Zu Verschwörungsmythen

Rede zum Antrag der GRÜNEN im Landtag zu Verschwörungsmythen

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben in der aktuellen Coronapandemie, dass Verschwörungsmythen eine deutliche Verbreitung finden. Ich stimme Frau Freimuth zu: Verschwörungsmythen sind keine neue Erscheinung. Die Kollegin Müller-Witt hat eben schon die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zitiert. Dort wurde für die Jahre 2018 und 2019 erhoben, dass 46 % der Befragten angaben, es gebe geheime Organisationen, die Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen würden.

Lange Zeit – das hat auch Herr Golland gesagt – wurden Personen, die an Verschwörungsmythen glauben, als Spinner abgetan. Aber wir wissen, dass Verschwörungsmythen gefährlich sind. Sie zerstören das Vertrauen in staatliche Institutionen. Sie sind nicht immer – da gebe ich Ihnen sogar recht, Herr Golland –, aber sie sind häufig mit rechten Einstellungen verbunden.

(Kopfnicken von Gregor Golland [CDU])

Verschwörungserzählungen und rechtsextreme Ideologien sind gegenseitig anschlussfähig. Antisemitische, antifeministische und andere menschenverachtende Erzählungen finden sich häufig wieder in Verschwörungserzählungen.

Deshalb überrascht es nicht, dass die rechtsterroristischen Taten in Halle, in Hanau, aber auch in Christchurch oder in Utøya auch getrieben waren durch den Glauben an solche Verschwörungsmythen.

Deshalb, Herr Golland, bin ich doch sehr fassungslos über die politische Einordnung, die Sie hier eben vorgenommen haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir wissen, dass Krisensituationen Menschen besonders anfällig machen für Verschwörungsmythen, denn diese Verschwörungserzählungen sind ja ein Versuch, wieder Kontrolle über eine Situation zu erlangen.

Katharina Nocun, die Autorin des Buches „Fake Facts“, sagt – Zitat –:

„Der Glaube an eine Verschwörung kann ein Hilfskonstrukt sein, um Ordnung in das Chaos zu bringen.“

Der Glaube an Geheimwissen dient der Selbstaufwertung.

Das sind alles Faktoren, weshalb Verschwörungsmythen gerade in einer Krise Hochkonjunktur erleben.

Ich glaube, wir sind uns hier einig, dass wir uns auch Monate und Jahre nach der Pandemie, wenn diese hoffentlich irgendwann zu Ende ist, immer noch mit diesem Phänomen der Verschwörungsmythen auseinandersetzen müssen.

Wer sich ganz konkret und alltäglich immer wieder mit Verschwörungsmythen konfrontiert sieht, das sind Angehörige oder Freunde und Freundinnen von Personen, die an diese Verschwörungsmythen glauben. Das sind genau diese Angehörigen und Bekannten, die aktuell versuchen, sich Hilfe zu holen, die Beratung brauchen, wie sie mit der eigenen Mutter oder mit dem Freund umgehen sollen, wenn sich diese nur noch Videos und Nachrichten von Verschwörungstheoretikern anschauen oder versuchen, andere Menschen zu „bekehren“, indem sie zum Beispiel sagen, dass man keine Maske tragen soll und dass sich ältere Angehörige nicht impfen lassen sollen.

Wir haben mit der Sektenberatung NRW gesprochen, die selbst sagt, dass sie momentan ein Vierfaches an Anfragen von Hilfesuchenden bekommt, die Unterstützung brauchen, wie sie ganz konkret mit solchen alltäglichen Situationen zu Hause, in der eigenen Familie oder in ihrem Bekanntenkreis umgehen sollen. Die Sektenberatung sagt aber auch, dass zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme der Glaube an Verschwörungsmythen häufig schon sehr weit vorangeschritten ist.

Deshalb fordern wir mit diesem Antrag, dass die Landesregierung gemeinsam mit den Fachstellen ein Konzept erarbeitet, damit dieses persönliche Umfeld im Umgang mit dem Thema „Verschwörungsmythen“ gestärkt wird, und zwar auch – davon bin ich fest überzeugt –, weil das vermutlich diejenigen sind, die aufgrund ihrer persönlichen Beziehung am ehesten noch etwas bewegen können.

Dass CDU und FDP sich jetzt diesem Antrag nicht anschließen können, finde ich persönlich sehr bedauerlich. Mich hat es aber auch nicht sehr gewundert. Es ist trotzdem schade. Denn das, was Sie sagen, es würde schon ganz viele Beratungsangebote geben, stimmt so einfach nicht. Es gibt die Beratungsangebote in dieser Form einfach nicht.

Das ist ausdrücklich keine Kritik an der Landesregierung oder an der Landeszentrale für politische Bildung, die auch schon ganz viel tut. Aber ich meine, dass wir hier einen Baustein haben, der bislang noch fehlt in der Beratungslandschaft in Nordrhein-Westfalen. Denn, ja, es gibt die Sektenberatung, es gibt auch die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Nach der Logik von Herrn Golland sind die übrigens gar nicht zuständig. Natürlich gibt es diese Beratungsstellen. Aber ein explizites Angebot zur Beratung des Umfeldes von Menschen, die Verschwörungsmythen anhängen und sich immer weiter von demokratischen Haltungen entfernen, gibt es derzeit nicht.

Hier setzt unser Antrag an. Ich finde es schade, dass Sie ihn ablehnen wollen.

Ich habe aber trotzdem eine Bitte an Sie. Bei Herrn Golland ist die Bitte, glaube ich, vergebens.

(Gregor Golland [CDU]: Frau Schäffer!)

Aber, Herr Kaiser und liebe Landesregierung, ich würde Sie bitten, weil ich glaube, dass Sie dieses Thema im Blick haben – das finde ich richtig, und es wird auch nach der Pandemie wichtig bleiben –: Bitte nehmen Sie den Gedanken trotzdem mit. Führen Sie doch einfach die Gespräche mit den Beratungsstellen, und horchen Sie da mal nach, ob es nicht eine Lücke im Beratungssystem gibt. Setzen Sie das doch einfach um.

Ich sage Ihnen auch zu, dass wir nicht auf der Urheberschaft für diese Idee beharren werden. Machen Sie es einfach. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)