“Wir brauchen regelmäßige Dunkelfeldstudien, um abschätzen zu können, wie es um die Kriminalitätsentwicklung in Nordrhein-Westfalen bestellt ist”
Zur Großen Anfrage der SPD-Fraktion zur Situation der Polizei
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Golland, Sie haben eine Wahl gewonnen, gerade in der Innenpolitik, weil Sie unglaublich viel Stimmung gemacht haben, weil Sie Populismus verbreitet haben, weil Sie nicht an sachlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen interessiert waren. Damit haben Sie die Wahl gewonnen. Ob das für die innere Sicherheit und unsere Debattenkultur in diesem Land gut war, das bezweifele ich, ehrlich gesagt.
Herr Lürbke ist offenbar schon im Wahlkampfmodus, vielleicht auch im internen Wahlkampfmodus. Keine Ahnung, was bei Ihnen gerade abgeht. Ich finde es wirklich unredlich und unsachlich, wie Sie hier argumentieren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich finde es unglaublich, dass Sie sagen: Alles, was wir machen, ist super gut und toll; Rot-Grün hat ja überhaupt nichts hinbekommen. – Ganz ehrlich, Herr Lürbke, vier Jahre nach dem Regierungswechsel kann ich es nicht mehr hören.
(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE] – Christian Dahm [SPD]: Selbstherrlich!)
Kommen Sie doch mal zurück zu einer sachlichen Fachpolitik, zu einer Sachebene. Dann kommen wir vielleicht weiter. Ich wollte mich bei diesem Tagesordnungspunkt eigentlich gar nicht aufregen, aber ich kann es einfach nicht mehr hören.
Zu Beginn der Rede möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Innenministeriums für die Arbeit danken, die sie sich bei der Beantwortung der Großen Anfrage gemacht haben. Sie haben auf rund 400 Seiten unglaublich viele Daten zusammengetragen. Dafür ein ganz herzliches Dankeschön.
(Christian Dahm [SPD]: So macht man das!)
Ich danke aber auch der SPD-Fraktion für den Versuch, eine Art Bestandsaufnahme zum Thema „Kriminalitätsentwicklung in Nordrhein-Westfalen“ hinzubekommen. Die SPD hat sehr viele Bereiche abgefragt, die die Polizei als Organisation selbst betreffen, aber auch die Kriminalitätsbekämpfung.
Aus der Antwort der Landesregierung wird deutlich, wie groß das Aufgabenspektrum der Polizei in Nordrhein-Westfalen ist, wie viele Bereiche von Beschäftigten es in den einzelnen Dezernaten, in den Referaten, auf den jeweiligen Leitungsebenen der Dienststellen, in den Landesoberbehörden, im Innenministerium gibt. Es wird deutlich, was alles zum Thema „innere Sicherheit“, zum Thema „Polizei“ dazugehört.
Ich will heute gar nicht auf die vielen verschiedenen Aspekte eingehen, sondern vor allen Dingen auf eines hinweisen: Die Antwort der Landesregierung zum Thema „Kriminalitätsentwicklung“ macht sehr deutlich, dass wir einen periodischen Sicherheitsbericht brauchen, der sich nicht nur aus der Datenquelle der Polizeilichen Kriminalstatistik speist.
Wir haben schon häufig darüber diskutiert, und wir hatten dazu auch eine sehr gute Anhörung. Ist der Antrag schon abgelehnt worden? – Ich glaube, nicht. Ich meine, er ist noch im Verfahren und wird in einer der nächsten Innenausschusssitzungen aufgerufen. Dann gäbe es seitens CDU und FDP noch die Chance, dem zuzustimmen.
Das wäre sehr wichtig und notwendig. Denn die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik sind allein, ohne wissenschaftlich fundierte Einordnung, wenig brauchbar. Die PKS, die Polizeiliche Kriminalstatistik, ist – das ist hinlänglich bekannt – eine Eingangsstatistik. Das heißt, dort werden nur ermittelte Tatverdächtige aufgeführt, aber die Statistik sagt rein gar nichts darüber aus, ob eine Tat am Ende auch nachgewiesen wird, ob es zu einem Urteil kommt. Insofern hilft es leider auch nicht, nur die abgefragten Zahlen zu den Verurteilten in den verschiedenen Jahren danebenzulegen, weil Sie ja gar nicht wissen, ob sich die Taten und die Fälle aufeinander beziehen.
Ich habe mich gerade beim Innenministerium für die Beantwortung der Anfrage auf über 300 Seiten bedankt. Insofern tut es mir ein bisschen leid für die viele Arbeit, die Sie sich damit gemacht haben. Aber, wie gesagt, eigentlich brauchen wir andere Instrumente, um die Kriminalitätsentwicklung zu betrachten und zu beurteilen.
(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])
Das hat auch die Anhörung in Innenausschuss sehr deutlich gemacht. Wir brauchen einerseits eine Verlaufsstatistik aus PKS und aus den Justizstatistiken, um überhaupt beurteilen zu können, wie effektiv die Kriminalitätsbekämpfung ist. Wir brauchen andererseits auch mehr Dunkelfeldstudien. Wir Grüne haben immer wieder Dunkelfeldstudien für die einzelnen Kriminalitätsfelder gefordert.
Herr Reul, es wurde gerade von einer Kollegin darauf hingewiesen, dass der Beginn dieser Legislaturperiode schon fast vier Jahre her ist. Ganz zu Beginn dieser Legislaturperiode saß ich noch im Rechtsausschuss, und wir hatten damals nachgefragt, wann denn die Verlaufsstatistiken kommen würden, das Aufeinanderabstimmen von PKS und Justizstatistiken. Damals wurde uns aus dem Justizministerium gesagt, dass man das Projekt von Rot-Grün, eine Verlaufsstatistik einzuführen, fortführen möchte und angeblich das Innenministerium dabei federführend sei. Entweder ist seitdem nicht nichts passiert – das fände ich sehr bedauerlich –, oder es ist etwas passiert, aber bisher nicht präsentiert worden. Das wäre auch sehr schade.
Ich will noch mal dafür werben, dass wir da weiterkommen und vorangehen. Es ist immerhin gut, dass es jetzt schon eine erste Dunkelfeldstudie zum Thema „Sicherheit und Gewalt in Nordrhein-Westfalen“ gegeben hat, vorgestellt von Herrn Reul und Frau Scharrenbach. Aber wir müssen über solche punktuellen Studien hinausgehen. Wir brauchen regelmäßige Dunkelfeldstudien, um abschätzen zu können, wie es um die Kriminalitätsentwicklung in Nordrhein-Westfalen bestellt ist.
Das wäre für uns Innenpolitikerinnen und Innenpolitiker sehr wichtig, um bemessen zu können: Welche Instrumente brauchen wir? Wie viele Haushaltsmittel müssen wir bereitstellen? Denn es geht hier um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Das ist ein herausgehobenes Feld, für das wir einfach mehr brauchen, auch mehr Hintergrundwissen.
Ich will sehr dafür werben, dass wir unsere Sicherheitspolitik, unsere Innenpolitik auf ein verlässlicheres Fundament stellen als die reine Polizeiliche Kriminalstatistik oder das objektive Sicherheitsgefühl von Herrn Lürbke. Wir brauchen da einfach mehr. Dafür möchte ich gern werben. Lassen Sie uns das bitte gemeinsam angehen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)