Schaffung der Stelle einer oder eines unabhängigen Polizeibeauftragten

Wir Grüne im Landtag NRW haben gestern unseren grünen Gesetzentwurf für eine unabhängige Polizeibeauftragte oder einen unabhängigen Polizeibeauftragten veröffentlicht und in einer Presskonferenz über die wichtigsten Forderungen und Argumente informiert. Damit bringen wir eine langjährige grüne Forderung in den Landtag ein. Hier könnt ihr den Gesetzentwurf einsehen.

Mit dem Gesetzentwurf wollen wir die Stelle einer oder eines Polizeibeauftragten schaffen, die oder der sowohl ansprechbar für Bürger*innen als auch für Polizeibeamt*innen ist und einen niedrigschwelligen Zugang für Beschwerden, Lob und Anregungen ermöglicht. Die Person soll durch den Landtag für eine Dauer von sechs Jahren gewählt werden. Eine einmalige Wiederwahl ist dabei möglich. Die Stelle soll beim Landtag angesiedelt sein, um die Unabhängigkeit gegenüber der Landesregierung sicherzustellen.

Momentan müssen sich Bürger*innen in NRW bei einem Problem mit der Polizei an die Polizei selbst wenden. Das stellt für viele Menschen eine Hürde dar – dabei würde vielen Bürger*innen ein klärendes Gespräch bereits helfen. Eine oder ein Polizeibeauftragte*r bietet deshalb eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Konfliktlösung mit der Polizei. Aber auch bei Konflikten innerhalb der Polizei kann der oder die Polizeibeauftragte vermitteln, sei es bei Ungleichbehandlung durch Vorgesetzte oder wegen mangelhafter Ausrüstung. Wir sind davon überzeugt, dass eine solche Stelle das Vertrauen in unsere Polizei stärkt. Der oder die unabhängige Polizeibeauftragte könnte den professionellen Umgang mit Fehlern in den Behörden verbessern sowie strukturelle Defizite erkennen und beheben.

Der oder die Polizeibeauftragte soll unter anderem das Recht zur Akteneinsicht, ein Betretungsrecht für Dienststellen und Fahrzeuge sowie ein Befragungsrecht bekommen. Sie oder er soll außerdem ein elektronisches Zugriffsrecht auf das bereits bestehende dezentrale Beschwerdemanagement der Polizei bekommen, um sich einen Überblick über möglicherweise strukturelle Mängel verschaffen zu können. Die oder der Polizeibeauftragte kann dem Innenministerium Empfehlungshinweise zur Verbesserung festgestellter Defizite geben. Damit sich das Ministerium mit diesen Vorschlägen befasst, muss es der oder dem Polizeibeauftragten über die Umsetzung ihrer bzw. seiner Verbesserungsvorschläge berichten.

Der von Innenminister Herbert Reul kürzlich eingesetzte Polizeibeauftragte ist aus unserer Sicht reiner Etikettenschwindel. Der Polizeibeauftragte ist nicht unabhängig, da er direkt im Innenministerium angesiedelt und damit sehr eng an den Minister gebunden ist. Die Unabhängigkeit im Konfliktfall mit den Behörden ist nicht gewährleistet. Der aktuelle Polizeibeauftragte ist außerdem ausschließlich für Polizeibeamt*innen ansprechbar und nicht für Bürger*innen. Zusätzlich fehlt eine Rechtsgrundlage mit seinen Aufgaben, Rechten, Pflichten und Befugnissen. Konkret besteht eine große Rechtsunsicherheit, ob er beispielsweise von Dienststellen Personalakten erhalten darf. Außerdem ist es zweifelhaft, dass sich die Beschäftigten der Polizei nach der derzeit geltenden Rechtslage überhaupt an den Polizeibeauftragten wenden dürfen, ohne den Dienstweg einzuhalten.

Der Gesetzentwurf wird in der Plenarwoche vom 22.-24. Mai erstmalig im Parlament diskutiert. Danach wird eine Sachverständigenanhörung im Innenausschuss erfolgen, bevor der Landtag dann in einer zweiten Lesung abschließend über den Gesetzentwurf abstimmt. Wir freuen uns auf die Debatte mit den anderen Fraktionen über den Gesetzentwurf.

Falls ihr noch Fragen habt, könnt ihr euch an gerne an unseren wissenschaftlichen Mitarbeiter für Innenpolitik, Laurens Lange, unter laurens.lange@landtag.nrw.de, oder an mich wenden.

 

Zur Landeskriminalstatistik

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mal abgesehen davon, dass wir heute eigentlich nur über eine Pressemitteilung diskutieren und gar nicht über die PKS sprechen können, weil sie uns schlicht nicht vorliegt, würde ich doch gerne vier Feststellungen machen.

Das Erste ist: Ich empfinde diese Debatte hier als sehr ritualisiert, wenig ergiebig und sehr durchsichtig, denn in der Zeit, als die Zahlen insbesondere in der Wohnungseinbruchskriminalität bis 2015 angestiegen sind, haben CDU und FDP das sehr häufig zur Aktuellen Stunde gemacht.

Als dann die Kriminalität gesunken ist – ab 2015, ab 2016 –, hat Sie das gar nicht mehr so richtig interessiert; da wollten Sie gar nicht mehr über das Thema diskutieren.

Jetzt sind Sie an der Regierung; der Trend von Rot-Grün setzt sich fort. Plötzlich haben wir es wieder als Thema in einer Aktuellen Stunde.

Ich wage mal die vorsichtige Frage, ob es sein könnte, dass CDU und FDP die polizeiliche Kriminalstatistik immer nur dann diskutieren wollen, wenn es ihnen politisch in den Kram passt.

(Beifall von den Grünen und der SPD)

Zweite Feststellung. Ja, die Zahlen der PKS sind sehr erfreulich. Unser Dank gilt den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die tagtäglich für unsere Sicherheit im Einsatz sind.

Klar ist aber auch, wenn man sich die Zahlen ehrlich anschaut: Die Trendwende hat Rot-Grün geschafft. Anders als CDU und FDP das ja so häufig sehr populistisch und unsachlich im Wahlkampf suggeriert haben, muss man feststellen, dass die Wohnungseinbruchskriminalität bereits seit 2015 sinkt.

Im Jahr 2016 gab es im Vergleich zum Jahr 2015 15,7 % weniger Straftaten.

Die von uns eingeführten Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungseinbruchskriminalität, zum Beispiel „Riegel vor!“, „MOTIV“, führen Sie eins zu eins fort. Das ist auch gut so. Aber klar ist eben auch, die Statistik, über die wir heute diskutieren, zeigt den rot-grünen Erfolg und welchen unsachlichen Wahlkampf Sie 2017 geführt haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dritte Feststellung. Ich mache mal ein dickes fettes Fragezeichen hinter der Sinnhaftigkeit der Diskussion über diese Polizeiliche Kriminalstatistik; denn die PKS hat deutliche Schwächen.

Hier möchte ich gern mal Innenminister Herbert Reul aus der „Rheinischen Post“ von heute zitieren:

„Statistik kann nie perfekt sein, aber die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik ist die beste und objektivste, die wir haben.“

Das ist traurig; denn die PKS hat sehr deutliche Schwächen.

Fragen wir uns doch mal, wie sich die PKS zusammensetzt. Da werden Straftaten aufgezählt, die entweder von Opfern angezeigt oder von der Polizei selbst entdeckt werden. Die PKS kann deshalb bestimmte Trends abzeichnen, wie zum Beispiel in der Wohnungseinbruchkriminalität, wo wir eine sehr hohe Anzeigebereitschaft der Opfer haben. Doch es gibt Straftaten, da haben wir diese hohe Anzeigebereitschaft nicht.

Das LKA Niedersachsen hat in einer Studie herausgefunden, dass zum Beispiel im Bereich der Sexualdelikte nur 6 % der Straftaten zur Anzeige gebracht werden. Das heißt, wenn hier laut PKS plötzlich die Anzahl der Straftaten steigt, dann heißt das noch lange nicht, dass es mehr Straftaten gibt. Es kann sein, es kann aber auch nicht sein. Es kann sein, dass einfach mehr angezeigt wird.

Ich finde, das zeigt das deutliche Defizit, das wir in der PKS haben, sehr deutlich auf. (Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben in sehr vielen Bereichen wahrscheinlich eine erhebliche Dunkelziffer, die hier über- haupt nicht verzeichnet werden kann.

Darüber hinaus haben wir auch keine Verlaufsstatistik. Es ist eine reine Statistik über die Arbeit der Polizei, aber es ist keine Verlaufsstatistik. Es trifft überhaupt keine Aussage darüber, wie viel tatsächlich bei der Justiz landet. Es zeigt nicht, wie viele Tatverdächtige angeklagt und auch verurteilt werden.

Wenn man sich die Statistiken von 2016 ansieht, dann stellt man fest, dass in der PKS die Aufklärungsquote – von der Polizei angegeben – bei 52,3 % laut. Laut Strafverfolgungsstatistik der Justiz endeten aber nur 21 % der 1,2 Millionen Fälle der Staatsanwaltschaft mit Anklage oder Strafbefehl.

(Gregor Golland [CDU]: Das ist keine Strafverfolgungsstatistik!) Die Hälfte aller Verfahren wurde sogar eingestellt.

Ich finde, wenn man Kriminalität betrachten will, muss man auch das im Blick haben.

Wir brauchen eigentlich etwas völlig anderes. Wir brauchen eine echte Verlaufsstatistik, wir brauchen Dunkelfeldstudien, wir brauchen wissenschaftliche Untersuchungen, wir brauchen einen Periodischen Sicherheitsbericht, wie es ihn mal vor zwölf Jahren im Bund gegeben hat, es ihn aber seitdem nicht mehr gibt. Der Sicherheitsbericht ist nicht fortgeschrieben worden; eigentlich müsste er das. Es steht im Koalitionsvertrag der Großen Koalition. Da ist bisher überhaupt nichts passiert. Wenn wir eine echte, eine ehrliche Debatte über Kriminalität in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen haben wollen, dann bräuchten wir viel mehr. Wir bräuch- ten den Periodischen Sicherheitsbericht, wir bräuchten die Verlaufsstatistik. Herr Reul, an diesen Punkten müssen Sie arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mein vierter und letzter Punkt. Nur mal angenommen – hypothetisch –, die PKS würde ein echtes Bild über die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen liefern, wie Herr Golland und andere das hier behaupten, dann frage ich mich, warum Sie allen Ernstes das Polizeigesetz Ende Dezember 2018 mit dieser ganz Großen Koalition hier im Landtag beschlossen haben. Denn die Kriminalität ist laut PKS bereits im Jahr 2018 deutlich gesunken. Das ist die niedrigste Kriminalitätsrate seit 1991 – keine Frage –. Es wäre erfreulich, wenn man das alles so hinnehmen könnte. Aber das Polizeigesetz, Ende Dezember in Kraft getreten, hat hierzu überhaupt keinen Beitrag geleistet. Im Umkehrschluss kann man auch sagen, die Kriminalitätsrate sinkt, und zwar ohne, dass man diese massiven Eingriffe in die Bürgerrechte beschließen muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

In NRW gibt es ja jetzt die Schleierfahndung, die Auswertung der Videobeobachtung, Staatstrojaner und viele andere Dinge mehr, die die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land einschränken.

Wenn Sie die Debatte heute im Landtag zu Ihrer eigenen Aktuellen Stunde und zur PKS ernst nehmen würden, dann müssten Sie das Polizeigesetz eigentlich zurücknehmen. Ich weiß, das werden Sie nicht tun. Deshalb kann ich, ehrlich gesagt, die Debatte hier auch nicht mehr ernst nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zur zweiten Lesung des Entwurfs für das Polizeigesetz

Verena Schäffer (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zur Selbstbeweihräucherung, die Sie im Innenausschuss gemacht haben wie auch hier wieder, dass man eine Anhörung auswertet und Änderungsanträge stellt, sagen: Entschuldigung, ich finde, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man das macht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU: Das haben Sie nie gemacht!)

Dass ein Innenminister, der auch Verfassungsminister ist, sagt, man habe die Anhörung nicht als Showveranstaltung gesehen: Entschuldigung, Herr Reul, das ist aus meiner Sicht eine infame Unterstellung gegenüber dem Parlament, wir würden ansonsten Showveranstaltungen durchführen. Das möchte ich deutlich zurückweisen. Das tun wir als Parlament nicht. Sie sind zu Gast in diesem Hohen Hause, und ich finde, Sie sollten sich auch entsprechend verhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn Sie sich so dafür loben, diese Nachbesserungen gemacht zu haben, stellt sich doch die Frage: Wie konnte ein solcher Gesetzentwurf eigentlich durch ein Kabinett gewinkt werden, in dem ein Innenminister sitzt, der auch Verfassungsminister ist, ein Justizminister sowie drei Mitglieder der FDP?

Man hat hier ein offensichtlich verfassungswidriges Gesetz durch das Kabinett gewinkt. Nur die harsche und massive Kritik von Burkhard Hirsch und anderen hat dazu geführt, dass Sie nachgebessert haben.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP] – Gegenruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Sich vor diesem Hintergrund als Bürgerrechtler darzustellen, Herr Lürbke, finde ich schon ziemlich peinlich. Das finde ich wirklich peinlich für diese Regierung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Golland ist gerade leider gegangen, aber das Bild, das er gerade wieder gezeichnet hat von der Unsicherheit in Nordrhein-Westfalen, stimmt so einfach nicht. Werfen Sie doch mal einen Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik: Seit Jahren sinken die Zahlen.

Sie haben auch schon im Wahlkampf auf unredliche Art und Weise Ängste in der Bevölkerung geschürt. Das setzen Sie hier fort. Das finde ich auch unredlich.

Wir haben als Politiker die Verantwortung, redlich zu agieren und aufgrund von Fakten zu entscheiden. Genau das tun Sie nicht, und das werfe ich Ihnen auch vor.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich finde es wichtig, dass die Gleichung „mehr polizeiliche Befugnisse schaffen automatisch mehr Sicherheit“ so einfach nicht stimmt. Ich könnte Ihnen ein Beispiel aus dem NSU-Komplex nennen, bei dem es nicht an den Befugnissen gescheitert ist, sondern es an ganz anderen Dingen gelegen hat, weshalb diese Morde nicht aufgedeckt wurden und die Täter nicht gestoppt wurden. Es waren nicht die mangelnden Befugnisse.

Neue Befugnisse, wie sie jetzt hier vorgesehen sind wie die Gewahrsamnahme von potenziellen Terroristen, die Fußfessel und die Ausweitung der Videobeobachtung, schaffen objektiv betrachtet nicht mehr Sicherheit,

(Zuruf von der CDU: Doch!)

schränken aber Grundrechte ein. Sie gaukeln der Bevölkerung eine Sicherheit vor, die Sie letztlich nicht einlösen können. Das finde ich wirklich unredlich und falsch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Lieber Hartmut, liebe SPD, wenn ihr jetzt sagt, nach den Änderungsanträgen wäre so viel geändert worden, muss ich euch sagen: Das stimmt so einfach nicht. Selbst der Minister hat doch im Innenausschuss gesagt, dass nichts Substanzielles im Gesetzentwurf geändert wurde.

(Christof Rasche [FDP]: Was?)

–  Das hat der Minister gesagt. Sie können es gerne im Protokoll nachlesen.

Genau das ist der Fall. Der Kern des Gesetzes, ins Vorfeld zu gehen, bleibt doch weiterhin bestehen.

(Gregor Golland [CDU]: Gut so!)

Man geht ins Vorfeld, wo Straftaten noch gar nicht begangen worden sind. Damit wird im Übrigen auch das historisch begründete Trennungsgebot in Deutschland zwischen Nachrichtendiensten und Polizei aufgeweicht.

Herr Reul selbst hat noch in einem „SZ“-Interview letzte Woche gesagt, es handele sich um ein ausbalanciertes System, das wir in Deutschland haben. Mit diesem Gesetzentwurf gerät das System aber ins Wanken.

Herr Reul, das reiht sich ein in Ihre – ich nenne es mal – Informationspolitik, die Sie ständig betreiben. Sie stellen sich in der „Süddeutschen Zeitung“ als Wahrer und Schützer des Trennungsgebotes dar, machen in Wahrheit aber genau das Gegenteil: Sie weichen das Trennungsgebot auf und erzählen der Bevölkerung etwas völlig anderes.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Gesetz sieht vor, dass die Polizei in Zukunft allein auf eine Prognose gestützt tätig werden können soll, wenn Personen einer konkreten Wahrscheinlichkeit nach in einem übersehbaren Zeitraum Straftaten begehen werden.

Man sieht schon, wie unbestimmt diese Begriffe sind. Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Gesetzgeber aufgegeben, genau diese Begriffe zu definieren. Das ist ein Auftrag des Bun- desverfassungsgerichts. Genau dem kommen Sie nicht nach.

In Zukunft müssen Menschen, die noch keine Straftat begangen haben, also Unschuldige, in Nordrhein-Westfalen eine Fußfessel tragen, ihre Handys werden ausspioniert, und sie wer- den in Gewahrsam genommen, obwohl gar keine Straftat begangen wurde. Das sind tiefe Eingriffe in Grundrechte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Daran, liebe SPD, aber auch liebe FDP und liebe CDU, ändert doch auch nichts, dass man einen Richtervorbehalt und einen Rechtsbeistand beim Gewahrsam vorsieht. Ich finde, dass es eines Rechtsstaates nicht würdig ist, wenn unschuldige Menschen hinter Gittern sitzen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Hartmut Ganzke [SPD])

Das Gewahrsam ist ein tiefer Grundrechtseingriff bei Menschen, die keine Straftaten begangen haben. Ich könnte aus dem Beschluss des SPD-Parteitags zitieren, den ich mir extra herausgelegt habe, aber die Zeit reicht dafür nicht mehr aus. Lesen Sie es noch mal nach.

Es wurde immer argumentiert, nach einem Monat im Gewahrsam könne man die Gefährder abschieben. Das ist völliger Blödsinn. Das ist völlig naiv, wie auch meine Anfrage ergeben hat. Sie haben den Gewahrsam von einem Monat auf 14 Tage heruntergeschraubt.

Glauben Sie allen Ernstes, dass Sie innerhalb der 14 Tage einen Gefährder abschieben können? Glauben Sie allen Ernstes, dass Sie innerhalb von 14 Tagen jemanden dazu bringen können, seine Meinung zu ändern, dass diese Person nach 14 Tagen geläutert aus der Haft entlassen wird? Das ist doch völlig lebensfremd und naiv.

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

Deshalb sage ich auch, dass dieses Gesetz nicht nur tiefe Grundrechtseingriffe vornimmt, sondern auch wirkungslos ist, weil es zwar mehr Sicherheit verspricht, diese Sicherheit aber überhaupt nicht einlösen kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zur Identitätsfeststellung: Wer ist denn hier ideologiegetrieben? Lesen Sie doch mal die Begründung des Gesetzentwurfs. Das ist pure Ideologie,

(Dr. Werner Pfeil [FDP]: Das stimmt doch nicht!)

wie Sie die Identitätsfeststellung begründen. Das Festhalten, um die Identität festzustellen, soll von zwölf Stunden auf bald sieben Tage ausgeweitet werden. Es gibt massive verfassungsrechtliche Bedenken.

(Gregor Golland [CDU]: Ich habe Bedenken, wenn sich Leute der Feststellung ihrer Identität verweigern!)

Auch hier könnte ich wieder den Beschluss des SPD-Parteitages zitieren, der das massiv kritisiert hat. Liebe SPD, wenn Sie Ihre eigenen Parteitagsbeschlüsse ernst nehmen würden, müssten Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir Grüne haben schon angekündigt, dass wir das prüfen lassen. Vielleicht sieht man sich ja vor Gericht wieder. Das Gericht wird es dann zu entscheiden haben.

Zur Quellen-TKÜ: Der Staat wird sich mit der Quellen-TKÜ selbst zum Hacker machen. Damit wird der Staat nicht nur Menschen abhören und ausspionieren, sondern er gefährdet auch die IT-Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, der Wirtschaft, aber auch der kritischen Infrastruktur und sogar die eigene IT-Sicherheit der Polizei und der öffentlichen Verwaltung. Das alles nehmen Sie in Kauf.

Dazu kommt noch, dass es derzeit keine Spionagesoftware gibt, die den hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügt. Eine Zertifizierung, wie sie die SPD gefordert hatte, findet überhaupt nicht statt. Wie auch?

Es ist vorgesehen, dass man den Trojaner von privaten Unternehmen kaufen kann. Die werden selbstverständlich nicht den Quellcode preisgeben. Eine Zertifizierung kann überhaupt nicht stattfinden.

Auch ein Richter wird ohne Quellcode niemals entscheiden können, ob dieser Trojaner nur das kann, was er können darf, oder ob er nicht viel mehr kann, ob er auch meine Urlaubsfotos ausspioniert, ob das nicht schon in Richtung Online-Durchsuchung geht.

Wie man so etwas mittragen kann, das kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. (Zurufe)

Herr Reul, Sie haben gesagt, bei diesem Gesetz hätten Sie Maß und Mitte gefunden. Das ist aus meiner Sicht mitnichten der Fall! Hier werden einseitig neue Befugnisse geschaffen. Von Grundrechtsschutz, von Bürgerrechten ist in diesem Gesetz überhaupt nicht die Rede. Sie machen das alles, obwohl Sie noch nicht einmal mehr Sicherheit schaffen. Das ist der Grund, warum wir Grüne den Gesetzentwurf mit – wie ich finde – sehr guten Gründen ablehnen.

Ich weiß, die Redezeit ist vorbei, aber ich würde dem Minister kurz vor Weihnachten gerne noch ein Weihnachtsgeschenk machen. Eigentlich war es schon als Urlaubslektüre vorgesehen; dazu ist es vor den Sommerferien aber nicht gekommen. Darum bekommen Sie es jetzt als Weihnachtsgeschenk. Das ist ein Buch von Heribert Prantl: „Der Terrorist als Gesetzgeber“.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Ich wünsche Ihnen eine sehr gute Lektüre unter dem Weihnachtsbaum. Vielleicht geben Sie das Buch danach an Herrn Golland und an Herrn Lürbke weiter. Ich glaube, die könnten es auch gut gebrauchen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schwarz-gelbes Polizeigesetz: Trotz Änderungen – weniger Rechtsstaat und viel Symbolpolitik

 In der kommenden Wochen wollen CDU und FDP im Landtag das nordrhein-westfälische Polizeigesetz erheblich verschärfen und eine deutliche Ausweitung polizeilicher Befugnisse beschließen. In einem Pressegespräch haben wir über unsere Haltung informiert. Hier ist das Handout für die Journalistinnen und Journalisten.

Die Fraktionen von CDU und FDP haben nach massiver Kritik von Expert*innen und der Demonstration mit mehreren Tausend Teilnehmer*innen im Juni inzwischen zwei Änderungsanträge vorgelegt, um den offensichtlich verfassungswidrigen Ursprungsgesetzentwurf der Landesregierung nachzubessern. Doch trotz der Nachbesserungen kann keine Rede von einer Entschärfung des Gesetzesvorhabens sein. Zum einen werden viele Vorhaben aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf durch die Änderungsanträge gar nicht oder nicht substantiell geändert. Zum anderen muss man die Änderungen im Vergleich zum derzeitig gültigen Gesetz sehen – und da stellen sie eine deutliche Ausweitung der derzeitigen Befugnisse dar.

Mit dem neuen Polizeigesetz sollen unter anderem die Zuständigkeit der Polizei weit ins Vorfeld der Begehung einer Straftat gelegt werden, die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Fußfessel eingeführt sowie das Unterbindungsgewahrsam ausgeweitet werden.

Wir haben den Gesetzentwurf und die Änderungsanträge sehr intensiv geprüft. Die Planungen der Koalition sehen zum einen unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe vor, zum anderen enthält das Gesetz viel Symbolpolitik, ohne einen Mehrwert an Sicherheit zu schaffen. Deshalb werden wir das Gesetz in der kommenden Woche im Plenum ablehnen.

Nach Verabschiedung des Gesetzes durch CDU und FDP werden wir als Landtagsfraktion ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, um zu klären, ob das Gesetz verfassungswidrig ist, und dann je nach Ausgang des Gutachtens eine Verfassungsbeschwerde dagegen einreichen.

Zum Haushaltsplan 2019 des Ministerium des Inneren

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Katzidis, Herr Reul, die 100 zusätzlichen Stellen bei der Polizei begrüßen wir ausdrücklich; das habe ich bereits im Innenausschuss gesagt. Sie setzen damit eine Linie fort, die wir unter Rot-Grün begonnen haben. Es ist, gerade wenn mehr Geld zur Verfügung steht, nur richtig, das auch weiterzuführen. Insofern haben Sie hier die Unterstützung der Grünen.

Hierzu haben wir, Herr Katzidis, wie Sie das gerade sehr unredlich dargestellt haben, keine Änderungsanträge gestellt. Wir haben Änderungsanträge gestellt, aber sicherlich nicht zu den 100 Stellen. Ganz im Gegenteil, diese begrüßen wir.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch dass Sie 500 Regierungsbeschäftigte einstellen wollen, halte ich für eine gute Idee. Das haben wir im Ausschuss immer so kommuniziert. Nur finde ich es immer lustig, wenn Sie sich dafür hier loben. Denn wir haben mal nachgefragt, wie viele von den 500 im letzten Jahr eingestellt worden sind. Bis zum 01.10.2018 waren gerade einmal 370 Stellenäquivalente besetzt.

(Zurufe von der CDU – Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Ja, Herr Katzidis, auch das gehört zur Wahrheit, wenn man hier von der Schaffung von 500 neuen Stellen spricht. Wenn sie nicht besetzt sind, sind sie nicht da und helfen der Polizei auch nicht. Ich finde, das muss man hier richtigerweise darstellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und weil Sie auf die Abgänge infolge von Pensionierungen hingewiesen haben: Ja, genau das ist das Problem.

Ja, wir haben bei der Polizei eine hohe Zahl von Abgängen durch Pensionierung, weshalb da auch ein Loch entstanden ist und weshalb wir auch in der rot-grünen Regierungszeit mehr Personen eingestellt haben. Worauf ist dieses Loch denn zurückzuführen? Das geht auf die schwarz-gelbe Regierungszeit von 2005 bis 2010 zurück.

(Beifall von den GRÜNEN)

In dieser Zeit haben Sie nämlich weniger Personal eingestellt, da sind die Lücken durch Pensionierung entstanden. Das ist doch genau das Problem, vor dem wir jetzt stehen.

Ich will aber auch noch einmal – ich finde, dazu eignet sich eine Haushaltsdebatte sehr gut – …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, Entschuldigung, dass ich Sie jetzt unterbreche. Herr Dr. Katzidis würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Verena Schäffer (GRÜNE: Bitte.

Dr. Christos Georg Katzidis (CDU): Kollegin Schäffer, ist es nicht zutreffend, dass von 2003 auf 2004 die Einstellungszahlen von 1.090 jährlich auf 500 reduziert worden sind? Und ist es nicht zutreffend, dass in der Zeit von Ministerpräsident Rüttgers die Einstellungszahlen von 500 auf 1.100 erhöht worden sind? Ist das zutreffend oder ist das nicht zutreffend?

(Beifall von der CDU)

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Katzidis, gucken Sie sich bitte noch einmal die Berechnungen an, über die wir im Innenausschuss bereits diskutiert haben.

(Dr. Christos Georg Katzidis [CDU]: Ist es zutreffend? Ja oder nein?)

– Es ist so, dass zwischen 2005 und 2010 weniger eingestellt wurde. Dadurch ist ein Defizit entstanden. Auch ist es richtig, dass davor schon unter Rot-Grün die Zahlen reduziert wurden. Das geschah aber in Verbindung mit der Erhöhung der Arbeitszeit. Das heißt, dass die zur Verfügung stehende Stundenanzahl der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten unter Rot- Grün gleichgeblieben ist. Sie müssen das ins Verhältnis zu den Arbeitsstunden setzen, die damals geleistet wurden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die sind erhöht worden. Insofern gab es da keine Reduzierung.

Unter Schwarz-Gelb aber ist damals die Zahl der Einstellungen bei der Polizei abgesenkt worden. Deshalb haben wir dieses – ich nenne es einmal so – Pensionsloch. Das können Sie in allen dem Innenministerium vorliegenden Berechnungen noch mal nachlesen, Herr Katzidis. Wenn Sie das machen, werden Sie sicherlich zum selben Ergebnis kommen wie ich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte die Haushaltsdebatte gerne nutzen, um den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie den Einsatzkräften bei Feuerwehr und Bevölkerungsschutz – die Menschen insbesondere beim Bevölkerungsschutz arbeiten dort ehrenamtlich – auch von grüner Seite herzlichen Dank zu sagen. Ich finde, es gehört sich so, zum Ende des Jahres denjenigen Danke zu sagen, die immer zur Verfügung stehen und auch dann im Einsatz sind, wenn wir unter dem Weihnachtsbaum sitzen oder am Wochenende bei der Familie sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme auf den Haushalt zurück: Der Haushaltsentwurf zeichnet die politische Linie von Schwarz-Gelb nach. Sie wollen hier in zwei Wochen das Polizeigesetz verabschieden. Die Mittel für die Umsetzung dieses Gesetzes stellen Sie – natürlich ist das konsequent – in dem hier zur Diskussion stehenden Haushalt zur Verfügung. Darauf beziehen sich übrigens, Herr Katzidis, unsere Änderungsanträge. Wenn Sie hier am Rednerpult redlich gewesen wären, hätten Sie das auch so gesagt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Unsere Haushaltsänderungsanträge beziehen sich genau auf die Mittel, welche für die Umsetzung des Polizeigesetzes, welches wir in erheblichem Umfang kritisieren, gebraucht werden. Ich gehe gerne auf die einzelnen Punkte ein:

Stichwort „Bodycams“: Sie haben hier gerade gesagt, dass Sie beschließen wollen, im Haushalt 4,5 Millionen Euro zur Beschaffung von 4.200 Bodycams bereitzustellen. Dabei ist noch nicht einmal die Evaluation fertig. Und der Innenminister konnte auf meine Nachfrage im Innenausschuss die Frage nicht beantworten, wie die 4.200 Geräte auf die Kreispolizeibehörden verteilt werden sollen. Dafür gibt es überhaupt keine Planung.

Ich will noch einmal auf den Zwischenbericht zu den Bodycams hinweisen. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass es durchaus sein kann, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die Bodycams tragen, im Vergleich zu solchen ohne Bodycams häufiger Opfer von Angriffen werden. Solche Ergebnisse müssen wir doch, meine ich, ernst nehmen. Wir alle haben doch dasselbe Ziel, nämlich die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten schützen zu wollen.

(Zuruf von der CDU)

In der rot-grünen Regierungszeit haben wir die Rechtsgrundlage für Bodycams geschaffen. Auch wir wollen diese Bodycams; aber wir wollen sie nur, wenn sie auch wirklich für Sicherheit sorgen. Alles andere wäre doch kontraproduktiv. Das kann doch keiner von uns wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb bin ich der Meinung, Herr Golland, dass wir die Evaluation abwarten müssen. Dass Sie von Schwarz-Gelb nicht wirklich Interesse an Evaluation haben, sehen wir gerade beim Tierschutzverbandsklagerecht. Ich finde das sehr bedauerlich. Politik sollte, wie ich finde, nicht auf der Grundlage von Bauchgefühl gemacht werden. Vielmehr brauchen wir, bevor wir solche Mittel einführen, diese Evaluation und wissenschaftliche Erkenntnisse, weil Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten durch diese Mittel wirklich geschützt werden sollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweites Stichwort „Ausweitung der Videobeobachtung“: Dafür sehen Sie 2 Millionen Euro vor. Die bisherige Regelung des § 15a Polizeigesetz tragen wir als Grüne mit. Er entstammt ja der Zeit rot-grüner Regierungsverantwortung. Wir haben auch die Verlängerung im Sommer dieses Jahres mitbeschlossen, weil wir § 15a mit den gegebenen Voraussetzungen richtig finden. Sie planen jetzt aber mit dem neuen Polizeigesetz eine Ausweitung, die von Sachverständigen in der Anhörung als „uferlos“ bezeichnet wurde. Ich sehe das genauso, denn die geplante Gesetzesänderung sieht im Prinzip vor, dass man an allen Orten in Nordrhein-Westfalen eine polizeiliche Videobeobachtung durchführen kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist aus unserer Sicht nicht mehr verhältnismäßig. Deshalb haben wir hierzu unseren Änderungsantrag auf Reduzierung der Mittel gestellt.

Drittens geht es um die Fußfessel. Sie wollen im Haushaltsplan 1,1 Millionen Euro für die elektronische Aufenthaltsüberwachung festschreiben und dem Innenministerium zur Verfügung stellen. – Auch die Fußfessel stellt einen tiefen Eingriff in unsere Grundrechte dar. Sie soll schon bei Personen angewandt werden, die noch gar keine Straftaten begangen haben, wo wir uns also weit im Vorfeld von Straftaten befinden. Wir sprechen dabei über eine Prognose darüber, ob möglicherweise Straftaten irgendwann – in einem überschaubaren Zeitraum passieren könnten. Genau so reichlich unkonkret ist es in Ihrem Gesetzentwurf formuliert worden. Die Effektivität ist nicht gesichert. Wir sind uns sogar einig darüber, Herr Reul, dass man mit keiner Fußfessel der Welt einen Terroranschlag wird verhindern können.

Ich will noch auf eines hinweisen, Herr Reul: Heute steht in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview von Ihnen. Das war das Erste, was ich heute Morgen gelesen habe. Ich würde gerne daraus zitieren:

„Der Verfassungsschutz hat nachrichtendienstliche Mittel, die Polizei nicht. Dafür hat die Polizei exekutive Befugnisse. Die hat der Verfassungsschutz nicht. Das ist ein gut ausbalanciertes System.“

Das leiten Sie dann auch noch historisch her; denn das Trennungsgebot in Hinblick auf Polizei und Verfassungsschutz ist unter Berücksichtigung der deutschen Geschichte eingeführt worden. Es ist aus meiner Sicht auch richtig und gut, dass wir dieses Trennungsgebot haben.

Herr Reul, es ist nur so: Mit diesem Polizeigesetz weichen Sie genau dieses auf historischen Gründen beruhende Trennungsgebot auf.

Das ist so, wenn Sie der Polizei in Zukunft Befugnisse geben, mit denen sie schon weit im Vorfeld tätig werden kann. Das betrifft die Beobachtung von Bestrebungen bestimmter Gruppierungen bzw. Personen, die noch gar keine Straftaten begangen und diese noch nicht einmal geplant haben. Diese Beobachtung wäre schon dann möglich, wenn es lediglich eine Prognose gibt, dass diese Gruppen bzw. Personen irgendwann Straftaten begehen könnten. Eine solche Beobachtung aber ist Aufgabe des Verfassungsschutzes. Damit weichen Sie das Trennungsgebot auf.

Wenn Sie das, was Sie im heute veröffentlichten Interview der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt haben, wirklich ernst nehmen würden, Herr Reul, müssten Sie konsequenterweise das Polizeigesetz in der Form zurücknehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ macht noch einmal ganz deutlich: Offenbar – das wurde auch schon in der Anhörung zum Polizeigesetz von einem Sachverständigen so benannt – ist hier die Reform des Verfassungsschutzes geplant. Sie wollen die ganze Bandbreite beobachten. Dazu, Herr Reul, möchte ich Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie das machen, dann leiten Sie einen Paradigmenwechsel beim Verfassungsschutz ein.

Wir haben nach der Aufdeckung des NSU hier wie auch in allen anderen deutschen Parlamenten sehr intensiv darüber diskutiert, welche Aufgaben der Verfassungsschutz haben soll und haben darf. Danach haben wir 2013 die Reform des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen vollzogen. Diese war Vorbild für viele andere Gesetze in anderen Bundesländern. Wir haben damals betont, den Verfassungsschutz auf die wirklich gewaltbereiten, gewaltbefürwortenden und verfassungsfeindlichen Bestrebungen, Gruppierungen und Bewegungen konzentrieren zu wollen. Wenn Sie das jetzt aufweichen wollen, dann nehmen Sie hier einen Paradigmenwechsel vor.

Herr Reul, Sie haben es bislang nach eineinhalb Jahren im Regierungsamt noch nicht einmal geschafft, die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses in Nordrhein-Westfalen umzusetzen. Wenn Sie jetzt anfangen, schon wieder an neuen Gesetzen zu schrauben, dann finde ich das wirklich unhaltbar. Fangen Sie erst einmal damit an, die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Ich glaube, dann wären wir in Nordrhein-Westfalen in der Terrorismusbekämpfung ein ganzes Stück weiter.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zu Shisha-Bars

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Aktuellen Stunde ist genau das eingetreten, was ich befürchtet hatte. Anlass für die Aktuelle Stunde war der tragische Fall in Bochum, wo es um eine Kohlenmonoxidvergiftung ging, und deswegen hatte ich eigentlich gedacht, dass wir eine gesundheitspolitische Diskussion darüber führen, wie man solche Vorfälle in Zukunft verhindern kann. Stattdessen gehen die Innenpolitiker in die Bütt und vermischen zwei völlig unterschiedliche Themenfelder und Sachverhalte miteinander,

(Minister Karl-Josef Laumann: So ist es!)

auf die man auch unterschiedliche Antworten finden muss. Ich denke, das trägt nicht unbedingt zu einer Versachlichung der Debatte bei.

Um das deutlich zu sagen und aufzuschlüsseln: In erster Linie reden wir über die gesundheitlichen Risiken in Shisha-Bars, Stichwort „Kohlenmonoxid“. Natürlich muss man dagegen ordnungsrechtlich vorgehen, und insofern ist es auch klar, Herr Reul, dass wir hier noch mal über das Nichtraucherschutzgesetz diskutieren.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das hat damit überhaupt nichts zu tun!)

Darauf bezogen sich auch unsere Zwischenrufe. Wir haben Ihnen nicht vorgeworfen, dass Sie nicht tätig seien. Wir wollten durch unsere Zwischenrufe lediglich deutlich machen, dass wir es schwierig finden, dass Sie uns vorhalten, wir dürften nicht über den Nichtraucherschutz diskutieren, obwohl genau dies der Anlass für diese Aktuelle Stunde war. Das möchte ich hier noch mal bekräftigen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir über die gesundheitlichen Risiken sprechen, müssen wir natürlich über generelle Regelungen für alle Shishabars diskutieren.

Das andere Thema, das hier angesprochen wurde, ist die Frage, inwieweit Shisha-Bars für kriminelle Zwecke, also zur Verabredung bzw. Planung von Straftaten, genutzt werden. Natürlich müssen die Ermittlungsbehörden dagegen vorgehen – allerdings anhand von konkreten Vorfällen, die sich auf die jeweilige Shisha-Bar, ihren Betreiber und die Personen, die sich darin aufhalten, beziehen. Deshalb kann man doch nicht pauschal, Herr Golland, gegen alle Shisha-Bars vorgehen.

Sie haben auch gesagt, dass Sie alle Shisha-Bars dichtmachen wollen. Auf welcher Rechtsgrundlage wollen Sie das eigentlich machen?

(Gregor Golland [CDU]: Das habe ich gar nicht gesagt, Frau Schäffer! Sie müssen zuhören!)

Die FDP hat zu Recht mit dem Kopf geschüttelt, als Sie das gesagt haben. Wie wollen Sie das rechtsstaatlich durchsetzen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben uns, Rot-Grün, auch vorgeworfen, in unserer Regierungszeit sei nichts passiert. Das stimmt so nicht. Daher finde ich es auch populistisch, so etwas zu behaupten. Natürlich hat es auch unter Rot-Grün Kontrollen und Razzien gegeben. Die Debatten dazu haben wir hier doch geführt. Es gibt beim LKA – das finde ich auch gut – ein Forschungsprojekt, das 2017 gestartet ist. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse. Denn ich glaube, dass wir tatsächlich mehr wissen müssen über bestimmte Kriminalitätsfelder. Hier reden wir vor allen Dingen über Kriminelle mit einem libanesischen Hintergrund, und deshalb ist es wichtig, mehr darüber zu wissen, um gezielt dagegen vorgehen zu können.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Reul, ich stimme Ihnen sogar zu – das vermuten Sie wahrscheinlich gar nicht –, dass das alleinige Mittel nicht darin bestehen kann, die Shisha-Bars zu schließen. Natürlich werden sich Orte verlagern.

Natürlich werden Kriminelle andere Rückzugsorte finden, um dort ihre Straftaten zu organisieren oder zu planen.

Deshalb ist für mich die Frage nicht an dem Ort festzumachen, sondern die Frage ist doch eher: Wie können wir Drogenhandel, Handel mit Waffen, wie können wir Geldwäsche eindämmen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind die Fragen, die wir angehen müssen, um gegen organisierte Kriminalität vorzugehen.

Wir hatten eine Anhörung im Innenausschuss zum Thema „Geldwäsche“, zum Thema „FIU“ – die Innenpolitiker erinnern sich daran –, in der das Urteil der Sachverständigen total vernichtend war in Bezug auf die Politik der Bundesregierung in Verantwortung der CDU, wo viel zu wenig getan wird, um Geldwäsche zu bekämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es wäre für mich ein Schritt zu sagen: Wir müssen da rangehen. Wir müssen an Geldwäsche rangehen. Dann würden wir nämlich die organisierte Kriminalität empfindlich stören und bekämpfen.

(Marc Lürbke [FDP]: In der Bundesregierung trägt auch die SPD Verantwortung.)

– Natürlich ist auch die SPD in der Verantwortung; das ist keine Frage. Natürlich ist es die Bundesregierung, Herr Lürbke, die da tätig werden muss.

Ich finde aber auch – das will ich hier auch noch einmal in der Debatte betonen, auch hier bin ich vom Innenminister gar nicht so weit entfernt –, dass wir auch darüber reden müssen, welche Versäumnisse es in der Asylpolitik, in der Integrationspolitik gegeben hat.

Das haben Sie bei „hart aber fair“ gesagt. Ich habe mir die Sendung gestern noch einmal angeschaut. Natürlich sind auch das Fragen, die wir besprechen müssen. Perspektivlosigkeit und Armut dürfen niemals Kriminalität und Straftaten relativieren oder sie verharmlosen. Aber man muss doch auch darüber sprechen, welche Gründe es für Kriminalität gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir in Essen und in anderen Stadtteilen Menschen, Kinder haben, die in vierter Generation hier in Duldung leben, dann kann das doch auch aus einem sozialpolitischen Aspekt heraus nicht wahr sein.

Dann, finde ich, muss man darüber sprechen: Wie kann man die Perspektivlosigkeit von diesen jungen Menschen verändern und etwas für diese jungen Menschen tun?

Dann reden wir nicht nur über Aussteigerprogramme – darüber können wir gerne diskutieren, finde ich gut –, sondern dann müssen wir auch darüber reden: Wie gehen wir diese Perspektivlosigkeit an?

Die Stadt Essen führt schon seit einigen Jahren ein Modellprojekt durch, bei dem sie das Ziel hat, den Aufenthaltstitel junger libanesischer Menschen zu verbessern.

Wenn wir heute in dieser Debatte das Ergebnis erzielen, dass wir einen Konsens darüber haben, dass wir mehr solcher Modellprojekte brauchen, wäre das schon einmal ein wichtiger Schritt. Ich würde mich freuen, wenn wir so einen Konsens hier auch herstellen könnten.