Zur Unterrichtung der Landesregierung zur Flutkatastrophe

“Sich hier hinzustellen und die Verantwortung auf die Menschen, auf die Kommunen und auf den Deutschen Wetterdienst abzuschieben, finde ich eine Unverschämtheit”

Zur Unterrichtung der Landesregierung zur Flutkatastrophe

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie konnte das geschehen? Diese Frage hat der Landtagspräsident gerade in der Gedenkstunde gestellt. Wie konnte diese furchtbare Katastrophe geschehen? Warum wurden die Unwetterwarnungen nicht richtig eingeordnet? Warum wurden die Kommunen nicht zum Handeln aufgefordert? Warum wurden die Menschen nicht früher gewarnt?

Das sind doch die Fragen, die die Menschen umtreiben und die auch aufgearbeitet werden müssen.

(Thomas Schnelle [CDU]: Nein, das sind andere Fragen!)

Wie können wir den Katastrophenschutz stärken, damit eine solche Naturkatastrophe nicht noch einmal so viel Leid bringt und damit Menschen wirklich geschützt werden können? Das war eigentlich die Fragestellung für die heutige Unterrichtung, aber leider hat Innenminister Reul in keinster Weise eine Lehre oder Konsequenz aus dieser Katastrophe gezogen.

(Henning Rehbaum [CDU]: Haben Sie nicht zugehört?)

Ich finde, das ist ein inhaltliches Armutszeugnis für diese Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Dummes Zeug! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Ja, Herr Schnelle, er hat etwas zum Thema „Warnungen“ gesagt. Aber wenn man über Warnungen spricht, dann muss man aufpassen, dass man die Verantwortung nicht auf die Bürgerinnen und Bürger abschiebt.

(Zurufe von der CDU)

Es ist immer noch der Staat, der für die richtige Einordnung einer Katastrophe sorgen muss, und das ist hier versäumt worden!

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Landesregierung hat es schlichtweg versäumt,

(Daniel Sieveke [CDU]: Unglaublich!)

dass die Fachexperten aus dem Innenministerium und aus dem Umweltministerium miteinander reden, dass sie eine Einordnung der Unwetterwarnung vornehmen. Dann können Sie doch nicht sagen: Wir müssen mehr warnen,

(Marc Lürbke [FDP]: Wenn Sie alles wissen, brauchen Sie doch keinen Untersuchungsausschuss!)

damit die Menschen wissen, dass sie nicht in den Keller gehen sollen.

Ich bitte Sie!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sich hier hinzustellen und die Verantwortung auf die Menschen, auf die Kommunen und auf den Deutschen Wetterdienst abzuschieben, solch eine Rechtfertigungshaltung finde ich eine Unverschämtheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Aber ich bin ja bei Ihnen, Herr Reul, wenn Sie sagen, wir müssen jetzt Konsequenzen ziehen. Ich habe noch nie so viele Angebote zur inhaltlichen Mitarbeit von dieser Regierung bekommen wie in den letzten sechs Tagen. Ich sage Ihnen zu – das habe ich Ihnen auch geschrieben, Herr Reul –: Ich arbeite sehr gerne konstruktiv mit. Wir Grüne haben Vorschläge vorgelegt, um den Katastrophenschutz zu reformieren und zu verbessern. Wir arbeiten gerne mit. Aber dass Sie das an die Bedingung knüpfen, dass wir unsere parlamentarischen Rechte als Abgeordnete in einem Untersuchungsausschuss nicht wahrnehmen sollen, auch das ist eine Unverschämtheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass eine Enquetekommission in keiner Weise die parlamentarischen Rechte hat wie ein Untersuchungsausschuss, Akteneinsicht, Zeugen zu hören, um wirklich zu erfahren, was schiefgelaufen ist. Es geht nicht darum, Schuldige zu finden, wie Sie es hier formulieren.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Ihnen sollte nicht entgangen sein, dass wir uns hier nicht in einem Gerichtssaal befinden, sondern in einem Parlament,

(Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

und ein Parlament hat zuvorderst die Aufgabe, Gesetze zu verabschieden und die Landesregierung zu kontrollieren. Kontrollieren heißt eben auch, nachzuvollziehen, wo strukturell Fehler passiert sind.

Da ich Frau Korte, die stellvertretende Vorsitzende des PUA Kindesmissbrauch, sehe, wo wir beide sehr intensiv arbeiten: Aufzuarbeiten und Konsequenzen daraus zu ziehen, schließt sich nicht aus. – Ich weiß, Sie haben das nicht gesagt, aber andere legen das hier argumentativ so an. Es schließt sich nicht aus! Wir haben im Bereich Kindesmissbrauch einen Untersuchungsausschuss. Wir haben eine Kinderschutzkommission hier im Landtag. Der Innenminister hat eine Stabsstelle eingerichtet, die Polizei hat auch schon Sachen umgesetzt. Das heißt, auf der einen Seite aufzuarbeiten und auf der anderen Seite Konsequenzen zu ziehen, schließt sich in keiner Weise aus. Deshalb müssen wir das hier auch so machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte gerne noch darauf eingehen, welche Prozesse aus meiner Sicht nach dieser Katastrophe anstehen.

Das ist zum einen die Hilfe für die Betroffenen, das Thema „Wiederaufbau“, worüber wir sicherlich später noch diskutieren. Es ist zum anderen die Aufarbeitung von Behördenhandeln. Noch einmal: Hier sind 49 Menschen in diesem Land gestorben. Es geht konkret um das Handeln von Behörden. Das gehört aus meiner Sicht aufgearbeitet.

Ferner geht es darum, Konsequenzen zu ziehen, Konsequenzen für Klimaschutz, für das Thema „Klimafolgenanpassung“, für den Katastrophenschutz und auch für den Hochwasserschutz. Wir Grüne haben Vorschläge dafür vorgelegt.

Da so wenig vom Innenminister kam und er selber gesagt hat, wir müssten jetzt schnell Konsequenzen ziehen, möchte ich Ihnen gerne welche für den Katastrophenschutz mit auf den Weg geben. Von Ihnen ist da ja leider herzlich wenig gekommen.

Aus meiner Sicht brauchen wir die Katastrophenschutzbedarfspläne. Im Rahmen von Katastrophenvorsorge brauchen wir die Bedarfsplanung in den Kreisen und kreisfreien Städten als unseren Katastrophenschutzbehörden.

Das Land darf sich in solch einer Lage nicht aus der Verantwortung ziehen. Das heißt in der Konsequenz, dass wir in einer solchen Situation Landeskompetenzen brauchen,

(Henning Rehbaum [CDU]: Was haben Sie 2016 gemacht?)

wenn Entscheidungen zu treffen sind, die mehrere Gebietskörperschaften betreffen, um Ressourcen zielgerichtet steuern zu können. In einem weiteren Schritt brauchen wir so etwas wie ein Landesamt für den Katastrophenschutz als eigene Behörde, als stärkere Abteilung, wie auch immer. Das kann man ja alles diskutieren.

Wir brauchen klare Regeln für den Krisenstab. Wann wird der Krisenstab der Landesregierung tatsächlich mal eingesetzt? Das muss klar und deutlich und offenbar gesetzlich geregelt sein, denn sonst funktioniert es ja nicht.

(Christian Dahm [SPD]: Die Regeln haben wir doch schon! Wir müssen sie nur anwenden!)

– Wir haben Regeln, man muss sie anwenden, da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber vielleicht muss man sie konkretisieren, damit auch diese Landesregierung sie versteht.

Des Weiteren brauchen wir in solchen Lagen eine Verzahnung der vorhandenen Fachexpertise, dass eben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Ministerien in einer solchen Katastrophenlage wirklich miteinander sprechen.

Auf eines möchte ich noch eingehen, nämlich auf den Titel der Unterrichtung. Abgesehen davon, dass Sie hier keine Konsequenzen benannt haben, will ich noch auf die Begrifflichkeit der „Jahrhundertflut“ eingehen. Es ist überschrieben mit „Jahrhundertflut 2021“. Ich glaube, wir müssen uns von solchen Begrifflichkeiten lösen. Sie haben offenbar nicht verstanden, dass wir nicht mehr alle 100 Jahre über Fluten sprechen, sondern wir haben schon jetzt eine Erderwärmung von 1,2 Grad, die zu mehr Extremwetterereignissen führen wird.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Das ist der Status quo, den wir nicht mehr zurückdrehen können. Das zeigt uns doch noch mal deutlich, dass wir mehr Klimaschutz brauchen, dass wir nicht über das 1,5-Grad-Ziel hinausgehen dürfen. Das heißt konsequenter Klimaschutz, das heißt auch, Herr Laschet, dass wir aus der Kohle aussteigen müssen, und zwar nicht erst 2038, wie Olaf Scholz und Armin Laschet es wollen, sondern im Jahre 2030.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Das muss doch eine der Konsequenzen aus dieser Flutkatastrophe sein.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Landesregierung handelt beim Katastrophenschutz unwissend und konzeptlos

Landesregierung handelt beim Katastrophenschutz unwissend und konzeptlos

Zu den Medienberichten über das Krisenmanagement der Landesregierung während der Hochwasserkatastrophe erklärt Verena Schäffer, Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin der GRÜNEN Landtagsfraktion NRW:

„Es ist ein Offenbarungseid, dass Innenminister Herbert Reul fünf Wochen nach der verheerenden Katastrophe keine Aussagen zum Informationsfluss zwischen Innen- und Umweltministerium treffen kann. Wiederholt schiebt Herbert Reul die Verantwortung für das Erkennen der Hochwassergefahr auf andere ab, wenn er sagt, dass in der Bevölkerung das Bewusstsein für Katastrophen zu wenig vorhanden sei. Der Staat trägt die Verantwortung für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Dieser Verantwortung ist die Landesregierung nicht gerecht geworden. Innen- und Umweltministerium hätten die Hochwassergefahr erkennen müssen und Kommunen und Bevölkerung entsprechend warnen müssen. Es ist ein offenbares Versagen dieser Landesregierung, dass sie keine Bewertung der Unwetterwarnungen vorgenommen und die Kommunen bei der „Übersetzung“ der Gefahrenlage auf deren örtliche Gegebenheiten nicht unterstützt und letztlich zum Handeln aufgefordert hat.

Innenminister Reul ist auch fünf Wochen nach der Hochwasserkatastrophe erschreckend unwissend über die Kompetenzen des Krisenstabs der Landesregierung, dessen Einberufung er selbst fälschlicherweise nicht mehr als Symbolkraft zugesteht. Denn anders als Herr Reul behauptet, darf der Innenminister zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib und Leben oder hohe Sachwerte Entscheidungen für andere Fachressorts treffen, wenn der Krisenstab einberufen ist. Dass das Ressortprinzip durch das Einberufen des Krisenstabes in einer Gefahrenlage aufgehoben wird, ist notwendig, um schnelle Entscheidungen treffen zu können.

Dass der Innenminister darauf hinweist, dass Katastrophenpläne in den Kreisen und kreisfreien Städten bereits gesetzlich vorgeschrieben sind, er aber bezweifeln würde, dass jede Kommune einen solchen Plan habe, macht mich sprachlos. Das Innenministerium ist die oberste Aufsichtsbehörde und Minister Reul hätte die Kreise und kreisfreien Städte längst anweisen müssen, entsprechende Katastrophenpläne vorzulegen. Wir müssen jetzt einen Schritt weiter gehen und verbindliche Katastrophenschutzbedarfspläne einführen, damit die Kreise und kreisfreien Städte auf mögliche Katastrophen bestmöglich vorbereitet sind.“

Zum Sonderplenum aus Anlass der Flutkatastrophe

“Nordrhein-Westfalen könnte beim Hochwasserschutz bereits viel weiter sein”

Zum Sonderplenum aus Anlass der Flutkatastrophe

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verwüstete Dörfer, völlig zerstörte Häuser und Wassermassen, die Erinnerungsstücke wie Fotoalben oder Kuscheltiere weggerissen haben – die Flut vor vier Wochen war die größte Naturkatastrophe in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen. Mehr als 180 Menschen in Deutschland haben ihr Leben verloren, in Rheinland-Pfalz werden immer noch Menschen vermisst, und viele Menschen sind verletzt und traumatisiert. Dazu kommen diejenigen, die alles verloren haben. Die materiellen und vor allem die immateriellen Schäden sind enorm.

Wir gedenken heute den Menschen, die ihr Leben in Nordrhein-Westfalen, aber auch bei unseren Nachbarn in Rheinland-Pfalz und in Belgien verloren haben. Unsere Gedanken sind bei ihren Angehörigen, aber auch bei den Verletzten und allen, die ihr Hab und Gut verloren haben. Ich möchte mich dem Dank an die Einsatzkräfte von Feuerwehren und anerkannten Hilfsorganisationen, an das THW und an die Bundeswehr sowie die Polizei, die alle unermüdlich vor Ort geholfen haben und helfen, anschließen. Mein Dank gilt natürlich ebenso allen spontanen Helferinnen und Helfern, denjenigen, die Geld- und Sachmittel gespendet haben, und den Hotels, die Übernachtungsmöglichkeiten bereitgestellt haben. Vielen Dank dafür!

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP und von Markus Wagner [AfD])

Die Soforthilfen sind wichtig, um schnell und unkompliziert zu helfen, doch 3.500 Euro sind nicht viel Geld, wenn man alles verloren hat und die Versicherung nicht einspringt. Die Menschen brauchen deshalb schnell Klarheit darüber, wann sie wie viel Unterstützung zu erwarten haben. Darüber hinaus ist wichtig, dass die Hilfe ankommt, und das gilt natürlich auch für unsere Kommunen. Die Beseitigung der Schäden an der öffentlichen Infrastruktur – an den Straßen und an Gebäuden wie beispielsweise den Rathäusern, Schulen und Kitas – wird uns über Jahre hinweg auch hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen begleiten.

Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Land. Ich gehe davon aus, dass Ministerpräsident Armin Laschet bald auf uns zukommen wird, um das Parlament zeitnah zu beteiligen. Außerdem würde ich Sie bitten, mit dem Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag zu sprechen. Die Grünen und auch die FDP fordern seit Längerem eine Sondersitzung des Deutschen Bundestags, und ich kann mich anschließen: Es wäre wichtig, dass diese Sitzung stattfindet und die CDU und SPD ihre Verweigerungshaltung im Bundestag dazu aufgeben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal deutlich feststellen, dass die grüne Fraktion im Landtag selbstverständlich hinter den Menschen, den Kommunen und den Unternehmen steht und wir die Beschlüsse für die entsprechenden finanziellen Mittel hier im Landtag selbstverständlich unterstützen werden.

Die Menschen in den Hochwassergebieten brauchen Hilfe, um das Nötigste kaufen zu können und um eine Perspektive zu bekommen. Dafür sind diese Soforthilfen wichtig.

Um das Erlebte verarbeiten zu können, sind gerade die psychosozialen Angebote wichtig. Ich bin froh, dass die Traumaambulanzen der Landschaftsverbände für die Flutopfer offenstehen.

Das Angebot des schulpsychologischen Dienstes ist unverzichtbar für die Kinder und Jugendlichen. Ich denke, wir können gar nicht richtig ermessen, was die Geschehnisse für die Kinder bedeutet, die zum Teil Schreckliches mitansehen und auch die Verzweiflung und die Unsicherheit bei den Erwachsenen, bei ihren Eltern miterleben mussten.

Wir als Politikerinnen und Politiker stehen in der Verantwortung, für diese Hilfe zu sorgen, und zwar sowohl für finanzielle Soforthilfe als auch für psychosoziale Angebote.

Wir stehen aber auch in der Verantwortung, einen ehrlichen Blick zurück zu werfen und Abläufe aufzuarbeiten. Wir alle haben, denke ich, in den letzten Tagen und Wochen viele Gespräche geführt. In einem Gespräch hat mir eine Betroffene aus Erftstadt die Frage mit auf den Weg gegeben, wie die Bevölkerung gewarnt wurde. – Das ist einfach nicht passiert. Dass die Bevölkerung gewarnt wird und möglicherweise evakuiert werden kann, setzt voraus, dass die Behörden die Gefahr tatsächlich erkennen. Das ist offenbar nur unzureichend geschehen.

Anders, als es der Innenminister darstellt, lagen vor dieser Hochwasserkatastrophe eindrückliche Warnungen vor. Das Europäische Hochwasserwarnsystem EFAS hat bereits ab dem 10. Juli die nationalen Behörden gewarnt. Am Montag, den 12. Juli, haben das Land Nordrhein-Westfalen und die Kommunen die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes erhalten.

Im Innenausschuss konnte der Innenminister vor zwei Wochen nicht nachvollziehbar erläutern, warum es am 12. Juli innerhalb der Landesregierung, also insbesondere zwischen dem für Katastrophenschutz zuständigen Innenministerium und dem für den Hochwasserschutz zuständigen Umweltministerium vor dem Eintreten der Katastrophe und spätestens dann, als die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes vorlagen, keinerlei Austausch gegeben hat.

Ich meine, dass die Ministerien zu diesem Zeitpunkt viel zu besprechen gehabt hätten, zum Beispiel die Frage der Aufnahmekapazitäten der Talsperren betreffend.

Aber es stellen sich noch weitere Fragen: Warum hat die Landesregierung die kreisfreien Städte und Kreise als untere Katastrophenschutzbehörden nicht bei der Bewertung der Unwetterwarnung unterstützt und sie zum Handeln aufgefordert?

Ich finde, dass sich das Innenministerium nicht aus der Verantwortung ziehen kann. Das Innenministerium ist die Aufsichtsbehörde und hätte aus meiner Sicht diese Bewertung vornehmen und entsprechend auf die Städte und Kreise zugehen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Warum wurde die Bevölkerung nicht an allen Orten gewarnt? Wieso hat hier die Landesregierung keine Verantwortung übernommen und selbst gewarnt, obwohl sie durch das BHKG, also durch unser Katastrophenschutzgesetz, und den Warnerlass die rechtlichen Möglichkeiten dazu hat? Warum sind die Kommunen nicht zum Handeln aufgefordert worden, als in anderen Kommunen bereits kleine Bäche zu reißenden Sturzfluten angewachsen sind? Warum ist kein Krisenstab der Landesregierung aktiviert worden, obwohl wir ihn vorsehen?

Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, wo und warum Fehler gemacht wurden. Wir müssen aus dieser Katastrophe lernen und die richtigen Konsequenzen ziehen, um den Katastrophenschutz für die Zukunft zu stärken.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mir ist dabei eines wirklich sehr wichtig: Diese Kritik bezieht sich nicht auf die Einsatzkräfte. Ich bin den Angehörigen des Katastrophenschutzes sehr dankbar dafür, dass sie alles gegeben haben und es auch heute tun, um Menschenleben zu schützen und vor Ort Hilfe zu leisten.

Aber diese Katastrophe, wie zuvor auch schon der Beginn der Coronapandemie, hat doch gezeigt, dass wir strukturelle Veränderungen im Katastrophenschutz brauchen. Analog zu den Brandschutzbedarfsplänen brauchen wir Katastrophenschutzbedarfspläne.

Die Stadträte stimmen alle fünf Jahre über den Brandschutzbedarfsplan ab. Darin wird festgehalten, wann die Feuerwehr bei welchem Einsatzszenario in welcher Zeit mit wieviel Personal vor Ort sein muss. Das sind die Schutzziele. Sie legen damit den Bedarf an Personal und Technik fest. Das brauchen wir auch für den Katastrophenschutz, und zwar für unterschiedliche Szenarien vom Waldbrand über langanhaltende Stromausfälle bis hin zum Hochwasser.

Das Innenministerium muss in solchen Katastrophenfällen die Kommunen unterstützen können. Das Innenministerium muss auch Entscheidungen vorgeben können, wie etwa bei Evakuierungen. Es muss die Möglichkeit geben, dass das Innenministerium Zuständigkeiten an sich ziehen kann. Dafür brauchen wir mehr als nur eine Aufsichtsbehörde. Wir brauchen eine Katastrophenschutzbehörde auf Landesebene und eine eigene Katastrophenplanung. Und ganz wichtig ist: Wir brauchen die Verzahnung mit anderen Landesbehörden wie im Falle von Hochwasser zwischen Umweltministerium und dem LANUV.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir alle wissen, dass sich solche Katastrophenfälle nicht für Landesgrenzen interessieren. Deshalb müssen wir für die Länder das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das BBK, als Zentralstelle im Katastrophenfall umbauen. Es muss die Länder unterstützen dürfen, zum Beispiel beim Einsatz von Hubschraubern, und es muss den Einsatz und den Informationsfluss koordinieren.

Es ist doch absurd, dass wir ein fachlich hervorragend aufgestelltes Bundesamt haben, welches aber im Katastrophenfall nicht tätig werden darf. Hier müssen endlich die Länder ihre Weigerungshaltung aufgeben. Ich sehe hier auch die Landesregierung in der Pflicht, diese Veränderungen voranzutreiben, um den Katastrophenschutz insgesamt zu stärken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Neben dem Katastrophenschutz muss die große Lehre aus dieser Naturkatastrophe doch sein, dass wir den Hochwasserschutz stärken; denn es wird aufgrund der Klimakrise immer häufiger zu Extremwetterereignissen kommen. Wir werden Hochwasser und Überschwemmungen nie ganz verhindern können, aber wir müssen Vorsorge beim Hochwasserschutz betreiben.

Leider wurde in den letzten vier Jahren unter Schwarz-Gelb eine wichtige Chance vertan. Nordrhein-Westfalen könnte beim Hochwasserschutz bereits viel weiter sein.

Damit Hochwasser nicht Wohnhäuser, Schulen und Vereinsheime überflutet, braucht es vor allem eines: Fläche. Das Wasser muss sich ausbreiten und versickern können. Doch statt Überschwemmungsgebiete und flussnahe Flächen zu schützen, hat die Regierung Laschet der Flächenversiegelung freien Lauf gelassen.

(Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Also!)

Derzeit werden in Nordrhein-Westfalen etwa 22 ha Fläche pro Tag versiegelt. Es ist schön, Frau Ministerin Scharrenbach, dass Sie das 5-Hektar-Ziel noch im Herzen tragen, aber es bringt nichts, wenn Sie dieses Ziel, diesen Grundsatz aus dem Landesentwicklungsplan streichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nicht nur beim Zubetonieren von Fläche, sondern auch bei der Änderung des Landeswassergesetzes folgte die schwarz-gelbe Landesregierung ihrem Dogma der Entfesselung und hat die Bestimmungen für die Überschwemmungsgebiete gelockert. Die Regelung zum Schutz der Flächen, die dem Hochwasserschutz dienen, wurde gestrichen. Auch das Vorkaufsrecht des Landes von Flächen zugunsten der naturnahen Gewässerentwicklung wurde ersatzlos gestrichen. Damit wurde die Chance vertan, flussnahe Flächen durch die öffentliche Hand aufzukaufen, und diese für die Hochwasserschutz zu nutzen.

Das ist eine Schwächung des Hochwasserschutzes. Deshalb müssen solche Änderungen so schnell wie möglich wieder rückgängig gemacht werden. Unsere Stimmen dafür haben Sie.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir erleben in diesem Sommer Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz, und gleichzeitig brennen Wälder in Griechenland, in der Türkei und seit Wochen schon in Sibirien, wo der Permafrost taut und das bislang gebundene CO2 und Methan freigesetzt wird. Das klingt alles irgendwie nach Apokalypse in einem ziemlich schlechten Science-Fiction-Film, aber es ist Realität.

Der Klimawandel ist kein Unheil, das unsere Urenkel erst in ferner Zeit irgendwann betreffen wird, sondern die Klimakatastrophe ist heute längst Realität. Wir müssen deshalb Klimafolgenanpassung betreiben und unsere Städte widerstandsfähiger machen. Wir müssen auf Naturkatastrophen wie Hochwasser, Waldbrände und Dürren vorbereitet sein.

Aber – das ist mir auch wichtig – die Klimafolgenanpassung alleine reicht nicht aus. Wir erleben derzeit schon die Auswirkungen des Klimawandels bei einer Erderwärmung von 1,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Die Klimakrise ist unumkehrbar. Das macht auch der heute vorgestellte erste Teilbericht des Weltklimarates in dramatischer Weise deutlich.

Deshalb müssen wir alles daransetzen, die weitere Erwärmung auf das 1,5-Grad-Ziel zu begrenzen. Das bedeutet, dass Deutschland bis spätestens 2030 aus der Kohle aussteigen muss, dass die Windenergie ausgebaut werden muss anstatt sie auszubremsen, wie es diese Landesregierung tut, dass wir Solardächer zum Standard in unseren Städten machen.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Hovenjürgen [CDU])

Denn die Flutkatastrophe in unseren Städten, sei es in Hagen, in Erftstadt, im Kreis Euskirchen oder an vielen anderen Orten in Nordrhein-Westfalen, hat uns doch eines deutlich vor Augen geführt, nämlich dass Naturkatastrophen Menschenleben bedrohen und die Auswirkungen des Klimawandels unseren heutigen Wohlstand gefährden.

Deshalb kann ich Aussagen wie „Weil jetzt ein solcher Tag ist, verändert man nicht die Politik“ schlichtweg nicht nachvollziehen. Ich halte es für fahrlässig, ich halte es für unverantwortlich, wie man mit dem Erkenntnisgewinn über die Klimakatastrophe und den direkten Erfahrungen ihrer Auswirkung auf ein „Weiter so!“ setzen kann.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ja, Herr Hovenjürgen, da kann man den Kopf schütteln. Aber wir erleben gerade in diesem Sommer die Auswirkungen der Klimakatastrophe.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Wenn man jetzt darauf setzt, einfach weiterzumachen, dann ist auch klar, dass es so weitergehen wird. Die Erderwärmung wird weiter steigen, und das wird weitere Katastrophen zur Folge haben. Der Klimawandel ist unumkehrbar. Es sind schon 1,2 Grad Erderwärmung passiert, und wenn wir nicht gegensteuern, dann haben wir tatsächlich ein Riesenproblem. Das muss man doch spätestens jetzt endlich einsehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb muss alles dafür getan werden, die Klimakrise zu bekämpfen, unsere Städte auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten und auch unseren Katastrophenschutz zu stärken. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Machtlos gegen die Fluten

Online-Veranstaltung mit Sven Giegold

„Machtlos gegen die Fluten? – Wie können wir uns in NRW und Europa vor Katastrophen schützen?“

„Machtlos gegen die Fluten? – Wie können wir uns in NRW und Europa vor Katastrophen schützen?“ – Mittwoch, 4. August 20.00 – 21.30 Uhr

Gleich hier anmelden!

Die Folgen der Hochwasser in NRW, Rheinland-Pfalz und weiteren Teilen Europas sind furchtbar. Weiterhin müssen wir alles tun, um den Betroffenen möglichst schnell zu helfen. Doch die Klimakrise wird in Zukunft zu immer häufigeren Extremwettern führen. Wenn wir nichts ändern, werden uns immer schlimmere Überschwemmungen treffen. Wie können wir uns also in Zukunft vor Hochwasser besser schützen? Wie können wir dafür sorgen, dass die Behörden die richtigen Schlüsse aus Wetterwarnungen ziehen und Warnmeldungen die Bevölkerung erreichen?

Starkregen wird in Zukunft unsere in ihrem natürlichen Lauf zu stark eingeschränkten Flüsse immer mehr belasten. Doch möglichst naturnahe Flüsse verringern die Gefahren durch Klimawandel und Hochwasser, denn breite Flüsse, Bäche und Auen bieten Raum, um mehr Wasser zu halten. In Europa haben wir uns bereits mit der Wasserrahmenrichtlinie der EU vor mehr als 20 Jahren darauf geeinigt, unsere Flüsse bis 2015 wieder in einen naturnahen Zustand zu bringen. Viele Flüsse und Bäche in Deutschland sind jedoch weiterhin in einem schlechten Zustand, mit oft katastrophalen Folgen für Mensch und Natur. In NRW hat die schwarz-gelbe Landesregierung unter Ministerpräsident Laschet bei der Renaturierung der Flüsse sogar den Rückwärtsgang eingelegt.

Europa investierte schon vor Jahren in ein Frühwarnsystem. Bereits Tage bevor die ersten Überschwemmungen auftraten, wurden deutsche Behörden vor dem Hochwasser gewarnt. Doch diese Warnungen haben die Bürger*innen nicht immer erreicht. Wir wollen mit Professorin Hannah Cloke, Europas führender Hochwasserforscherin, diskutieren, ob und wie ein besserer Schutz der Bevölkerung möglich gewesen wäre. Professorin Cloke hat das europäische Frühwarnsystem mit aufgebaut, mit dem die jüngsten Überschwemmungen in Deutschland und den umliegenden Ländern vorhergesagt wurden.

Verena Schäffer hat als Vorsitzende und innenpolitische Sprecherin der grünen NRW-Landtagsfraktion schon lange vor der Hochwasserkatastrophe Veränderungen des Katastrophenschutzes gefordert und wird dazu Eckpunkte vorstellen.

Oliver Krischer kennt als zuständiger Bundestagsabgeordneter stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion, lokaler Abgeordneter und Naturschützer die Lage an den betroffenen Flüssen genau. Er wird an Beispielen vor Ort zeigen, wie praktizierter Naturschutz schon jetzt noch Schlimmeres vermieden hat und wie Renaturierungen zum Hochwasserschutz in Zukunft beitragen kann.

Sven Giegold befasst sich als Europaabgeordneter aus NRW systematisch mit der Durchsetzung von EU-Umweltrecht in den Mitgliedsstaaten. Bei der Wasserrahmenrichtlinie hat er die EU-Kommission schon lange vor der Katastrophe zur Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gedrängt.

Es diskutieren mit:

  • Professorin Hannah Cloke, Professorin für Hydrologie an der University of Reading, UK.
  • Verena Schäffer, Vorsitzende der NRW-Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen 
  • Oliver Krischer, Mitglied des Bundestages aus Aachen, stellvertretender Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen
  • Sven Giegold, Sprecher der Abgeordneten von Bündnis90/Die Grünen im Europaparlament.

Termin: Mittwoch, 4. August,  20:00 – 21:30 Uhr

Sprachen: Deutsch und Englisch mit Simultanübersetzung

Innenminister Reul darf die Verantwortung nicht auf die Kommunen abschieben

Innenminister Reul darf die Verantwortung nicht auf die Kommunen abschieben

Zur heutigen Sondersitzung des Innenausschusses zur Flutkatastrophe in NRW erklärt Verena Schäffer, Vorsitzende und innenpolitische Sprecherin der GRÜNEN Landtagsfraktion NRW:

„Nordrhein-Westfalen wurde von diesem Unwetter hart getroffen. Unsere Anteilnahme gilt denjenigen, die geliebte Angehörige und Freunde verloren haben. Menschen wurden verletzt und an vielen Orten ist das gesamte Hab und Gut in den Fluten weggeschwemmt worden.

Die heutige Sondersitzung des Innenausschusses war wichtig, um die drängendsten Fragen zu klären. Allerdings bin ich darüber erschüttert, wie sehr sich der Innenminister bei dieser größten Naturkatastrophe für das Land Nordrhein-Westfalen aus der Verantwortung zieht. Er schiebt die gesamte Verantwortung auf die Kreise und kreisfreien Städte ab und zieht sich darauf zurück, dass diese formal zuständig seien. Dabei ist im Innenministerium offensichtlich unzureichend mit den Warnmeldungen des Deutschen Wetterdienstes umgegangen worden. Mir ist nicht verständlich, warum das Innenministerium als für den Katastrophenschutz zuständiges Ministerium angesichts der Unwetterwarnungen keinen Kontakt mit dem Umweltministerium in Fragen des Hochwasserschutzes, z.B. bezüglich der Talsperren, aufgenommen hat. Dass die Unwetterwarnungen an die Städte und Kreise nur weitergeleitet wurden ohne eine inhaltliche Bewertung durch das Land und eine Handlungsaufforderung an die kommunale Ebene vorzunehmen, halte ich für einen Fehler. Innenminister Reul konnte zudem nicht schlüssig erklären, warum das Innenministerium keinen Gebrauch einer Warnung durch das Land gemacht hat.

Die Sondersitzung hat weitere Fragen unter anderem zum Krisenstab der Landesregierung offen gelassen. Es ist wichtig, dass diese Fragen aufgearbeitet werden. Denn diese Katastrophe, bei der mit fast der Hälfte der Kreise und kreisfreien Städte das halbe Land betroffen ist, muss eine Zäsur für den Katastrophenschutz sein. Wir brauchen unter anderem mit Katastrophenschutzbedarfsplänen eine stärkere Vorsorge im Bereich des Katastrophenschutzes, um zukünftig auf verschiedene Katastrophenszenarien besser vorbereitet zu sein.“

Zum Antrag der „AfD“-Fraktion zu ehrenamtlichen Einsatzkräften

AfD-Antrag zu ehrenamtlichen Einsatzkräften

Meine Rede zum Antrag der „AfD“-Fraktion zu ehrenamtlichen Einsatzkräften

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP! Ich finde, eines muss man Ihnen ja wirklich lassen: Was Sie können, ist, Verwirrung zu stiften. Ich finde, es gibt einen wahren Meister der Verwirrungskünste, und das ist der Innenminister Herbert Reul.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wie oft haben wir das schon in diesem Parlament erlebt, dass Herr Reul seine eigenen Aussagen wieder revidieren musste? – Die Frage, die wir uns dabei immer stellen, ist: Ist das wieder einmal diese typisch unbedarfte Ausdrucksweise des Ministers, oder ist das eine bewusste Strategie, Herr Reul?

Ich denke, beim Hambacher Wald muss man (Zurufe von der CDU)

von einer bewussten Täuschung des Parlaments und der Öffentlichkeit sprechen. (Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dazu würde ich gerne zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel ist: Auf Nachfrage der grünen Abgeordneten haben Sie im Juli dieses Jahres erklärt: Ja, es gab Gespräche mit RWE, aber Absprachen? – Nein. Die hat es nun wirklich nicht gegeben.

Gegenüber dem WDR haben Sie dann gesagt: Naja, Gespräche? – Hm. Offenbar hatten Sie die vergessen, vielleicht auch verschwiegen?

Jetzt wissen wir: Es gab nicht nur Gespräche, sondern es gab auch eine Vereinbarung von Herrn Reul mit dem RWE-Vorstand. Also gab es doch Absprachen. Was ist eine Vereinbarung denn sonst?

Da frage ich mich, Herr Reul: Was kommt da noch? Haben Sie RWE versprochen, auf jeden Fall die Baumhäuser zu räumen, damit RWE roden kann? Haben Sie das versprochen? – Sie müssen heute die Karten auf den Tisch legen, Herr Minister.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auch über die wahren Motive der Räumung des Hambacher Waldes

(Zurufe von der CDU: Forst!)

hat diese Landesregierung dieses Parlament und diese Öffentlichkeit getäuscht.

Im letzten Jahr hieß es ja noch von Herrn Reul: Räumung und Rodung, das hat ja gar nichts miteinander zu tun, das würden die Leute ja immer alles durcheinander werfen. Am letzten Donnerstag im Innenausschuss macht Herr Reul die 180-Grad-Wende. Frau Scharrenbach im Bauausschuss, nur einen Tag später, bleibt bei der alten Aussage, Räumung und Rodung hätten nichts miteinander zu tun.

Unterm Strich muss man hier ja eines festhalten: Wir haben zwei Aussagen von zwei Mitgliedern dieses Landeskabinettes. Das heißt auch, nur eine Aussage kann stimmen. Das heißt auch, einer von Ihnen beiden sagt hier nicht die Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dabei wissen wir aus der Akteneinsicht – auch wenn die Akten nicht vollständig sind –, aufgrund der Gutachten, der Auftragsvergabe, der E-Mails, der Protokolle aus den Ministerien: Die Landesregierung und ganz besonders das Innenministerium – das wird eindeutig belegt durch die verschiedenen Akten – hat alles darangesetzt, eine Rechtsgrundlage zu finden, um den Wald zu räumen. Minister Reul hat ja sogar selbst einen Brief geschrieben und um Unterstützung bei den Ressortkollegen gebeten – vielleicht kann man sagen, gebettelt, um nicht zu sagen, gedroht.

Damit hat sich diese Koalition, diese Landesregierung, das Kabinett Laschet zum Erfüllungsgehilfen von RWE gemacht. Sie haben rechtliche Grundlagen instrumentalisiert,

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben Vorschriften des Vergaberechts abenteuerlich ausgelegt, Sie haben ja sogar – das wird aus der Gutachtenvergabe deutlich – zivilrechtliche Möglichkeiten für RWE prüfen lassen. Das, finde ich, ist unerhört.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Sie haben sich auf dem Rücken der Polizei – und das ist mir als Innenpolitikerin wichtig zu sagen – zum Interessensvertreter von RWE gemacht. Ich finde, das sagt auch viel über Ihr Rechtsstaatsverständnis aus.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Damit komme ich jetzt noch einmal zu den Akten. Abgesehen davon, dass Sie zunächst der Presse und danach erst den Abgeordneten die Einsicht geben wollten, was aus meiner Sicht wirklich eine krasse Missachtung des Parlaments ist …

Herr Geerlings,

(Zuruf von der SPD: Der selber gar nicht da war!)

ich war schon sehr verwundert, dass Sie hier als Abgeordneter so gesprochen haben. Ich denke, wir Abgeordnete sollten für die Stärkung der Abgeordnetenrechte reden und nicht umgekehrt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schauen Sie sich diese Akten an, sie stehen ja zur Verfügung. Die Aktenführung ist so schlecht: chronologisch nicht sortiert, keine Inhaltsverzeichnisse, aber vor allem Schwärzungen, es fehlen E-Mail-Anhänge.

(Marc Lürbke [FDP]: Wie lange waren Sie da, Frau Kollegin?)

–  Ich war zwei Mal dort.

(Marc Lürbke [FDP]: Wie lange?)

Am schönsten finde ich die Präsentation mit der Eingangsfolie und mit der Abschlussfolie „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“. Der Rest der Präsentation fehlt. Da kann man aus meiner Sicht nicht von einem Zufall reden.

Herr Reul, Frau Scharrenbach, Sie wissen doch genauso gut wie wir: Je größer der Heuhaufen ist, desto schwieriger wird die Suche nach der Nadel. – Deshalb ist dieses von Ihnen so großzügig angekündigte Angebot der Akteneinsicht ein ganz klassischer Fall von Schein- transparenz.

Wir fordern Sie auf: Geben Sie uns als Fraktionen die Akten. Geben Sie uns die Akten ungeschwärzt. Geben Sie uns die Akten vollständig.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Dann können wir uns ein umfassendes Bild davon machen. Das werden wir dann auch tun. Nur das, Herr Reul, wäre dann auch echte Transparenz. – Vielen Dank. …

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. –

 

Kurzintervention zur Rede von Innenminister Herbert Reul von

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank. – Auch wenn ich nur anderthalb Minuten habe, möchte ich hier einige Sachen nicht unwidersprochen stehen lassen.

Ich glaube, niemand – das kann man so sagen – hat in dem Ausschuss gefordert, jetzt müsse aber geräumt werden, sondern wir haben auf die Widersprüche hingewiesen, die es da einfach gibt. Die Unverhältnismäßigkeit, die Sie jetzt plötzlich sehen, bestand auch vor einem Jahr. Ich nenne das Stichwort „Kohlekommission“, das anstehende OVG-Urteil.

Es war dann ja auch so. Es kam zum Rodungsstopp. Deshalb war der Einsatz auch vor einem Jahr schon unverhältnismäßig, genauso wie er heute unverhältnismäßig wäre.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD) Darauf weisen wir hin.

Dann möchte ich hier noch einmal klarstellen, Herr Reul: Mitnichten sind die Fragen im letzten Innenausschuss beantwortet worden. Ich kann gerne noch mal einige Fragen vorlesen, auf die Sie keinen Bezug genommen haben.

„Was waren denn die Inhalte der Gespräche des Ministers mit RWE?“, habe ich gefragt. Welche weiteren Gespräche hat es unterhalb des Ministers oder des Staatssekretärs mit RWE gegeben, also Abteilungsleiterin, Referatsleiter usw.? Das ist nicht beantwortet worden.

Ich habe die Frage gestellt: Hat es konkrete Gespräche mit RWE zur Vorbereitung der Räumung inklusive der Anmietung von Hebebühnen und anderen Gerätschaften gegeben? Ich habe zum Vergaberecht Fragen gestellt. Zum Thema „Marktschau“ habe ich eine Frage gestellt. Das ist alles nicht beantwortet worden.

(Zuruf von der CDU)

Herr Reul, ich würde Ihnen gerne noch etwas beantworten, weil Sie gerade sagten: Ich verstehe gar nicht, dass Sie noch mehr Akten haben wollen. – Ich kann Ihnen aber gerne sagen, was wir noch haben wollen: Es gibt genau eine Akte aus der Staatskanzlei. Diese Akte beinhaltet einzig und allein Kleine Anfragen. Da ist die Frage: Ist das vollständig?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, die 1:30 sind rum.

Verena Schäffer (GRÜNE): Ist das die Akte der Staatskanzlei? Welche Kommunikation hat es auf dieser Ebene gegeben?

(Zurufe von der CDU und der FDP) Es gibt die Frage nach den E-Mails.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

–  Vielleicht hören Sie mal auf, ständig reinzurufen, und respektieren einfach, dass ich das Rederecht habe.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, die 1:30 wären jetzt rum.

Verena Schäffer (GRÜNE): Gut. Das wird hier leider nicht angezeigt. – Ich will nur deutlich machen: Es gibt nach wie vor viele Fragen. Es gibt Akten.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, schön.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE] – Gegenrufe von der CDU und der FDP)

Jetzt hat Herr Minister Reul das Wort, und er hat 1:30 Minuten, um auf die Punkte noch mal einzugehen, die angesprochen wurden. – Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Schäffer, erstens: Ich stimme in einem Punkt zu. In der Frage, ob man den Einsatz damals hätte machen sollen oder nicht, gibt es verschiedene Meinungen. Ich glaube nach wie vor, dass das richtig und auch wichtig war.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber ist okay. Aber darüber diskutieren wir ja nicht. Das ist eine politische Bewertung.

Zweitens lege ich Wert darauf, dass die Fragen, die Sie gestellt haben, alle beantwortet wurden – wir werden das nachher ja noch sehen –, zum Beispiel über die Inhalte der Gespräche mit RWE, an denen ich beteiligt war.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

–  Herr Becker, Sie waren doch gar nicht im Innenausschuss. (Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

–  Sie Schlaumeier. (Zurufe)

Ich habe dem Ausschuss zu den Inhalten der beiden Gespräche, an denen ich beteiligt war, Auskunft gegeben – glasklar Auskunft gegeben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Welche?)

Ich wiederhole die nachher noch hundertmal. Sie haben sie auch nachlesen können. Ich habe sie aber auch vorgetragen. Übrigens: Spätestens nachdem Sie die Akten gesehen haben, wussten Sie es auch. Also ist der Fall jetzt auch erledigt, entweder durch meine Antwort oder durch das Aktenlesen.

Drittens: die Gespräche unterhalb. Das stellt sich einfach sehr schwierig dar. Verstehen Sie? Ich kann Ihnen einen Teil an Gesprächen auflisten, von denen wir wissen. Aber es finden doch wahnsinnig viele Gespräche zwischen Polizei und Stadt, Polizei und RWE statt. Das ist doch logisch. Da wird doch laufend etwas besprochen in dem ganzen Prozess dieses Verfahrens. Die werde ich Ihnen niemals lückenlos geben können. Ich werde „lückenlos“ nie unterschreiben, weil das gar nicht geht. Darüber werden doch oft gar keine Protokolle gemacht.

Da muss man doch ehrlich miteinander umgehen und nicht etwas fordern, was gar nicht geht. Das, was geht, kriegen Sie und haben Sie bekommen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, die 1:30 …

Herbert Reul, Minister des Innern: … sind vorbei. Dann machen wir nachher weiter. – Danke. (Beifall von der CDU und der FDP)