Unser gemeinsames Ziel ist die Pandemiebekämpfung

Rede zur Unterrichtung der Landesregierung zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Sie alle die Idee einer Sondersitzung in der kommenden Woche, also eine Woche vor der MPK, so gut finden, sollten wir vielleicht gemeinsam darüber nachdenken, uns tatsäch-lich nächste Woche noch einmal zu treffen, um die Überlegungen und die Linie der NRW-Regierung vor der MPK zu hören. Das wäre eine gute Sache. Ich würde mich freu-en, Sie nächste Woche hier noch einmal zu sehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Bewältigung der Coronakrise ist die Kommunikati-on mindestens genauso wichtig wie die Maßnahmen selbst. Herr Löttgen, ich habe in den letzten Tagen ziemlich viele Widersprüche dieser Landesregierung gehört. Dafür muss ich auch nicht zurück zum August letzten Jahres gehen und irgendwelche Wider-sprüche konstruieren.

Die letzten sieben Tage waren aus meiner Sicht ein einziges Kommunikationschaos. Damit verspielt diese Landesregierung Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung. Das ist wirklich fatal für die Maßnahmen, die wir tatsächlich brauchen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Krönung ist die Einführung des eingeschränkten Bewegungsradius über Nacht. Den Menschen im Kreis Höxter, im Kreis Minden-Lübbecke, im Oberbergischen Kreis und im Kreis Recklinghausen am Montagabend – die Mail ist um 22:18 Uhr herausgegangen – eine Landesverordnung vor die Füße zu kippen, die ihre Bewegungsfreiheit zwei Stun-den später massiv einschränkt, ist wirklich unfassbar. Damit nehmen Sie billigend in Kauf, dass Vertrauen in die Verlässlichkeit staatlichen Handelns massiv untergraben wird.

Was heißt das denn für die Kommunen, die nahe am einer 7-Tage-Inzidenz von 200 sind? Momentan liegen uns die wirklichen Zahlen noch nicht vor. Der RKI-Chef sagt, dass wir um den 17. Januar 2021 herum ein genaueres Bild darüber haben werden, wie die Lage tatsächlich ist.
Natürlich will ich anderes hoffen, und wir wissen es noch nicht; aber ich kann mir vorstel-len, und es kann gut sein, dass in den nächsten Tagen und Wochen noch mehr Kom-munen die 200er-Grenze erreichen werden.

Ich frage mich: Was ist denn dann mit ihnen? Dürfen sie sich auch auf eine Landesver-ordnung über Nacht einstellen?
Arbeiten Sie endlich mit den Kommunen und nicht gegen sie!

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielleicht sollten Sie auch erst einmal koalitionsintern Ihre Position klären. Armin Laschet hat uns auf seiner Pressekonferenz am 5. Januar 2021 nach der MPK, also letzte Woche, noch erklären wollen, dass man die Maßnahme der Bewegungseinschränkungen bräuchte, um die Ausflüge in den Schnee nach Winterberg zu unterbinden.

Letzte Woche gab es übrigens genau eine Stadt, nämlich Herne, die bei einem Inzi-denzwert von 200 lag. Die Hernerinnen und Herner sollten also dafür sorgen, dass der Skitourismus in Winterberg unterbunden wird. Wie absurd ist das denn? – Das war die Position in der letzten Woche.
Herr Stamp, Sie haben dann am Sonntag bei „Westpol“ die Wirksamkeit dieser Maßnah-me und die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme infrage gestellt. Sie haben sich ge-fragt, ob diese Maßnahme vor Gericht standhalten würde.

Um es klar zu sagen: Ich bin inhaltlich voll auf Ihrer Linie. Ich persönlich bin absolut Ihrer Meinung. Aber warum haben Sie diese Verordnung denn dann nicht verhindert? Sie kommentieren das Ganze ja nicht vom Spielfeldrand aus, sondern sind der stellvertreten-de Ministerpräsident.
(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Ge-nau!)

Dann erwarte ich, ehrlich gesagt, auch ein bisschen mehr.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Kommunikationschaos betrifft in der Tat auch die Regelung zu den Kontaktbe-schränkungen. Sie haben auch in der Debatte gerade wieder mit Mixed Messages gear-beitet. Wir Grüne wollen auch nicht, dass Polizei oder Ordnungskräfte zu Hause klingeln und die Teilnehmer von Kaffeekränzchen überprüfen.

Genauso wie die Menschen in diesem Land erwarten wir aber eine klare Kommunikation. In Nordrhein-Westfalen gibt es zu Recht Kontaktbeschränkungen für den öffentlichen Raum, die in der Coronaschutzverordnung geregelt sind. Für den privaten Bereich gilt die wichtige und dringende Empfehlung, sich daran zu halten. Genau so muss man das dann aber auch kommunizieren.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Das haben wir!)

– Nein, das haben Sie nicht. Das haben Sie gerade schon wieder nicht getan.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Doch!)

Sie haben gesagt, es gebe diese Kontaktbeschränkungen. Nein, für den öffentlichen Raum stehen sie in der Verordnung, für den privaten Raum nicht.
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Natürlich!)

Es ist aber die dringende Bitte an alle Bürgerinnen und Bürger, sich auch im privaten Raum an die Kontaktbeschränkungen zu halten.
Diese Kommunikation stiftet bei den Menschen Verwirrung. Das ist fatal. Damit verspie-len Sie auch die Solidarität der Menschen untereinander.
Dass sich die MPK letzte Woche auf weitere Maßnahmen verständigt hat, ist angesichts der hohen Anzahl von Sterbefällen und von Intensivpatienten richtig.

Doch während die MPK das öffentliche Leben quasi stillgelegt, hat sie einen Bereich wiederholt nicht angetastet, nämlich das Arbeitsleben und die Arbeitswege.

Herr Löttgen, Sie haben uns gerade noch einmal sehr anschaulich erklärt – vielen Dank dafür –, warum die Reduzierung von Kontakten so wichtig ist. Es ist doch absurd, wenn Kinder sich nur noch mit einem Freund auf dem Spielplatz treffen dürfen, ihre Eltern aber gleichzeitig auf dem Weg zur Arbeit im vollen Regional-Express quer durch Nordrhein-Westfalen fahren.

Aus meiner Sicht bestehen viele Arbeitgeber nach wie vor völlig ohne Not weiterhin auf einer Präsenzpflicht.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich finde, dass uns auch die Zahlen hier noch einmal zu denken geben sollten.
Während nach Beginn der Coronakrise rund 27 % der Menschen von zu Hause aus ge-arbeitet haben, waren es im November nur noch 14 % – und das, obwohl das Infektions-risiko in der Zwischenzeit deutlich zugenommen hat.
Deshalb, Herr Laschet, erwarten wir als Grüne hier eine Klarstellung vor der nächsten MPK. Wo immer es möglich ist – ich weiß, dass es nicht überall möglich ist; in vielen Be-rufen geht das aber –, sollten Menschen im Homeoffice arbeiten. Das darf nicht die Aus-nahme sein. Es muss in der Pandemie die Regel sein. Das ist auch eine Frage des Ar-beitsschutzes und der Fürsorgepflicht von Arbeitgebern für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall von den GRÜNEN und Thomas Kutschaty [SPD])

Herr Laschet, diese Landesregierung könnte als gutes Beispiel vorangehen. Da, wo es möglich ist, müssen die Beschäftigten in Ministerien, in Behörden und in Universitäten ebenfalls von zu Hause aus arbeiten. Bislang besteht in den Landesbehörden da offen-bar ein Flickenteppich. Die einzelnen Ministerien legen ihre eigenen Homeoffice-Regeln fest. Es gibt keine einheitliche Regelung.

(Ministerpräsident Armin Laschet: Klar!)

– Im elften Monat der Pandemie ist Ihnen das klar?

(Ministerpräsident Armin Laschet: Wieso denn?)

Ich finde es völlig unverständlich, dass die Landesregierung nicht vorgibt, dass die Men-schen, die zu Hause arbeiten können, das auch tun sollen. Denn die Aufforderung „stay at home“ muss nicht nur für den privaten Bereich, sondern auch für die Arbeitswelt gel-ten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Klar ist auch – ich finde es wichtig, das noch einmal zu betonen, weil ich oft das Gefühl habe, dass das in den Debatten untergeht –, dass Homeoffice keine Form der Kinderbe-treuung ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

An Kinder, die bei Videokonferenzen im Hintergrund herumlaufen, haben sich inzwi-schen alle gewöhnt. Es ist auch für alle sehr nett, mal den Nachwuchs der Kolleginnen und Kollegen zu sehen – außer für die Eltern, die Kinderbetreuung und Arbeiten in Ein-klang bringen müssen. Das ist purer Stress. Ich weiß, wovon ich da spreche.

(Beifall von den GRÜNEN)

Seit gestern müssen die Eltern von Schulkindern wieder im Nebenjob als Lehrkraft agie-ren.
Auch für Kinder und Jugendliche – auch das muss noch einmal klargestellt werden – ist das eine enorme Belastung.
Deshalb ist die Politik aufgefordert, Familien zu entlasten.

Dazu gehört auch das Thema „Kinderkrankentage“. Wenn die Kinderkrankentage hier in Nordrhein-Westfalen nicht genommen werden können, weil die Kitas offiziell geöffnet sind, bedarf es einer Klarstellung. Es muss klar sein, dass die Kinderkrankentage auch für Eltern in Nordrhein-Westfalen gelten, wenn sie ihre Kita-Kinder nicht in die Kita brin-gen können.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Ja, das bedeutet eine große Belastung für die Familien. Trotzdem ist es der einzig ver-nünftige Weg, die Schulen in dieser Situation nicht zu öffnen.
Aber jetzt rächt sich wieder einmal, dass das Schulministerium die Osterferien, die Som-merferien und die Herbstferien nicht genutzt hat. Jetzt reihen sich auch noch die Weih-nachtsferien in die „Ferien der verpassten Chancen“ ein.

Bei Ihnen, Frau Gebauer, regiert das Prinzip „Hoffnung“. Vorausschauende Politik scheint für Sie ein Fremdwort zu sein. Dass Sie letzte Woche ernsthaft den Präsenzun-terricht ab Februar ankündigt haben, hat nicht nur uns, sondern wohl ziemlich jeden in diesem Land irritiert. Inzwischen mussten Sie auch schon zurückrudern.

Am besten wäre es, Sie würden jetzt auch noch Ihren völlig unzureichenden Stufenplan überarbeiten. Denn die Schulträger und auch die Schulen brauchen verlässliche Rah-menbedingungen. Sie brauchen Freiheit zur Umsetzung.

Wir haben zahlreiche Rückmeldungen aus Kommunen bekommen, die mit diesen Vor-gaben – Stichwort „schulscharfe Entscheidung in Kommunen mit einer Inzidenz über 200“ – nicht arbeiten können.

Die nächste schulpolitische Baustelle ist auch schon absehbar. Es braucht aus unserer Sicht sehr bald ein Konzept, wie Prüfungen in diesem Jahr abgelegt werden sollen. Fak-tisch haben wir schon ein Kurzschuljahr. Die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Lehrkräfte erwarten eine verlässliche Aussage seitens der Schulministerin. Sorgen Sie wenigstens hier für Klarheit und für Verlässlichkeit!

(Beifall von den GRÜNEN)

Ja, die Impfungen sind ein wichtiger Lichtblick. Neben der Akzeptanz der einzelnen Schutzmaßnahmen brauchen wir auch Vertrauen in den Impfstoff. Wir brauchen Aufklä-rung. Wir brauchen Informationen. Deshalb kann ich nicht so richtig nachvollziehen, wa-rum die Landesregierung bislang keine breit angelegte Impfkampagne durchgeführt hat. Eigentlich sollte doch an jeder Litfaßsäule und jeder Bushaltestelle in diesem Land ein Plakat mit Werbung fürs Impfen hängen. Das sollte man eigentlich erwarten können.

Dass Sie jetzt auch noch den Cheflobbyisten von Sanofi in der Staatskanzlei eingestellt haben, stärkt aus meiner Sicht nicht gerade das Vertrauen der Menschen in den Impf-stoff.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich sehe das tatsächlich so. Als ich das gestern Abend gelesen habe – ich bin Abonnen-tin der „WAZ“ und habe es gestern Abend im E-Paper gelesen –, war mein erster Gedan-ke, dass Sie damit wirklich völlig ohne Not Verschwörungsmythen Vorschub leisten. Das finde ich total gefährlich. Wie man auf diese Idee kommen kann, ist mir wirklich unbe-greiflich. Wenn sich die Berichterstattung bewahrheitet, müssen Sie diese Einstellung aus meiner Sicht auch rückgängig machen, Herr Laschet.

Ich möchte Sie auch noch in einer anderen Sache ansprechen, Herr Laschet. Ich habe mir letzten Samstag den Neujahrsempfang der CDU angeschaut.

(Zuruf von der CDU: Ui!)

– Natürlich. – Ich fand ihn, ehrlich gesagt, relativ … Okay; ich enthalte mich jeglicher Be-wertung. Das können wir vielleicht bilateral klären. Für die Debatte ist es auch nicht wich-tig. Ein Punkt hat mich allerdings total geärgert. Sie haben nämlich der Opposition vor-geworfen, sie würde sich ihrer Verantwortung verweigern und Woche für Woche nur das Negative suchen. Ich finde, dass dieser Vorwurf …

(Zurufe von der CDU)

Herr Hovenjürgen – ich bekomme dieses Mitgliederblättchen der CDU; ich weiß gar nicht, wie ich auf den Verteiler gekommen bin – hat es im Übrigen auch schon im Dezember dort geschrieben. Sie scheinen also auch dieselben Redenschreiber zu haben. Aber Schwamm drüber!

Dieser Vorwurf ist dreist. Er ist populistisch. Im Gegenteil ist es doch so, dass es, wenn wir Forderungen stellen und Vorschläge machen – in einer parlamentarischen Demokra-tie ist es im Übrigen unsere Aufgabe als Opposition, dass wir Vorschläge machen und Kritik üben –, Herr Löttgen, hier immer direkt als Majestätsbeleidigung abgekanzelt wird.

(Bodo Löttgen [CDU]: Sie kritisieren ja nur! Sie machen ja keine Vorschläge!)

Das geht so nicht.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Herr Laschet, Sie haben vorhin gesagt, dass es gut gewesen wäre, die Debatte vor der nächsten MPK zu führen. Dann erwarte ich, ehrlich gesagt, auch, dass Sie uns in der nächsten Woche tatsächlich vor der nächsten MPK informieren, dass Sie unsere Forde-rungen und Vorschläge dann auch überdenken und dass Sie sie auch mitnehmen.

Ich kann Ihnen für uns als Grüne versprechen, dass wir unserer Linie treu bleiben wer-den. Als Opposition werden wir auch weiterhin kritisch Politik machen. Aber wir werden auch in der Sache konstruktiv arbeiten. Denn unser gemeinsames Ziel ist die Pande-miebekämpfung. Daran werden wir hier weiterhin arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)