragen wir als Grüne mit. Er entstammt ja der Zeit rot-grüner Regierungsverantwortung. Wir haben auch die Verlängerung im Sommer dieses Jahres mitbeschlossen, weil wir § 15a mit den gegebenen Voraussetzungen richtig finden. Sie planen jetzt aber mit dem neuen Polizeigesetz eine Ausweitung, die von Sachverständigen in der Anhörung als „uferlos“ bezeichnet wurde. Ich sehe das genauso, denn die geplante Gesetzesänderung sieht im Prinzip vor, dass man an allen Orten in Nordrhein-Westfalen eine polizeiliche Videobeobachtung durchführen kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist aus unserer Sicht nicht mehr verhältnismäßig. Deshalb haben wir hierzu unseren Änderungsantrag auf Reduzierung der Mittel gestellt.

Drittens geht es um die Fußfessel. Sie wollen im Haushaltsplan 1,1 Millionen Euro für die elektronische Aufenthaltsüberwachung festschreiben und dem Innenministerium zur Verfügung stellen. – Auch die Fußfessel stellt einen tiefen Eingriff in unsere Grundrechte dar. Sie soll schon bei Personen angewandt werden, die noch gar keine Straftaten begangen haben, wo wir uns also weit im Vorfeld von Straftaten befinden. Wir sprechen dabei über eine Prognose darüber, ob möglicherweise Straftaten irgendwann – in einem überschaubaren Zeitraum passieren könnten. Genau so reichlich unkonkret ist es in Ihrem Gesetzentwurf formuliert worden. Die Effektivität ist nicht gesichert. Wir sind uns sogar einig darüber, Herr Reul, dass man mit keiner Fußfessel der Welt einen Terroranschlag wird verhindern können.

Ich will noch auf eines hinweisen, Herr Reul: Heute steht in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview von Ihnen. Das war das Erste, was ich heute Morgen gelesen habe. Ich würde gerne daraus zitieren:

„Der Verfassungsschutz hat nachrichtendienstliche Mittel, die Polizei nicht. Dafür hat die Polizei exekutive Befugnisse. Die hat der Verfassungsschutz nicht. Das ist ein gut ausbalanciertes System.“

Das leiten Sie dann auch noch historisch her; denn das Trennungsgebot in Hinblick auf Polizei und Verfassungsschutz ist unter Berücksichtigung der deutschen Geschichte eingeführt worden. Es ist aus meiner Sicht auch richtig und gut, dass wir dieses Trennungsgebot haben.

Herr Reul, es ist nur so: Mit diesem Polizeigesetz weichen Sie genau dieses auf historischen Gründen beruhende Trennungsgebot auf.

Das ist so, wenn Sie der Polizei in Zukunft Befugnisse geben, mit denen sie schon weit im Vorfeld tätig werden kann. Das betrifft die Beobachtung von Bestrebungen bestimmter Gruppierungen bzw. Personen, die noch gar keine Straftaten begangen und diese noch nicht einmal geplant haben. Diese Beobachtung wäre schon dann möglich, wenn es lediglich eine Prognose gibt, dass diese Gruppen bzw. Personen irgendwann Straftaten begehen könnten. Eine solche Beobachtung aber ist Aufgabe des Verfassungsschutzes. Damit weichen Sie das Trennungsgebot auf.

Wenn Sie das, was Sie im heute veröffentlichten Interview der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt haben, wirklich ernst nehmen würden, Herr Reul, müssten Sie konsequenterweise das Polizeigesetz in der Form zurücknehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ macht noch einmal ganz deutlich: Offenbar – das wurde auch schon in der Anhörung zum Polizeigesetz von einem Sachverständigen so benannt – ist hier die Reform des Verfassungsschutzes geplant. Sie wollen die ganze Bandbreite beobachten. Dazu, Herr Reul, möchte ich Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie das machen, dann leiten Sie einen Paradigmenwechsel beim Verfassungsschutz ein.

Wir haben nach der Aufdeckung des NSU hier wie auch in allen anderen deutschen Parlamenten sehr intensiv darüber diskutiert, welche Aufgaben der Verfassungsschutz haben soll und haben darf. Danach haben wir 2013 die Reform des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen vollzogen. Diese war Vorbild für viele andere Gesetze in anderen Bundesländern. Wir haben damals betont, den Verfassungsschutz auf die wirklich gewaltbereiten, gewaltbefürwortenden und verfassungsfeindlichen Bestrebungen, Gruppierungen und Bewegungen konzentrieren zu wollen. Wenn Sie das jetzt aufweichen wollen, dann nehmen Sie hier einen Paradigmenwechsel vor.

Herr Reul, Sie haben es bislang nach eineinhalb Jahren im Regierungsamt noch nicht einmal geschafft, die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses in Nordrhein-Westfalen umzusetzen. Wenn Sie jetzt anfangen, schon wieder an neuen Gesetzen zu schrauben, dann finde ich das wirklich unhaltbar. Fangen Sie erst einmal damit an, die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Ich glaube, dann wären wir in Nordrhein-Westfalen in der Terrorismusbekämpfung ein ganzes Stück weiter.

(Beifall von den GRÜNEN)