„Die Menschen haben mir berichtet, dass sie nicht mehr schlafen können oder dass Regen für sie ganz furchtbar ist“

Meine Rede zum Antrag der SPD-Fraktion zur Hochwasserkatastrophe

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Hochwasser im Juli letzten Jahres hat weitreichende Folgen. Wie wir alle wissen, liegen die Schäden an Wohnhäusern von Privatleuten, an öffentlicher Infrastruktur und bei Unternehmen in Milliardenhöhe.

Aber noch viel schlimmer ist, dass in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz über 180 Menschen gestorben sind. Es ist furchtbar, dass Menschen ihre Angehörigen verloren haben, dass sie selbst um ihr Leben fürchten mussten oder dass sie mit angesehen haben, wie Menschen um Hilfe gerufen haben, ihnen aber niemand mehr helfen konnte, weil die Wassermassen einfach zu stark waren.

Ich habe bei meinen Besuchen in Altenahr, Hagen, Erftstadt und Euskirchen Menschen kennengelernt, die in dieser Hochwassernacht um ihr Leben gekämpft haben und stundenlang nicht wussten, ob sie die Nacht wirklich überleben würden.

Ich habe eine Frau aus dem Kreis Euskirchen kennengelernt, die doppelt betroffen war. Zum einen hat sie als Mutter von ihren zwei Töchtern tagelang keine Nachricht erhalten, wie es ihnen geht. Zum anderen war sie als Einsatzkraft einer Katastrophenschutzorganisation selbst über Tage im Einsatz und hat das Leid der Menschen mit angesehen.

Besonders traurig macht mich die Situation von Kindern, die alles verloren haben. Wir können uns als Erwachsene vielleicht gar nicht mehr richtig vorstellen, wie es ist, als Kind ein geliebtes Kuscheltier zu haben, das verloren geht und nie wieder da sein wird. Diese Kinder und Jugendlichen mussten miterleben, dass auch ihre Eltern in dieser Situation völlig hilflos und verzweifelt waren. Was macht das mit Kindern und Jugendlichen?

Aber was macht es auch mit Erwachsenen, in so einer Extremsituation zu sein? Die Menschen haben mir berichtet, dass sie nicht mehr schlafen können oder dass Regen für sie ganz furchtbar ist.

Wir wissen auch – das ist hier in den Reden bereits angeklungen und schon mehrfach gesagt worden –, dass ein solches Trauma auch später noch hochkommen kann und dass die Menschen – wahrscheinlich über einen sehr langen Zeitraum – Hilfe brauchen. Deshalb sind Angebote für die Menschen in den Gebieten, die vom Hochwasser betroffen sind, so wichtig – insbesondere niedrigschwellige Angebote, aber auch spezialisierte Angebote für Kinder und Jugendliche.

Ich möchte an dieser Stelle hinzufügen, dass auch Angebote für Einsatzkräfte wichtig sind: für Feuerwehren, für Hilfsorganisationen, für die Polizei, für all jene also, die im Einsatz waren, die solche Situationen erleben mussten, die sie auch erst mal verarbeiten müssen. Das Anliegen des Antrages teilen wir daher sehr.

Die Forderung an die Landesregierung, in einen koordinierten Prozess mit allen Akteuren zu gehen, um solche Angebote in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten zu schaffen, ist aus unserer Sicht richtig. Hier möchte ich allerdings ein Aber einfügen, da auch wir in unserer Fraktion einen Abwägungsprozess vorgenommen haben.

Wir haben sehr lange und sehr intensiv darüber diskutiert, wie wir bei diesem Antrag abstimmen wollen, ob wir zustimmen, ob wir uns enthalten. Ich mache dies deshalb so transparent, weil ich es wichtig finde, dass wir nicht einfach nur die Hand heben und sagen: Liebe Landesregierung, macht mal. – So einfach darf man es sich bei solchen Fragen nicht machen.

Wir haben uns gefragt: Was heißt „Traumazentrum“ – das klingt erst mal sehr gut – denn konkret? Was unterscheidet es zum Beispiel von den Traumaambulanzen, die bereits für die Opfer der Flutkatastrophe geöffnet wurden? Es ist richtigerweise darauf hingewiesen worden, dass es schon Angebote gibt.

Wir wissen auch, dass die psychotherapeutische Regelversorgung ein Problem ist und dass es hier Bedarfe gibt, die derzeit nicht gedeckt werden, nicht nur in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten. Es gibt in der Tat zu wenig Kassensitze für Psychotherapeutinnen und ‑therapeuten. Aber an wen richtet sich denn die Forderung, mehr davon zu schaffen? Das ist doch eine Forderung an die Krankenkassen, an die Kassenärztlichen Vereinigungen, die vor Jahren den Bedarf errechnet und bisher nicht angepasst haben.

Damit sich in dieser Frage etwas bewegt, plant die Bundesregierung, die Bedarfsplanung zu reformieren, damit die Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz reduziert werden können. Hier ist der Bundesgesundheitsminister in der Verantwortung, etwas vorzulegen.

Richtig ist, dass Rheinland-Pfalz ein neues Traumahilfezentrum im Ahrtal eingerichtet hat. Das kann vielleicht ein Vorbild für Nordrhein-Westfalen sein.

Richtig ist ebenfalls, dass man sich auf den Weg machen und Gespräche führen muss. Wenn man sich nämlich nicht auf den Weg macht, kommt man nicht an.

Daher will ich es noch einmal betonen: Wir haben lange abgewogen. Wir werden dem Antrag jetzt zustimmen. Ich will nur davor warnen, vorschnelle Versprechungen abzugeben, die die Politik nachher nicht einhalten, nicht einlösen kann. Das dürfen wir nicht machen. Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen, und zwar alle miteinander hier im Parlament.

Wir werden dem Antrag jetzt zustimmen, aber, wie gesagt, meine Bedenken und unsere offenen Fragen bleiben trotzdem bestehen. Es war uns wichtig, diese heute noch einmal zu artikulieren.

Ich glaube, in dem Ziel, nämlich dass die Menschen vor Ort Hilfe bekommen und unterstützt werden, sind wir uns sehr einig. Es ist sehr wichtig, das noch einmal herauszustellen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Ralf Nolten [CDU])