Zum Antrag der „AfD“-Fraktion zum PUA „Kindesmissbrauch“

AfD-Antrag zum PUA Kindesmissbrauch

Meine Rede zum Antrag der „AfD“-Fraktion zum PUA „Kindesmissbrauch“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn noch einmal betonen, dass all diese Missbrauchsfälle, über die wir gerade sprechen – Lügde, Münster, aber auch der große Missbrauchskomplex, der von Bergisch Gladbach ausgegangen ist –, furchtbar und schrecklich sind.

Wir wissen aber auch, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist. Wir wissen aus Dunkelfeldstudien, dass in jeder Schulklasse durchschnittlich ein bis zwei Kinder von sexualisierter Gewalt betroffen sind.

Die verstärkte Ermittlungsarbeit, die es schon gibt, aber auch die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit, die wir auch durch die Debatten zu Lügde, Münster, Bergisch Gladbach bekommen haben, führen aus meiner Sicht zu einer stärkeren Sensibilität in der Gesellschaft, wodurch mehr Missbrauchsfälle bekannt werden.

Das ist gut so. Es ist gut, dass diese Missbrauchsfälle bekannt werden, denn wir wollen ja gerade, dass das Dunkelfeld aufgehellt wird und Kinder aus anhaltenden Missbrauchssituationen befreit werden können.

(Beifall von den GRÜNEN)

In dem Zusammenhang leisten wir als Untersuchungsausschuss eine wichtige Arbeit, weil wir dazu beitragen können, die Frage eines möglichen Behördenversagens aufzuklären. Ziel ist es, strukturelle Verbesserungen für die Zukunft zu schaffen.

Dafür muss man sich natürlich die Behörde angucken – allerdings nicht nur die Polizeibehörde. Ich weiß, dass das Innenministerium das bereits durch die Stabstelle gemacht hat. Allerdings haben wir als Untersuchungsausschuss auch die Aufgabe, bezogen auf die Jugendämter Aufklärungsarbeit zu leisten, und das machen wir auch.

Die Erweiterungsanträge der AfD werden wir als Grüne ablehnen. Ich möchte Ihnen gerne die Gründe dafür nennen:

Erstens. Ich finde die Anträge anmaßend, weil wir als Abgeordnete nicht die besseren Polizeibeamtinnen und ‑beamte sind; das müssen wir auch anerkennen. Wir sind nicht die Ermittlerinnen und Ermittler, die strukturelle Netzwerke von Personen, die Kindesmissbrauch betreiben, aufdecken können. Das können wir schlichtweg nicht.

Ich will noch einmal daran erinnern, dass die BAO Berg, die den Komplex Bergisch Gladbach untersucht und wichtige Ermittlungsarbeit leistet, in der Spitze aus 360 Polizeibeamtinnen und ‑beamten bestanden hat. Und wir sollen mal eben deren Arbeit übernehmen? – Das ist völlig unrealistisch.

Ich finde das wirklich anmaßend, weil ich weiß, dass diese Polizeibeamtinnen und ‑beamten eine sehr engagierte und wichtige Ermittlungsarbeit leisten. Das können wir als Untersuchungsausschuss überhaupt nicht; das ist auch gar nicht unsere Aufgabe.

Herr Wagner, Sie sagen, Sie wollen Ermittlungsdruck aufbauen. Es ist zwar richtig, Ermittlungsdruck aufzubauen, aber das macht doch nicht der Untersuchungsausschuss, sondern die Polizei, weil es auch die Arbeit der Polizei ist.

Der Untersuchungsausschuss kann mögliches Behördenversagen untersuchen; das ist unsere Aufgabe. Das muss man klar trennen und die Aufgabenbeschreibungen ernst nehmen, wer eigentlich für was zuständig ist.

Es ist wichtig und richtig, Behördenversagen in Bezug auf Lügde zu untersuchen. Einige Zeugenvernehmungen bestätigen mich darin, wie richtig es war, diesen Untersuchungsausschuss einzusetzen.

In Münster ist vielleicht nicht alles so gelaufen, wie man sich das vorgestellt hat, zum Beispiel in Bezug auf das Jugendamt oder auf das Landgericht. Das kann man alles diskutieren; das haben wir auch in der Sondersitzung gemacht, denn deswegen hatten wir ja eine Sondersitzung zu Beginn der Sommerpause beantragt.

Aber diese Art eines möglichen Behördenversagens, wie wir es in Lügde vorfinden, haben wir meines Erachtens und nach dem jetzigen Kenntnisstand weder in Münster noch in Bergisch Gladbach.

Ich finde, es wird auch den beteiligten Polizeibeamtinnen und ‑beamten nicht gerecht, insbesondere in Bezug auf Bergisch Gladbach, wo mit sehr großer Akribie Chatprotokolle und Missbrauchsabbildungen ausgewertet werden und jede Tapete, jede Bettdecke oder sonst was in Augenschein genommen wird, um weitere Täter, aber vor allen Dingen weitere Kinder zu entdecken und diese Kinder zu befreien.

Ich finde, man kann diese Komplexe nicht vergleichen. Die Parallelen, die Sie ziehen, ziehe ich nicht. Das ist für mich der erste Grund, warum es dieser Anträge der AfD nicht bedarf und warum wir sie ablehnen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Den zweiten Grund habe ich bereits in Bezug auf die BAO Berg und die 360 eingesetzten Polizeibeamtinnen und ‑beamten in der Spitze der Ermittlungsarbeit angedeutet:

Wir überfordern unseren Untersuchungsausschuss Lügde, wenn wir meinen, dass wir weitere Komplexe hineinnehmen können. Wir haben den Untersuchungsausschuss vor einem Jahr eingesetzt. Wir haben inzwischen zahlreiche Akten vorliegen und zahlreiche Zeuginnen und Zeugen vernommen.

Aber wir haben auch nach einem Jahr noch nicht alle Akten auf dem Tisch, die wir noch brauchen und angefordert haben, allerdings nur noch anderthalb Jahre Zeit.

Wir haben eine ellenlange Zeugenliste, die wir momentan überhaupt nicht abarbeiten können – im Gegenteil: Nach jeder Zeugenvernehmung haben wir gefühlt zwei neue Zeugen auf der Liste.

Ich schaue den Ausschussvorsitzenden, Herrn Börschel, an: Wir kommen mit den Zeugenvernehmungen überhaupt nicht durch, weil wir bei jeder Vernehmung mindestens drei bis vier Stunden brauchen. Wir haben jetzt schon ein enormes Zeitproblem, überhaupt durch diesen Komplex „Lügde“ durchzusteigen.

Wenn wir uns und unsere Arbeit ernst nehmen, müssen am Ende Handlungsempfehlungen stehen. Ich will das nicht alles nur gemacht haben, um eine wichtige Aufklärungsarbeit geleistet zu haben, sondern ich will, dass wir nachher hoffentlich im Konsens gemeinsame Handlungsempfehlungen erarbeiten.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Die muss es irgendwann auch geben, und zwar nicht erst in zehn Jahren, sondern in anderthalb Jahren, zum Ende der Legislatur.

Es ist vielleicht eine bittere Erkenntnis, dass wir meines Erachtens nicht jeden größeren Missbrauchsfall in einem PUA aufklären können. Ich habe zu Beginn gesagt: Wir haben eine riesengroße Dunkelziffer, und ich glaube, auch in den nächsten Jahren wird die Polizei noch weitere solcher großen Komplexe ausheben.

Das ist ja politisch gewollt; wir verstärken die Polizei, damit das Dunkelfeld aufgeklärt wird. Aber wir können nicht jeden Missbrauchsfall – so bitter das ist – in einem Untersuchungsausschuss aufklären. Das ist schier nicht möglich.

Deshalb haben wir uns ja darauf verständigt, mit der Kinderschutzkommission eine beständige Struktur im Parlament zu schaffen, um das Thema „Kinderschutz“ aufrechtzuerhalten, damit es eben nicht eine Eintagsfliege wird, sondern auch über Legislaturperioden hinaus ein wichtiges Thema in diesem Landtag bleibt. Ich meine, dass es eine wichtige und eine gute Entscheidung war, diese Kinderschutzkommission einzurichten.

Ich habe es schon mehrfach gesagt und bleibe dabei; das will ich mir auch immer wieder auf die Fahne schreiben: Aus meiner Sicht tragen wir hier die gemeinsame Verantwortung dafür, dass das Thema „Kinderschutz“ in anderthalb Jahren nach Ablauf dieser Legislatur nicht einfach so vorbei ist, sondern auch in der nächsten Legislatur und in der übernächsten – vielleicht von unseren Nachfolgerinnen und Nachfolgern – weiter bearbeitet wird, weil Kinderschutz in unserer Gesellschaft unheimlich wichtig ist. Also lassen Sie uns doch dieser Verantwortung gemeinsam gerecht werden und Kinderschutz hochhalten.

Aber es gibt die bittere Erkenntnis, dass wir nicht jeden Fall aufarbeiten können; dazu haben wir nicht die Möglichkeiten. Wir sind nicht die besseren Polizeibeamtinnen und -beamten. Deshalb werden wir diese Anträge der AfD auch ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zur Einsetzung des „PUA Kindesmissbrauch“

Einsetzung des „PUA Kindesmissbrauch“

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zur Einsetzung des „PUA Kindesmissbrauch“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch nach den vielen Sitzungen im Innenausschuss, im Familienausschuss, den Diskussionen mit den Expertinnen und Experten und den Plenardebatten ist es noch immer völlig unbegreiflich, was über 40 Kinder und Jugendliche über Jahre hinweg erleiden mussten.

Es ist unbegreiflich, welche Gewalt ihnen angetan wurde.

Dieser Fall macht auch deshalb so fassungslos, weil diesen Kindern und Jugendlichen nicht geholfen wurde, weil die Behörden Hinweisen offenbar nicht ausreichend nachgegangen sind.

Wir haben in den vergangenen Monaten über etliche Fragen und Ungereimtheiten gesprochen und diskutiert, doch viele Fragen sind nach wie vor offen.

Das sind zum Teil Fragen, die wir gar nicht klären konnten, weil sie jetzt eine Rolle im Prozess spielen werden und wir dafür auch die Akten benötigen.

Es sind aber auch Fragen, die aus meiner Sicht im Innenausschuss vom Innenministerium nicht ausreichend beantwortet wurden und die wir jetzt im Untersuchungsausschuss auch stellen werden.

Ich bin froh – da kann ich mich meinen Vorrednern anschließen –, dass wir jetzt einen gemeinsamen Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses von CDU, SPD, FDP und uns Grünen auf den Weg gebracht haben, denn ich glaube, dass dieser gemeinsame Antrag noch einmal deutlich macht, dass es auch ein gemeinsames parlamentarisches Aufklärungsinteresse gibt. Ich finde, es wird der Dimension dieses Themas nur gerecht, wenn wir gemeinsam an der Aufklärung arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Zeit vor Oktober 2018, und es gibt eine Zeit danach. Zu der Zeit vor Oktober 2018 – das war der Zeitpunkt, als eine Mutter Strafanzeige gegen den Hauptangeklagten Andreas V. stellte – werden wir viele Fragen untersuchen.

Wir müssen den Fragen nachgehen, was mit den Hinweisen von 2016 und 2017 in Bezug auf Kindeswohlgefährdung und insbesondere auf die Hinweise in Bezug auf sexuellen Missbrauch geschah.

Welche Informationen wurden wann zwischen Polizei und Jugendämtern ausgetauscht? Wir sprechen hier immerhin von einem Offizialdelikt, bei dem es einen Strafverfolgungszwang gibt. Deshalb ist die Frage auch so entscheidend, was die Polizei mit diesen Hinweisen machte.

Wir werden aber auch der Frage nachgehen, wie es sein konnte, dass der Hauptangeklagte Andreas V. eine Pflegeerlaubnis bekam. Ich stelle mir immer noch die Frage – darauf haben wir auch noch keine Antworten –, ob tatsächlich niemand und in keiner Institution – damit meine ich zum Beispiel Schule, Ärztinnen und Ärzte – einen entsprechenden Verdacht bemerkt haben soll. Diese Frage werden wir uns stellen müssen.

Wir wollen aber auch die Zeit nach Oktober 2018 aufarbeiten. Wie kann es sein, dass 155 Datenträger bei der Polizei spurlos verschwinden? Wie wurden die Vernehmungen der Opfer durchgeführt? Mussten Vernehmungen aufgrund von Fehlern wiederholt werden? Herr Wolf hat gerade die Problematik angesprochen. Müssen Vernehmungen eventuell auch im Prozess noch erfolgen? Wurden tatsächlich Aktenmanipulationen beim Jugendamt vorgenommen?

Das sind alles Fragen, die wir klären müssen, denn ich glaube, dass diese Problematiken auch dazu führen können, dass wertvolles Vertrauen in die Ermittlungsbehörden verloren gehen kann. Deshalb müssen wir das aufklären.

Wir werden aber auch die Rolle der Landesregierung aufarbeiten. Da gibt es einmal Fragen zu der internen Kommunikation der betroffenen Ministerien und der Staatskanzlei. Doch ich halte nach wie vor auch die Frage für zentral, ob die Ermittlungen früher hätten von der kleineren Kreispolizeibehörde Lippe auf das größere Polizeipräsidium Bielefeld übertragen werden müssen.

Die Frage ist deshalb so zentral, weil sie mögliche strukturelle Probleme bei der Polizei Nordrhein-Westfalen mit ihren 47 Kreispolizeibehörden und – wie wir seit Kurzem wissen – mit gerade einmal 105 Stellen für den Bereich Kindesmissbrauch anspricht.

Wir müssen aber auch der Frage nachgehen, ob es strukturelle Probleme im Aufbau der Jugendämter in Nordrhein-Westfalen gibt, denn es gibt auch eine Zeit nach dem 30. Januar.

Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Am 30. Januar gab es die Pressekonferenz der Polizei Lippe, bei der erstmals der langjährige und vielfache Kindesmissbrauch in Lügde öffentlich wurde.

Ich glaube, dass diese breite Berichterstattung und die politischen Diskussionen, die wir seitdem führen, auch die Chance geben, Konsequenzen aus diesem furchtbaren Fall zu ziehen und den Kinderschutz besser aufzustellen.

Ich sehe uns in der Verantwortung, diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Kindesmissbrauch“ als Instrument zu nutzen, um strukturelle Defizite aufzudecken und gemeinsam Konsequenzen daraus zu ziehen.

Das heißt übrigens nicht – auch darüber haben wir im Vorfeld schon diskutiert –, dass parallel zum Untersuchungsausschuss nicht gleichzeitig an Konsequenzen gearbeitet werden kann und gearbeitet werden muss. Ich glaube, es braucht beides.

Man braucht die Aufarbeitung nach hinten, und wir müssen schauen: Wann hat welche Behörde möglicherweise welchen Fehler gemacht? Wo gibt es strukturelle Defizite im Behördenaufbau in Nordrhein-Westfalen? Wir müssen andererseits die Konsequenzen nach vorne ziehen. Ich bin froh, dass wir diesen Weg der parlamentarischen Aufarbeitung jetzt gemeinsam gehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)