Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zu Islamistischen Gefährdern

Zu Islamistischen Gefährdern

Rede zur aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zu Islamistischen Gefährdern

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jüngsten islamistischen Terroranschläge in Westeuropa erschüttern unsere demokratische Gesellschaft.

Nach dem Anschlag in Straßburg im Dezember 2018 sind wir in Westeuropa von islamistischen Anschlägen eine relativ lange Zeit weitestgehend – zumindest von größeren Anschlägen – verschont geblieben. Ich denke, das war eine sehr trügerische Ruhe, in der die Gefahr durch den Islamismus etwas aus dem Fokus der breiten Öffentlichkeit geraten ist, bis sich dann im Oktober 2020 der Messerangriff auf zwei Männer in Dresden, die furchtbaren Anschläge in Frankreich und dann auch der Anschlag am 2. November in Wien ereignet haben.

Mir persönlich machen diese gewalttätigen Anschläge wirklich große Sorgen, weil immer die Gefahr von Nachahmungstaten gegeben ist. Die jüngsten Anschläge haben uns noch einmal sehr schmerzhaft und deutlich vor Augen geführt, wie menschenverachtend die Ideologie des Islamismus ist, die unter anderem homophobe und antisemitische Elemente enthält.

Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir alles dafür tun, diese menschenverachtende, gewaltverherrlichende Ideologie mit Mitteln des Rechtstaats, mit Repression und Prävention, zu bekämpfen.

Das sind wir im Übrigen auch den Opfern der Anschläge und ihren Angehörigen schuldig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Auch wenn die Anschläge und Ereignisse in den letzten anderthalb Jahren in Westeuropa deutlich abgenommen haben, war uns, glaube ich, allen bewusst und musste uns bewusst sein, dass die Gefahr durch den Islamismus nicht gebannt ist.

Ich erinnere mich noch sehr gut an die Worte des Islamismusexperten Peter Neumann, den viele von uns kennen, der uns schon vor einigen Jahren ins Stammbuch geschrieben hat, dass die Ideologie des verfassungsfeindlichen gewaltbereiten Salafismus mit der militärischen Niederschlagung des „Islamischen Staates“ nicht weggehen wird. Das ist ja auch klar.

Er hat uns schon vor drei, vier Jahren sehr deutlich davor gewarnt, dass uns dieser verfassungsfeindliche Salafismus noch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in Westeuropa sehr stark beschäftigen wird. Deshalb ist klar, dass wir bei der Bekämpfung dieser Ideologie einen wirklich langen Atem brauchen. Es wird nicht mit wenigen repressiven Maßnahmen getan sein, und es kann keine einfachen Antworten geben, die wir uns vielleicht alle wünschen.

Damit komme ich zum Thema „Abschiebungen“. Wir Grüne haben immer gesagt: Wenn die rechtsstaatlichen Voraussetzungen für Abschiebungen von Gefährdern ohne deutsche Staatsangehörigkeit vorliegen, dann müssen diese Abschiebungen vollzogen werden. – Allerdings fehlen trotz jahrelanger Diskussionen – ich erinnere mich auch an Diskussionen, die wir vor Jahren hier im Parlament geführt haben – immer noch die entsprechenden Rücknahmeabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit zahlreichen Herkunftsländern.

Ich will noch auf einen Aspekt hinweisen: Man darf es sich in dieser Frage auch nicht zu einfach machen. Denn klar ist, dass mit der Abschiebung von Gefährdern die Gefahr, die von diesen Personen ausgeht, nicht per se gebannt ist. Gefährder können auch aus dem Ausland heraus eine erhebliche Gefahr darstellen, wenn sie über ihre Netzwerke, über ihre Kontakte Anschläge hier koordinieren. Ich finde, man muss dies zumindest mitdiskutieren. Ansonsten wäre die Debatte völlig unterkomplex.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klar ist auch: Die Hälfte der islamistischen Gefährder sind Deutsche. Auch viele Salafisten, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, sind in Deutschland aufgewachsen und haben sich hier radikalisiert. Wir sprechen also von einem Problem der hiesigen Gesellschaft. Deshalb wird die Forderung nach Abschiebung allein das Problem nicht lösen.

Wir brauchen eine Mischung aus Repression und Prävention, wir brauchen aber auch eine Verstärkung der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Das beginnt schon damit, dass wir auf europäischer Ebene noch nicht einmal ein abgestimmtes Konzept, eine abgestimmte Definition dafür haben, was eigentlich ein Gefährder ist. Das haben wir nicht. Wir Grünen fordern zudem schon seit Langem ein Kriminalamt auf europäischer Ebene. Wir müssen die Baustellen auf europäischer Ebene angehen.

Aber auch in Nordrhein-Westfalen ist noch einiges zu tun. Ich stimme ausdrücklich der Aussage der Aktuellen Stunde, die von CDU und FDP beantragt wurde, zu. Ja, wir brauchen auch Präventionsmaßnahmen. Ich bin froh, dass wir darüber inzwischen einen politischen Konsens haben. Denn das klang vor einigen Jahren hier im Parlament noch ganz anders.

Die rot-grüne Regierung hat damals mit den ersten Präventionsmaßnahmen begonnen. Wir haben die „Wegweiser“-Stellen geschaffen und sie ausgebaut. Wir waren damals übrigens bundesweit führend. Wir waren die Ersten, die wirklich in Prävention investiert haben, die Beratungsstellen aufgebaut haben. Es gab viele Bundesländer, die sich das aus Nordrhein-Westfalen abgeschaut haben.

Ich bin froh, dass diese Landesregierung – auch das kann man hier einmal sagen – den Aspekt der Präventionsarbeit und die „Wegweiser“-Stellen weiter ausbaut und das fortführt, was wir damals unter Rot-Grün angelegt haben.

Wir Grüne haben nach dem Regierungswechsel relativ früh – das war im Jahr 2017 – einen Antrag zum Thema „Prävention“ gestellt, der sehr breit aufgestellt war. Dieser ist leider hier abgelehnt worden, obwohl die Expertinnen und Experten in der Anhörung im Innenausschuss – Sie werden sich vielleicht daran erinnern – den Antrag unterstützt haben. Ich will ein paar Forderungen aufführen, weil ich hoffe, dass die Debatte darüber erneut in Gang kommt.

Das Erste ist die Einrichtung eines Forschungsinstituts, das Grundlagenforschung betreibt, das Evaluation betreibt, das auch den Transfer zwischen Forschung und Praxis abdeckt – übrigens ein Konzept, das damals von Professor El-Mafaalani, der hier kein Unbekannter ist, sehr stark unterstützt wurde. Das ist leider von Ihnen abgelehnt worden.

Der zweite Punkt betrifft den Einsatz von Streetworkern. Wir haben gesagt, wir brauchen Personen, die vor Ort sind, die die lebensweltlichen Zugänge zu den Jugendlichen haben, die diese Jugendlichen ansprechen können und die verhindern, dass Jugendliche von einer salafistischen Szene angeworben werden. Auch das ist leider abgelehnt worden, obwohl viele Expertinnen und Experten diesen Vorschlag von uns unterstützt haben.

Ein dritter Aspekt: Wir müssen noch stärker auf die Rolle von Mädchen und Frauen in dieser Szene achten. Denn eines ist auffällig: Wenn man in das Lagebild Salafismus hineinschaut, stellt man fest, dass der Anteil der Frauen in der islamistischen Szene von 12 % vor einigen Jahren auf inzwischen 18 % gestiegen ist.

Ich weiß, Herr Sieveke, dass die jüngsten Anschläge wieder von männlichen Attentätern ausgeführt wurden; das ist so. Aber das darf nicht den Blick darauf verstellen, dass Frauen in der Szene definitiv eine wichtige Rolle spielen – als Übermittlerinnen der Ideologie, aber auch als Netzwerkerinnen. Diese Frauen haben eine starke Rolle. Das müssen wir stärker in den Blick nehmen, auch wenn wir über Prävention, über Zielgruppen sprechen.

Ich will noch einmal deutlich sagen: Wir Grüne haben diese Vorschläge gemacht. Sie sind leider abgelehnt worden. So ist manchmal das Geschäft hier im Parlament. Aber ich bitte Sie darum, sich gemeinsam mit uns an einen Tisch zu setzen und zu überlegen, welche Maßnahmen wir weiterführen bzw. ausbauen und welche wir neu initiieren können. Diese Offenheit würde ich mir in diesem Parlament von den Regierungsfaktionen wünschen.

Denn das Ziel teilen wir im Kern. Das Ziel ist, die menschenverachtende Ideologie des Islamismus und die daraus resultierende Gewalt zu bekämpfen. Das ist das gemeinsame Ziel. Also lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Pressemitteilung: Verfassungsschutzbericht gibt keine Entwarnung

Zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für 2017 erklärt Verena Schäffer, innenpolitische Sprecherin der GRÜNEN Fraktion im Landtag NRW:

„Die heute vorgelegten Zahlen belegen, dass unsere Gesellschaft nach wie vor von demokratiefeindlichen Bestrebungen bedroht ist.

Der Rückgang der rechtsextremen Straftaten im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr darf kein Grund sein, sich zurückzulehnen. Seit dem zweiten Halbjahr 2014 – mit den Pegida-Demonstrationen in NRW und der sich immer stärker rassistisch positionierenden AfD – gab es einen sprunghaften Anstieg politisch rechts motivierter Straftaten, die ihren Höhepunkt 2016 fanden. Die Zahlen für das Jahr 2017 bewegen sich weiterhin über dem Niveau von 2014. Rechte Äußerungen in der Öffentlichkeit führen auch zu rechtsextremen Straftaten, denn rechte Straftäter nehmen sie als Legitimation für Gewalt. Die rechtsextreme Szene in NRW ist auch mit Rechtsextremen bundes- und europaweit vernetzt, wie die Kampfsportveranstaltung im Kreis Olpe oder die Demonstration in Dortmund Mitte April gezeigt haben. Auch die Akteure der Neuen Rechten, wie etwa die Identitäre Bewegung, stellen eine zunehmende Gefahr für unsere Demokratie dar. Angesichts der zunehmenden Radikalisierung der AfD in den letzten Wochen und Monaten halte ich die Beobachtung zumindest von Teilen der AfD für geboten.

Im Neosalafismus gibt es weiterhin eine leicht wachsende Szene und eine anhaltende Anschlagsgefahr. Zudem wird erwartet, dass viele Frauen und Kinder aus den ehemaligen IS-Gebieten nach NRW zurückkehren, die hier von einem Netzwerk stark ideologisierter Frauen empfangen werden. Wir stehen also auch vor der Herausforderung, vor allem junge Frauen und Kinder vor weiterer Radikalisierung zu schützen und sie für die demokratische Gesellschaft zurückzugewinnen. Hierfür hat die Landesregierung bisher keinerlei Konzepte vorzuweisen. Die Beobachtung von Kindern und Jugendlichen durch den Verfassungsschutz ist die falsche Antwort auf die Problemlage. Die Landesregierung muss stattdessen gemeinsam mit der Jugendhilfe, den Schulen und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft das von rot-grün angestoßene Handlungskonzept weiterentwickeln.

Grundsätzlich ist der verzeichnete Rückgang der politisch links motivierten Straftaten eine erfreuliche Nachricht. Für uns GRÜNE ist klar, dass Gewalt niemals Mittel der politischen Auseinandersetzung sein darf.

Über den Verfassungsschutzbericht ist eine ausführliche öffentliche Debatte notwendig. Daher sollte er in einer öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums diskutiert werden. Die Möglichkeit, öffentlich zu tagen, hat das Gremium seit der Verfassungsschutzreform 2013 – auch als Reaktion auf das NSU-Behördenversagen. In dieser Legislaturperiode hat es bisher keine einzige öffentlichen Sitzung gegeben.“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zum Thema Salafismus

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, gerade bei diesem wichtigen Thema den konstruktiven Austausch mit Ihnen zu suchen. Das habe ich anhand des Antrags der Grünen ja auch getan. Ehrlich gesagt, machen mich Ihr Antrag und diese Debatte aber einfach fassungslos und sprachlos.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wie sagte meine Mitarbeiterin so schön in der Vorbesprechung, als sie den Antrag gelesen hatte? Das ist der Diskussionsstand von 2012!

Wir sind aber im Jahr 2018 angekommen. Wir sind sechs Jahre weiter. Es gibt ganz viele Debatten und Fachbeiträge darüber. Das, was Sie in dem Antrag produziert haben, ist alles nichts Neues. Das wissen wir seit Jahren. Wir sind doch in der Diskussion eigentlich schon viel weiter. Deshalb macht mich das sprachlos.

Das einzige Thema, das in dem Antrag vielleicht neu aufgeführt wird, ist die Kindeswohlgefährdung. Darüber muss man diskutieren. Dazu komme ich später auch noch. Der Punkt ist aber, dass Sie keine einzige konkrete Antwort auf diese Frage liefern.

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Marc Herter [SPD] und Sarah Philipp [SPD])

Sie bringen hier eine Problembeschreibung ohne Antworten ein. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das für eine Regierungskoalition sehr schwach finde.

Sie hätten es so einfach haben können. Wir haben doch einen Antrag hier eingebracht. Nach einer sehr guten Anhörung – Herr Lübke hat im Plenum im März dieses Jahres ebenfalls bestätigt, dass die Anhörung sehr gut war – bin ich auf Sie zugekommen und habe gesagt: Lassen Sie uns gemeinsam einen Entschließungsantrag stellen. Ich bin bereit, viele Teile unseres Antrags herauszustreichen; Hauptsache, wir bekommen bei diesem wichtigen Thema der Präventionsarbeit gegen Salafismus einen Konsens hin. – Nein, das wollten Sie nicht.

Stattdessen schreiben Sie weniger als drei Monate später einen dermaßen dünnen Antrag. Ich finde es beschämend, dass Sie hier nicht mehr vorlegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Panske, ich würde Sie gerne zitieren. In der Debatte im März 2018, als Sie unseren Antrag abgelehnt haben, haben Sie hier im Plenum gesagt:

„Ein intelligentes, abgestimmtes Zusammenspiel von Aufklärung, von Ermittlung von Strafverfolgung, von Prävention und verlässlicher und nachhaltiger Ausstiegshilfe orientiert an praktischer Arbeit: Genau das ist der Ansatz der CDU, und das sind die Ziele der NRW-Koalition.“

Da würde ich Ihnen sogar zustimmen. Nur: Warum schreiben Sie das nicht auch in Ihren Antrag hinein?

(Beifall von den GRÜNEN und Sarah Philipp [SPD])

Sie schreiben fett über Ihren Antrag: „Prävention und Repression … Gesamtstrategie“. Das, was Sie hier vorlegen, ist aber keine Gesamtstrategie.

Im Übrigen steht in dem Antrag auch nichts zum Thema „Repression“. Das Einzige, was darin zur Repression steht, sind die Gefährderansprachen seitens der Polizei. Die gibt es doch schon längst. Es ist Aufgabe der Polizei, Gefährderansprachen durchzuführen.

Wenn Sie dies als Gesamtstrategie bezeichnen, ist das – Entschuldigung – wirklich ein schlechter Witz.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich schwanke im Hinblick auf diesen Antrag zwischen Resignation und Fassungslosigkeit. Das tue ich auch deshalb – und deshalb rege ich mich so auf –, weil mir dieses Thema immens wichtig ist; denn wir haben eine Bedrohungslage durch den Salafismus und wissen alle, dass wir mehr Präventionsarbeit brauchen. Aber dann muss man eben auch etwas dafür tun und darf nicht solche Anträge schreiben.

Ich gehe gerne auf die einzelnen Inhalte ein, um meine Meinung zu verdeutlichen.

Zum Thema „Frauen“: Ja, es stimmt, Herr Lürbke; das ist ein wichtiges Thema. Sie sprechen es in dem Antrag sogar an. Sie reduzieren aber hier die Rolle der Frauen komplett auf die Mutterrolle und stellen sie als diejenigen dar, die für die Erziehung zuständig sind. Das stimmt auch. Aber es stimmt eben nur zum Teil.

Wir wissen, dass der Anteil der Frauen an den Gefährdern zwar nur bei 4 % liegt. Das ist total wenig. Aber an den relevanten Personen, also denjenigen, die zum Umfeld der Gefährder gehören, haben sie einen Anteil von 25 %. Jede vierte in Bezug auf die Salafisten relevante Person ist in Nordrhein-Westfalen eine Frau.

Angesichts dessen muss man sich doch Gedanken darüber machen, wie man diese Frauen ansprechen und aus der Szene herausholen kann. Es handelt sich immerhin um diejenigen, die rekrutieren und netzwerken. Also muss man doch gezielt Maßnahmen auf Frauen und Mädchen zuschneiden.

Davon ist in Ihrem Antrag überhaupt nicht die Rede. So weit denken Sie überhaupt nicht. Das finde ich fatal.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nun zum Thema „ Kindeswohlgefährdung“: Ich finde es begrüßenswert, dass wir hier nicht darüber diskutieren, ob wir die Altersgrenze im Verfassungsschutzgesetz, ab der der Verfassungsschutz Personen beobachten darf, auf null absenken sollte. Immerhin führen wir die Diskussion darüber parallel zu dieser Debatte bereits. Ich finde es schon einmal gut, dass das in diesem Antrag nicht vorkommt und wir jetzt über die Frage der Kindeswohlgefährdung sprechen.

Wir als Grüne sehen auch, dass dahin gehend Handlungsbedarf besteht. Man muss aber wissen, dass es in Deutschland sehr schwierig ist, Kinder aus Familien herauszuholen, wenn nicht Gewalt oder Missbrauch im Spiel ist, sondern es – ich sage das wirklich in Anführungsstrichen – „nur“ um die Ideologie geht. Es hat in Deutschland historische Gründe, warum das schwierig ist.

Ich bin offen dafür, diese Diskussion zu führen. Der Punkt ist aber, dass Sie Sie lediglich eine Problembeschreibung vornehmen, ohne eine konkrete Antwort darauf zu geben. Sie sagen nur, dass wir die Jugendamtsmitarbeiter schulen müssen.

Das ist sicherlich richtig, aber was heißt das denn in Bezug auf die Kindeswohlgefährdung?

Man muss noch einen Schritt weitergehen. Es geht nicht nur um den Salafismus. Eine Frage ist zum Beispiel auch: Wie geht man mit Kindern aus rechtsextremistischen Familien um? – Auch diese Debatte führen wir seit Jahren, im Prinzip seit Jahrzehnten.

Wir führen also gern eine Diskussion darüber. Wir Grüne sind durchaus offen dafür. Man muss wissen, dass das in Deutschland schwierig ist – zu Recht. Lassen Sie uns also eine Diskussion darüber führen; aber dann lassen Sie uns auch zu konkreten Ergebnissen kommen.

Der dritte Punkt ist das Thema „Jugend und Schule“. Das sprechen Sie in Ihrem Antrag auch an; das finde ich richtig. Das ist ein wichtiges Thema, aber auch hier fehlen die konkreten Vorschläge. Das Einzige, was Sie anführen, ist die Einführung einer Taskforce an Schulen. Das ist nichts Neues. Das steht in dem Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe, die vor drei oder vier Jahren von Rot-Grün gegründet wurde. Das ist also nichts Neues.

Wir haben einen eigenen Antrag vorgelegt. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben vier ganz konkrete Vorschläge gemacht. Wir haben erstens gesagt, wir brauchen die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendarbeit und in der Jugendsozialarbeit.

Wir haben zweitens gesagt, das Thema Neosalafismus muss in der Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer und andere pädagogische Fachkräfte verankert sein. Da ist beispielsweise die Schulministerin in der Pflicht.

Drittens. Wir haben gesagt, wir brauchen eine flächendeckende Sozialarbeit an den Schulen und die Qualifizierung der Fachkräfte.

Und viertens haben wir gesagt, wir brauchen Streetworker. Wir brauchen für die Jugendlichen, die in Gegenden wohnen, wo sie besonders gefährdet sind, von Salafisten angesprochen zu werden, Streetworker, die konkret auf sie zugehen.

Diese vier Punkte sind in der Anhörung von den Expertinnen und Experten bestätigt und begrüßt worden. Davon findet sich nichts in Ihrem Antrag. Auch hier sind wir in der Debatte wesentlich weiter.

(Marc Lürbke [FDP]: Das steht doch drin!)

Nein, es steht nicht drin. Es steht etwas über das Thema Taskforce drin. Ja, es stimmt, Sie haben auch etwas zu dem Thema „Wir müssen jetzt mehr Angebote machen“ geschrieben. Das ist aber etwas anderes als eine verpflichtende Verankerung in dem Fortbildungsprogramm für Lehrerinnen und Lehrer. Das ist doch ein Unterschied, Herr Lürbke.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

– Ja, Ihnen ist immer alles zu kleinteilig. „Kleinteilig“ kann man es nennen, wenn man zwar zu Problemen konkrete Vorschläge hat, aber stattdessen irgendeine Soße auskippt – etwas, in dem nichts Konkretes steht, aber alles Mögliche angesprochen wird, ohne eine Lösung zu suchen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will es zum Schluss noch einmal sagen – ich glaube, das ist jetzt auch deutlich geworden –: Mir ist das Thema wichtig. Deshalb besteht mein Angebot und das meiner Fraktion weiterhin: Lassen Sie uns gemeinsam an dem Thema Salafismus arbeiten. Wir haben viel Streit, was Repression und polizeiliche Befugnisse angeht. Es ist auch richtig, diesen Streit auszutragen und die politische Diskussion darüber zu führen. Aber lassen Sie uns im Sinne der Sache doch wenigstens bei dem Punkt Präventionsarbeit versuchen, zusammenzukommen; denn es ist wichtig für die Sicherheit der Menschen in diesem Land, dass wir gemeinsam an diesen Themen arbeiten.

Noch einmal das Angebot – auch von mir –: Setzen wir uns zusammen und lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir weitergehen und gemeinsam zu einer Gesamtstrategie kommen können, die auch wir wollen. Ich glaube, damit wäre vieles gewonnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu unserem Antrag zum Thema Neosalafismus-Prävention

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann bin ich einmal sehr gespannt auf die Konzepte und Vorschläge, die da noch kommen mögen. Ich würde mich freuen, wenn Sie sie uns dann irgendwann präsentieren würden, damit wir sie auch diskutieren können.

Ich möchte aber gern mit drei Feststellungen zu diesem Thema beginnen.

Erstens. Etwa ein Drittel der Salafisten bundesweit lebt hier in Nordrhein-Westfalen.

Zweitens. Die Phase der Ausreisen nach Syrien und in den Irak ist vorbei. Der IS ruft schon seit Langem dazu auf, Anschläge in Deutschland oder in Westeuropa zu begehen und nicht mehr auszureisen.

Drittens. Der Anteil der Gefährder mit deutscher Staatsangehörigkeit liegt bei ungefähr 66 %. Wir reden also über ein Phänomen, das unsere deutsche Gesellschaft betrifft. Das sind Personen, die sich aus unserer Gesellschaft heraus radikalisieren. Damit ist es ein Problem unserer Gesellschaft.

Alle Expertinnen und Experten gehen wegen genau dieser Feststellungen davon aus, dass uns als Gesellschaft die Radikalisierung im Salafismus – im Übrigen auch die Verfestigung der Szene zum Beispiel durch die Aktivität von Frauen und die Gründung von Familien – noch mehrere Jahrzehnte hier in Deutschland beschäftigen wird.

Deshalb ist es so notwendig – das haben auch alle Vorredner gesagt –, dass wir im Bereich der Prävention, im Bereich der Intervention, im Bereich der Aussteigerberatung mehr machen. Es freut mich, dass wir im Grundsatz darüber einen Konsens haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben 2015 auf Antrag von SPD und Grünen hier im Landtag beschlossen, dass von der Landesregierung ein Handlungskonzept – das, was Sie immer beschworen haben, wird ja seitdem erarbeitet – erstellt werden soll. Die interministerielle Arbeitsgruppe arbeitet. Sie hat letztes Jahr ein sehr umfangreiches Papier, einen Zwischenbericht, vorgelegt.

Wir Grüne haben uns aber noch einmal hingesetzt und überlegt: Was sind noch weitere sinnvolle Projekte, um diese Vorschläge zu ergänzen? Es entspricht im Übrigen auch meinem Verständnis von Parlamentarismus, dass wir uns als Abgeordnete hinsetzen und eigene Vorschläge erarbeiten – ich warte noch auf Ihre Vorschläge – und nicht nur einfach Berichte der Regierung hinnehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Panske, es geht hier selbstverständlich um ein Handlungskonzept und nicht um Einzelmaßnahmen. Genau das steht auch in unserem Antrag. Insofern sind die von Ihnen vorgetragenen Gründe wirklich nur vorgeschoben, um diesen Antrag abzulehnen. Sie entsprechen aber nicht dem, was in dem Antrag steht. Das können Sie noch einmal nachlesen.

Einen zweiten Punkt haben Sie gerade auch falsch dargestellt. Er betrifft das Thema „Wissenschaft und Forschung“. Es gibt kaum Grundlagenforschung in Deutschland. Das ist genau das Problem. Andere Länder wie Großbritannien sind viel weiter, als Deutschland es ist. Das würde uns auch in Nordrhein-Westfalen mit der breiten Hochschullandschaft, die wir haben, gut anstehen.

Es wäre sinnvoll, im Bereich von Wissenschaft und Forschung mehr zu machen und Fragen wie zum Beispiel folgende zu erforschen: Wie sind die Radikalisierungsprozesse? Warum gibt es eine Anziehungskraft auf Frauen und Mädchen? Warum wollen Leute auch wieder aussteigen? – Genau diese Fragen müssen bearbeitet werden und in die Praxis zurückfließen, um zu schulen, Antworten zu geben und beispielsweise Fortbildungen anzubieten.

Herr El-Mafaalani, der als Experte an der Anhörung teilgenommen hat und jetzt Abteilungsleiter im Integrationsministerium ist, hat das sehr begrüßt. Ich würde mich freuen, wenn diese Idee weitergetragen würde, weil ich sie wirklich für notwendig und sinnvoll erachte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Panske, Sie haben kritisiert, wir würden keine Vorschläge für die praktische Arbeit machen. Auch das stimmt nicht. Denn wir machen hier zwei sehr konkrete Vorschläge.

Wir haben zum einen gesagt, dass die Schulsozialarbeit stärker qualifiziert werden muss und wir mehr davon brauchen, weil die Schulsozialarbeiter diejenigen sind, die vor Ort in den Schulen Ansprechpartner für die Jugendlichen sind.

Wir haben zum anderen den konkreten Vorschlag gemacht, dass man Streetworker in den Stadtteilen einsetzt, in denen Salafisten versuchen, junge Menschen anzuwerben, und zwar Streetworker, die die Lebenswirklichkeiten dieser jungen Menschen kennen und die jungen Menschen ansprechen können.

Ich glaube, das ist wesentlich hilfreicher und sinnvoller, als YouTube-Videos zu produzieren. Wir müssen dorthin gehen, wo die Leute sind. Wir müssen sie ansprechen und brauchen die Beziehungsarbeit. Das würde wirklich helfen. Es kostet Geld; ich weiß. Aber das sollte es uns wert sein vor dem Hintergrund der Probleme, die wir in diesem Themenfeld haben, und auch vor dem Hintergrund der Gefahr, die vom Salafismus ausgeht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der dritte Punkt, den ich gern noch ansprechen möchte, ist das Thema „Zivilgesellschaft“. In der Anhörung ist auch deutlich geworden, dass wir die Zivilgesellschaft brauchen. Es gibt solche Projekte aus der Zivilgesellschaft, die gefördert werden müssen.

Um es zum Abschluss noch einmal zu sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn wir es geschafft hätten, einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen, da wir doch alle anerkennen, wie wichtig die Präventionsarbeit ist. Das ist gescheitert, weil CDU und FDP nicht bereit waren, Gespräche über einen gemeinsamen Antrag zu führen. Ich bedaure das selbst. Aus vorgeschobenen Gründen lehnen Sie den Antrag jetzt ab.

Unsere Ideen waren aber gut. Das ist in der Expertenanhörung auch bestätigt worden. Es geht mir nicht darum, dass es grüne Vorschläge waren, sondern es geht darum, dass wir im Bereich der Prävention endlich weiterkommen, weil hier mehr passieren muss. Da sind wir alle in der Verantwortung und in der Pflicht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit.

Verena Schäffer (GRÜNE): Deshalb ist meine dringende Bitte, dass Sie diese Vorschläge und Ideen nicht einfach verwerfen, sondern mitnehmen und weiter diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Pressemitteilung: Schäffer/Aymaz: Landesregierung muss Gesamtstrategie gegen Gewaltbereitschaft und eine zentrale Anlaufstelle für alle bespitzelten Bürger schaffen

Zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts und den Ankündigungen des Innenministers erklären Verena Schäffer, Parlamentarische Geschäftsführerin und innenpolitische Sprecherin, sowie Berivan Aymaz, Sprecherin für Internationales und Integration der GRÜNEN Fraktion im Landtag NRW:

Verena Schäffer: „Der massive und sprunghafte Anstieg der Straftaten der „Politisch motivierten Kriminalität – Rechts“ in den Jahren 2015 und 2016 ist besorgniserregend. Obwohl die Straftaten im ersten Halbjahr 2017 etwas zurückgegangen sind, geht selbst der Verfassungsschutz davon aus, dass es im zweiten Halbjahr keinen weiteren Rückgang geben wird. Zum rechtsextremen Spektrum hinzugekommen sind die Reichsbürger und die Identitäre Bewegung, die stark ideologisiert, offensiv und auch gewaltbereit auftreten. Die Sicherheitsbehörden müssen weiter für eine Aufhellung des Dunkelfeldes sorgen.

Auch im Bereich des Neosalafismus besteht weiterhin eine große Gefahr. Trotz der militärischen Zurückdrängung des IS in Syrien und im Irak wächst die Szene in Deutschland weiterhin. Dabei ist auffällig, dass immer jüngere Personen und immer mehr Frauen und Mädchen sich der neosalafistischen Szene anschließen. Der Ausbau der von Rot-Grün eingerichteten Wegweiser-Beratungsstellen ist richtig. Doch die Präventionsarbeit in diesem Bereich muss deutlich ausgebaut und dabei stärker auf junge Frauen ausgerichtet werden.

Dass es Handlungsbedarf in Bezug auf linke Gewalt gibt, ist unbestritten. Doch selbst Herr Reul ist der Auffassung, dass ein Aussteigerprogramm Linksextremismus große Schwierigkeiten haben wird, mögliche Teilnehmer anzusprechen. Dazu hat er auch allen Grund: Das Aussteigerprogramm Linksextremismus des Bundes hatte im letzten Jahr lediglich sieben Anrufe. Die CDU lässt sich hier von der AfD treiben und verharmlost rechtsextreme Gewalt, indem sie Links- und Rechtsextremismus gleichsetzt. Sie sollte sich stattdessen differenziert mit den einzelnen Phänomenen auseinandersetzen und darüber wirksame Strategien entwickeln.

Innenminister Reul fehlt die Gesamtstrategie, wie er der Gewaltbereitschaft in allen Phänomenbereichen wirksam begegnen will. Das ist angesichts der hohen Zahl politischer Straftaten unverantwortlich.“

Berivan Aymaz: „Auf unsere Nachfrage hat das Innenministerium im August bekannt gemacht, dass allein der türkische Geheimdienst mindestens 173 Menschen in NRW im Visier hat. Es ist gut, dass die Landesregierung nun reagiert und gefährdeten Mitarbeitern Verhaltenshinweise vor Türkei- und Russlandreisen an die Hand gibt. Ein Erlass allein reicht aber nicht aus.

Bekanntlich bespitzeln die türkischen Sicherheitsbehörden nicht nur Landesbeschäftigte, sondern auch andere Menschen mit Türkeibezug in Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung hat eine Informationspflicht gegenüber allen Bürgern. Der Innenminister muss eine zentrale Anlaufstelle für alle Nordrhein-Westfalen einrichten, die sich Verfolgung ausgesetzt sehen und Informationsbedarf haben. Das Auswärtige Amt muss zudem endlich offiziell eine Reisewarnung für die Türkei aussprechen.“