Rede zum Zwischenbericht des PUA IV (Kindesmissbrauch)

„In aller erster Linie sind wir den Opfern die Aufarbeitung schuldig“

Rede zum Zwischenbericht des PUA IV (Kindesmissbrauch)

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Reden meiner Vorredner haben bereits sehr deutlich gemacht, dass die Arbeit im Untersuchungsausschuss oftmals wirklich anstrengend war und wir alle immer wieder furchtbare Bilder mit Nachhause genommen haben. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass sich die Arbeit im Untersuchungsausschuss wirklich gelohnt hat und unglaublich wichtig war.

In aller erster Linie sind wir den Opfern die Aufarbeitung schuldig. Ich möchte, dass die Betroffenen vielleicht nicht heute, sondern irgendwann später oder auch erst in zehn, zwanzig Jahren wissen, dass wir ihr Leid sehen und es uns leidtut, dass staatliche Strukturen sie nicht geschützt haben, als der Staat sie hätte schützen müssen.

Die Daten und Fakten sind bekannt; sie wurden heute schon mehrfach genannt. Mehr als 30 Kinder wurden auf einem Campingplatz in Lügde von zwei Haupttätern über einen langen Zeitraum hinweg Opfer von sexuellem Missbrauch. Wenn man die Akten und insbesondere die Protokolle von den Zeugenvernehmungen liest, dann werden die Kinder mit ihren Geschichten hinter diesen Opferzahlen sichtbar.

Wir haben uns lange mit dem Fall Ramona Böker beschäftigt. Dieses junge Mädchen war schon in einem sehr jungen Alter regelmäßig auf dem Campingplatz, bis sie irgendwann vollständig bei dem Haupttäter einzog und ihm rund um die Uhr schutzlos ausgeliefert war.

Wir haben uns den Fall Daniel Wittfry angesehen. Das ist ein Mädchen, dessen Vater wegen vielfachem Kindesmissbrauch verurteilt war, und das viele Wochenenden bei dem Täter Mario S. in Lügde verbrachte.

Besonders bewegt hat uns auch das Schicksal von Ernst Gruber, der jahrelang von Mario S. schwer missbraucht wurde und später selbst ein anderes Kind missbrauchte.

Alle drei Kinder waren dem Jugendamt bekannt. Es waren Familienhilfen installiert, es wurden Jugendhilfepläne aufgestellt, und obwohl es immer wieder und zum Teil sehr konkrete Hinweise gab, wurde das nicht erkannt. Das Leid der Kinder wurde nicht beendet.

Wir wissen – das wurde heute auch schon deutlich –, dass Kindesmissbrauch in unserer Gesellschaft, in der Mitte der Gesellschaft vorkommt. In jeder Schulklasse sind etwa ein bis zwei Schülerinnen und Schüler von sexueller Gewalt betroffen oder waren es.

Bei den Fällen, die wir uns im Untersuchungsausschuss näher angeschaut haben, war die Besonderheit, dass die Jugendämter in den Familien waren. Sie kannten die Familien und ihre Problemlagen. Obwohl die Kinder dem Staat also bekannt waren und es immer wieder Hinweise gegeben hat, ist der Missbrauch nicht aufgedeckt worden. Deshalb finde ich, dass man im Zusammenhang mit Lügde ganz klar von einem Behördenversagen sprechen muss.

Wir haben uns mit den Jugendämtern intensiv beschäftigt, und gewisse Muster haben sich wiederholt, obwohl es unterschiedliche Jugendämter waren. Deshalb finde ich es richtig, hier auch von einem strukturellen Versagen zu sprechen.

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jugendämtern fehlten Kenntnisse über Täterstrategien und Anzeichen von sexualisierter Gewalt. Darüber hinaus wurden die Täter sogar als stabilisierende Faktoren für die Familien gesehen.

Der Verdacht auf sexualisiert Gewalt war durchaus vorhanden. Wir haben allerdings immer wieder den Eindruck gewonnen, dass dieses Thema wie ein Elefant im Raum stand und nicht konkret ausgesprochen wurde, obwohl es die konkreten Hinweise darauf gab.

Mich hat am meisten der Umstand bewegt, dass die Kinder von den Jugendämtern nicht angehört wurden. Zum Teil wurde die Notwendigkeit, das betroffene Kind bei einer Kindeswohlgefährdung zu hören oder es bei der Erarbeitung eines Jugendhilfeplans einzubeziehen, sogar gar nicht erst gesehen. Auch das wurde bei den Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss deutlich.

Ich habe mich bei den Vernehmungen im Untersuchungsausschuss und beim Lesen der Akten oft gefragt, an wen sich die Kinder eigentlich hätten wenden können. Denn sie wurden ja nicht einmal von dem Amt, das als Wächteramt des Staates fungiert, ernst genommen und angehört.

Ich finde, es ist eine der wichtigsten Lehren auch aus diesem Untersuchungsausschuss, dass wir Kinder immer ernst nehmen müssen. Kinder müssen in allen Verfahren, die sie betreffen, tatsächlich beteiligt und angehört werden. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die wir aus dem Untersuchungsausschuss ziehen müssen.

In der Debatte ist auch schon deutlich geworden, dass wir das Behördenhandeln von Polizei und Justiz noch nicht umfänglich aufarbeiten konnten. Wir haben allerdings einige Erkenntnisse gewonnen.

Klar ist, dass die Hinweise zu dem Verhalten von Andreas Vetten in Bezug auf Ramona Böker auch an die Polizei gingen. Die Polizei ist diesen Hinweisen aber nicht ausreichend nachgegangen.

Nach dem Bekanntwerden der Taten war die kleine Kreispolizeibehörde Lippe mit den Ermittlungen leider hoffnungslos überfordert. Zwischen dem Eingang der Anzeige gegen Andreas Vetten und der Anregung eines Haftbefehlsantrags verstrich wertvolle Zeit.

Von der Inobhutnahme des Pflegekindes bis zur Festnahme des Täters verging knapp ein Monat, und es ist möglich bzw. zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Täter Beweise vernichten konnte.

Die Vernehmungen der Kinder mussten zum Teil wiederholt und Durchsuchungen mehrfach durchgeführt werden. Bei der Tatortsicherung wurden Fehler gemacht. Die verloren gegangenen Asservate stehen sinnbildlich für die chaotische Ermittlungsführung durch die Kreispolizeibehörde Lippe.

Die Kreispolizeibehörde Lippe hat ihre Überforderung nicht an das Innenministerium kommuniziert. Umgekehrt haben aber auch Landeskriminalamt und Innenministerium als oberste Fachaufsicht nicht nachgehakt. Aus meiner Sicht – und das ist meine Bewertung – ist es so, dass die Landesbehörden hätten wissen können und müssen, dass eine kleine Behörde wie Lippe allein schon mit der Anzahl der Opfer und den komplexen Ermittlungen schlichtweg überfordert ist.

Ich möchte auch eine persönliche Bewertung ziehen, welche Rolle die Tatsache spielt, dass die Kreispolizeibehörde Lippe eine kleine Landratsbehörde ist. Selbstverständlich können – das möchte ich deutlich sagen – die Landratsbehörden, die kleinen Polizeibehörden eine hervorragende Arbeit leisten. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir in dem Untersuchungsausschuss gesehen haben, dass eine kleine Behörde mit wenig Personal, mit wenig Spezialisierung und mit wenig Erfahrung bei komplexen Ermittlungen schneller an ihre Grenzen stößt.

Die Bereiche „Polizei“ und „Justiz“ konnten wir nicht in dem Umfang aufarbeiten, wie wir das wollten und gerne getan hätten. Deshalb bin ich froh, dass wir uns unter den demokratischen Fraktionen einig sind, dass der Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislaturperiode wieder eingesetzt werden muss.

Wir sind es den Opfern schuldig, das Behördenversagen aufzuarbeiten. Wir sind es aber auch allen Kindern und Jugendlichen schuldig, mit der Aufarbeitung Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, weitere Handlungsempfehlungen zu erarbeiten und Veränderungen anzustoßen, weil wir alles dafür tun müssen, Missbrauch in Zukunft zu verhindern bzw. zumindest dafür zu sorgen, dass das nicht mehr so leicht möglich ist, gesehen und möglichst verhindert wird.

Zum Schluss meiner Redezeit will ich Danke sagen. Es ist nicht ganz selbstverständlich, einen PUA-Zwischenbericht zu erstellen, dem alle zustimmen können, und bei dem die demokratischen Fraktionen keine Sondervoten schreiben, weil sie sich alle in den Bericht wiederfinden können. Ich finde, das ist wirklich ein sehr gutes Ergebnis, und ich bin froh, dass wir das geschafft haben.

Deshalb möchte ich hier noch einmal explizit allen Obleuten, die das möglich gemacht haben, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Fraktionen und in der Verwaltung Danke sagen. Ich weiß, wie wahnsinnig viel Arbeit das war. Ich weiß auch, dass es Ihnen genauso ging wie uns. Wir haben die Geschichten immer wieder mit Nachhause genommen und konnten sie nicht einfach an der Bürotür hinter uns lassen.

Uns alle bewegt das sehr, und es wird heute noch einmal deutlich, was es heißt, in so einem Themenfeld zu arbeiten. Ich will aber auch sagen: Es sind die Kinder, die diese Taten erlebt haben. Wir sollten manchmal also das, was wir erleben und mitnehmen, nicht zu hoch gewichten. Dennoch ist es wichtig, das anzusprechen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einmal Danke zu sagen.

Martin Börschel, ich möchte insbesondere dir noch mal Danke sagen. Du bist irgendwann zu dem Untersuchungsausschuss dazugekommen. Du hast die Leitung übernommen, und ich finde, dass du das wahnsinnig gut gemacht hast und es auch dein Verdienst ist, dass wir heute an diesem Punkt stehen, wo wir stehen, und wir in dieser kurzen Zeit auch viel geschafft haben. Wir haben nicht alles geschafft, aber wir haben viel aufgearbeitet. Auch das darf man hier anerkennend sagen.

Die Arbeit geht weiter, dann leider ohne dich. Aber ich wünsche dir wirklich von Herzen alles Gute für deinen weiteren Weg. Vielen Dank dafür, dass du diesen Untersuchungsausschuss geleitet und auch viel Zeit und Energie hineingesteckt hast. Vielen Dank dafür.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP und Nic Peter Vogel [AfD])

Missbrauchsfälle in Lügde für Landrat a.D. Spieker keine Chefsache

Missbrauchsfälle in Lügde für Landrat a.D. Spieker keine Chefsache

In der heutigen Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Kindesmissbrauch“ (PUA IV) wurde Landrat a.D. Spieker vernommen, der von 2009 von 2020 Landrat im Kreis Höxter war. Hierzu erklärt Verena Schäffer, Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Landtag NRW und Sprecherin im PUA IV:

„Die Anhörung des Landrats a.D. Spieker war äußerst verstörend. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es Herrn Spieker nach Bekanntwerden des sexuellen Missbrauchs von Kindern auch aus dem Landkreis Höxter auf dem Campingplatz in Lügde weder wichtig war, Prozesse zu hinterfragen, noch die Suche und Aufarbeitung von möglichen strukturellen Fehlern im Jugendamt Höxter durch eine neutrale Person sicherzustellen.

Die Verantwortung für das Versagen des Jugendamtes in seiner Aufgabe als staatliches Wächteramt hat der Landrat a.D. komplett an die unteren Mitarbeiterebenen abgegeben. Zudem scheint der Fokus nur auf der Frage möglicher justiziabler Fehler gelegen zu haben, insbesondere wenn der Landrat auf Nachfragen im Ausschuss empört reagiert mit Aussagen wie: ,Was soll Lügde noch anrichten?‘. Die Aufarbeitung von strukturellen Mängeln dient der Frage, warum der sexuelle Missbrauch von Kindern trotz zahlreicher Hinweise nicht erkannt wurde. Ziel der Aufarbeitung muss zudem sein, das Jugendamt so aufzustellen, dass Kinder optimal geschützt werden können.

Der Landrat zeigte insgesamt ein mehr als fragwürdiges Verständnis von Führung, Leitung und Verantwortung. Ich erwarte, dass alle politisch Verantwortlichen nach Bekanntwerden des massiven Kindesmissbrauchs auf dem Campingplatz in Lügde alles dafür tun, um diesen Komplex aufzuarbeiten und den Kinderschutz stärken.“

Zum Antrag der „AfD“-Fraktion zum PUA „Kindesmissbrauch“

AfD-Antrag zum PUA Kindesmissbrauch

Meine Rede zum Antrag der „AfD“-Fraktion zum PUA „Kindesmissbrauch“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn noch einmal betonen, dass all diese Missbrauchsfälle, über die wir gerade sprechen – Lügde, Münster, aber auch der große Missbrauchskomplex, der von Bergisch Gladbach ausgegangen ist –, furchtbar und schrecklich sind.

Wir wissen aber auch, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist. Wir wissen aus Dunkelfeldstudien, dass in jeder Schulklasse durchschnittlich ein bis zwei Kinder von sexualisierter Gewalt betroffen sind.

Die verstärkte Ermittlungsarbeit, die es schon gibt, aber auch die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit, die wir auch durch die Debatten zu Lügde, Münster, Bergisch Gladbach bekommen haben, führen aus meiner Sicht zu einer stärkeren Sensibilität in der Gesellschaft, wodurch mehr Missbrauchsfälle bekannt werden.

Das ist gut so. Es ist gut, dass diese Missbrauchsfälle bekannt werden, denn wir wollen ja gerade, dass das Dunkelfeld aufgehellt wird und Kinder aus anhaltenden Missbrauchssituationen befreit werden können.

(Beifall von den GRÜNEN)

In dem Zusammenhang leisten wir als Untersuchungsausschuss eine wichtige Arbeit, weil wir dazu beitragen können, die Frage eines möglichen Behördenversagens aufzuklären. Ziel ist es, strukturelle Verbesserungen für die Zukunft zu schaffen.

Dafür muss man sich natürlich die Behörde angucken – allerdings nicht nur die Polizeibehörde. Ich weiß, dass das Innenministerium das bereits durch die Stabstelle gemacht hat. Allerdings haben wir als Untersuchungsausschuss auch die Aufgabe, bezogen auf die Jugendämter Aufklärungsarbeit zu leisten, und das machen wir auch.

Die Erweiterungsanträge der AfD werden wir als Grüne ablehnen. Ich möchte Ihnen gerne die Gründe dafür nennen:

Erstens. Ich finde die Anträge anmaßend, weil wir als Abgeordnete nicht die besseren Polizeibeamtinnen und ‑beamte sind; das müssen wir auch anerkennen. Wir sind nicht die Ermittlerinnen und Ermittler, die strukturelle Netzwerke von Personen, die Kindesmissbrauch betreiben, aufdecken können. Das können wir schlichtweg nicht.

Ich will noch einmal daran erinnern, dass die BAO Berg, die den Komplex Bergisch Gladbach untersucht und wichtige Ermittlungsarbeit leistet, in der Spitze aus 360 Polizeibeamtinnen und ‑beamten bestanden hat. Und wir sollen mal eben deren Arbeit übernehmen? – Das ist völlig unrealistisch.

Ich finde das wirklich anmaßend, weil ich weiß, dass diese Polizeibeamtinnen und ‑beamten eine sehr engagierte und wichtige Ermittlungsarbeit leisten. Das können wir als Untersuchungsausschuss überhaupt nicht; das ist auch gar nicht unsere Aufgabe.

Herr Wagner, Sie sagen, Sie wollen Ermittlungsdruck aufbauen. Es ist zwar richtig, Ermittlungsdruck aufzubauen, aber das macht doch nicht der Untersuchungsausschuss, sondern die Polizei, weil es auch die Arbeit der Polizei ist.

Der Untersuchungsausschuss kann mögliches Behördenversagen untersuchen; das ist unsere Aufgabe. Das muss man klar trennen und die Aufgabenbeschreibungen ernst nehmen, wer eigentlich für was zuständig ist.

Es ist wichtig und richtig, Behördenversagen in Bezug auf Lügde zu untersuchen. Einige Zeugenvernehmungen bestätigen mich darin, wie richtig es war, diesen Untersuchungsausschuss einzusetzen.

In Münster ist vielleicht nicht alles so gelaufen, wie man sich das vorgestellt hat, zum Beispiel in Bezug auf das Jugendamt oder auf das Landgericht. Das kann man alles diskutieren; das haben wir auch in der Sondersitzung gemacht, denn deswegen hatten wir ja eine Sondersitzung zu Beginn der Sommerpause beantragt.

Aber diese Art eines möglichen Behördenversagens, wie wir es in Lügde vorfinden, haben wir meines Erachtens und nach dem jetzigen Kenntnisstand weder in Münster noch in Bergisch Gladbach.

Ich finde, es wird auch den beteiligten Polizeibeamtinnen und ‑beamten nicht gerecht, insbesondere in Bezug auf Bergisch Gladbach, wo mit sehr großer Akribie Chatprotokolle und Missbrauchsabbildungen ausgewertet werden und jede Tapete, jede Bettdecke oder sonst was in Augenschein genommen wird, um weitere Täter, aber vor allen Dingen weitere Kinder zu entdecken und diese Kinder zu befreien.

Ich finde, man kann diese Komplexe nicht vergleichen. Die Parallelen, die Sie ziehen, ziehe ich nicht. Das ist für mich der erste Grund, warum es dieser Anträge der AfD nicht bedarf und warum wir sie ablehnen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Den zweiten Grund habe ich bereits in Bezug auf die BAO Berg und die 360 eingesetzten Polizeibeamtinnen und ‑beamten in der Spitze der Ermittlungsarbeit angedeutet:

Wir überfordern unseren Untersuchungsausschuss Lügde, wenn wir meinen, dass wir weitere Komplexe hineinnehmen können. Wir haben den Untersuchungsausschuss vor einem Jahr eingesetzt. Wir haben inzwischen zahlreiche Akten vorliegen und zahlreiche Zeuginnen und Zeugen vernommen.

Aber wir haben auch nach einem Jahr noch nicht alle Akten auf dem Tisch, die wir noch brauchen und angefordert haben, allerdings nur noch anderthalb Jahre Zeit.

Wir haben eine ellenlange Zeugenliste, die wir momentan überhaupt nicht abarbeiten können – im Gegenteil: Nach jeder Zeugenvernehmung haben wir gefühlt zwei neue Zeugen auf der Liste.

Ich schaue den Ausschussvorsitzenden, Herrn Börschel, an: Wir kommen mit den Zeugenvernehmungen überhaupt nicht durch, weil wir bei jeder Vernehmung mindestens drei bis vier Stunden brauchen. Wir haben jetzt schon ein enormes Zeitproblem, überhaupt durch diesen Komplex „Lügde“ durchzusteigen.

Wenn wir uns und unsere Arbeit ernst nehmen, müssen am Ende Handlungsempfehlungen stehen. Ich will das nicht alles nur gemacht haben, um eine wichtige Aufklärungsarbeit geleistet zu haben, sondern ich will, dass wir nachher hoffentlich im Konsens gemeinsame Handlungsempfehlungen erarbeiten.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Die muss es irgendwann auch geben, und zwar nicht erst in zehn Jahren, sondern in anderthalb Jahren, zum Ende der Legislatur.

Es ist vielleicht eine bittere Erkenntnis, dass wir meines Erachtens nicht jeden größeren Missbrauchsfall in einem PUA aufklären können. Ich habe zu Beginn gesagt: Wir haben eine riesengroße Dunkelziffer, und ich glaube, auch in den nächsten Jahren wird die Polizei noch weitere solcher großen Komplexe ausheben.

Das ist ja politisch gewollt; wir verstärken die Polizei, damit das Dunkelfeld aufgeklärt wird. Aber wir können nicht jeden Missbrauchsfall – so bitter das ist – in einem Untersuchungsausschuss aufklären. Das ist schier nicht möglich.

Deshalb haben wir uns ja darauf verständigt, mit der Kinderschutzkommission eine beständige Struktur im Parlament zu schaffen, um das Thema „Kinderschutz“ aufrechtzuerhalten, damit es eben nicht eine Eintagsfliege wird, sondern auch über Legislaturperioden hinaus ein wichtiges Thema in diesem Landtag bleibt. Ich meine, dass es eine wichtige und eine gute Entscheidung war, diese Kinderschutzkommission einzurichten.

Ich habe es schon mehrfach gesagt und bleibe dabei; das will ich mir auch immer wieder auf die Fahne schreiben: Aus meiner Sicht tragen wir hier die gemeinsame Verantwortung dafür, dass das Thema „Kinderschutz“ in anderthalb Jahren nach Ablauf dieser Legislatur nicht einfach so vorbei ist, sondern auch in der nächsten Legislatur und in der übernächsten – vielleicht von unseren Nachfolgerinnen und Nachfolgern – weiter bearbeitet wird, weil Kinderschutz in unserer Gesellschaft unheimlich wichtig ist. Also lassen Sie uns doch dieser Verantwortung gemeinsam gerecht werden und Kinderschutz hochhalten.

Aber es gibt die bittere Erkenntnis, dass wir nicht jeden Fall aufarbeiten können; dazu haben wir nicht die Möglichkeiten. Wir sind nicht die besseren Polizeibeamtinnen und -beamten. Deshalb werden wir diese Anträge der AfD auch ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Unterrichtung der Landesregierung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch

Landesregierung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch

Meine Rede zur Unterrichtung der Landesregierung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2019 wies für Nordrhein-Westfalen 2.805 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs aus.

Wir wissen jedoch, dass es in diesem Bereich eine erhebliche Dunkelziffer gibt. Dunkelfeldstudien gehen davon aus, dass etwa 8 % der Kinder von sexuellem Missbrauch betroffen sind; man könnte auch sagen: etwa zwei Kinder pro Schulklasse.

Was sich sehr abstrakt anhört, darf nicht abstrakt bleiben. Hinter diesen Zahlen stecken Kinder, die meist von ihren nächsten Angehörigen brutale Gewalt erfahren müssen.

Dabei ist die körperliche Gewalt das eine Leid, das den Kindern angetan wird. Das andere aber ist der massive Vertrauensbruch, wenn zum Beispiel die eigenen Eltern ihre Kinder missbrauchen.

Das Leid dieser Kinder und ihre Hilflosigkeit angesichts dieser massiven physischen und psychischen Verletzung müssen so unermesslich sein, dass es für uns kaum vorstellbar ist.

Häufig sind Kinder und Jugendliche, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, von einer sekundären Viktimisierung betroffen. Sie werden also noch weitere Male zu Opfern, weil ihnen nicht zugehört wird, weil ihnen nicht geglaubt wird, weil das Umfeld vielleicht nicht weiß, was es machen soll oder was es machen kann.

Deshalb brauchen Kinder Anlaufstellen, an die sie sich wenden können. Je weiter wir das Dunkelfeld aufhellen – es ist gut, wenn wir es aufhellen –, desto mehr Beratungsstrukturen brauchen wir.

Wir brauchen aber auch eine kindgerechte Justiz, die Kinder als Verfahrensbeteiligte ernst nimmt, die sie hört und die kindgerechte Strukturen schafft, die nicht retraumatisieren.

Kinder haben das Recht auf Schutz vor Gewalt und vor sexuellem Missbrauch. Der Staat muss wirklich alles dafür tun, diesen Schutz zu gewährleisten. Es ist unsere Aufgabe, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Reul, es war richtig, dass Sie nach den schrecklichen Missbrauchsfällen in Lügde die Strukturen und Abläufe bei der nordrhein-westfälischen Polizei zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch untersucht, die Stabsstelle eingerichtet und Änderungen eingeleitet haben.

Mit dem vielfachen Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz in Lügde ist es zu einem Strategiewechsel der nordrhein-westfälischen Polizei gekommen: Vorher ging es offenbar vor allen Dingen um die Strafverfolgung, also um die Verurteilung einzelner Täter. Das ist zweifelsohne wichtig.

Den Strategiewechsel erkenne ich darin, dass es jetzt bei der Ermittlungsarbeit darum geht, andauernden sexuellen Missbrauch zu erkennen und zu beenden. Ich finde diesen Ansatz genau richtig, weil er vom Opfer her denkt, weil es darum geht, Kinder aus ihrer Situation zu befreien.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir alle wissen, dass das nur gelingen wird, wenn für diesen Bereich ausreichend Personal und ausreichende Ressourcen zur Verfügung stehen.

Herr Reul, Sie haben schon vor etwa einem Jahr einen Erlass an die Polizeibehörden herausgegeben, ihr Personal und ihre Ausstattung an den tatsächlichen Bedarf vor Ort anzupassen.

Das hat dazu geführt – und auch das geht aus dem Bericht hervor –, dass Ermittlungsrückstände langsam abgearbeitet werden können, und das ist gut. Aber der Bericht macht auch deutlich, dass es nach wie vor große Bearbeitungsrückstände gibt.

Der Fall „Bergisch Gladbach“ – gestern haben wir von dem ersten Urteil gehört – zeigt auch, dass solche großen, komplexen Verfahren eine enorme Anzahl an spezialisierten Ermittlungskräften binden. Bei der BAO Berg waren in der Spitze, wenn ich das richtig im Kopf habe, 300 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte eingesetzt. Das ist richtig und gut, aber das darf natürlich nicht dazu führen, dass an anderer Stelle Kindesmissbrauch unentdeckt bleibt. Deshalb darf die Polizei NRW bei ihren Anstrengungen nicht nachlassen. Sie muss einerseits die älteren Vorgänge abarbeiten, um andererseits auf die Zunahme neuer Verfahren reagieren zu können.

Wir als Opposition werden Sie dabei unterstützen, auch wenn es um zusätzliche Mittel geht. Es ist richtig, dass die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs zum kriminalstrategischen Schwerpunkt der nordrhein-westfälischen Polizei erklärt wurde. Es ist die Aufgabe des Parlaments, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dieser Schwerpunkt auch in den kommenden Jahren beibehalten bleibt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Der sogenannte Fall „Bergisch Gladbach“ hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, welche Datenmengen die Ermittlerinnen und Ermittler bei der sogenannten Kinderpornografie auszuwerten haben und dass es dafür auch andere Strukturen als bisher braucht.

Auch ich möchte an dieser Stelle auf die belastende Arbeit der Ermittlungskräfte eingehen, und ich möchte mich bei denjenigen bedanken, die sich tagtäglich – etwa bei der Polizei – Aufnahmen von brutaler Gewalt gegen Mädchen und Jungen, teils schon im Säuglingsalter, anschauen müssen. Ich will mich bei diesen Personen, bei der Polizei, bei der Justiz, bei den Jugendämtern und bei den Beratungsstellen, dafür bedanken, dass sie sich jeden Tag für den Schutz von Kindern einsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Wenn wir über den Fall „Bergisch Gladbach“ oder auch über andere Fälle sprechen, dann würde ich mir jedoch gerne wünschen, dass wir von dem aus meiner Sicht verharmlosenden Begriff der Kinderpornografie wegkommen. Herr Reul, wir haben dieses Thema im Ausschuss diskutiert, und ich weiß, dass Sie meine Bedenken teilen und da bei mir sind. Auch Herr Wünsch hat dies im Ausschuss betont.

Es geht hier nicht um Pornografie im klassischen Sinne, sondern um die Abbildung von sexueller Gewalt an und sexuellem Missbrauch von Kindern. Der Abschlussbericht der Stabsstelle leitet das sehr gut ein. Die ersten beiden Sätze der Vorbemerkung lauten – Zitat –:

„Kinderpornografie ist die fotorealistische Darstellung eines sexuellen Missbrauchs einer Person unter 14 Jahren (Kind). Diese Darstellung beruht somit insbesondere auf einer realen Handlung eines oftmals auch schweren sexuellen Missbrauchs, den Täterinnen/Täter fotografieren oder filmen.“

Ich finde, das beschreibt es sehr gut.

Mir ist auch klar, dass die Polizei nicht einfach Begrifflichkeiten ändern und konsequent von Kindesmissbrauchsabbildungen – dieser Begriff wurde auch von der Polizei geprägt – sprechen kann; denn der Begriff der Kinderpornografie ist im Strafgesetzbuch verankert. Aber das Strafgesetzbuch ist ja nicht gottgegeben, sondern menschengemacht und veränderbar.

Deshalb möchte ich dafür plädieren: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass es hier zu einem Bewusstseinswandel kommt; denn Sprache und Begriffe beeinflussen unser Denken. Der Missbrauch von Kindern ist niemals Pornografie, sondern der Missbrauch von Kindern ist immer Gewalt, und ich finde, dass das auch so klar benannt werden muss.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP und Nic Peter Vogel [AfD])

Mit diesem Abschlussbericht und den bereits vorgenommenen Strukturveränderungen hat die NRW-Polizei wirklich gut vorgelegt. Ich finde, dass jetzt andere Bereiche nachziehen müssen. Wir Grüne erwarten, dass die Landesregierung ein Gesamtkonzept vorlegt und dass der Kinder- und Jugendminister eine entsprechende Untersuchung für den Bereich der Jugendämter vornimmt.

Auch ich will keine Beweiswürdigung des Untersuchungsausschusses vornehmen, weil ich das gar nicht darf. Aber der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zu den Fällen in Lügde bringt aus meiner Sicht sehr viele Hinweise darauf zutage, dass es möglicherweise an einer Zusammenarbeit fehlte, dass es möglicherweise an Übergaben fehlte und dass es möglicherweise auch an einem Gesamtüberblick auf die konkreten Hinweise der Kindeswohlgefährdung fehlte. Deshalb halte ich es für angebracht, auch über strukturelle Veränderungen bei den Jugendämtern zu diskutieren.

Mir ist bewusst, dass die Jugendämter sich in kommunaler Verantwortung befinden und das Bundesrecht deren Aufgaben und ihre Struktur regelt. Aber das Land Nordrhein-Westfalen kann und muss hier konkrete Vorschläge erarbeiten und die Diskussion anstoßen.

Wir sind uns wohl einig, dass aus den furchtbaren Missbrauchsfällen von Lügde Lehren gezogen werden müssen. Das darf aber nicht nur für die Polizei gelten, sondern es braucht auch eine kritische Betrachtung der Jugendämter. Die Landesregierung ist in der Verantwortung, den Kinderschutz in Nordrhein-Westfalen als Ganzes zu stärken, und hier ist auch der Familien- und Kinderminister in der Pflicht. Ich hoffe sehr, dass wir in ein oder zwei Jahren eine Unterrichtung von Herrn Stamp zu einem Abschlussbericht einer Stabsstelle zur Arbeit der Jugendämter hören und hier diskutieren werden.

(Beifall von den GRÜNEN und Andreas Bialas [SPD])

Zum Schutz von Kindern gehört natürlich einerseits die Strafverfolgung, es gehört dazu aber andererseits auch die Prävention. Aus meiner Sicht haben wir gesellschaftlich, aber auch in vielen Bereichen, in denen pädagogische Fachkräfte mit Kindern arbeiten, noch großen Nachholbedarf in Bezug auf das Wissen über Täterstrategien und das Bewusstsein für potenzielle Täterinnen und Täter. Das Wissen über Täterstrategien haben Expertinnen und Experten bereits, es ist aber offenbar in vielen Bereichen nicht ausreichend bekannt. Ich meine, dass dieses Wissen einen wichtigen Teil von Prävention darstellt.

Eine Sachverständige im Untersuchungsausschuss hat uns zum Thema „Täterstrategien“ mitgegeben, dass Kinder perfekte Opfereigenschaften haben; denn sie können oft noch nicht in Worte fassen, was ihnen angetan wird, entweder weil sie noch gar nicht sprechen können oder weil ihnen die Wörter fehlen oder weil ihnen das Bewusstsein fehlt, dass ihnen etwas Unrechtes angetan wird.

Kinder sind zudem ihren Bezugspersonen gegenüber sehr lange loyal, auch wenn diese sie misshandeln oder missbrauchen.

Auch wenn Kinder sich nicht äußern, obwohl sie es könnten, ist es niemals die Schuld von Kindern, wenn sie es nicht tun. Es ist Aufgabe von Angehörigen, pädagogischen Fachkräften, Ärztinnen und Nachbarn, auf Anzeichen von Missbrauch zu achten und einem Verdacht nachzugehen.

Zum Schluss weise ich auf ein Kinderbuch einer schwedischen Zeichnerin mit dem Titel  „Klein“ hin. Ich habe es mitgebracht. In dem Buch geht es um ein kleines Wesen, ein sogenanntes Wusel, das in seiner Kita sehr fröhliche Tage erlebt und zu Hause Gewalt erfahren muss. Auf den letzten Seiten dieses Buches offenbart sich Klein seiner Erzieherin, die den vieldeutigen Namen Frau Traulich trägt. Frau Traulich tröstet das Klein und kümmert sich darum, dass ihm geholfen wird.

Ich lese Ihnen die letzten beiden Sätze des Buches vor. Sie lauten: „Denn alle, die groß sind, sollen sich um die kümmern, die klein sind. So ist das.“ So ist das, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Zum Antrag der „AfD“-Fraktion zum PUA „Kindesmissbrauch“

Zum PUA „Kindesmissbrauch“

Meine Rede zum Antrag der „AfD“-Fraktion zum PUA „Kindesmissbrauch“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nicht sagen, dass ich froh darüber bin; aber es ist gut, dass wir den Untersuchungsausschuss zum Kindesmissbrauch in Lügde eingesetzt haben und uns so intensiv mit diesem Thema beschäftigen.

Die bisherigen Sitzungen, auch mit den vielen Sachverständigen, waren wirklich gut, um einerseits tief in das Thema einzusteigen und andererseits das Thema öffentlich zu machen. Es ist ja auch Ihnen, Herr Reul, sehr wichtig, dass wir eine Öffentlichkeit schaffen, das Dunkelfeld aufhellen und dazu beitragen, dass mehr Straftaten angezeigt und bearbeitet werden können und dass wir mehr Opfern Hilfe anbieten können. Ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg sind, und bin froh darüber, dass das ein gemeinsames Anliegen dieses Parlaments ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Als die mögliche Verbindung von Lügde und Bergisch Gladbach – zwei große Tatkomplexe, die uns wirklich erschüttern – über den Campingwagen auf dem Campingplatz Eichwald bekannt wurde, war auch ich völlig sprachlos und fassungslos. Keiner von uns hat doch geahnt, dass ausgerechnet jemand aus dem Tatkomplex „Bergisch Gladbach“, nämlich der Großvater, gerade auf diesem Campingplatz einen Campingwagen besitzt. Wie viele Campingplätze gibt es in Nordrhein-Westfalen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das hat uns alle völlig fassungslos gemacht.

Natürlich stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage: Steckt mehr dahinter? Steckt dahinter ein geheimer Treffpunkt von Pädophilen? Ist das ein Ort, an dem man sich verabredet oder den man vielleicht auch nur weiterempfohlen hat und von dem man gesagt hat: „Das ist ein Campingplatz, wo man nicht so genau hinschaut“? Natürlich stellen wir uns alle diese Frage. Das ist doch völlig klar. Man kann hier nicht einfach an einen Zufall glauben. Ich jedenfalls glaube nicht an einen Zufall.

Wir bewegen uns jedoch komplett im Rahmen von Spekulationen. Und das finde ich gefährlich. So etwas ist nicht seriös. Auch der Antrag der AfD spricht in diesem Zusammenhang von einem möglichen Sachzusammenhang. Damit befinden wir uns im Bereich der Spekulation.

Ich möchte an dieser Stelle klar und deutlich sagen: Es ist Aufgabe der Polizei, derzeit zu prüfen, ob es Zusammenhänge gibt oder nicht. Ich finde es anmaßend, zu glauben, dass ein Untersuchungsausschuss die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft übernehmen könnte.

Die entsprechenden Fragen, die die AfD in dem Erweiterungsantrag aufwirft – das sind die Fragen 1 bis 7 von insgesamt 11 Fragen –, sind allesamt Fragen, die die Polizei beantworten muss und die wir überhaupt nicht beantworten können. Wir sind doch keine Polizeibeamten. Das werden wir auch nicht über Zeugenvernehmungen herausbekommen. Es ist schlichtweg auch nicht unser Job.

Aufgabe des Landtags bzw. dieses Untersuchungsausschusses ist es, mögliche Behördenfehler herauszuarbeiten. Ich kann in diesem Fall zunächst jedoch gar keine Behördenfehler erkennen. Man muss doch sagen, dass die Beamtinnen und Beamten, die gerade versuchen, den Tatkomplex „Bergisch Gladbach“ aufzuklären, mit einer sehr hohen Akribie daran arbeiten und erst durch ihre gute Arbeit diesen möglichen Zusammenhang entdeckt haben.

Ich habe daher hohes Vertrauen in die BAO Berg. Diese Besondere Aufbauorganisation geht gut und gründlich vor. Beim Polizeipräsidium Bielefeld ist eine eigene Ermittlungsgruppe zu den Geschehnissen auf dem Campingplatz eingerichtet worden, um diesen noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen.

Ich muss ganz klar sagen, dass es eine falsche Erwartungshaltung ist, zu meinen, das Parlament könne hier Ersatzpolizei spielen. Dazu sind wir schlichtweg nicht in der Lage. Insofern ist das eine schwer zu vertretende Annahme.

Die zweite falsche Annahme, die sich in dem Antrag der AfD wiederfindet, ist die Annahme, man könne Lügde ohne Bergisch Gladbach nicht aufklären und andersherum. Das stimmt meines Erachtens so nicht. Möglicherweise hat der Tatort Eichwald eine besondere Bedeutung. Daran arbeitet die Polizei gerade. Aber den Tatkomplex „Lügde“ und die damit verbundenen Fragen – warum das Kind zu dem Pflegevater gekommen ist, warum die Jugendämter nicht eingegriffen haben, warum Hinweise nicht ernst genommen wurden – wollen wir im Rahmen des Untersuchungsausschusses aufklären. Ich meine, dass wir das auch aufklären können, ohne den Komplex „Bergisch Gladbach“ zu diesem Zeitpunkt mit hineinzunehmen.

Sie schreiben in Ihrem Antrag, es gebe ein dringendes Erfordernis zur Auftragserweiterung. Das stimmt meines Erachtens auch nicht. Nach meiner Meinung müssen wir erst einmal abwarten, was die Polizei ermittelt. An dieser Stelle habe ich hohes Vertrauen in die Polizei. Ich kann nicht erkennen, dass es derzeit im Rahmen der BAO Berg Fehler gibt. Daher sollten wir die Polizei erst einmal in Ruhe ermitteln lassen.

Sollten sich Zusammenhänge erhärten und sollten wir feststellen, dass es möglicherweise Absprachen oder einen Treffpunkt gibt – das muss noch nicht einmal strafrechtlich relevant sein; das können auch Absprachen unterhalb der strafrechtlichen Relevanz sein –, müssen wir uns diesen Campingplatz noch einmal genauer anschauen. Das finde ich auch. Ja, dann muss man darüber diskutieren, ob man den Untersuchungsauftrag erweitert. Dafür bin ich offen.

Aber an dieser Stelle macht das überhaupt keinen Sinn. Deshalb werden wir Grüne diesen Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zur Einsetzung des „PUA Kindesmissbrauch“

Einsetzung des „PUA Kindesmissbrauch“

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zur Einsetzung des „PUA Kindesmissbrauch“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch nach den vielen Sitzungen im Innenausschuss, im Familienausschuss, den Diskussionen mit den Expertinnen und Experten und den Plenardebatten ist es noch immer völlig unbegreiflich, was über 40 Kinder und Jugendliche über Jahre hinweg erleiden mussten.

Es ist unbegreiflich, welche Gewalt ihnen angetan wurde.

Dieser Fall macht auch deshalb so fassungslos, weil diesen Kindern und Jugendlichen nicht geholfen wurde, weil die Behörden Hinweisen offenbar nicht ausreichend nachgegangen sind.

Wir haben in den vergangenen Monaten über etliche Fragen und Ungereimtheiten gesprochen und diskutiert, doch viele Fragen sind nach wie vor offen.

Das sind zum Teil Fragen, die wir gar nicht klären konnten, weil sie jetzt eine Rolle im Prozess spielen werden und wir dafür auch die Akten benötigen.

Es sind aber auch Fragen, die aus meiner Sicht im Innenausschuss vom Innenministerium nicht ausreichend beantwortet wurden und die wir jetzt im Untersuchungsausschuss auch stellen werden.

Ich bin froh – da kann ich mich meinen Vorrednern anschließen –, dass wir jetzt einen gemeinsamen Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses von CDU, SPD, FDP und uns Grünen auf den Weg gebracht haben, denn ich glaube, dass dieser gemeinsame Antrag noch einmal deutlich macht, dass es auch ein gemeinsames parlamentarisches Aufklärungsinteresse gibt. Ich finde, es wird der Dimension dieses Themas nur gerecht, wenn wir gemeinsam an der Aufklärung arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Zeit vor Oktober 2018, und es gibt eine Zeit danach. Zu der Zeit vor Oktober 2018 – das war der Zeitpunkt, als eine Mutter Strafanzeige gegen den Hauptangeklagten Andreas V. stellte – werden wir viele Fragen untersuchen.

Wir müssen den Fragen nachgehen, was mit den Hinweisen von 2016 und 2017 in Bezug auf Kindeswohlgefährdung und insbesondere auf die Hinweise in Bezug auf sexuellen Missbrauch geschah.

Welche Informationen wurden wann zwischen Polizei und Jugendämtern ausgetauscht? Wir sprechen hier immerhin von einem Offizialdelikt, bei dem es einen Strafverfolgungszwang gibt. Deshalb ist die Frage auch so entscheidend, was die Polizei mit diesen Hinweisen machte.

Wir werden aber auch der Frage nachgehen, wie es sein konnte, dass der Hauptangeklagte Andreas V. eine Pflegeerlaubnis bekam. Ich stelle mir immer noch die Frage – darauf haben wir auch noch keine Antworten –, ob tatsächlich niemand und in keiner Institution – damit meine ich zum Beispiel Schule, Ärztinnen und Ärzte – einen entsprechenden Verdacht bemerkt haben soll. Diese Frage werden wir uns stellen müssen.

Wir wollen aber auch die Zeit nach Oktober 2018 aufarbeiten. Wie kann es sein, dass 155 Datenträger bei der Polizei spurlos verschwinden? Wie wurden die Vernehmungen der Opfer durchgeführt? Mussten Vernehmungen aufgrund von Fehlern wiederholt werden? Herr Wolf hat gerade die Problematik angesprochen. Müssen Vernehmungen eventuell auch im Prozess noch erfolgen? Wurden tatsächlich Aktenmanipulationen beim Jugendamt vorgenommen?

Das sind alles Fragen, die wir klären müssen, denn ich glaube, dass diese Problematiken auch dazu führen können, dass wertvolles Vertrauen in die Ermittlungsbehörden verloren gehen kann. Deshalb müssen wir das aufklären.

Wir werden aber auch die Rolle der Landesregierung aufarbeiten. Da gibt es einmal Fragen zu der internen Kommunikation der betroffenen Ministerien und der Staatskanzlei. Doch ich halte nach wie vor auch die Frage für zentral, ob die Ermittlungen früher hätten von der kleineren Kreispolizeibehörde Lippe auf das größere Polizeipräsidium Bielefeld übertragen werden müssen.

Die Frage ist deshalb so zentral, weil sie mögliche strukturelle Probleme bei der Polizei Nordrhein-Westfalen mit ihren 47 Kreispolizeibehörden und – wie wir seit Kurzem wissen – mit gerade einmal 105 Stellen für den Bereich Kindesmissbrauch anspricht.

Wir müssen aber auch der Frage nachgehen, ob es strukturelle Probleme im Aufbau der Jugendämter in Nordrhein-Westfalen gibt, denn es gibt auch eine Zeit nach dem 30. Januar.

Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Am 30. Januar gab es die Pressekonferenz der Polizei Lippe, bei der erstmals der langjährige und vielfache Kindesmissbrauch in Lügde öffentlich wurde.

Ich glaube, dass diese breite Berichterstattung und die politischen Diskussionen, die wir seitdem führen, auch die Chance geben, Konsequenzen aus diesem furchtbaren Fall zu ziehen und den Kinderschutz besser aufzustellen.

Ich sehe uns in der Verantwortung, diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Kindesmissbrauch“ als Instrument zu nutzen, um strukturelle Defizite aufzudecken und gemeinsam Konsequenzen daraus zu ziehen.

Das heißt übrigens nicht – auch darüber haben wir im Vorfeld schon diskutiert –, dass parallel zum Untersuchungsausschuss nicht gleichzeitig an Konsequenzen gearbeitet werden kann und gearbeitet werden muss. Ich glaube, es braucht beides.

Man braucht die Aufarbeitung nach hinten, und wir müssen schauen: Wann hat welche Behörde möglicherweise welchen Fehler gemacht? Wo gibt es strukturelle Defizite im Behördenaufbau in Nordrhein-Westfalen? Wir müssen andererseits die Konsequenzen nach vorne ziehen. Ich bin froh, dass wir diesen Weg der parlamentarischen Aufarbeitung jetzt gemeinsam gehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)