Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP für eine Informationsstelle Antisemitismus

Informationsstelle Antisemitismus

Meine Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP für eine Informationsstelle Antisemitismus

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP! Ich finde, eines muss man Ihnen ja wirklich lassen: Was Sie können, ist, Verwirrung zu stiften. Ich finde, es gibt einen wahren Meister der Verwirrungskünste, und das ist der Innenminister Herbert Reul.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wie oft haben wir das schon in diesem Parlament erlebt, dass Herr Reul seine eigenen Aussagen wieder revidieren musste? – Die Frage, die wir uns dabei immer stellen, ist: Ist das wieder einmal diese typisch unbedarfte Ausdrucksweise des Ministers, oder ist das eine bewusste Strategie, Herr Reul?

Ich denke, beim Hambacher Wald muss man (Zurufe von der CDU)

von einer bewussten Täuschung des Parlaments und der Öffentlichkeit sprechen. (Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dazu würde ich gerne zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel ist: Auf Nachfrage der grünen Abgeordneten haben Sie im Juli dieses Jahres erklärt: Ja, es gab Gespräche mit RWE, aber Absprachen? – Nein. Die hat es nun wirklich nicht gegeben.

Gegenüber dem WDR haben Sie dann gesagt: Naja, Gespräche? – Hm. Offenbar hatten Sie die vergessen, vielleicht auch verschwiegen?

Jetzt wissen wir: Es gab nicht nur Gespräche, sondern es gab auch eine Vereinbarung von Herrn Reul mit dem RWE-Vorstand. Also gab es doch Absprachen. Was ist eine Vereinbarung denn sonst?

Da frage ich mich, Herr Reul: Was kommt da noch? Haben Sie RWE versprochen, auf jeden Fall die Baumhäuser zu räumen, damit RWE roden kann? Haben Sie das versprochen? – Sie müssen heute die Karten auf den Tisch legen, Herr Minister.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auch über die wahren Motive der Räumung des Hambacher Waldes

(Zurufe von der CDU: Forst!)

hat diese Landesregierung dieses Parlament und diese Öffentlichkeit getäuscht.

Im letzten Jahr hieß es ja noch von Herrn Reul: Räumung und Rodung, das hat ja gar nichts miteinander zu tun, das würden die Leute ja immer alles durcheinander werfen. Am letzten Donnerstag im Innenausschuss macht Herr Reul die 180-Grad-Wende. Frau Scharrenbach im Bauausschuss, nur einen Tag später, bleibt bei der alten Aussage, Räumung und Rodung hätten nichts miteinander zu tun.

Unterm Strich muss man hier ja eines festhalten: Wir haben zwei Aussagen von zwei Mitgliedern dieses Landeskabinettes. Das heißt auch, nur eine Aussage kann stimmen. Das heißt auch, einer von Ihnen beiden sagt hier nicht die Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dabei wissen wir aus der Akteneinsicht – auch wenn die Akten nicht vollständig sind –, aufgrund der Gutachten, der Auftragsvergabe, der E-Mails, der Protokolle aus den Ministerien: Die Landesregierung und ganz besonders das Innenministerium – das wird eindeutig belegt durch die verschiedenen Akten – hat alles darangesetzt, eine Rechtsgrundlage zu finden, um den Wald zu räumen. Minister Reul hat ja sogar selbst einen Brief geschrieben und um Unterstützung bei den Ressortkollegen gebeten – vielleicht kann man sagen, gebettelt, um nicht zu sagen, gedroht.

Damit hat sich diese Koalition, diese Landesregierung, das Kabinett Laschet zum Erfüllungsgehilfen von RWE gemacht. Sie haben rechtliche Grundlagen instrumentalisiert,

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben Vorschriften des Vergaberechts abenteuerlich ausgelegt, Sie haben ja sogar – das wird aus der Gutachtenvergabe deutlich – zivilrechtliche Möglichkeiten für RWE prüfen lassen. Das, finde ich, ist unerhört.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Sie haben sich auf dem Rücken der Polizei – und das ist mir als Innenpolitikerin wichtig zu sagen – zum Interessensvertreter von RWE gemacht. Ich finde, das sagt auch viel über Ihr Rechtsstaatsverständnis aus.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Damit komme ich jetzt noch einmal zu den Akten. Abgesehen davon, dass Sie zunächst der Presse und danach erst den Abgeordneten die Einsicht geben wollten, was aus meiner Sicht wirklich eine krasse Missachtung des Parlaments ist …

Herr Geerlings,

(Zuruf von der SPD: Der selber gar nicht da war!)

ich war schon sehr verwundert, dass Sie hier als Abgeordneter so gesprochen haben. Ich denke, wir Abgeordnete sollten für die Stärkung der Abgeordnetenrechte reden und nicht umgekehrt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schauen Sie sich diese Akten an, sie stehen ja zur Verfügung. Die Aktenführung ist so schlecht: chronologisch nicht sortiert, keine Inhaltsverzeichnisse, aber vor allem Schwärzungen, es fehlen E-Mail-Anhänge.

(Marc Lürbke [FDP]: Wie lange waren Sie da, Frau Kollegin?)

–  Ich war zwei Mal dort.

(Marc Lürbke [FDP]: Wie lange?)

Am schönsten finde ich die Präsentation mit der Eingangsfolie und mit der Abschlussfolie „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“. Der Rest der Präsentation fehlt. Da kann man aus meiner Sicht nicht von einem Zufall reden.

Herr Reul, Frau Scharrenbach, Sie wissen doch genauso gut wie wir: Je größer der Heuhaufen ist, desto schwieriger wird die Suche nach der Nadel. – Deshalb ist dieses von Ihnen so großzügig angekündigte Angebot der Akteneinsicht ein ganz klassischer Fall von Schein- transparenz.

Wir fordern Sie auf: Geben Sie uns als Fraktionen die Akten. Geben Sie uns die Akten ungeschwärzt. Geben Sie uns die Akten vollständig.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Dann können wir uns ein umfassendes Bild davon machen. Das werden wir dann auch tun. Nur das, Herr Reul, wäre dann auch echte Transparenz. – Vielen Dank. …

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. –

 

Kurzintervention zur Rede von Innenminister Herbert Reul von

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank. – Auch wenn ich nur anderthalb Minuten habe, möchte ich hier einige Sachen nicht unwidersprochen stehen lassen.

Ich glaube, niemand – das kann man so sagen – hat in dem Ausschuss gefordert, jetzt müsse aber geräumt werden, sondern wir haben auf die Widersprüche hingewiesen, die es da einfach gibt. Die Unverhältnismäßigkeit, die Sie jetzt plötzlich sehen, bestand auch vor einem Jahr. Ich nenne das Stichwort „Kohlekommission“, das anstehende OVG-Urteil.

Es war dann ja auch so. Es kam zum Rodungsstopp. Deshalb war der Einsatz auch vor einem Jahr schon unverhältnismäßig, genauso wie er heute unverhältnismäßig wäre.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD) Darauf weisen wir hin.

Dann möchte ich hier noch einmal klarstellen, Herr Reul: Mitnichten sind die Fragen im letzten Innenausschuss beantwortet worden. Ich kann gerne noch mal einige Fragen vorlesen, auf die Sie keinen Bezug genommen haben.

„Was waren denn die Inhalte der Gespräche des Ministers mit RWE?“, habe ich gefragt. Welche weiteren Gespräche hat es unterhalb des Ministers oder des Staatssekretärs mit RWE gegeben, also Abteilungsleiterin, Referatsleiter usw.? Das ist nicht beantwortet worden.

Ich habe die Frage gestellt: Hat es konkrete Gespräche mit RWE zur Vorbereitung der Räumung inklusive der Anmietung von Hebebühnen und anderen Gerätschaften gegeben? Ich habe zum Vergaberecht Fragen gestellt. Zum Thema „Marktschau“ habe ich eine Frage gestellt. Das ist alles nicht beantwortet worden.

(Zuruf von der CDU)

Herr Reul, ich würde Ihnen gerne noch etwas beantworten, weil Sie gerade sagten: Ich verstehe gar nicht, dass Sie noch mehr Akten haben wollen. – Ich kann Ihnen aber gerne sagen, was wir noch haben wollen: Es gibt genau eine Akte aus der Staatskanzlei. Diese Akte beinhaltet einzig und allein Kleine Anfragen. Da ist die Frage: Ist das vollständig?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, die 1:30 sind rum.

Verena Schäffer (GRÜNE): Ist das die Akte der Staatskanzlei? Welche Kommunikation hat es auf dieser Ebene gegeben?

(Zurufe von der CDU und der FDP) Es gibt die Frage nach den E-Mails.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

–  Vielleicht hören Sie mal auf, ständig reinzurufen, und respektieren einfach, dass ich das Rederecht habe.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, die 1:30 wären jetzt rum.

Verena Schäffer (GRÜNE): Gut. Das wird hier leider nicht angezeigt. – Ich will nur deutlich machen: Es gibt nach wie vor viele Fragen. Es gibt Akten.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, schön.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE] – Gegenrufe von der CDU und der FDP)

Jetzt hat Herr Minister Reul das Wort, und er hat 1:30 Minuten, um auf die Punkte noch mal einzugehen, die angesprochen wurden. – Bitte schön, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Schäffer, erstens: Ich stimme in einem Punkt zu. In der Frage, ob man den Einsatz damals hätte machen sollen oder nicht, gibt es verschiedene Meinungen. Ich glaube nach wie vor, dass das richtig und auch wichtig war.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber ist okay. Aber darüber diskutieren wir ja nicht. Das ist eine politische Bewertung.

Zweitens lege ich Wert darauf, dass die Fragen, die Sie gestellt haben, alle beantwortet wurden – wir werden das nachher ja noch sehen –, zum Beispiel über die Inhalte der Gespräche mit RWE, an denen ich beteiligt war.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

–  Herr Becker, Sie waren doch gar nicht im Innenausschuss. (Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

–  Sie Schlaumeier. (Zurufe)

Ich habe dem Ausschuss zu den Inhalten der beiden Gespräche, an denen ich beteiligt war, Auskunft gegeben – glasklar Auskunft gegeben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Welche?)

Ich wiederhole die nachher noch hundertmal. Sie haben sie auch nachlesen können. Ich habe sie aber auch vorgetragen. Übrigens: Spätestens nachdem Sie die Akten gesehen haben, wussten Sie es auch. Also ist der Fall jetzt auch erledigt, entweder durch meine Antwort oder durch das Aktenlesen.

Drittens: die Gespräche unterhalb. Das stellt sich einfach sehr schwierig dar. Verstehen Sie? Ich kann Ihnen einen Teil an Gesprächen auflisten, von denen wir wissen. Aber es finden doch wahnsinnig viele Gespräche zwischen Polizei und Stadt, Polizei und RWE statt. Das ist doch logisch. Da wird doch laufend etwas besprochen in dem ganzen Prozess dieses Verfahrens. Die werde ich Ihnen niemals lückenlos geben können. Ich werde „lückenlos“ nie unterschreiben, weil das gar nicht geht. Darüber werden doch oft gar keine Protokolle gemacht.

Da muss man doch ehrlich miteinander umgehen und nicht etwas fordern, was gar nicht geht. Das, was geht, kriegen Sie und haben Sie bekommen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, die 1:30 …

Herbert Reul, Minister des Innern: … sind vorbei. Dann machen wir nachher weiter. – Danke. (Beifall von der CDU und der FDP)

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist Mahnung für die Zukunft

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist Mahnung für die Zukunft

Eine gemeinsame Pressemitteilung von mir und Josefine Paul: Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist Mahnung für die Zukunft

Den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und den Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocausts nehmen die Abgeordneten der Grünen Landtagsfraktion zum Anlass, NS-Gedenkstätten in ganz NRW zu besuchen. Dazu erklären Verena Schäffer MdL, parlamentarische Geschäftsführerin, und Josefine Paul MdL, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN Fraktion im Landtag NRW:

Verena Schäffer: „75 Jahre nach der Befreiung der Menschen aus dem Konzentrationslager Auschwitz gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus und erinnern damit an die massenhafte, systematische Ermordung von Jüdinnen und Juden, von Sintize und Sinti, von Romnija und Roma, von Schwulen und Lesben, von Menschen mit Behinderung und anderen Gruppen, die nicht dem menschenverachtenden Bild der Nationalsozialisten entsprachen. Wir stehen heute in der Verantwortung, das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus wach zu halten, um das Versprechen „Nie wieder!“ einzulösen.

Dass dieses Gedenken unverzichtbar ist, wurde uns im vergangenen Jahr sehr schmerzlich und unmissverständlich mit dem antisemitischen Anschlag in Halle vor Augen geführt. Antisemitische Einstellungen sind in der Gesellschaft weit verbreitet, wie verschiedene Studien immer wieder gezeigt haben. Die Anzahl antisemitischer Straftaten in Nordrhein-Westfalen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dieser besorgniserregenden Entwicklung stellen wir uns entschieden entgegen. Wir fordern im Landtag NRW u.a. die Einrichtung einer Landesantidiskriminierungsstelle, eine Dunkelfeldstudie zum Antisemitismus und die Stärkung der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern zur Demokratiebildung.“

Josefine Paul: „Die Grüne Landtagsfraktion besucht in dieser Woche Gedenkstätten vor Ort. Diese leisten als Lernorte und Begegnungsstätten einen zentralen Beitrag zur Erinnerung an die Opfer und den Terror des Nationalsozialismus. Sie machen Geschichte erfahrbar und die Schicksale von Verfolgten sichtbar. Die weiterhin steigenden Besuchszahlen zeigen, dass authentische Lernorte, wie Gedenkstätten sie darstellen, elementarer Bestandteil lebendiger Erinnerungskultur sind. Darüber hinaus leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Forschung, sowohl auf lokaler und regionaler Ebene, als auch darüber hinaus. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit leistet damit einen wichtigen Beitrag zu Demokratieerziehung und ermutigt Menschen, Haltungen für Gegenwart und Zukunft zu entwickeln. Aktuell wird auch der Grundkonsens dieser politischen und historischen Bildung immer wieder infrage gestellt. Die Erinnerung an die Gräueltaten des Nationalsozialismus und ein konsequentes Eintreten für Demokratie und gegen jede Form von Diskriminierung sind für uns niemals verhandelbar.“

Zum SPD-Antrag zum 9. November

SPD-Antrag zum 9. November

Im Folgenden meine Rede Zum SPD-Antrag zum 9. November

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 9. November 1938 markierte einen vorläufigen Höhepunkt des Antisemitismus in der NS-Zeit. Der Antisemitismus der Nationalsozialisten wurde in dieser Nacht für alle deutlich sichtbar, doch nur wenige gingen dagegen aktiv an.

Der 9. November ist für alle Demokratinnen und Demokraten ein wichtiger Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus und gleichzeitig auch eine Mahnung, jeden Tag Haltung zu zeigen gegen Rassismus und Antisemitismus.

Auch 81 Jahre später ist der Antisemitismus in unserer Gesellschaft nach wie vor weit verbreitet – er war ja auch nie weg. Es gibt eine erschreckende Kontinuität des Antisemitismus in Deutschland.

Ich hatte letzte Woche eine Veranstaltung zum Thema „Antisemitismus“. Dort stellte Professorin Dr. Julia Bernstein ihre Studie vor zu der Perspektive von Jüdinnen und Juden auf das Thema „Antisemitismus“.

Ich finde es wichtig, sich tatsächlich auch mit der Perspektive und den Erfahrungen derjenigen zu beschäftigen, die mit Antisemitismus tagtäglich konfrontiert werden.

Die Studie hat ergeben, dass Antisemitismus ein alltägliches Phänomen für Jüdinnen und Juden in Deutschland ist, dass Antisemitismus von unterschiedlichen Personen, verschiedenen Schichten und gesellschaftlichen Gruppen ausgeht.

Erschreckenderweise fühlen sich über 80 % der befragten Jüdinnen und Juden in Deutschland bedroht. Über 90 % der befragten Jüdinnen und Juden sehen Antisemitismus als großes Problem in Deutschland an. Über 40 % der Jüdinnen und Juden in Deutschland denken sogar über eine Auswanderung nach.

Das sind, wie ich finde, sehr erschreckende Ergebnisse aus einer Studie, die im Jahr 2016 gemacht wurde. Ich glaube, heute im Jahr 2019 würden ganz andere Ergebnisse bei so einer Studie herauskommen.

Was ist denn in den letzten drei Jahren in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen passiert? – Wir mussten einen deutlichen Rechtsruck der AfD erleben. Wir mussten erleben, dass sich der organisierte und militante Rechtsextremismus weiter radikalisiert. Auch der NRW-Innenminister sagt ja inzwischen, dass die größte Gefahr neben dem Islamismus vom Rechtsextremismus ausgeht.

Allein in diesem Jahr haben wir die rechtsextreme Amokfahrt im Ruhrgebiet erleben müssen. Im Juni 2019 wurde Dr. Walter Lübcke grausam ermordet, und am 9. Oktober – ausgerechnet an Jom Kippur – beging ein Rechtsterrorist einen Anschlag auf die Synagoge in Halle; zwei Menschen wurden getötet.

Der Anschlag in Halle zeigt auch noch einmal sehr deutlich, dass Antisemitismus nach wie vor ein zentraler Bestandteil des Rechtsextremismus ist.

Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass antisemitische Einstellungen in der gesamten Gesellschaft vorhanden sind. Deshalb müssen wir endlich auch über diese antisemitischen Vorurteile und Stereotype in der Mitte der Gesellschaft reden, denn nur dann können wir den Antisemitismus wirklich bekämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die eben schon zitierte Studie hat gezeigt, dass Schule ein zentraler Ort von antisemitischer Diskriminierung ist. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer handlungsfähig im Umgang mit Antisemitismus sind.

Wir brauchen eine bessere Erfassung und eine Dunkelfeldstudie über antisemitische Vorfälle.

Die Berichte der Betroffenen machen auch deutlich, dass auch die Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden Nachholbedarf haben bezüglich der Sensibilität für das Thema.

Was das Thema „Versammlungsrecht“ angeht: Ich persönlich finde es verfassungsrechtlich hochproblematisch, das im Grundgesetz verankerte Versammlungsrecht einzuschränken.

Die Antwort auf solche Demonstrationen, die wir alle – wirklich alle hier – für unerträglich erachten, wie wir sie am Samstag in Bielefeld erlebt haben, muss doch sein, die Zivilgesellschaft zu stärken, die Zivilgesellschaft dazu zu ermächtigen, die Versammlungsfreiheit zu nutzen, um ein starkes Signal gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu zeigen.

Das ist in Bielefeld ja auch gelungen mit 14.000 Menschen, die auf die Straße gegangen sind. Es geht darum, auch diese Zivilgesellschaft weiter zu stärken und zu stützen, um gemeinsam jeden Tag gegen antidemokratische, gegen antisemitische und rassistische Einstellungen Haltung zu zeigen.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Dem vorliegenden Antrag der SPD werden wir gleich zustimmen.

Ich möchte noch ein paar Worte sagen zu dem Entschließungsantrag von CDU und FDP und unser Abstimmungsverhalten auch ein Stück weit erläutern.

Wir wissen um Ihre Haltung gegen Antisemitismus und gegen Demokratiefeindlichkeit. Aber ich meine, dass die Aneinanderreihung der verschiedenen Ereignisse am 9. November in der deutschen Geschichte in diesem Antrag einer Debatte, die wir heute über die Reichspogromnacht, über den 9. November 1938 führen, so nicht angemessen ist. Deshalb werden wir den Antrag gleich auch ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Trotzdem – das möchte ich hier auch noch einmal sagen, weil ich das wichtig finde –: Ich bin froh darüber, dass wir hier gemeinsam als Demokratinnen und Demokraten ein Signal gegen Antisemitismus senden. Ich glaube, man kann hier so deutlich sagen, dass das heute von dieser Debatte ausgeht. Vielen Dank dafür.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zu Rassismus und Diskriminierung

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich bei der SPD für die Initiative und bei CDU und FDP dafür bedanken, dass wir nun einen interfraktionellen Änderungsantrag stellen. Ich finde, dass diese gemeinsame Erklärung gegen Rassismus und Diskriminierung außerordentlich wichtig ist, weil sie noch einmal ein wichtiges Zeichen für Demokratie, Vielfalt und Menschenwürde setzt.

Wenn man sich die verschiedenen Studien der vergangenen Jahre zur Einstellung in der Bevölkerung anschaut, wird sehr deutlich, dass Rassismus und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen wie zum Beispiel Sexismus nicht nur in der extremen Rechten, sondern in der Mitte der Gesellschaft verbreitet und verankert sind.

Ich möchte einige Beispiele aus der aktuellen Leipziger „Mitte“-Studie bringen. Die Befragten wurden mit Aussagen konfrontiert, und anschließend mussten sie sagen, ob sie diesen Aussagen zustimmen oder nicht.

Eine Aussage lautet: Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen. Dieser Aussage, die wirklich erkennbar offen rassistisch ist, haben immerhin 11,3 % der Befragten zugestimmt.

Eine andere Aussage lautet – Zitat –: Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches und passen nicht zu uns. – Auch das ist wirklich offen und für jeden erkennbar antisemitisch. Die Zustimmungsrate lag bei 9,1 %.

Ich finde, diese beiden Beispiele zeigen noch einmal sehr deutlich, wie stark antisemitische, rassistische und auch andere Einstellungen in der Mitte, in der Breite der Gesellschaft vorhanden sind.

Insofern kann man nicht sagen, dass es sich nur um einen rechtsextremen Rand der Gesellschaft handelt, der solche Einstellungen vertritt. Vielmehr ist es in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt, und das betrifft auch andere Formen der Ungleichwertigkeitsvorstellungen, etwa die Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, der Sexualität, des Geschlechts oder anderer Merkmale.

Das ist nicht hinnehmbar. Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen aufgrund dieser Merkmale diskriminiert werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es ist gerade schon aufgezeigt worden, zu welchen Diskriminierungen im Alltag solche Einstellungen führen können: auf dem Wohnungsmarkt, Menschen werden nicht in die Disco gelassen, sie werden nicht im Fitnessstudio aufgenommen. Diese Form der Alltagsdiskriminierung findet also ständig statt.

Diese Einstellungen können allerdings noch zu anderen Dingen führen, zum Beispiel zu institutioneller Diskriminierung. Ich glaube, das krasseste Beispiel dafür sind die Ermittlungen im Falle des rechtsextremistischen NSU.

An allen Tatorten – egal ob auf der Kölner Keupstraße, in Dortmund oder woanders – wurde immer im Bereich der Organisierten Kriminalität, im Bereich der Schutzgelderpressung oder im Zusammenhang mit Drogendelikten ermittelt. Vor allen Dingen ging es dabei immer um die Opfer und das Umfeld der Opfer.

Das war an allen Tatorten so, obwohl eine Verbindung zwischen den Tatorten zum Teil gar nicht gesehen wurde. Obwohl die Polizei keine konkreten Ermittlungsansätze und Beweise dafür hatte – es gab Gerüchte, Mutmaßungen –, hat sie immer an dieser Ermittlungsrichtung festgehalten.

Das macht meiner Meinung nach deutlich, dass es strukturelle Probleme gegeben hat, dass strukturelle Mechanismen gegriffen haben, dass die Opfer, die Menschen mit Migrationshintergrund waren, selbst zu Tätern gemacht wurden. Das kann man nur mit strukturellen Mechanismen erklären.

Es gibt noch weitere Beispiele für institutionellen Rassismus oder institutionelle Diskriminierung. Zum Beispiel werden Kinder diskriminiert, wenn sie keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, weil sie einen Migrationshintergrund haben. Das funktioniert sehr subtil, nicht offen und ist mit institutionellem Rassismus zu erklären.

Daher sind wir als Politik aufgefordert, solche strukturellen Mechanismen zu durchbrechen und abzubauen, um Chancengleichheit zu schaffen, und zwar für alle, also unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder anderen Merkmalen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Einstellungen können noch zu etwas anderem führen. Einstellungen können in Gewalt umschlagen. 2015/2016, als es den starken Zuzug von Geflüchteten gab, hatten wir eine Vielzahl von Brandanschlägen auch in Nordrhein-Westfalen.

Es war bemerkenswert und erschreckend, dass viele dieser Anschläge nicht von bekannten Neonazis und Rechtsextremen begangen wurden, sondern von Personen, die vorher nicht als Rechtsextreme in Erscheinung getreten sind. Das heißt, es haben sich Menschen radikalisiert, weil es eine starke Polarisierung in der Gesellschaft gab, und das zeigt, wie gefährlich rassistische Einstellungen sind.

Ich könnte noch etwas zu den Straftaten sagen – das wurde gerade schon ausgeführt –, die deutlich machen, dass die rechtsextreme Szene Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft als Legitimation für ihre Taten nutzt.

Um den Kreis zu schließen oder zum Anfang meiner Rede zurückzukehren: Rechtsextreme nutzen diese Einstellung als Legitimation. Daher müssen wir immer wieder Haltung zeigen gegen Rassismus und Diskriminierung, denn Gewalt und Diskriminierung dürfen niemals legitim sein in dieser Gesellschaft, und das müssen wir immer wieder klarstellen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Kommunalinfo: Aktivitäten gegen Rechtsextremismus

In der letzten Plenarwoche haben wir gemeinsam mit CDU, FDP und SPD einen Antrag zur Einrichtung eines/einer Antisemitismusbeauftragten in den Landtag eingebracht. Außerdem haben wir GRÜNE mit dem Antrag „Förderung der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus fortsetzen“ die Landesregierung dazu aufgefordert, das integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus sowie das Förderprogramm „NRWeltoffen“ fortzusetzen. Über diese beiden Initiativen möchte ich Sie/Euch gern informieren.


Antrag: Nordrhein-Westfalen braucht eine/einen Antisemitismusbeauftragten

In den vergangenen Monaten wurde häufig von antisemitischen Beleidigungen u.a. an Schulen aber auch über tätliche Angriffe gegenüber Jüdinnen und Juden berichtet. Im Jahr 2017 wurden in Nordrhein-Westfalen 324 antisemitische Straftaten von der Polizei verzeichnet. Das ist eine Steigerung um 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Es ist allerdings von einer höheren Dunkelziffer auszugehen, da aus unterschiedlichen Gründe nicht jede Straftat zur Anzeige gebracht wird. Diese besorgniserregende Entwicklung können und wollen wir nicht hinnehmen.

Daher haben die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN einen gemeinsamen Antrag zur Einrichtung einer/eines Antisemitismusbeauftragten, die/der Präventionsmaßnahmen gegen Antisemitismus koordinieren und Ansprechpartner*in für die Betroffenen von Antisemitismus sein soll, in den Landtag eingebracht. Der Antrag wurde einstimmig angenommen, was ein wichtiges Signal an die Jüdinnen und Juden sowie die jüdischen Gemeinden ist, weil es zeigt, dass der Landtag geschlossen an ihrer Seite steht.

Obwohl wir GRÜNE weitergehende Forderungen haben, unter anderem zur Stärkung der Präventionsarbeit, der Beratungsarbeit gegen Antisemitismus sowie zu einer Dunkelfeldstudie zu antisemitischen Straftaten, freuen wir uns, dass dieser gemeinsame Antrag gelungen ist. Denn es ist ein erster wichtiger Schritt im Kampf gegen Antisemitismus, dem weitere Maßnahmen gegen Antisemitismus und Diskriminierung folgen müssen.

Der Antrag kann hier abgerufen werden.

Meine Rede können Sie hier nachlesen.

Antrag: Förderung der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus fortsetzen

In unserer rot-grünen Regierungszeit haben wir neben dem integrierten Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus auch das kommunale Förderprogramm „NRWeltoffen“ aufgelegt.

Das integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus wurde in einem zweijährigen Prozess unter breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft entwickelt und im Juni 2016 dem Landtag vorgestellt. Es hinterlegt die Arbeit des Landes gegen Rechtsextremismus und Rassismus mit einer nachhaltigen Strategie und stimmt die Maßnahmen der einzelnen Ressorts untereinander ab. Dabei legt das Konzept aus unserer Sicht wichtige Schwerpunkte in der Unterstützung der Beratungsarbeit sowie der Stärkung der Zivilgesellschaft und der Perspektive der Betroffenen von rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Da das Konzept bis Mitte 2019 angesetzt war, haben wir die Landesregierung aufgefordert, das Konzept fortzuführen und weiterzuentwickeln. In der Plenardebatte sagte die Landesregierung die Fortführung des Konzepts über 2019 hinaus zu.

Durch das Förderprogramm „NRWeltoffen“ werden derzeit 25 Kreise und kreisfreie Städte in NRW für die Erstellung und Umsetzung von ortsspezifischen Handlungskonzepten gegen Rechtsextremismus und Rassismus gefördert. Das Programm läuft allerdings Ende 2018 aus. Unsere Berichtsanfrage im Kulturausschuss (Vorlage 17/587) vom März dieses Jahres ergab, dass die Landesregierung erst nach der Evaluation, die im September vorliegen soll, entscheiden möchte, ob und wie sie das Förderprogramm fortsetzen möchte. Wir haben die Landesregierung daher mit unserem Antrag aufgefordert, Klarheit zu schaffen. In der Debatte zu unserem Antrag verwiesen sowohl die Fraktionen von CDU und FDP als auch die Landesregierung wieder auf die ausstehende Evaluation. Immerhin zeigte sich der Abgeordnete der FDP-Fraktion etwas offener und sprach davon, dass das Programm weitergehen solle. Wir hoffen, dass sich diese Position innerhalb der schwarz-gelben Koalition durchsetzt und werden uns selbstverständlich weiter dafür einsetzen, dass die gute Arbeit in den Kommunen fortgesetzt und auf weitere Kommunen in NRW ausgeweitet werden kann. Gerade angesichts der deutlichen Diskursverschiebung nach Rechts können wir uns keine Rückschritte in der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus leisten.

Der Antrag kann hier abgerufen werden.

Meine Rede können Sie hier nachlesen.

Für Nachfragen stehen unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin für Strategien gegen Rechtsextremismus, Hasret Karacuban (Hasret.Karacuban@landtag.nrw.de, 0211 – 884 4321), und ich gerne zur Verfügung.