“Es wird so getan, als würde es ein Tabu geben, über ein Thema zu sprechen”

Zum Antrag der „AfD“-Fraktion auf Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann diejenigen verstehen, die frustriert sind, weil sie inzwischen seit mehr als einem Jahr ihren Job nicht mehr ausüben können und wirklich Sorgen um ihre berufliche Zukunft haben. Menschen, die von Auftritten leben, haben nicht viel zum Leben, wenn keine Auftritte stattfinden können.

Viele Kunst- und Kulturschaffende – ich glaube, das hat uns die Krise noch einmal vor Augen geführt – sind finanziell eben nicht gut abgesichert. Jetzt fehlen die Einnahmen. Das ist tatsächlich eine existenzbedrohende Situation.

Das wissen wir. Deshalb haben wir hier oft im Parlament darüber gesprochen, wie eine Unterstützung in dieser Pandemie aussehen muss. Meines Erachtens geht es aber darüber hinaus auch darum, eine Unterstützung für die Kulturlandschaft nach der Pandemie zu sichern. Wir als Politik sind gefragt, genau für diese Unterstützung zu sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

In einem demokratischen Rechtsstaat ist die Meinungsfreiheit elementar. Das ist heute schon oft angesprochen worden. Selbstverständlich dürfen Aktionen, Demonstrationen und Versammlungen stattfinden, bei denen auf die Folgen und vielleicht auch auf die Ungerechtigkeiten der Coronaschutzmaßnahmen hingewiesen wird. Man muss dann aber auch aushalten können, wenn andere diese Positionen und Aktionen nicht gut finden, wenn sie widersprechen.

Ich habe Widerspruch zu der Aktion „#allesdichtmachen“. Ich habe diesen Widerspruch und will ihn auch deutlich formulieren, ohne dass ich damit den teilnehmenden Schauspielerinnen und Schauspielern auch nur ansatzweise eine Nähe zu Rechtsextremismus unterstellen würde. Aber zu Meinungsvielfalt und Demokratie gehören die Auseinandersetzung, der Diskurs und der Widerspruch dazu.

Ich habe mir fast alle Beiträge angesehen. In einigen dieser Beiträge wird so getan, als hätte es keine Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung und der Landesregierungen gegeben, als hätte es keine politische Debatte gegeben, als hätte es kein Ringen um die richtigen Maßnahmen hier im Parlament gegeben. Das stimmt aber nicht. Wir diskutieren hier seit einem Jahr über den richtigen Weg. Wir führen teilweise sehr kontroverse Debatten darüber. Erst am Mittwoch haben wir hier sehr heftig gestritten.

Es wurde kritisiert, dass es keine kritische Berichterstattung über die Coronaschutzmaßnahmen in den Medien geben würde. Auch das stimmt nicht. Es gibt eine sehr differenzierte Berichterstattung durch die Medien, die sowohl über die Gefahren des Coronavirus und über die Situation in den Intensivstationen als auch über den Protest gegen die Schutzmaßnahmen berichten.

Was mich wirklich stört und auch verstört, ist die Kommunikationsart, die bei diesen Videos angewandt wurde – einmal abgesehen davon, dass vielleicht Ironie und Satire in diesem Fall nicht funktionieren können, weil es so unterschiedliche Meinungen und eine so polarisierte Debatte gibt. Aber die Kommunikationsart, die hier angewandt wurde – das will ich schon einmal ansprechen –, ist eine Strategie, die auch von Rechtspopulisten angewandt wird.

Ich will hier noch einmal klar betonen: Ich unterstelle den Schauspielerinnen und Schauspielern in keinster Weise eine Nähe zu Rechtsextremismus oder Rechtspopulismus. Aber zu der Analyse, wie diese Videos wirken und weshalb sie diese Wirkung entfalten, gehört dazu, dass man sich die Kommunikation ansieht. Dann muss man sagen: Das ähnelt eben der Kommunikationsstrategie, wie wir sie von Rechtspopulisten kennen.

Es wird so getan, als würde es ein Tabu geben, über ein Thema zu sprechen – und das, obwohl das Thema sehr prominent auf allen möglichen Kanälen debattiert wird.

Ähnlich ist das auch hier. Die Initiatoren sagen, dass nicht genug über die Pandemie diskutiert würde, während die öffentliche Debatte seit über 14 Monaten von der Pandemie geprägt ist. Das ist letztlich ein Kommunikationsmuster, das darauf abzielt, zu behaupten, es gäbe keine Kritik, um die eigene Meinung zu überhöhen und jegliche Kritik an dieser Meinung für unzulässig zu erklären.

Da möchte ich ganz klar widersprechen. Wir haben Meinungsvielfalt. Wir haben Debatten, die stattfinden. Das ist auch gut so in einer Demokratie.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass sich durch diese Videobeiträge sogenannte Querdenker bestätigt fühlen, kann doch – ganz ehrlich – niemanden ernsthaft verwundern. Es war auch absehbar, dass die AfD Beifall klatschen würde.

Dass ein Herr Tritschler heute diese Debatte instrumentalisiert, um die Bundesrepublik mit der DDR gleichzusetzen, finde ich allerdings auch ziemlich entlarvend.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Sven Werner Tritschler [AfD]: Zu vergleichen! – Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

– Doch, das hat er. Herr Laschet, hören Sie da noch einmal genau hin. Das hat er getan.

Wenn man sich die Medienrecherchen der letzten zwei Tage anschaut, muss man auch klar konstatieren, dass diese Aktion nahelegt, dass der Beifall durch die Querdenkerszene zumindest durch einen der Initiatoren durchaus bewusst angelegt war. Auch das möchte ich zu bedenken geben.

Die Infragestellung der Gefahr durch das Virus, die Schelte gegen die Politik insgesamt, die Behauptung, die Medien seien gleichgeschaltet: All das knüpft an Narrative an, die von Querdenkern bzw. von Rechtsextremen propagiert werden.

Die Beobachtung der Querdenker durch den Verfassungsschutz hat einen Grund. Warum reden wir über die Querdenker? Warum ist es so relevant, darüber zu diskutieren? Es ist relevant, weil eine Gefahr von Verschwörungsmythen und von dieser Querdenkerszene ausgeht. Verschwörungsmythen untergraben das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat. Verschwörungsmythen sind der Stoff, aus dem Hass und letztlich auch Gewalttaten gegen Minderheiten gemacht sind. Verschwörungsmythen spielten bei den letzten rechtsterroristischen Anschlägen – neben den menschenverachtenden Einstellungen – eine zentrale Rolle.

Deshalb muss man darüber sprechen, welche Gefahr davon ausgeht, ohne – das will ich noch einmal betonen – den Schauspielerinnen und Schauspielern eine Nähe zum Rechtsextremismus zu unterstellen. Das tue ich nicht.

Aber es ist bedenklich, wenn sich sehr bekannte und beliebte Schauspielerinnen und Schauspieler auf diese Art und Weise äußern und wenn bestimmte Szenen dazu Beifall klatschen, sich bestätigt fühlen und damit ihre Ansichten und vielleicht auch ihre Gewalttaten als legitimiert ansehen.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass diese Schauspielerinnen und Schauspieler eine gewisse Reichweite aufweisen, weil sie jeden Sonntagabend quasi bei uns im Wohnzimmer zu Hause sind und damit auch eine gewisse Sympathie haben, weshalb das Gesagte als unproblematisch erscheint.

Deshalb – das will ich hier noch einmal klar betonen – ist der Widerspruch, ist die Auseinandersetzung, ist die Debatte darüber, welche Wirkung diese Videos erzielen und erreichen, so wichtig. Deshalb müssen wir auch darüber reden, was sie mit der Gesellschaft machen.

Ja – das wurde hier auch schon mehrfach gesagt –, manche Beiträge und manche Reaktionen sind deutlich über das Ziel hinausgeschossen; das stimmt. Gleichzeitig zeigen aber die Berichterstattung über die Aktion, die vielen Kommentare und die Diskussionen – auch die Diskussion heute –, dass die Meinungsvielfalt und die Meinungsfreiheit in Deutschland geschützt sind und dass wir kontrovers diskutieren können.

Auch wenn die AfD das wieder einmal nicht wahrhaben will – das bedient ja genau ihr Muster, das sie bedienen möchte –, ist klar, dass unser demokratischer Rechtsstaat funktioniert. Das beweisen wir heute wieder einmal. Der Rechtsstaat funktioniert, und die Meinungsfreiheit in diesem Land ist geschützt.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Dr. Werner Pfeil [FDP])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Schäffer. –

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es wichtig, dass in einer Debatte zum Thema „Demokratie und Meinungsfreiheit“ so ein Redebeitrag der AfD nicht als Letztes stehenbleibt.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich habe ich mich jetzt noch kurz zu Wort gemeldet, weil ich noch auf ein paar Punkte eingehen möchte.

Ich glaube, dass dieses Gegeneinanderaufrechnen von linker oder rechter Gewalt nicht wirklich hilfreich und auch nicht wirklich zulässig ist. Denn eines ist klar, nämlich dass Gewalt niemals ein Mittel einer politischen Auseinandersetzung sein darf. Das ist völlig klar, und das will ich hier noch mal ganz deutlich betonen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Beifall von Christian Loose [AfD] und Sven Werner Tritschler [AfD])

Aber ich will auch ganz klar betonen, dass wir gesellschaftlich gerade in einer Situation sind, in der es sehr stark von Rechtspopulisten, von Rechtsextremisten, von anderen Personen Bedrohungen gegen Menschen gibt, die sich für Flüchtlinge, für unsere Demokratie insgesamt, für Minderheiten einsetzen. Gerade im Internet findet das momentan massiv statt. Das Thema „Hate Speech“ haben wir an dieser Stelle schon diskutiert. Diese Formen, die es annimmt, sind auch darauf ausgerichtet, Menschen einzuschüchtern sollen, zum Beispiel kein kommunalpolitisches Mandat einzunehmen, sich nicht politisch zu engagieren.

Diesen Einschüchterungsversuchen müssen wir ganz klar entgegentreten, weil es nicht sein kann und nicht sein darf, dass Menschen sich so sehr unter Druck gesetzt sehen und Drohungen bekommen, die sich gegen sie und ihre Familien richten, dass sie sich nicht mehr öffentlich für unser Gemeinwohl und unser Gemeinwesen einsetzen. Dagegen müssen wir als Demokratinnen und Demokraten ganz klar handeln.

(Beifall von den GRÜNEN, Dr. Günther Bergmann [CDU] und Dr. Ralf Nolten [CDU])

Der letzte Wortbeitrag hat sehr deutlich gemacht, dass die AfD diese heutige Debatte instrumentalisiert und die immer gleichen antidemokratischen Narrative von sich gibt.

Ich will hier nicht wiederholen, was Sie im Einzelnen gesagt haben, Herr Tritschler, aber ich glaube, dass Ihre Rhetorik sehr deutlich gemacht hat, wessen Geistes Kind Sie sind.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Henning Höne [FDP])

Ich bin wirklich froh darüber, trotz aller Differenzen und Auseinandersetzungen, die wir im demokratischen Spektrum miteinander führen und auch führen sollten, denn das gehört zur Demokratie dazu, hier in einem Parlament zu stehen, wo es eine starke demokratische Mehrheit gibt, die sich heute ganz klar zur Meinungsfreiheit und zur Demokratie bekannt und die der AfD sehr deutlich widersprochen hat.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, Bodo Löttgen [CDU] und Henning Höne [FDP])