“Sich hier hinzustellen und die Verantwortung auf die Menschen, auf die Kommunen und auf den Deutschen Wetterdienst abzuschieben, finde ich eine Unverschämtheit”

Zur Unterrichtung der Landesregierung zur Flutkatastrophe

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie konnte das geschehen? Diese Frage hat der Landtagspräsident gerade in der Gedenkstunde gestellt. Wie konnte diese furchtbare Katastrophe geschehen? Warum wurden die Unwetterwarnungen nicht richtig eingeordnet? Warum wurden die Kommunen nicht zum Handeln aufgefordert? Warum wurden die Menschen nicht früher gewarnt?

Das sind doch die Fragen, die die Menschen umtreiben und die auch aufgearbeitet werden müssen.

(Thomas Schnelle [CDU]: Nein, das sind andere Fragen!)

Wie können wir den Katastrophenschutz stärken, damit eine solche Naturkatastrophe nicht noch einmal so viel Leid bringt und damit Menschen wirklich geschützt werden können? Das war eigentlich die Fragestellung für die heutige Unterrichtung, aber leider hat Innenminister Reul in keinster Weise eine Lehre oder Konsequenz aus dieser Katastrophe gezogen.

(Henning Rehbaum [CDU]: Haben Sie nicht zugehört?)

Ich finde, das ist ein inhaltliches Armutszeugnis für diese Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Dummes Zeug! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Ja, Herr Schnelle, er hat etwas zum Thema „Warnungen“ gesagt. Aber wenn man über Warnungen spricht, dann muss man aufpassen, dass man die Verantwortung nicht auf die Bürgerinnen und Bürger abschiebt.

(Zurufe von der CDU)

Es ist immer noch der Staat, der für die richtige Einordnung einer Katastrophe sorgen muss, und das ist hier versäumt worden!

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Landesregierung hat es schlichtweg versäumt,

(Daniel Sieveke [CDU]: Unglaublich!)

dass die Fachexperten aus dem Innenministerium und aus dem Umweltministerium miteinander reden, dass sie eine Einordnung der Unwetterwarnung vornehmen. Dann können Sie doch nicht sagen: Wir müssen mehr warnen,

(Marc Lürbke [FDP]: Wenn Sie alles wissen, brauchen Sie doch keinen Untersuchungsausschuss!)

damit die Menschen wissen, dass sie nicht in den Keller gehen sollen.

Ich bitte Sie!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sich hier hinzustellen und die Verantwortung auf die Menschen, auf die Kommunen und auf den Deutschen Wetterdienst abzuschieben, solch eine Rechtfertigungshaltung finde ich eine Unverschämtheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Aber ich bin ja bei Ihnen, Herr Reul, wenn Sie sagen, wir müssen jetzt Konsequenzen ziehen. Ich habe noch nie so viele Angebote zur inhaltlichen Mitarbeit von dieser Regierung bekommen wie in den letzten sechs Tagen. Ich sage Ihnen zu – das habe ich Ihnen auch geschrieben, Herr Reul –: Ich arbeite sehr gerne konstruktiv mit. Wir Grüne haben Vorschläge vorgelegt, um den Katastrophenschutz zu reformieren und zu verbessern. Wir arbeiten gerne mit. Aber dass Sie das an die Bedingung knüpfen, dass wir unsere parlamentarischen Rechte als Abgeordnete in einem Untersuchungsausschuss nicht wahrnehmen sollen, auch das ist eine Unverschämtheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass eine Enquetekommission in keiner Weise die parlamentarischen Rechte hat wie ein Untersuchungsausschuss, Akteneinsicht, Zeugen zu hören, um wirklich zu erfahren, was schiefgelaufen ist. Es geht nicht darum, Schuldige zu finden, wie Sie es hier formulieren.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Ihnen sollte nicht entgangen sein, dass wir uns hier nicht in einem Gerichtssaal befinden, sondern in einem Parlament,

(Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

und ein Parlament hat zuvorderst die Aufgabe, Gesetze zu verabschieden und die Landesregierung zu kontrollieren. Kontrollieren heißt eben auch, nachzuvollziehen, wo strukturell Fehler passiert sind.

Da ich Frau Korte, die stellvertretende Vorsitzende des PUA Kindesmissbrauch, sehe, wo wir beide sehr intensiv arbeiten: Aufzuarbeiten und Konsequenzen daraus zu ziehen, schließt sich nicht aus. – Ich weiß, Sie haben das nicht gesagt, aber andere legen das hier argumentativ so an. Es schließt sich nicht aus! Wir haben im Bereich Kindesmissbrauch einen Untersuchungsausschuss. Wir haben eine Kinderschutzkommission hier im Landtag. Der Innenminister hat eine Stabsstelle eingerichtet, die Polizei hat auch schon Sachen umgesetzt. Das heißt, auf der einen Seite aufzuarbeiten und auf der anderen Seite Konsequenzen zu ziehen, schließt sich in keiner Weise aus. Deshalb müssen wir das hier auch so machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte gerne noch darauf eingehen, welche Prozesse aus meiner Sicht nach dieser Katastrophe anstehen.

Das ist zum einen die Hilfe für die Betroffenen, das Thema „Wiederaufbau“, worüber wir sicherlich später noch diskutieren. Es ist zum anderen die Aufarbeitung von Behördenhandeln. Noch einmal: Hier sind 49 Menschen in diesem Land gestorben. Es geht konkret um das Handeln von Behörden. Das gehört aus meiner Sicht aufgearbeitet.

Ferner geht es darum, Konsequenzen zu ziehen, Konsequenzen für Klimaschutz, für das Thema „Klimafolgenanpassung“, für den Katastrophenschutz und auch für den Hochwasserschutz. Wir Grüne haben Vorschläge dafür vorgelegt.

Da so wenig vom Innenminister kam und er selber gesagt hat, wir müssten jetzt schnell Konsequenzen ziehen, möchte ich Ihnen gerne welche für den Katastrophenschutz mit auf den Weg geben. Von Ihnen ist da ja leider herzlich wenig gekommen.

Aus meiner Sicht brauchen wir die Katastrophenschutzbedarfspläne. Im Rahmen von Katastrophenvorsorge brauchen wir die Bedarfsplanung in den Kreisen und kreisfreien Städten als unseren Katastrophenschutzbehörden.

Das Land darf sich in solch einer Lage nicht aus der Verantwortung ziehen. Das heißt in der Konsequenz, dass wir in einer solchen Situation Landeskompetenzen brauchen,

(Henning Rehbaum [CDU]: Was haben Sie 2016 gemacht?)

wenn Entscheidungen zu treffen sind, die mehrere Gebietskörperschaften betreffen, um Ressourcen zielgerichtet steuern zu können. In einem weiteren Schritt brauchen wir so etwas wie ein Landesamt für den Katastrophenschutz als eigene Behörde, als stärkere Abteilung, wie auch immer. Das kann man ja alles diskutieren.

Wir brauchen klare Regeln für den Krisenstab. Wann wird der Krisenstab der Landesregierung tatsächlich mal eingesetzt? Das muss klar und deutlich und offenbar gesetzlich geregelt sein, denn sonst funktioniert es ja nicht.

(Christian Dahm [SPD]: Die Regeln haben wir doch schon! Wir müssen sie nur anwenden!)

– Wir haben Regeln, man muss sie anwenden, da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber vielleicht muss man sie konkretisieren, damit auch diese Landesregierung sie versteht.

Des Weiteren brauchen wir in solchen Lagen eine Verzahnung der vorhandenen Fachexpertise, dass eben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Ministerien in einer solchen Katastrophenlage wirklich miteinander sprechen.

Auf eines möchte ich noch eingehen, nämlich auf den Titel der Unterrichtung. Abgesehen davon, dass Sie hier keine Konsequenzen benannt haben, will ich noch auf die Begrifflichkeit der „Jahrhundertflut“ eingehen. Es ist überschrieben mit „Jahrhundertflut 2021“. Ich glaube, wir müssen uns von solchen Begrifflichkeiten lösen. Sie haben offenbar nicht verstanden, dass wir nicht mehr alle 100 Jahre über Fluten sprechen, sondern wir haben schon jetzt eine Erderwärmung von 1,2 Grad, die zu mehr Extremwetterereignissen führen wird.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Das ist der Status quo, den wir nicht mehr zurückdrehen können. Das zeigt uns doch noch mal deutlich, dass wir mehr Klimaschutz brauchen, dass wir nicht über das 1,5-Grad-Ziel hinausgehen dürfen. Das heißt konsequenter Klimaschutz, das heißt auch, Herr Laschet, dass wir aus der Kohle aussteigen müssen, und zwar nicht erst 2038, wie Olaf Scholz und Armin Laschet es wollen, sondern im Jahre 2030.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Das muss doch eine der Konsequenzen aus dieser Flutkatastrophe sein.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)