„Das reicht doch nicht aus, wenn man Verantwortung für die Menschen in diesem Land trägt“
Rede zur Unterrichtung der Landesregierung zur aktuellen Situation in der Corona-Pandemie
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach Ihrer Rede, Herr Löttgen, muss man wirklich erst mal tief durchatmen. Ich finde es unglaublich, wie Sie hier die Lage schönreden, wie Sie sich selbst absolut widersprechen, wie Sie auf der einen Seite sagen, in Nordrhein-Westfalen sei doch alles gar nicht so schlimm, und auf der anderen Seite die Maskenpflicht in den Schulen wieder einführen, was ich übrigens richtig finde.
Sie bringen einen Antrag ein, um das gesamte Register des Bundesinfektionsschutzgesetzes zu ziehen, was ich auch richtig finde. In Ihrem Antrag steht übrigens: Sie wollen damit der konkreten Gefahr der epidemischen Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit begegnen. – Das ist also alles ziemlich widersprüchlich, was Sie hier in Ihrer Rede gerade dargestellt haben. Sie widersprechen dem Ministerpräsidenten.
Ich kann Ihnen wirklich nur sagen, Herr Löttgen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist ein Ausweis dessen, dass Sie an Realitätsverlust leiden –
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
und das in so einer Situation und als Vorsitzender der größten Fraktion hier.
Herr Wüst, Sie sprechen von einer „konzentrierten Wachsamkeit“. Eine konzentrierte Wachsamkeit heißt offenbar bei dieser Landesregierung: Zugucken und Nichtstun und Abwarten und Mit-dem-Finger-nach-Berlin-Zeigen. – Aber das reicht doch nicht aus, wenn man Verantwortung für die Menschen in diesem Land trägt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Stattdessen hören wir von Herrn Wüst viele markige Worte. Zitat: Da läuft uns die Zeit weg, wir müssen alle Register ziehen. – So am Montag im ARD-„Mittagsmagazin“.
Dann fragt man sich: Warum nutzt denn diese Landesregierung dann nicht alle ihre rechtlichen Möglichkeiten? Warum lässt sie schon wieder Zeit verstreichen? – Das Muster ist ja inzwischen sehr erkennbar: Die Landesregierung kündigt irgendetwas Unkonkretes an. Dann schiebt sie die Verantwortung nach Berlin und will erst mal abwarten, bis eine Ministerpräsidentenkonferenz entscheiden wird. Dann wartet man wieder eine ganze Woche ab, und dann haben wir hoffentlich irgendwann eine konkrete Schutzverordnung.
Und jeden Tag verlieren wir weiter wertvolle Zeit. Man muss einfach klar sagen: In dieser Situation zählt doch jeder einzelne Tag. Dass Sie immer wieder abwarten und nach Berlin zeigen, finde ich unverantwortlich. Ich finde das auch unangemessen für eine Landesregierung in dieser Situation.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wenn man sich hier so die Reden von Herrn Wüst – und, ja, auch von Herrn Löttgen – anguckt, dann muss man sagen: Sie scheinen sich ja in der Oppositionsrolle ganz gut zu gefallen. Sie sind ja mehr damit beschäftigt, sich gegen die kommende Ampelregierung in Berlin zu positionieren als hier in Nordrhein-Westfalen Verantwortung zu übernehmen.
(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])
Auch wenn Sie die Oppositionsrolle hier in NRW ja zu reizen scheint,
(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])
geht Ihr Nichthandeln eindeutig zulasten der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen. Das ist einfach nicht in Ordnung. Das ist verantwortungslos.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Da ja heute schon mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass wir es mit einer neuen Virusmutation zu tun haben, muss man ganz klar feststellen: Es mag der FDP jetzt hier als Gesichtswahrung dienen, dass man sich auf Omikron beziehen kann, um jetzt doch noch den Verschärfungen von Maßnahmen im Kabinett zuzustimmen. Aber klar ist auch, Herr Wüst, Frau Gebauer: Momentan ist unser Problem immer noch Delta. Die Auswirkungen der neuen Virusmutation werden wir wahrscheinlich erst noch zu spüren bekommen,
(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])
wenn die Vorhersagen der Expertinnen und Experten zutreffen. Das zeigt doch nur, wie dramatisch die Lage gerade ist und noch zu werden droht. Deshalb kann man nur hoffen, dass die FDP jetzt endlich aus ihrer Blockadehaltung herauskommt.
(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Och nee!)
Verantwortung in der Krise zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen – das sind aus meiner Sicht die Punkte, die zu einem guten Krisenmanagement dazugehören. Die Eckpfeiler von Krisenkommunikation sind Schnelligkeit, Wahrhaftigkeit, Verständlichkeit und Konsistenz, und auf das Krisenmanagement dieser Landesregierung trifft rein gar nichts davon zu.
Christian Lindner hatte noch am Montag bei Anne Will von einem Managementproblem in der Pandemie gesprochen. Dieses Managementproblem wird in Nordrhein-Westfalen doch offenkundig.
Deshalb wäre es wichtig, dass Sie auch hier in Nordrhein-Westfalen endlich den Krisenstab der Landesregierung aktivieren, um das Managementproblem in den Griff zu kriegen, zum Beispiel bei der Organisation der Impfungen, aber auch, um endlich konsistent und angemessen zu kommunizieren, mit der Bevölkerung, mit den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit den Kommunen.
Wir fragen uns im Parlament seit inzwischen über anderthalb Jahren: Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, den Krisenstab der Landesregierung einzuberufen? Da kann ich nur sagen, Herr Wüst: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt. Es ist dringend notwendig, endlich den Krisenstab einzuberufen und zu aktivieren.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Die Krisenkommunikation der Landeregierung ist ja nicht erst seit heute ein Desaster. Aber je schlimmer die Situation wird, desto wichtiger wird auch die Kommunikation in die Bevölkerung hinein, aber auch mit den Kommunen.
Wie, Herr Wüst, konnten Sie ernsthaft am vergangenen Freitag ein Fußballspiel mit 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauern als angemessen bezeichnen? Ich finde das einfach unglaublich.
Auch heute geben Sie ja keine konkreten Antworten, wie es denn jetzt weitergeht. Sie sagen: Es muss eine Reduzierung der Zuschauerzahlen geben, auch mit Blick auf das Wochenende. – Aber auch hier warten wieder alle auf konkrete Antworten; die sind Sie schuldig geblieben.
Das tut mir leid für die vielen Fans, aber ich meine, wir kommen um Geisterspiele in dieser Situation einfach nicht herum, weil ein Fußballspiel auch nur mit einem Drittel der Auslastung in Dortmund derzeit einfach 27.000 Menschen zu viel in Straßenbahnen, in Bussen und Bahnen und eben auf den Tribünen bedeutet.
Für diese Regelung brauchen Sie auch nicht den Bund und nicht die MPK morgen. Sie können es einfach festlegen. Also fassen Sie doch endlich mal den Mut für solche auch unbequemen Entscheidungen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, wir Grüne haben letzte Woche hier im Landtag einen Antrag vorgelegt, damit der volle Instrumentenkasten des Bundesinfektionsschutzgesetzes aktiviert wird. Ich kann mich noch sehr gut an die Rede des gesundheitspolitischen Sprechers Peter Preuß erinnern. Da haben Sie uns hier wortreich vorgetragen, wir Grüne würden ja nur den Lockdown fordern. Die CDU und die FDP haben laut Beifall geklatscht und dann diesen Antrag abgelehnt, um jetzt, eine Woche später, zu sagen: Wir brauchen jetzt doch diesen Instrumentenkasten.
Es ist ja gut, dass Sie wenigstens jetzt zu dieser Einsicht gelangen; besser spät, als nie. Aber auch hier muss man wieder klar sagen: Wir befinden uns wieder hinter der Lage. Sie hätten es letzte Woche machen können. Sie hätten es letzte Woche beschließen können, die Maßnahmen planen können, eine Coronaschutzverordnung vorbereiten können. Auch hier sind wir wieder völlig hinter der Lage.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ja, es ist gut, dass die Maskenpflicht an den Schulen wieder eingeführt werden soll. Und wie man hört – ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich habe es gehört, auch schon mehrfach –, musste der Ministerpräsident seine Richtlinienkompetenz geltend machen, um die Schulministerin endlich zum Einlenken zu bewegen.
Es ist ohne Frage absolut bitter, dass es wieder eine Situation geben wird, in der wir Kindern und Jugendlichen solche Einschränkungen auferlegen müssen, weil wir Erwachsene es nicht geschafft haben, uns ausreichend zu impfen.
(Helmut Seifen [AfD]: Das bedauern Sie?)
– Ja, ich bedaure es.
(Helmut Seifen [AfD]: Das meinen Sie doch nicht ernst, das Bedauern! – Ministerin Yvonne Gebauer: Das bedauern Sie doch gar nicht!)
– Doch, Frau Gebauer. Ich habe eine Tochter, die in die Schule geht und die sich sicherlich nicht darüber freut,
(Ministerin Yvonne Gebauer: Nein, das bedauern die Grünen nicht!)
dass sie ab morgen wieder Maske tragen muss.
(Helmut Seifen [AfD]: Dann haben Sie Erbarmen! Dann reden Sie doch nicht so!)
Aber ich sage auch ganz klar: Wir wissen, dass es zu Infektionen in den Schulen kommt. Wir wissen aber auch, dass die Masken bei den Kindern und generell in der Pandemie ein wirksames und auch mildes Mittel sind, um diese Pandemie zu bekämpfen und Infektionen zu verhindern.
(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch Quatsch!)
Da will ich auch ganz deutlich sagen: Es tut mir leid für meine Tochter, und es tut mir leid für alle Kinder und Jugendliche in diesem Land,
(Helmut Seifen [AfD]: Das tut Ihnen doch gar nicht leid!)
aber ich möchte, dass mein Kind und alle Kinder in dieser Pandemie geschützt werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Deshalb sage ich in meiner Verantwortung als Politikerin, aber auch als Mutter, dass ich dieses mildere Mittel befürworte, damit keine weiteren Kinder krank werden. Ich weiß – glauben Sie mir –, was es bedeutet, wenn Kinder krank werden, und ich weiß auch, was es bedeutet, wenn Kinder danach Long COVID haben. Das können Sie mir glauben, Frau Gebauer; wir können uns gerne an anderer Stelle noch einmal darüber austauschen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Ich glaube Ihnen nicht! Seien Sie einfach Mutter!)
Ein weiteres unrühmliches Kapitel dieser Landesregierung ist die Beschaffung von Luftfiltern für Schulen, damit Kinder und Jugendliche möglichst sicher lernen können. Und auch hier zeigt sich wieder, dass die Landesregierung zu spät handelt, zu unentschlossen handelt, dass sie es nicht schafft, die Maßnahmen auf die Schiene zu setzen.
Wir haben im Haushalts- und Finanzausschuss nachgefragt. Von den 90 Millionen Euro für das zweite Programm sind – Stand: Ende Oktober – gerade einmal 3,2 Millionen Euro bewilligt worden. Das ist eine Abrufquote von gerade einmal 3,5 %. Insofern frage ich mich wirklich, Frau Gebauer, was Sie daran hindert, ein wirklich funktionierendes Landesprogramm aufzusetzen, damit die Luftfilter endlich in den Schulen ankommen. Das müssten Sie jetzt dringend auf den Weg bringen.
(Beifall von den GRÜNEN – Ministerin Yvonne Gebauer: Das habe ich Ihnen schon mehrfach gesagt!)
Ich möchte zum Schluss noch einmal das Thema „Impfen“ ansprechen, weil es mir wichtig ist. Wir wissen, dass wir konsequent die Kontakte einschränken müssen, dass wir das Impfen massiv hochfahren müssen, und wir sehen, dass die Impfungen durch diese Landesregierung nach wie vor total schlecht organisiert sind.
Es reicht nicht, sich hierhin zu stellen und zu sagen: Wir danken den Kommunen dafür, dass sie es gut machen. – Nein, es muss doch in der Verantwortung des Landes und dieser Landesregierung liegen, die Impfungen ordentlich zu organisieren. Man muss den Menschen wirklich dankbar dafür sein, dass sie stundenlang in der Kälte und im Nieselregen für ihre Impfungen anstehen. Information, Aufklärung, mobile Angebote, proaktive Terminvergaben – das hätten Sie längst angehen müssen. Das müssen Sie jetzt umso dringender angehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Herr Wüst, Sie sind ja Vorsitzender der MPK. Wir wissen, wir befinden uns in einer weltumspannenden Pandemie. Und wir wissen auch, dass wir diese Pandemie nur besiegen und weitere Virusmutationen verhindern werden können, wenn wir dafür sorgen, dass in alle Teile dieser Welt Impfstoff gelangt und in allen Teilen dieser Welt verfügbar ist. Ich wünsche mir, dass sich die MPK auch mit diesen Fragen auseinandersetzt; denn ansonsten wird uns die Pandemie noch lange Zeit beschäftigen. Ich meine, dass Solidarität in einer Krise auch für unsere eigene Gesundheit auch im internationalen Kontext wichtig ist. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)