„Wir wissen um die Notwendigkeit einer starken sozialen Infrastruktur“
Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktionen von SPD und „AfD“ zum Thema #nrwbleibsozial
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen gerade ging, aber ich finde es schon ein bisschen kurios, dass jetzt ausgerechnet die FDP vom sozialen Gewissen spricht, aber gut. Das sind ganz neue Töne hier im Landtag – interessant.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Gordan Dudas [SPD]: Das sollte Ihnen zu denken geben! – Weitere Zurufe)
Vielleicht verwundert es Sie, aber ich habe mich über die große Beteiligung an der Demo hier am vergangenen Donnerstag wirklich gefreut, weil …
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Man hat sich auch gefreut, dass Sie gesprochen haben!)
– Ja, Sie können reinrufen, Sie können mir zuhören – das entscheiden Sie; aber ich habe das Wort.
(Zuruf von der SPD: Wir können beides!)
Ich habe mich aus zwei Gründen gefreut. Ich habe mich gefreut, dass es in Zeiten, in denen immer mehr Menschen diese Demokratie ablehnen oder ihr skeptisch gegenüberstehen, Menschen gibt, die sich einbringen, die friedlich und eindringlich für ihre Anliegen demonstrieren. Das ist ein gutes Zeichen für die Demokratie; das hat mich gefreut.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Zweitens – und das ist natürlich viel wichtiger – teile ich das inhaltliche Anliegen. Es geht um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Kitas, OGS, Frauenhäuser, Migrationsberatung, Wohnungslosenhilfe, Schuldnerberatung, Begegnungscafés – die Menschen, die sich in diesen Einrichtungen engagieren, die dort arbeiten, die sich aufreiben und teilweise über ihre Grenzen gehen, sind elementar für die Bildung unserer Kinder. Sie bieten Schutz und Sicherheit, helfen in Notlagen und haben ein offenes Ohr für ältere Menschen in Einsamkeit. Diese Menschen und die dort geleistete Arbeit bilden den Kitt unserer Gesellschaft.
Wir von der schwarz-grünen Koalition sehen das, und wir wissen um die Notwendigkeit einer starken sozialen Infrastruktur.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deshalb haben wir beim Sondervermögen zur Krisenbewältigung auch insbesondere die sozialen Einrichtungen in den Blick genommen. Wir haben die Kitas, die Tafeln, die Beratungsstellen und die Frauenhäuser unterstützt,
(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])
weil sie in diesen von Krisen geprägten Zeiten sehr viel auffangen und wir das sehen. Uns war es wichtig, im Rahmen des Möglichen alles zu tun, um die Einrichtungen zu unterstützen. Gerne hätten wir auch noch mehr und für einen längeren Zeitraum gemacht.
Ein Leben in Selbstbestimmung und Würde muss für alle Menschen möglich sein. Deshalb müssen wir auch die politische Auseinandersetzung darüber führen, welchen Stellenwert die sozialen Einrichtungen von Kitas bis zur Tagespflege für Seniorinnen und Senioren in unserer Gesellschaft haben.
(Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
Das ist eine politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung, die darüber geführt werden muss, welche Prioritätensetzung wir bei der Verteilung von Steuergeldern vornehmen. Das ist eine Diskussion, die wir auf allen Ebenen führen müssen, von der Kommune über die Bundesländer hin zum Bund und zu Europa. Das ist eine Frage, die sich alle stellen müssen, die auf diesen verschiedenen politischen Ebenen Verantwortung tragen. Das ist letztlich keine parteipolitische Frage.
(Thorsten Klute [SPD]: Aha!)
Es ist eine Frage, wie wir als Gesellschaft Prioritäten setzen wollen.
(Nadja Lüders [SPD]: Ihre Aufgabe! – Zurufe von Kirsten Stich [SPD] und Dr. Dennis Maelzer [SPD])
Bei der Auseinandersetzung über den Stellenwert geht es um Wertschätzung und gute Arbeitsverhältnisse. Es geht um eine Arbeit, die nicht krank macht oder dazu führt, dass man ausbrennt, und es geht um eine Arbeit, die für andere Menschen gemacht wird. Die Arbeit mit Menschen, die soziale Arbeit, gehört aus meiner Sicht dringend aufgewertet.
Es ist übrigens oft eine Arbeit, die von Frauen geleistet wird. Auch das mag dazu beitragen, dass diese Arbeit bisher nicht in dem Maße wertgeschätzt wurde, wie es eigentlich notwendig wäre. Deshalb sind auch die Tarifsteigerungen im Sinne der Beschäftigten zu begrüßen.
(Zuruf von Thorsten Klute [SPD])
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im sozialen Bereich haben sie für ihre wichtige Arbeit verdient. Das ist die eine Seite der Medaille.
Aber es gibt auch eine andere Perspektive, und das ist die Perspektive, die wir als Haushaltsgesetzgeber haben.
(Zurufe: Ah!)
Da kann man sich nicht wegducken, sondern es ist auch eine Frage, wie die gestiegenen Gehälter jetzt bezahlt werden.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau!)
Wir wissen alle, dass die Tarifsteigerungen sowohl für die Träger kaum aufzufangen sind, als aber auch genauso wenig für das Land. Ich will hier deutlich sagen und auch transparent machen, denn ich finde, das gehört zur Wahrheit einfach dazu: Das Land hat die Tarifsteigerungen nicht verhandelt. Es war nicht das Land, sondern es waren Bund und Kommunen.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Das heißt nicht, dass wir uns vor einer Verantwortung wegducken,
(Weitere Zurufe – Glocke)
aber man muss es einfach benennen, weil es so ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Die Träger der freien Wohlfahrtspflege stehen aktuell auch deshalb unter Druck, weil der Bund gerade an ganz vielen Stellen – an empfindlichen Stellen, wie ich finde – kürzt.
(Zurufe von der SPD)
– Ja, das ist so; auch das gehört zur Wahrheit dazu.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Da können Sie jetzt rufen, aber die Diskussion führen wir doch gerade alle in den Wahlkreisen.
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
Wir erleben das doch alle, zum Beispiel bei der Migrationsberatung, beim Jugendmigrationsdienst. Das sind sehr schmerzhafte Kürzungen,
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP] – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch nicht dein Ernst! – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
die gerade gemacht werden. Ich hoffe sehr, dass unsere Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag noch zu Lösungen kommen werden.
Ich bin der festen Überzeugung: Es gibt eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Land und Kommunen. Alle müssen dabei ihren Beitrag leisten.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wir wissen doch alle, wie angespannt die Haushaltslage gerade in Nordrhein-Westfalen ist. Wir haben insgesamt weniger Geld zur Verfügung; das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Die schwarz-grüne Koalition hat in dieser aktuellen Situation gesagt: Wir legen einen Schwerpunkt auf Kinder und Bildung. Man kann jetzt so tun, als wäre das nicht so, aber dann muss man mal einen Blick in den Haushaltsplan werfen; dann werden Sie sehen: Es ist so.
Das bedeutet übrigens auch – wir müssen ja insgesamt Einsparungen im Haushalt vornehmen –, dass wir die Bildung herausnehmen, dass wir bei den Kitas Aufwüchse haben. Das bedeutet im Übrigen, dass wir umverteilen müssen. Das bedeutet, dass gerade in anderen Bereichen, in anderen Einzeletats gespart wird.
Sie können mit dem Kopf schütteln, aber das ist so. Das meine ich mit politischer Auseinandersetzung. Sie können sich nicht hinstellen und sagen: Hier noch 500 Millionen Euro mehr und da noch was und da noch was. – Das hat mit seriöser, mit ehrlicher Haushaltspolitik einfach rein gar nichts zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wenn jetzt hier einige lächeln und mit dem Kopf nicken: Sie haben leider überhaupt nicht gesagt, wo das Geld herkommen soll. Sie haben es schlichtweg nicht gesagt.
(Marcel Hafke [FDP]: Sie regieren doch hier!)
Sie stellen sich hin und sagen: Wir brauchen Pakete. – Sie sagen noch nicht mal, was da drin sein soll. Sie sagen: Wir brauchen Rettungspakete. – Sie sagen aber nicht, woher das Geld kommt.
(Christian Dahm [SPD]: Wir sind in der Aktuellen Stunde! Da brauchen wir das auch nicht! Die Regierungsverantwortung liegt nach wie vor bei Ihnen!)
Ich finde, das ist einfach unehrlich.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Ich will hier noch etwas richtigstellen, weil uns auf der Demo vorgeworfen wurde, dass wir Kürzungen im sozialen Bereich vornehmen würden: Wir kürzen bei der Schule nicht; das stimmt einfach nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wir haben bei der OGS-Finanzierung einen Aufwuchs
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
von 65 Millionen Euro.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Ich will auch sagen: Wir haben einen großen Kraftakt für die Kitas geleistet. Wir führen die Sprach-Kitas fort, bei denen der Bund aus der Finanzierung ausgestiegen ist. Wir verstetigen die Kita-Alltagshelfer.
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
Wir machen die Überbrückungshilfe von 100 Millionen Euro in einem großen Kraftakt. Insgesamt werden 550 Millionen Euro mehr in das System der frühkindlichen Bildung fließen.
(Christian Dahm [SPD]: Das musstet ihr doch sowieso machen!)
Wir reden hier nicht über Kürzungen. Wir haben hier Aufwüchse. Ich weiß aber auch – das will ich auch so ehrlich sagen –, dass die Träger dennoch vor riesigen Herausforderungen stehen. Ja, das sehe ich; das weiß ich auch. Ich würde mir wünschen, wir hätten andere haushaltsrechtliche Spielräume. Ich würde mir das wirklich wünschen.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP] – Kirsten Stich [SPD]: Krokodilstränen sind das!)
Da kann man mit dem Kopf schütteln, aber es ist nun einmal so, dass die Haushaltslage ist, wie sie ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Lassen Sie uns trotzdem im Gespräch bleiben. Lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen suchen!
(Zurufe von der SPD und der FDP)
Es gibt eine gemeinsame Verantwortung der demokratischen Parteien.
(Jochen Ott [SPD]: In der Krise zeigt sich, ob man’s kann!)
Lassen Sie uns nach Lösungen suchen, die trotz der Haushaltslage des Landes im Sinne der Einrichtungen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land die Arbeitsbedingungen verbessern und die Angebote aufrechterhalten. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)