Rede zum Entwurf der Landesregierung für ein neues Versammlungsgesetz – zweite Lesung
„In seinem gesamten Duktus ist dieses Gesetz darauf ausgelegt, in jeder Versammlung eine Gefahr zu sehen“
Rede zum Entwurf der Landesregierung für ein neues Versammlungsgesetz – zweite Lesung
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt den Spruch: „Was lange währt, wird endlich gut.“ Das kann man mit Blick auf dieses Versammlungsgesetz nicht so wirklich sagen. Daran ändert leider auch der Änderungsantrag von CDU und FDP aus der vergangenen Woche nicht allzu viel. Ich gebe zu, der Änderungsantrag verbessert den Gesetzentwurf an einigen Stellen, aber wirklich retten kann er ihn leider nicht.
Bevor ich zum Inhalt komme, würde ich gern noch ein paar Worte zum Gesetzgebungsverfahren sagen, weil CDU und FDP im Innenausschuss letzte Woche betont haben, wie ausgiebig man diesen Gesetzentwurf im Landtag beraten hätte. Das stimmt meines Erachtens so nicht.
Die Einbringung im Januar erfolgte ohne Plenardebatte. Bei der Anhörung im Mai haben wir das erste Mal überhaupt über den Gesetzentwurf gesprochen. Danach folgte monatelang nichts. Erst letzte Woche haben wir dann im Ausschuss über den Gesetzentwurf diskutiert. Parallel erfolgte die Auswertung der Anhörung. Ihren Änderungsantrag haben wir immerhin zwei Tage vorher, am Nikolaustag, erhalten.
Ich würde sagen, das war alles andere als eine intensive parlamentarische Befassung mit einem so weitreichenden und wichtigen Gesetzgebungsverfahren. Das finde ich schade, und das wird auch der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht ganz gerecht.
Wir wollten eine zweite Anhörung machen. Ich hätte das gut und notwendig gefunden. Das haben Sie leider abgelehnt. Sehr schade! Wie gesagt, die Versammlungsfreiheit hat eine sehr hohe Bedeutung in unserer Demokratie. Es wäre gut gewesen, diesen Gesetzentwurf ausgiebig zu diskutieren.
Ich will auch sagen: Die heutige Verabschiedung dieses Gesetzes ist wahrlich keine Sternstunde für die frühere Bürgerrechtspartei FDP. Wir kennen das schon von dem Polizeigesetz, aber das macht es mit Blick auf die Versammlungsfreiheit nicht besser.
Die FDP hat als Teil der Regierung den Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht. Herr Lürbke hat ihn damals sehr begrüßt. Dass es letzte Woche überhaupt noch zu Änderungen gekommen ist, liegt bekanntermaßen einzig und allein daran, dass im Juni die Demonstration hier in Düsseldorf stattgefunden hat,
(Daniel Sieveke [CDU]: Das stimmt nicht! – Zuruf von der CDU: Nee, ist klar!)
dass es ein großes Medienecho gab, dass wir uns mitten im Bundestagswahlkampf befanden und die FDP-Bundestagsabgeordneten mitbekommen haben, was hier gerade für ein Gesetz diskutiert wird.
(Gregor Golland [CDU]: Von Linksradikalen!)
Ansonsten hätte die FDP heute einfach munter zugestimmt. Ich finde, das gehört einfach zur Wahrheit dazu.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch wenn Sie es vielleicht nicht hören wollen – es ist einfach so.
(Zuruf von Gregor Golland [CDU])
Der Änderungsantrag, der letzte Woche von den Koalitionsfraktionen in den Innenausschuss eingebracht wurde, bringt durchaus einige Klarstellungen und auch Verbesserungen. Das erkenne ich ganz ausdrücklich an, das ist auch gut so.
Dass Sie zum Beispiel für die Spontanversammlungen die Pflicht zur Benennung einer Versammlungsleitung gestrichen haben, finde ich eine sehr gute Änderung.
Ich finde es auch gut, dass Sie eine Überprüfungsklausel, eine Evaluation, eingeführt haben. Darauf haben wir Grüne sehr gedrängt und von vornherein gefordert, dass es das geben muss. Aber der Kollege Sven Wolf hat mich gerade schon darauf hingewiesen: Wahrscheinlich werden die Gerichte schon evaluieren. – Wir dürfen gespannt sein, wie die Gerichte über diesen Gesetzentwurf entscheiden werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch die Änderungen beim Störungsverbot waren notwendig. Denn klar ist, dass nicht nur die Versammlung selbst geschützt wird, sondern auch jede Gegendemonstration ist natürlich von der Versammlungsfreiheit geschützt. Das ist richtig so. Es ist gut, dass Sie das in dem zukünftigen Gesetz durch Ihren Änderungsantrag klarstellen.
Zum Militanzverbot finde ich, die Änderung der Überschrift ist ein bisschen eine Mogelpackung. Darauf hätten wir verzichten können. Aber das ist in Ordnung. Sie haben in der Tat substanziell bei diesem Paragrafen etwas geändert und klargestellt. Auch das erkenne ich an.
Eines verstehe ich aber nicht. Das habe ich im Innenausschuss schon gesagt, und wir haben es auch vorher schon mehrfach angesprochen. Das war Thema in der Anhörung, und zwar der Vergleich in der Gesetzesbegründung, Seite 77. Dort ist von nationalsozialistischen Aufmärschen von SA und SS die Rede. Das wird verglichen mit dem heutigen Schwarzen Block und der Klimabewegung. Ich finde es nicht in Ordnung, dass hier solche historisch unzulässigen Vergleiche aufgeführt werden.
Der Minister sorgt sich sehr, kümmert sich und engagiert sich für die historisch-politische Bildung der Polizeibeamtinnen und -beamten. In Selm-Bork läuft total viel dazu. Es ist großartig, was da gemacht wird. Gleichzeitig finden sich solche unsäglichen Vergleiche in Gesetzentwürfen des Innenministeriums. Das geht einfach nicht.
Dass Sie die Chance nicht genutzt haben, das in dem Änderungsantrag klarzustellen und zu sagen: „Okay, das ist uns irgendwie durchgerutscht; keine Ahnung, wie das da reingekommen ist, das verstehen wir selbst nicht so richtig“, verstehe ich einfach nicht. Wir haben Sie mehrfach darauf hingewiesen. Gut. Ich habe mich schon im Innenausschuss darüber aufgeregt. Mich macht das immer noch fassungslos. Ich weiß nicht so richtig, wie das passieren konnte und warum Sie das nicht klargestellt haben.
Ich will darauf hinweisen, es gibt noch mehr Kritik, unter anderem aus der Anhörung zu dem Gesetzentwurf. Die Kritik haben Sie in Ihrem Änderungsantrag nicht aufgegriffen.
Das gilt zum Beispiel für das Kooperationsgebot, was durch den Gesetzentwurf zu einer faktischen Pflicht gemacht wird, weil bei Nichtkooperation Beschränkungen der Versammlung angedroht werden. Damit wird es zu einer Pflicht, und das steht eigentlich im Widerspruch zu dem, was das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss 1985 festgestellt hat.
Auch bei den Bild- und Tonaufnahmen gibt es keine Veränderungen durch den Änderungsantrag. Die Voraussetzung für Übersichtsaufnahmen, also wann die Polizei Aufnahmen bei Demos machen darf, sind unverändert vage formuliert. Es geht um die Größe und Unübersichtlichkeit von Versammlungen. Aber was das konkret bedeutet, wird leider nicht klargestellt.
Ich will noch mal daran erinnern, dass Gerichte mehrfach gesagt haben, dass Bild- und Tonaufnahmen bei Demonstrationen einen Abschreckungseffekt haben können, dass Menschen gar nicht erst zu Demonstrationen gehen, wenn beispielsweise der Datenschutz nicht ausreichend gesichert ist. Auch da will ich noch mal an Brokdorf erinnern, denn das Bundesverfassungsgericht hat ganz, ganz deutlich gesagt, dass die Teilnahme an Versammlungen zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gehört. Deshalb, finde ich, muss das auch in solch einem Gesetzentwurf berücksichtigt werden.
Ein weiterer Hinweis ist das Thema „Autobahn“. Sie haben in Ihrem Änderungsantrag geschrieben, dass es ein pauschales Verbot von Demonstrationen auf Autobahnen gibt.
(Marc Lürbke [FDP]: Finden Sie das falsch?)
– Wie bitte?
(Marc Lürbke [FDP]: Finden Sie das falsch?)
– Zumindest fehlt mir die Begründung, die Erläuterung, die Erklärung.
(Gregor Golland [CDU]: Das ergibt sich doch wohl von selbst! Was muss man denn da noch erklären?)
Es gibt auf jeden Fall Bedenken dazu, die besagen, dass so ein pauschales Verbot für einen Ort …
(Marc Lürbke [FDP]: Bei Autobahnen!)
– Ja, bei Autobahnen. Wir haben das auch mit Verfassungsrechtlern noch mal …
(Gregor Golland [CDU]: Finden Sie das gut, wenn die Chaoten sich da abseilen?)
– Herr Golland, es geht nicht darum, was ich finde.
(Gregor Golland [CDU]: Doch, darum geht es! Genau darum geht es!)
Es ist die Frage, was rechtmäßig ist, was auch verfassungsrechtlich geregelt werden darf.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das ist der Punkt.
Ich will noch mal zum Thema „Evaluation“ zurückkommen. Gegebenenfalls müssen dann Gerichte klären, ob das zulässig ist oder nicht.
(Gregor Golland [CDU]: Sollen sie mal!)
Aber das wäre ein Punkt gewesen, den man in einer Anhörung hätte klären können. Da geht es nicht um die Frage, ob ich das für richtig oder falsch halte, sondern es geht um die Frage, ob man es verfassungsrechtlich so pauschal regeln darf, wie Sie das hier vorgenommen haben. Das ist doch die Frage. Die Begründung fehlt. Die haben Sie mir auch im Ausschuss nicht gegeben. Der Minister kann gleich vielleicht erläutern, wie er das verfassungsrechtlich begründet.
Man könnte die Liste mit Kritikpunkten aus der Anhörung noch fortsetzen. Leider läuft mir hier die Zeit davon, weil ich mich jetzt zu lange mit Herrn Golland beschäftigt habe. Das ist sehr schade.
(Beifall von den GRÜNEN – Heiterkeit von der CDU – Gregor Golland [CDU]: Das ist aber schön!)
Ich hätte gerne noch etwas zum Schutz von Medienschaffenden und zu weiteren Kritikpunkten gesagt. Sie haben mich ein bisschen aus dem Konzept gebracht, Herr Golland. Das ist sehr bedauerlich, weil ich noch mehr Kritikpunkte hätte aufführen können. Aber das können wir gerne zu einem anderen Zeitpunkt machen.
Mein letzter Satz – ich weiß, Herr Präsident, ich muss zum Punkt kommen –: Wir sind ganz und gar nicht zufrieden mit diesem Gesetzentwurf und auch nicht mit dem Änderungsantrag. In seinem gesamten Duktus ist dieses Gesetz darauf ausgelegt, in jeder Versammlung eine Gefahr zu sehen. Es ist leider kein Versammlungsfreiheitsgesetz. Das ist sehr schade, das ist sehr bedauerlich. Ich hoffe, dass sich im Mai die Mehrheiten ändern. Dann kann man an solchen Gesetzen auch etwas ändern. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)