Extremistische Tendenzen der Seicherheitsbehörden in NRW

Meine Rede zu extremistischen Tendenzen der Sicherheitsbehörden in NRW

 

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh, dass in die Diskussion über wissenschaftliche Studien zu Einstellungen in der Polizei endlich ein bisschen Bewegung kommt, auch wenn der Minister jetzt nur Teilaspekte untersuchen will.

Ich möchte gerne noch einmal an die Debatte in der letzten Plenarrunde erinnern. Da sagte der Innenminister – Zitat –:

„Ich denke nur nicht, dass es eine große weltumfassende Studie bringt – am besten noch von einem Professor, der vorher schon weiß, was nachher herauskommt, und bei der es wahrscheinlich nur darum geht, sie zu finanzieren.“

Herr Minister, ich finde, das war nicht nur wissenschaftsfeindlich, sondern Sie haben sich da ganz offenbar in etwas verrannt, aus dem Sie jetzt gesichtswahrend wieder herauskommen müssen. Wir kennen das ja.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Minister, wir helfen Ihnen da sehr gerne. Die Fraktionen von CDU und FDP müssen einfach unserem Antrag zustimmen. Dann gibt es einen sehr klaren Handlungsauftrag vom Parlament. Dann sind Sie raus. Dann können Sie sagen: Das Parlament hat mich beauftragt. – Und dann können wir diese Studie machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bitte stimmen Sie deshalb dem Antrag zu. Helfen Sie damit auch dem Minister.

Wenn es Aussagen gibt, denen in Studien von Befragten zugestimmt wird, wenn Aussagen wie – Zitat – „Die Weißen sind führend in der Welt“ eine Zustimmung von über 10 % bekommen, wenn die Aussage – Zitat – „Juden haben in Deutschland zu viel Einfluss“ über 8 % Zustimmung erhält oder wenn die Aussage „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ über 17 % Zustimmung in Studien erfährt, dann muss man festhalten, dass wir ein Problem mit rassistischen, mit antisemitischen, mit islamfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft haben.

Man könnte das noch mit weiteren Aussagen fortführen. Ich will darauf hinweisen, dass diese Ergebnisse aus der letzten Einstellungsstudie von Andreas Zick, Beate Küpper und vielen anderen mit dem Titel „Verlorene Mitte – feindselige Zustände …“ stammt.

Das ist übrigens genau die Studie, die von vielen jetzt zum Thema „Einstellungen in der gesamten Gesellschaft“ gefordert wird. Diese Studien gibt es seit vielen Jahren. Wir wissen, dass wir ein Problem in der Mitte der Gesellschaft haben.

Dass rassistische und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen nicht mit dem Einloggen mit dem Chip von behördlichen Zeiterfassungssystemen morgens an der Behördentür abgelegt werden, sondern in den öffentlichen Dienst und auch in die Sicherheitsbehörden mitgenommen werden, muss jedem klar sein.

Das Problem ist allerdings: Gerade der öffentliche Dienst ist an unsere Verfassung gebunden. Der Staat darf niemanden diskriminieren. Er muss aktiv für einen Diskriminierungsschutz sorgen.

Gerade bei den Sicherheitsbehörden – bei der Polizei, beim Verfassungsschutz – können rassistische und rechtsextreme Einstellungen zu fatalen Fehleinschätzungen führen. Wenn Einstellungen Einfluss auf Ermittlungen nehmen und Opfer kriminalisiert werden, wie wir es am Fall des NSU erlebt haben, wenn rassistisch oder antisemitisch motivierte Straftaten nicht als solche erkannt werden, wenn rassistische Positionen möglicherweise zu einer Blindheit führen, die eine Verharmlosung der rechtsextremen Szenen zur Folge hat, schwächt das das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Das führt dann auch dazu, dass sich bestimmte Gruppen nicht mehr an die Polizei wenden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das darf nicht sein, weil alle Menschen darauf vertrauen können müssen, dass sie unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und anderen Merkmalen von unserer Polizei geschützt werden. Deshalb sind diese Einstellungen in der Polizei und im Verfassungsschutz unter keinen Umständen zu dulden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie sind auch nicht zu dulden – das möchte ich noch einmal explizit benennen –, weil es um den Diskriminierungsschutz innerhalb der Behörde geht, weil es darum geht, dass Beschäftigte innerhalb der Behörde, die selbst einer Minderheit angehören, nicht diskriminiert werden dürfen.

Unsere Polizei wirbt um Vielfalt. Sie wirbt damit, dass sie die Vielfalt dieser Gesellschaft abbildet. Das muss so bleiben, weil wir diese Vielfalt der Gesellschaft auch in den Behörden brauchen und dafür werben müssen.

Ja, Herr Minister, selbstverständlich wird und kann eine Studie zu Einstellungsmustern in der Polizei keine Zauberlösung sein. Das sagt auch niemand. Aber eine Studie kann wichtige Erkenntnisse liefern, auf denen wir Gegenmaßnahmen aufbauen können und nachsteuern können, um Gegenmaßnahmen zu verbessern.

Meines Erachtens zeigen die bekannt gewordenen Fälle beim Verfassungsschutz auch, dass wir die ganze Diskussion nicht allein auf die Polizei verengen dürfen. Das passiert mir hier gerade viel zu sehr. Wir fokussieren hier immer auf die Polizei. Wir müssen auch über Einstellungen und über Mechanismen im Verfassungsschutz als Sicherheitsbehörde sprechen; denn es darf nicht sein, dass es ein Klima gibt, in dem menschenverachtenden Aussagen nicht widersprochen wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb haben wir unseren Antrag auch durch einen Neudruck verändert. Wir haben ihn noch einmal verändert und gesagt: Eine Studie darf sich nicht nur auf die Polizei beziehen, sondern wir brauchen eine Studie für beide Behörden; wir müssen die Sicherheitsbehörden insgesamt in den Blick nehmen.

Herr Minister, als grüne Fraktion haben wir in unserer Fraktionssitzung vorgestern einen Vorschlag für weitergehende Forderungen verabschiedet. Es sind zehn Punkte geworden. Es hätten auch mehr oder weniger werden können. Aber wir haben zehn Punkte. Wir erheben gar nicht den Anspruch, dass das irgendwie der Weisheit letzter Schluss ist. Sicherlich gibt es auch noch andere Forderungen. Wir sind sehr gerne bereit, über unsere Punkte auch kritisch und kontrovers zu diskutieren.

Ich möchte hier nur einige Punkte nennen.

Thema „Beirat/Sonderbeauftragter“: Wir unterstützen Sie darin, dass Sie einen Sonderbeauftragten für rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei eingerichtet haben. Das finden wir richtig; da unterstützen wir Sie. Aber wir wollen, dass diesem Sonderbeauftragten ein Beirat mit Personen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die auch einen Blick von außen in die Arbeit des Sonderbeauftragten einbringen können, an die Seite gestellt wird.

Wir wollen, dass es auch innerbehördliche Maßnahmen wie zum Beispiel das Thema „Rotation“ gibt. Ich glaube, dass wir über das Grundprinzip „Rotation“ sprechen müssen. So etwas existiert bislang nicht. Meines Erachtens ist das aber wichtig, und zwar in beiden Behörden, in der Polizei und im Verfassungsschutz, damit sich so etwas wie ein falsch verstandener Korpsgeist nicht entwickeln kann.

Wir brauchen verpflichtende Fortbildungsmaßnahmen. Wir brauchen die Verankerung von Supervision auch als Maßnahme der Verantwortung und Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beschäftigten.

Das sind nur wenige Beispiele, weil die Redezeit einfach nicht ausreicht. Aber ich erwarte von dieser Regierungskoalition, dass sie sich unsere Vorschläge anschaut, dass sie sie prüft und dass sie sie einbezieht.

Herr Reul, Sie haben in der letzten Debatte an die Gemeinsamkeit appelliert. Wir sind sehr gerne bereit, mitarbeiten. Das haben wir Ihnen schon gesagt. Aber ich erwarte dann auch, dass unsere Vorschläge mindestens genauso ernsthaft überprüft werden und Sie sie mit in die Überlegungen einbeziehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, ein bisschen Streit ist doch eigentlich ganz gut. Die Debatte ist doch ein Wesenskern der Demokratie; insofern sehe ich darin überhaupt kein Problem.

Herr Sieveke, es gibt zwei Grundprobleme, weshalb wir in diesen Diskussionen so häufig aneinander vorbeireden:

Das erste Grundproblem ist, dass Sie uns Grünen immer dann, wenn wir im Innenausschuss Themen angemeldet haben, bei denen wir Probleme innerhalb der Polizei gesehen haben – und zwar im besten Sinne einer konstruktiven Fehlerkultur, die Sie jetzt übrigens anmahnen – sofort Generalverdacht unterstellt haben.

Das war absolut schädlich für die Diskussion, die wir hier schon viel eher hätten konstruktiv führen müssen. Ich mache Ihnen zum Vorwurf, dass Sie solche Debatten in den letzten Jahren verhindert haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das zweite Grundproblem ist, dass Sie häufig gar nicht verstehen, worüber wir reden. Sie verstehen nicht den Unterschied zwischen Rechtsextremismus als Sammelbegriff für verschiedene Einstellungsmuster und Rassismus als eine Einstellung wie Antisemitismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit.

Diese Unterscheidung ist wichtig, um festzustellen, dass wir ein strukturelles Problem in unserer Gesellschaft haben, dass es rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische usw. Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft gibt. Das heißt Rassismus. Natürlich macht das nicht vor der Behördentür halt; darüber müssen wir reden.

Ferner müssen wir darüber reden, was es mit den Betroffenen macht. Die Betroffenenperspektive fehlt in Ihrem Entschließungsantrag komplett; die taucht überhaupt nicht auf, aber darum geht es doch.

Es geht doch nicht nur darum, abstrakt den Staat vor Rassismus zu schützen, sondern darum, die Betroffenenperspektive einzubeziehen und aufzuzeigen, was es eigentlich mit Menschen macht, die Opfer von rassistischer Gewalt oder von rassistischer Diskriminierung werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass Sie diese Perspektive in Ihre Überlegungen nie einbeziehen, macht mich immer wieder fassungslos; das muss ich wirklich sagen. – Ich versuche, auf die einzelnen Themen einzugehen:

Das Thema „Brennpunkte“ wurde angesprochen. Herr Lürbke, natürlich ist Polizeiarbeit belastend; dem widerspricht in der Diskussion auch niemand. Das ist aber doch noch lange kein Grund dafür, rassistisch zu werden. Ich finde, Sie müssen aufpassen, welche Schuldzuweisungen Sie machen und welche Erklärungsmuster Sie verwenden. Dieses Erklärungsmuster finde ich brandgefährlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: Das ist genau der Punkt!)

Zum Thema „Lagebild und Studie“. Beides möchte ich ein bisschen voneinander trennen; zunächst zum Lagebild.

Herr Lürbke, machen Sie Ihr Lagebild. Ein Lagebild zeigt aber doch in erster Linie Symptome auf; das ist eine Problembeschreibung.

Eine Studie hingegen untersucht Ursachen. Eine Studie ist die Grundlage zum Handeln. Ich verstehe nicht, warum CDU und FDP immer ein Problem damit haben, evidenzbasiert Politik zu betreiben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Wir brauchen doch Grundlagen. Es ist leider so, Herr Ministerpräsident: Hören Sie Ihrem eigenen Minister Reul einmal zu. Ich habe vorhin einige Zitate gebracht. Das kann man noch einmal nachlesen. Ich verstehe einfach nicht, wie man sich so dermaßen gegen unabhängige Wissenschaft wehren kann.

Zum Thema „Extremismusbeauftragte“. Herr Lürbke, ich finde es total gut, dass Sie sagen, wir brauchen Extremismusbeauftragte vielleicht auch in anderen Behörden, sodass sich jemand an einen Beauftragten in einer anderen Behörde wenden kann, um eine gewisse Unabhängigkeit sicherzustellen.

Ich finde es schön, dass Sie die Notwendigkeit von unabhängigen Stellen anerkennen, frage mich dann aber: Warum haben Sie unseren Gesetzentwurf zum Polizeibeauftragten, der unabhängig gewesen wäre, abgelehnt? Da hätten Sie eine unabhängige Stelle einrichten können. Das wollten Sie aber leider nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann noch einmal zu der Frage, worüber wir eigentlich reden: Reden wir über ein strukturelles Problem? Reden wir über Einzelfälle?

Ich habe gestern in der Haushaltsdebatte gezuckt, als Herr Löttgen sagte, wir müssten endlich eine Sprachregelung finden. Dazu muss ich Ihnen ganz klar sagen: Nein, wir müssen keine Sprachregelung finden, sondern wir müssen Probleme benennen. Darum geht es.

Es geht nicht um Kommunikation, sondern darum, dass wir seit Langem nicht mehr von Einzelfällen in der Polizei reden. Ja, der allergrößte Teil der Polizei ist natürlich demokratisch orientiert und steht auf dem Boden unserer Verfassung.

Ich habe eine sehr hohe Wertschätzung gegenüber unserer Polizei, die mit einem Topstudium wahrscheinlich die am besten ausgebildete Polizei ist, die wir derzeit haben. Wir haben supergute Leute, denen ich sehr vertraue. Nichtsdestotrotz muss man doch klar benennen, dass wir hier ein Problem haben, um es angehen zu können.

Wir werden – das haben Sie sich sicherlich schon gedacht – den Entschließungsantrag der CDU ablehnen. Es sind ein paar wichtige Punkte drin, über die ich auch froh bin, wie Supervision und Fortbildung. Dass Sie das aufgreifen, will ich ausdrücklich loben.

Es fehlen auch Sachen Dinge wie die Betroffenenperspektive, die Wissenschaft fehlt und der Verfassungsschutz als eine Sicherheitsbehörde sogar komplett.

Es tut mir leid: Eigentlich wollte ich mich in dieser Diskussion nicht so aufregen. Leider passiert es immer wieder.

Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir auch weiter eine konstruktive Diskussion führen würden. Die Probleme sind zu groß, um sich nur zu streiten, aber Ihrem Antrag können wir leider nicht folgen.

(Beifall von den GRÜNEN und Andreas Bialas [SPD])