Zum Versammlungsgesetz

Rede zum Entwurf der SPD-Fraktion für ein Versammlungsgesetz – erste Lesung

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“

So lautet Art. 8 Abs. 1 unseres Grundgesetzes.

Die Versammlungsfreiheit ist eine wichtige Errungenschaft in der Demokratie. Bürgerinnen und Bürger haben das verfassungsrechtlich verbriefte Recht, sich zu versammeln und so ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen.

So schreibt auch das Bundesverfassungsgericht in dem sogenannten und schon angesprochenen Brokdorf-Beschluss im ersten Leitsatz – Zitat:

„Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens.“

Dem ist meines Erachtens eigentlich nichts hinzuzufügen. Man muss wohl ganz klar sagen: Wenn sich derzeit vielerorts sogenannte Coronaleugner versammeln, Verschwörungsmythen verbreiten und behaupten, unsere Demokratie funktioniere überhaupt nicht und es gebe keine echte Demokratie mehr, dann muss man diesen Leuten ganz deutlich machen, dass es die Verfassung unseres demokratischen Rechtsstaats ist, der diese öffentlichen Meinungsäußerungen und diese Demonstrationen gewährleistet und schützt.

Das ist doch der allerbeste Beleg dafür, dass unser Rechtsstaat funktioniert und er auch die Versammlungsfreiheit von Personen schützt, die unsere Verfassung in Zweifel ziehen.

Ebenso – auch das halte ich für wichtig – schützt diese Verfassung auch Gegendemonstrationen. Das ist ebenfalls Teil der Versammlungsfreiheit und vor allem Teil der politischen Meinungs- und Willensbildung.

Deshalb freue ich mich – ehrlich gesagt – über den für diesen Gesetzentwurf gewählten Titel. Man hätte das Gesetz ja auch einfach „Versammlungsgesetz“ nennen können. Es geht aber eben um die Gewährleistung des Rechts auf Versammlungsfreiheit. Das sollte sich meiner Meinung nach auch im Titel widerspiegeln.

Seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 sind die Bundesländer ja zuständig und können eigene Versammlungsgesetze erlassen.

Ich stimme der SPD-Fraktion durchaus zu, dass es 14 Jahre nach dieser Föderalismusreform an der Zeit ist, ein eigenes Landesgesetz für Nordrhein-Westfalen zu schaffen.

Liebe Kollegen von CDU und FDP, ich muss ganz ehrlich sagen, dass es bei Ihnen so anklang, als ob Sie fast beleidigt seien, dass die SPD es sich herausnimmt, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen, obwohl Sie in Ihrem Koalitionsvertrag dieses Vorhaben formuliert haben. Es hindert Sie aber niemand daran, sich diesen Gesetzentwurf als Vorlage zu nehmen,

(Lachen von Marc Lürbke [FDP])

Änderungsanträge zu stellen und ihn zu diskutieren.

Ich sage es hier ganz klar: Es ist das Recht jeder Fraktion hier im Parlament, eigene Vorschläge einzubringen, und zwar egal, ob sie in irgendwelchen Koalitionsverträgen stehen oder nicht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Marc Lürbke [FDP]: Das hat niemand bestritten!)

Wir diskutieren ein Versammlungsgesetz hier nicht zum Selbstzweck. Vielmehr halte ich es für wichtig, herauszustellen, warum wir darüber diskutieren und warum es nötig ist, ein Versammlungsgesetz auf Landesebene zu schaffen und nicht mehr das alte Bundesgesetz als Vorlage zu nehmen.

Aktuell gilt nämlich das Bundesgesetz – ergänzt um die verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Sie alle wissen, wie viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts es in den vergangenen Jahren gegeben hat, die sozusagen neben das Gesetz gelegt werden müssen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein eigenes Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen zu deutlich mehr Klarheit führen wird – Klarheit für Bürgerinnen und Bürger, die zum Beispiel eine Versammlung anmelden wollen, aber natürlich auch für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, denn die Polizei ist ja die Versammlungsbehörde.

Ein eigenes Versammlungsrecht gibt uns auch die Möglichkeit zu dessen Modernisierung im Sinne der Anpassung an aktuelle Umstände und Entwicklungen. Beispiele dafür sind etwa die Demonstrationen auf öffentlich zugänglichen Flächen, die in privater Trägerschaft liegen, Observationen während Versammlungen – auch hier bedarf es klarer Regelungen – sowie die Frage der Bild- und Tonaufzeichnung und der Speicherung von Aufzeichnungen. All diese Dinge kann man in einem Versammlungsgesetz regeln.

Ich freue mich sehr auf die Expertenanhörung und auch auf die Ausschussberatung, in der wir ins Detail gehen und uns genau diese Sachen angucken werden.

Ich will noch einen Punkt benennen, der mir persönlich wichtig ist – es ist auch schon genannt worden –: das Thema „Kooperationsgebot“, wie es auch in Schleswig-Holstein und Berlin formuliert ist. Aus meiner Sicht gibt es aus den letzten Monaten viele gute Beispiele für friedliche Versammlungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter. Bei diesen friedlichen Versammlungen wäre ein Kooperationsgebot sehr wichtig.

Natürlich möchte ich aber auch noch einmal über Verbote von Demonstrationen, die an bestimmten Gedenktagen an die Opfer der Gewalt und Willkürherrschaft des NS-Regimes stattfinden sollen, sprechen. Für uns Grüne – ich glaube, da kann ich für alle Demokratinnen und Demokraten sprechen – ist es einfach unerträglich, wenn Neonazis ausgerechnet an diesen Tagen Versammlungen durchführen, um ihre rechtsextreme, ihre antisemitische und rassistische Gesinnung zur Schau zu stellen und damit eben auch die Gewaltherrschaft der NS-Zeit zu verharmlosen und zu verherrlichen.

(Vereinzelt Beifall von GRÜNEN und SPD)

Als Demokratinnen und Demokraten stehen wir absolut in der Verantwortung, die Erinnerung an die Opfer der NS-Gewalt wachzuhalten und sie auch vor den Schmähungen der heutigen Neonazis zu schützen. Deshalb sind wir Grüne offen für den Vorschlag, den 9. November und den 27. Januar als Tage zu definieren, an denen solche Demonstrationen verboten werden können.

Ich will aber trotzdem noch anfügen, dass man sich darüber im Klaren sein muss, dass Neonazis natürlich weiterhin versuchen werden, andere Tage, die für sie mit einer hohen Bedeutung aufgeladen sind, für Demonstrationen zu nutzen. Ich erinnern daran, dass wir eine ganze Zeit lang, viele Jahre lang, in Dortmund rund um den 1. September, den Antikriegstag, immer wieder große rechtsextreme Aufmärsche hatten. Das hat vor ein paar Jahren nachgelassen, was auch etwas mit den Verboten der Kameradschaften zu tun hat. Wir hatten diese Demonstrationen rund um den 1. September aber immer wieder. Ich habe die Polizei bei den Einsätzen oft begleiten dürfen. Das macht noch einmal sehr deutlich, dass sich die Neonaziszene andere Tage heraussuchen wird. Das ist kein Gegenargument gegen diesen Vorschlag; ich will es nur zu bedenken geben.

Umso wichtiger ist es aus meiner Sicht, dass wir unsere demokratische Zivilgesellschaft, die wir in Nordrhein-Westfalen ja haben, die stark ist, weiter in ihrem Engagement gegen Rechtsextremismus unterstützen, und dass wir als Abgeordnete solche Versammlungen, solche Gegendemonstrationen, solche demokratischen Versammlungen gegen Rechtsextremismus unterstützen und unsere klare demokratische Haltung zeigen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist schon mehrfach gesagt worden, dass der durch die SPD-Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf sich an Schleswig-Holstein orientiert. Meines Wissens befindet sich der Gesetzentwurf in Berlin noch in der Debatte, aber auch das muss man sich noch einmal angucken.

Wir Grüne freuen uns auf die Diskussionen über diesen Gesetzentwurf. Ich würde mich sehr freuen, wenn CDU und FDP sich nicht beleidigt in die Ecke stellen und sagen würden: Na ja, eigentlich wollten wir ja, aber jetzt ist die SPD uns zuvorgekommen, und deshalb lehnen wir das ab und machen etwas eigenes. – Machen Sie es bitte nicht. Ich würde mich wirklich über eine konstruktive Debatte freuen. Wir können durchaus unterschiedlicher Meinung zu den verschiedenen Regelungen sein, aber nehmen Sie die Diskussion bitte ernst. Lassen Sie uns das als Vorlage nutzen, um darüber zu diskutieren. Wie gesagt, Sie können ja Änderungsanträge schreiben. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt auf die Diskussionen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)