“Wir richten aber sehr selten den Blick auf die Opfer”
Zum Antrag der SPD-Fraktion für einen Periodischen Sicherheitsbericht
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Herr Lürbke, ich finde, das ist immer so ein Totschlagargument, wenn man sagt: Sie waren sieben Jahre an der Regierung, Sie hätten das machen können, warum haben Sie es nicht getan? Dann dürfen Sie es auch hier als Opposition nicht einbringen. – Mit dem Argument können wir Politik alle sein lassen. Ich finde, das ist ein Argument, das überhaupt nicht zieht.
(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
Ich finde es einfach schwierig, das wollte ich nur einmal zurückmelden.
(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] und Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])
Es ist völlig klar, dass bestimmte Vorhaben Zeit brauchen. Dem widerspricht doch auch niemand. Allerdings finde ich schon, dass man mal nachfragen kann – und das habe ich hier beim letzten Plenum auch getan, als wir über die Große Anfrage der SPD gesprochen haben –, was eigentlich aus der Vereinbarung im Koalitionsvertrag von CDU und FDP geworden ist, dass man die Polizeiliche Kriminalstatistik mit der Strafverfolgungsstatistik verbinden will. Das wollte man im Rahmen einer Machbarkeitsstudie prüfen. Ich habe davon immer noch nichts gehört. Vielleicht sind Sie da auch noch dran. Wenn ja, dann wäre es super. Aber diese Legislaturperiode hat eben auch nur noch 14 Monate, und da hoffe ich doch, dass Sie diese 14 Monate nutzen, um ein Stück weiterzukommen. Es wäre wirklich im Sinne der Sache.
Zum Antrag, finde ich, muss man eines sagen: Wir bekommen einmal im Jahr seitens des Innenministers die Polizeiliche Kriminalstatistik vorgestellt, und jeder interpretiert dann die Zahlen so für sich, wie er sie gerade politisch braucht. Klar ist aber eigentlich nur eins: dass die Aussagekraft dieser PKS ziemlich begrenzt ist. Das weiß auch jeder von uns hier. Herr Lürbke, worauf ich im Innenausschuss hingewiesen habe, das war die Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei, die gesagt hat, dass diese Polizeiliche Kriminalstatistik ja nicht ganz unerheblich ist. Sie ist nicht ganz unerheblich, weil sie zum Beispiel als Schlüssel für die BKV, die belastungsbezogene Kräfteverteilung, nach der wir die Polizeikräfte im Land aufteilen, dient. Dafür wird sie als Grundlage genommen. Nicht mehr und nicht weniger habe ich dazu gesagt.
Ich habe nicht gesagt, dass wir einen periodischen Sicherheitsbericht als neue Grundlage nehmen sollen. Ich wollte nur verdeutlichen – das hat die GdP in ihrer Stellungnahme richtig dargestellt –, dass man doch erst einmal zur Kenntnis nehmen muss, dass wir eine PKS haben, von der wir alle wissen, dass sie nur eine Eingangsstatistik ist. Wir wissen aber nicht, was mit den mutmaßlichen Tätern passiert, ob sie verurteilt werden.
Wir nehmen sie aber als Grundlage, um die Polizeikräfte im Land zu verteilen. Ihrem Hinweis, dass sie Schwächen hat, stimme ich zu. Ich habe dafür keine Lösung, aber das Problem zu erkennen, ist doch der erste Schritt.
Wenn wir wissen, dass die PKS keine verlässliche Grundlage ist, muss man sich Gedanken machen, wie wir zu einer wissenschaftlich fundierten Grundlage zur Beurteilung der Sicherheitslage kommen; in der Anhörung im Innenausschuss ist deutlich geworden, dass es genau darum gehen muss.
Ich finde, dass Innenpolitik nach wie vor sehr häufig aus einer Art Bauchgefühl heraus gemacht wird – und das bei einem Themenfeld, bei dem es um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger geht, bei dem es um Kriminalitätsbekämpfung geht. Ich finde das nicht richtig. Wir brauchen hier mehr Wissenschaft und mehr fundierte Antworten auf die Frage, wie sich Kriminalität entwickelt.
Im Innenausschuss wurde darauf hingewiesen, dass das so teuer wäre, dass man es nicht machen könne, weil es viel Geld koste. Sicherlich kostet so etwas Geld; das ist überhaupt keine Frage. Ich sage Ihnen aber: Das Innenministerium hat einen großen Etat, und das ist auch richtig so, denn es geht um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger.
Wenn wir einen so großen Etat haben, wenn wir damit Hunderte von Polizistinnen und Polizisten einstellen, wenn wir Technik, Ausrüstung und Ausstattung kaufen, die Ausbildung der Beamtinnen und Beamten finanzieren usw., ist es doch richtig, auch Geld für die Forschung in die Hand zu nehmen und zu prüfen, wie sich die Sicherheitslage bei uns im Land darstellt.
Ich denke, das ist ganz gut angelegtes Geld und würde sicherlich zur Versachlichung der Diskussion in der Innenpolitik insgesamt beitragen. Das wäre aus meiner Sicht wirklich sehr wünschenswert. Deshalb ist das aus meiner Sicht ein guter Antrag, dem wir gleich zustimmen werden.
Auf das Thema „Verlaufsstatistik von PKS und Justizstatistiken“ hatte ich gerade schon hingewiesen. Das wäre genauso wichtig wie Dunkelfeldstudien. Hier finde ich einen Aspekt aus dem Antrag sehr relevant, den ich betonen möchte: Wir legen in der Innenpolitik den Fokus vor allem auf die Täterinnen und Täter; meistens sind es Täter. Bei der PKS schauen wir, wer welche Straftaten in welchen Alterskohorten, in welchen Deliktsfeldern begangen hat usw.
Wir richten aber sehr selten den Blick auf die Opfer. Wir schauen sehr selten darauf, wer eigentlich von Kriminalität und von welcher Art von Kriminalität betroffen ist. Was macht Kriminalität mit den Menschen, die davon betroffen sind? Welche physischen und vor allem psychischen Folgen hat Kriminalität auf die Menschen? – Ich denke, auch darum muss es gehen.
Deshalb sind Dunkelfeldstudien so wichtig, die aufhellen, die der Frage nachgehen, wo es Kriminalität zum Beispiel in Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen oder gegen Kinder und Kindesmissbrauch gibt. Das ist für uns alle ein total wichtiges Thema; dazu gehört auch der Bereich der Kindesmisshandlungen.
Es wäre doch wichtig, das näher zu betrachten, um Antworten zu finden und zu überlegen, wie wir die Kriminalität bekämpfen, wie wir den Opfern helfen können. Darum muss es uns gehen. Deshalb möchte ich sehr dafür werben, auch wenn es nicht unser Antrag ist. Ich finde es ein bisschen schade, dass wir Grüne nicht schneller waren, sondern die SPD. Wir werden ihm dennoch zustimmen.
Es ist ein sehr guter Antrag, und ich hoffe sehr, dass sich die nächste Koalition in 14 Monaten – dann ist die nächste Landtagswahl – hier im Land darauf verständigt, genau einen solchen periodischen Sicherheitsbericht einzuführen, weil ich wirklich davon überzeugt bin, dass er uns wichtige Einblicke in die Sicherheitslage unseres Landes verschafft. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und von Regina Kopp-Herr [SPD])