Herkunftsnennung bei der Strafverfolgung
Rede zum Antrag der „AfD“-Fraktion zur Herkunftsnennung bei der Strafverfolgung
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lürbke hat schon einige Gründe dafür genannt, warum Herr Reul die Debatte über die Nennung von Nationalitäten von Tatverdächtigen angestoßen hat. Ich glaube, Herr Reul hat das aus einem durchaus ehrenwerten Grund getan.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Reul, ging es Ihnen darum, den Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern den Wind aus den Segeln zu nehmen und proaktiv Transparenz über die Hintergründe eines mutmaßlichen Täters herzustellen. Dabei kann ich Ihnen, Herr Reul, nicht ganz folgen. Ich bin der Meinung, dass man mit der Nennung der Staatsangehörigkeit in Pressemitteilungen dieses Ziel nicht ganz erreichen kann. Darüber kann man aber durchaus diskutieren. Wir sind einfach unterschiedlicher Meinung.
Warum sind wir Grüne anderer Meinung?
Erstens will ich Ihnen sehr deutlich sagen, dass die Polizei die Hintergründe von Tätern überhaupt nicht verschleiert. Im Gegenteil, sie werden transparent benannt. Die Polizei steht auch für Rechtsstaatlichkeit und Transparenz. In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird heute schon selbstverständlich auch die Staatsangehörigkeit von mutmaßlichen Tätern aufgeführt. Insofern gibt es hier überhaupt keine mangelnde Transparenz.
Wir haben ein anderes Problem bei der Polizeilichen Kriminalstatistik, und darauf sollte man hinweisen, weil es auch durch die Veröffentlichung von Pressemitteilungen nicht besser wird. Das Problem bei der Polizeilichen Kriminalstatistik besteht ähnlich wie bei Pressemitteilungen darin, dass wir über Eingangsstatistiken reden. Wir reden immer über mutmaßliche Täter, aber nie darüber, was im Verlauf mit diesen Tätern passiert, ob die Tat wirklich nachgewiesen wird, ob es zu einer Verurteilung kommt usw. usf.
Deshalb müssen wir die Polizeiliche Kriminalstatistik, aber auch Pressemitteilungen der Polizei mit einer gewissen Vorsicht genießen, auch wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik, die – das will ich hier deutlich sagen – Merkmale wie Staatsangehörigkeit, Geschlecht oder Alter aufführt, durchaus ein valideres Analyseinstrument ist als eine Pressemitteilung der Polizei. Das ist, glaube ich, wichtig zu verstehen.
Zweitens. Warum sind wir Grüne gegen die Nennung der Staatsangehörigkeit in Pressemeldungen? Weil die AfD und andere Verschwörungstheoretiker sich mit der Nennung der Staatsangehörigkeit nicht zufriedengeben. Das zeigt auch dieser Antrag: Die AfD fordert darin explizit, dass man auch noch den Migrationshintergrund nennen soll. Sie bleibt nicht bei der Staatsangehörigkeit, sondern will weitergehen. Das zeigt doch sehr deutlich, worum es der AfD eigentlich geht: Es geht darum, Hass und Hetze gegenüber Zugewanderten und Flüchtlingen zu verbreiten.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Christian Loose [AfD])
Ich möchte noch einmal auf die Studie mit dem Titel „Wie häufig nennen Medien die Herkunft von Tatverdächtigen?“ aus Dezember 2019 verweisen. Wir haben im Ausschuss bereits dar- über diskutiert. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der mediale Blick auf Straftaten und auf Straftäter durch die Nennung der Staatsangehörigkeit nur noch verzerrter wird.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2018 besagt, dass ungefähr 69 %, sagen wir: 70 %, aller mutmaßlichen Täter von Gewaltdelikten Deutsche und nur ungefähr 30 % Nichtdeutsche waren. In den Zeitungsberichten wird aber etwas anderes wiedergegeben. Nur bei 3 % der deutschen Tatverdächtigen wird die Staatsangehörigkeit genannt, aber bei 41 % der ausländischen Tatverdächtigen. Die Berichterstattung kehrt die Erkenntnisse der Polizei also komplett um. Das ist natürlich gefährlich, weil dies im hohen Maße dazu geeignet ist, eine rassistische Stimmungsmache gegen Migrantinnen und Migranten zu schüren. Deshalb muss man da sehr vorsichtig sein.
Der dritte Grund, warum wir Grüne die pauschale Nennung der Staatsangehörigkeit ablehnen, ist: Wir meinen, dass die Polizei am besten beurteilen kann, wann die Nennung der Staatsangehörigkeit zur Einordnung der Tat sinnvoll ist und wann nicht. Die Polizei kann schon heute die Staatsangehörigkeit nennen, wenn es relevant ist, um die Tat einzuordnen und zu verstehen.
Mit der Änderung des Erlasses, dass bei jeder Tat grundsätzlich immer die Staatsangehörigkeit genannt werden soll, wälzen Sie, Herr Reul, die Verantwortung über den Umgang mit dieser Information auf Journalistinnen und Journalisten ab.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich habe zwar ein großes Vertrauen in Medienvertreter, aber ich meine, dass die Verantwortung, zu entscheiden, wann die Staatsangehörigkeit genannt wird, wann sie relevant für die Tat ist und wann nicht, in den Händen der Polizei belassen werden sollte, weil sie dies am besten beurteilen kann. Diese Verantwortung dürfen wir nicht an Journalistinnen und Journalisten abwälzen, die ohnehin unter Zeitdruck stehen.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Verena Schäffer (GRÜNE): Und deshalb – mein letzter Satz – bitte ich darum, dass wir uns in den Ausschüssen noch einmal wirklich sachlich mit der Thematik befassen. Ich bitte auch die verantwortlichen Ministerien darum, sich das noch einmal sehr genau und sachlich anzu- schauen,
(Vizepräsidentin Carina Gödecke räuspert sich vernehmlich.)
sich noch einmal mit den Argumenten auseinanderzusetzen und den Erlass der Polizei nicht zu ändern. Ich meine, es gibt genug Argumente dagegen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)