Meine Rede zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror in Nordrhein-Westfalen

Gemeinsamer Antrag aller Fraktionen. Drucksache 16/7148

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tag der Aufdeckung des NSU jährte sich gestern zum dritten Mal. Ich glaube, was wir nach wie vor teilen, ist das Erschüttern, das es in der Bevölkerung gegeben hat, und die Fassungslosigkeit darüber, dass eine rechtsterroristische Gruppierung über Jahre hinweg Menschen ermorden, Banken überfallen und Anschläge verüben konnte – und das unentdeckt von den Sicherheitsbehörden, was eben auch das Versagen von Polizei und Verfassungsschutz deutlich gemacht und zu einem Verlust des Vertrauens der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden in Deutschland geführt hat. Diese Erschütterung, diese Fassungslosigkeit spüren wir nach wie vor.

Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags – dieser wurde übrigens auf Druck der Grünen eingerichtet – hat viel an Aufklärung geleistet. Er hat zwei Jahre lang sehr intensiv gearbeitet und viele Fragen geklärt und besprochen.

Dennoch sind Fragen offen geblieben – Fragen, die auch Nordrhein-Westfalen betreffen, und Themenkomplexe, die nicht ausführlich im Bundestag behandelt werden konnten. Insofern haben wir uns als Grüne und als rot-grüne Regierungskoalition dazu entschieden, auch in Nordrhein-Westfalen einen Untersuchungsausschuss einzurichten, und zwar auch aufgrund der Dynamik im April 2014 aufgrund des Todes des V-Manns „Corelli“ und der Fragen, die damit im Zusammenhang stehen. Daher ist es richtig, dass wir diesen Untersuchungssauschuss hier in Nordrhein-Westfalen gemeinsam einrichten.

Ich möchte noch einmal auf die verschiedenen Themenschwerpunkte eingehen, die insbesondere aus grüner Sicht im Vordergrund stehen sollten.

Das ist natürlich der perfide Anschlag in der Probsteigasse im Jahr 2001. Da lauten Fragen, die wir haben, beispielsweise: Wieso fiel die Wahl genau auf dieses Lebensmittelgeschäft? Schließlich hat es von außen keinen erkennbaren migrantischen Bezug gegeben. Wer war eigentlich der Mann, der diese Bombe deponiert hat? Gibt das Hinweise auf ein mögliches Unterstützernetzwerk in Nordrhein-Westfalen? Ich glaube, das ist die Frage, die über allen Themenkomplexen steht.

Zweitens nenne ich den Anschlag in der Kölner Keupstraße. Vielen ist er im Gedächtnis, und in diesem Jahr haben wir den zehnten Jahrestag in der Keupstraße begangen. Auch hier sind Fragen offen geblieben, zum Beispiel: Warum wurde schwerpunktmäßig in Richtung organisierte Kriminalität im migrantischen Milieu ermittelt? Was mussten eigentlich die Opfer an ständigen Verdächtigungen und Verhören erleiden? Warum wurden das Dossier des Bundesamtes für Verfassungsschutz und auch die Hinweise der britischen Kriminalpolizei auf die sogenannten Copeland Bombings in London nicht wirklich in die Ermittlungen einbezogen? Oder wurden sie einbezogen?

Der Mord an Mehmet Kuba?ik am 4. April 2006 ist der dritte Komplex. Welche Rolle spielten eigentlich die Neonaziaktivisten vor Ort, zum Beispiel der Oidoxie Streetfighting Crew in Dortmund? Was ist dran an den Aussagen der Vertrauensperson „Heidi“ der Dortmunder Polizei?

Auch eine Frage ist: Wie gehen wir eigentlich mit Vertrauenspersonen bei der Polizei – und damit meine ich nicht nur V-Leute beim Verfassungsschutz – um?

Und woran ist der V-Mann „Corelli“ tatsächlich gestorben? Was hat die CD mit dem Kürzel „NSU/NSDAP“ zu bedeuten? Seit wann wussten die Behörden Bescheid?–  Ich glaube, das ist eine der dringendsten Fragen, die wir zu beantworten haben. Denn wenn es stimmt, dass diese CD schon 2005 zumindest im Bundesamt für Verfassungsschutz vorlag, ist damit die These widerlegt, dass die Sicherheitsbehörden erst seit 2011 den Begriff „NSU“ gehört haben. Insofern gehört diese Frage aufgeklärt.

Wie aktiv war Corelli in Nordrhein-Westfalen? Gibt es darüber auch wieder Hinweise auf ein Unterstützernetzwerk zu NRW?

Sie merken schon, das Unterstützernetzwerk wird uns begleiten über den ganzen Untersuchungsausschuss hinweg. Deshalb haben gerade wir Grüne auch gesagt: Wir wollen uns militante Strukturen in den 90er-Jahren hier in NRW angucken, weil wir glauben, dass darin auch ein möglicher Schlüssel zur Aufdeckung eines Unterstützungsnetzwerks liegt.

Aber auch die Aufklärung finde ich immens wichtig.

Ich denke auch, dass wir nach vorne gucken müssen. Was heißt das denn jetzt konkret für die Konsequenzen für die Sicherheitsbehörden, für Polizei, für Verfassungsschutz, aber auch für die Justizbehörden? Auch da müssen wir hinschauen. Was heißt das konkret für die Polizeiarbeit? Wie können wir Polizei da auch besser machen, und zwar so gestalten, dass auch ein möglicher rechtsextremistischer Hintergrund zukünftig ermittelt wird, dass das einbezogen wird und dass es eben nicht zu diesem Leid der Opfer kommen muss, dass die über Jahre hinweg verdächtigt werden? Wir wollen hier auch die Opferperspektive einbeziehen.

Ich meine aber auch, dass wir uns die Rechtsextremismusprävention angucken müssen. Ich bin froh darüber, dass das auch Eingang in den Einsetzungsbeschluss gefunden hat. Denn es geht nicht nur um Repression, sondern auch um die Frage: Was können wir im präventiven Bereich machen?

Ich kann mich den Vorrednern anschließen. Der große Wert des Bundestags-PUA lag darin, dass es eine große Gemeinsamkeit in der Arbeit gab. Diese Gemeinsamkeit und das gemeinsame Interesse daran, aufzuklären, habe ich – Herr Biesenbach, da kann ich Ihnen zustimmen – auch in der Vorbereitung hier so erlebt. Ich hoffe, dass wir das auch so durchtragen können in den nächsten zwei Jahren, dass wir gemeinsam aufklären. Wir werden sicherlich zum Teil auch zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Das ist auch in Ordnung. Aber wenn das gemeinsame Interesse besteht, aufzuklären, dann ist das sehr wertvoll für die Arbeit. Darauf setze ich. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Pressemitteilung: Aufarbeitung der NSU-Anschläge in NRW beginnt – Unsere Ziele

Vor der Sommerpause haben alle Fraktionen im Landtag beschlossen, einen NSU Untersuchungsausschuss einzurichten. Der Ausschuss soll noch in diesem Jahr mit seiner Aufklärungsarbeit beginnen und bis zum Ende der Legislaturperiode 2017 seine Ergebnisse in einem Abschlussbericht zusammentragen. Den Beschluss finden Sie/findest du hier. Aufzuklären gibt es viel.

Blick zurück: Das Bekanntwerden des NSU löste Bundesweit eine Schockwelle aus
Die Aufdeckung des NSU im Herbst 2011 versetzte das Land in einen Schock. Was bis dahin für unmöglich gehalten wurde, war real: Uber 13 Jahre konnte eine militant rechtsextremistische Terrorgruppe unentdeckt durch die Republik ziehen und dabei Menschen ermorden, Sprengsatze zünden sowie Banküberfalle verüben. Ein eklatantes Versagen der Sicherheits- und Justizbehörden trat zu Tage.

Was war geschehen: Im November 2011 wurden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard, die mutmaßlichen Täter eines bewaffneten Banküberfalls, in Eisenach in einem Wohnmobil tot aufgefunden. Noch am gleichen Tag ereignete sich eine Explosion in einem Mehrfamilienhaus in Zwickau. Die Explosion wurde absichtlich herbeigeführt. Die tatverdächtige Beate Zschäpe stellte sich wenige Tage später der Polizei. Im Bauschutt des Hauses in Zwickau wurde eine Pistole des Typs ?eska CZ 83, Kaliber 7,65 mm mit verlängertem Lauf sichergestellt. Es handelte sich um die Waffe, mit der die bis dahin ungeklärten neun Morde an Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund verübt worden waren. Daneben wurden mehrere DVD-Datenträger und Festplatten mit Videos gefunden. In den Videos bezeichnet sich eine Gruppierung unter dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) „als ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz ‚Taten statt Worte‘“. Mittels Ausschnitten von Fernsehberichten und Zeitungsartikeln werden unter anderem die neun Morde an den türkisch-, kurdisch- und griechischstämmigen Geschäftsleuten sowie die zwei Sprengstoffanschlage in Köln in menschenverachtender Weise dargestellt.

Welche Schwerpunkte will die Grüne Fraktion im Untersuchungsausschuss setzen?
Wir GRÜNE stehen für eine umfassende Aufklärung des Behördenversagens der NSU?Morde und haben daher im Bundestag für die Einrichtung des Untersuchungsausschuss gesorgt. Auch in Nordrhein?Westfalen hat es Fehler der Sicherheitsbehörden gegeben. Deshalb werden wir den Untersuchungsausschuss nutzen, um zur weiteren Aufklärung der NRW?Fälle beizutragen.

Im Mittelpunkt des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des NSU?Terrors in Nordrhein?Westfalen stehen folgende Tatkomplexe:
1. Anschlag in der Probsteigasse am 21. Dezember 2000 / 19. Januar 2001 
2. Anschlag in der Keupstraße am 09. Juni 2004 
3. Mord an Mehmet Kuba?ik am 04. April 2006 
4. Tod und Rolle des V?Mannes Corelli des Bundesamtes für Verfassungsschutz 

Die herausgehobene und bisher unbeantwortete Frage bei den beiden Anschlägen in Köln wie auch dem Mord in Dortmund ist, ob der NSU durch Einzelpersonen oder einem Netzwerk in Nordrhein?Westfalen unterstützt wurde. Um ein mögliches Unterstützernetzwerk aufzudecken, muss sich der Untersuchungsausschuss mit den zentralen Akteuren und Netzwerken der rechtsextremistischen Szene im Zusammenhang mit dem NSU ab den 1990er Jahren beschäftigen. Dazu gehören insbesondere die Fragen, welche organisatorischen Netzwerke ins benachbarte Ausland und nach Ostdeutschland und welche Strategien und Vorbereitungen zur Durchsetzung ideologischer Ziele mittels Gewalt sich in Nordrhein?Westfalen herausgebildet haben sowie zu welchen Gewaltanwendungen es durch rechtsextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen gekommen ist.

Als Beginn des Untersuchungszeitraumes ist der Oktober 1991 vorgesehen. In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1991 verübten Rechtsextreme einen Anschlag auf ein Haus in Hünxe, in dem rund 50 Flüchtlinge untergebracht waren. Dabei wurden zwei Mädchen im Alter von sechs und sieben Jahren schwer verletzt. Die rechtsextremen Täter waren zwischen 18 und 19 Jahre alt und kamen aus Hünxe. Auch der NSU?Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat festgestellt, dass die rassistische Stimmungslage in der Gesellschaft zu Beginn der 1990er Jahre zu einer Radikalisierung der rechtsextremistischen Szene in Thüringen und im Umfeld des NSU geführt hat. Für die rechtsextremistische Szene in Nordrhein?Westfalen kann der Anschlag in Hünxe als ein herausgehobenes Ereignis zur weiteren Radikalisierung benannt werden und wird deshalb als Untersuchungsbeginn dienen.

Die Mord? und Anschlagsserie des NSU hat ein eklatantes strukturelles Versagen der Sicherheitsbehörden offenbart. In Nordrhein?Westfalen wurden bereits erste Konsequenzen gezogen, dazu gehört die Verfassungsschutzreform, mit der u.a. öffentliche PKG?Sitzungen und gesetzliche Regelungen zum Einsatz von V?Personen beschlossen wurden.

Ähnlich wie in Berlin müssen Schlussfolgerungen für Struktur, Befugnisse und Qualifizierung aller nordrhein?westfälischen Sicherheits? und Justizbehörden sowie Maßnahmen zur Rechtsextremismus?Prävention erarbeitet werden. Dabei wollen wir GRÜNE die bereits umgesetzten Maßnahmen bewerten, Vorschläge zur Umsetzung der Schlussfolgerungen des Deutschen Bundestages auf der Landesebene machen sowie eigene Handlungsempfehlungen erarbeiten.

Die Stärke des Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag lag darin, dass alle Fraktionen gemeinsam an der Aufklärung und der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen gearbeitet haben. Auf diese Gemeinsamkeit setzen wir auch im nordrhein?westfälischen Landtag.

Was sind die Schlussfolgerungen des NSU Untersuchungsausschusses im Bundestag?
Der Untersuchungsausschuss stellte in seinen Schlussfolgerungen fest, dass die Ausschussmitglieder über viele Fragen, insbesondere zum Verfassungsschutz oder zum Einsatz von V-Personen, unterschiedlicher Auffassung sind. Gleichwohl kamen die Ausschussmitglieder überein, dass eine Reihe von Korrekturen und Reformen dringend geboten sind. Zu folgenden Bereichen gibt der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses insgesamt 47 gemeinsame Empfehlungen:
1. Empfehlungen für den Bereich der Polizei;
2. Empfehlungen für den Bereich der Justiz;
3. Empfehlungen für den Bereich der Verfassungsschutzbehörden;
4. Empfehlungen für den Bereich Vertrauensleute der Sicherheitsbehörden.

Darüber hinaus sprach sich der Untersuchungsausschuss mit Nachdruck für eine Neuordnung der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus aus, die für Verlässlichkeit sorgt und Planungssicherheit bietet. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags findet sich hier.

Die Fälle aus Nordrhein?Westfalen finden sich auf den Seiten: Sprengfallenanschlag Probsteigasse/Köln, Seite 663 – 669; Nagelbombenanschlag Keupstraße/Köln, Seite 670 – 713; Mord an Mehmet Kuba??k/Dortmund, Seite 494 – 495.

Pressemitteilung: Grüne für Aufklärung weiterer Fragen zum NSU und Rechtsextremismus in NRW

Zur Diskussion über einen NSU-Untersuchungsausschuss in NRW erklärt Verena Schäffer, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin der GRÜNEN Fraktion im Landtag NRW:

„Wir Grüne stehen für eine umfassende Aufklärung des Behördenversagens der NSU-Morde und haben daher im Bundestag für die Einrichtung des Untersuchungsausschuss gesorgt. Auch in Nordrhein-Westfalen hat es Fehler der Sicherheitsbehörden gegeben. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss in Berlin hat auch diese Fälle aufgearbeitet. Klar ist nach dem Abschlussbericht: Es sind Fragen ungeklärt geblieben. Deshalb werden wir einen Untersuchungsausschuss nutzen, um zur weiteren Aufklärung der NRW-Fälle beizutragen.

Mit der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses darf es jedoch keine alleinige Schwerpunktsetzung auf den Anschlag in der Keupstraße geben. Wir müssen uns auch dem Anschlag in der Kölner Probsteigasse im Jahr 2001 sowie die Fehler der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung des Mords an Mehmet Kubasik im Jahr 2006 intensiv widmen. Dazu gehört insbesondere die Frage nach einem möglichen Unterstützernetzwerk des NSU in Dortmund.

Wir Grüne wollen mit einem Untersuchungsausschuss außerdem weiter gehen und uns neben dem NSU-Terror auch mit den besorgniserregenden Entwicklungen der rechtsextremistischen Szene in Nordrhein-Westfalen insgesamt auseinandersetzen. In den letzten Jahren hat es eine Zunahme der rechtsextremistischen Gewalt gegeben. Die Gewaltdelikte befinden sich auf einem Höchststand seit 1994. Erschreckende Ereignisse in den letzten Tagen waren der Überfall von Rechtsextremen auf das Dortmunder Rathaus sowie der Überfall von Neonazis auf eine Gruppe Studierender in Siegen.

Auf Grundlage des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses in Berlin können und müssen wir jedoch schon jetzt Konsequenzen für die Sicherheitsbehörden ziehen, denn diese Mordserie hat ein eklatantes strukturelles Versagen unserer Sicherheitsbehörden offenbart. In Nordrhein-Westfalen wird daher derzeit ein Handlungskonzept gegen Rassismus und Rechtsextremismus erarbeitet. Mit der bereits abgeschlossenen Verfassungsschutzreform mit öffentlichen PKG-Sitzungen und gesetzlichen Regelungen zum Einsatz von V-Leuten sowie der Schwerpunktsetzung der Polizeiarbeit bei der Aus- und Fortbildung und Bekämpfung rechter Straftaten haben wir wichtige neue Weichen gestellt. Aus unserer Sicht muss die Umsetzung von Konsequenzen auch im Mittelpunkt eines Untersuchungsausschusses stehen. Sowohl bei der Aufklärung als auch bei den Konsequenzen fordern wir alle Fraktionen auf, konstruktiv mitzuarbeiten.“

Meine Rede zur Schwerpunktsetzung bei der Polizeiarbeit

Text und Video meiner Rede zur Großen Anfrage der CDU zur Situation der Polizei und Kriminalitätsbekämpfung in Nordrhein-Westfalen/ Drucksache 16/2248 /Antwort der Landesregierung  Drucksache 16/4253.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Kruse, ich erkenne durchaus an, dass Sie sich mit dieser Großen Anfrage viel Mühe gegeben haben. Schließlich formuliert man 113 Fragen nicht einfach so nebenbei. Aber trotzdem sei die Frage erlaubt: Was hat uns diese Große Anfrage – bis auf eine Menge Arbeit für das Innenministerium – eigentlich gebracht? Ich meine, dass der Erkenntnisgewinn aus dieser Großen Anfrage relativ dünn ist, und das hat offensichtlich auch die Presse nach Ihrer Pressekonferenz so gesehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Überhaupt nicht nachvollziehen kann ich Ihre Vorbemerkung und Ihr Pressestatement, dass den Kreispolizeibehörden aufgrund falscher Schwerpunktbildung seitens der Landesregierung Polizeikräfte genommen würden. Ja, es stimmt: Es gibt das System der belastungsbezogenen Kräfteverteilung, wonach die einzelnen Polizeikräfte auf die Polizeibehörden verteilt werden, und es gibt einen Vorwegabzug für die drei Landesoberbehörden LKA, LZPD und LAFP. Es stimmt auch, dass gerade auf kommunaler Ebene die Kreispolizeibehörden immer wieder daran Kritik üben.

Es gibt allerdings – und diesen vernehme ich auch nicht von Ihnen – keinen Alternativvorschlag, der beschreibt, wie man das ändern könnte. Insofern ist Ihre Kritik an der Verteilung, aber auch an der Schwerpunktsetzung, reiner Klamauk, populistisch und inakzeptabel. Das kann ich auch an Beispielen festmachen.

Punkt 1: Sie kritisieren hier die Schwerpunktsetzung auf den Bereich der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Ich möchte noch einmal an die Debatte vor zwei Jahren erinnern, die wir kurz nach der Aufdeckung des NSU führten. Damals haben wir alle gesagt, dass dies ein Schwerpunkt der politischen Arbeit insbesondere der Sicherheitsbehörden, aber auch im Präventionsbereich sein muss. Denn es gibt in NRW Schwerpunkte von rechtsextremen Strukturen insbesondere in Dortmund, in Wuppertal und im Raum Aachen. Daher finde ich es richtig, dass die Polizei einen Schwerpunkt auf diesen Bereich setzt, dass sie Druck auf die Szene ausübt und dass Straftaten entsprechend verfolgt werden.

Jeden zweiten Tag wird in Nordrhein-Westfalen ein Mensch Opfer von rechter Gewalt. Diesen Menschen müssen Sie einmal erklären, dass hier ein falscher Schwerpunkt seitens der Polizei gesetzt wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Punkt 2: Sie kritisieren, dass es eine falsche Schwerpunktsetzung auf den Bereich des islamistischen Terrorismus geben würde. Dabei sind Sie es doch, die immer sagen, dass wir in diesem Bereich mehr Repression brauchen. Sie äußern sich also widersprüchlich. Ich meine, dass wir beides brauchen, also Repression und Prävention. Aber auf jeden Fall – und ich glaube, da sind wir uns einig – haben wir es hier mit einer ernstzunehmenden Bedrohungslage für die innere Sicherheit zu tun. Ich frage mich wirklich, ob Sie allen Ernstes behaupten wollen, hier sei ein falscher Schwerpunkt gesetzt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Punkt 3, den ich ansprechen möchte, ist das Themenfeld „Cybercrime“. Seit einiger Zeit ist ein entsprechendes Kompetenzzentrum beim Landeskriminalamt angesiedelt, weil die Internetkriminalität stetig wächst. Angesichts der verschiedenen Delikte und der Komplexität im Bereich „Cybercrime“ brauchen wir beim LKA Expertinnen und Experten sowie eine Verstärkung der Verankerung des Themas in der Aus- und Fortbildung. Hier wird bereits ein richtiger Schwerpunkt gesetzt.

In Ihrer Anfrage – das finde ich interessant – streifen Sie diesen Punkt „Cybercrime“ nur am Rande. Er wird gar nicht richtig behandelt. Vielleicht ist dies auch ein Ausdruck dafür, dass Sie die Partei sind, für die das Internet nach wie vor Neuland ist.

(Daniel Sieveke [CDU]: Neuland?)

Daher verwundert es mich auch nicht wirklich, dass dieses Thema in Ihrer Anfrage nicht vorkommt.

(Beifall von den GRÜNEN – Daniel Sieveke [CDU]: Das haben Ihre Abstimmungsergebnisse gezeigt!)

– Meinen Sie die Umfrage zu den Spitzenkandidaten, oder worauf bezieht sich Ihre Anspielung? – Ja, aber immerhin sind wir eine Partei, die auch neue Wege geht,

(Daniel Sieveke [CDU]: Neue Wege? Aha!)

ausprobiert und die Menschen zum Mitmachen anregt. Insofern passt der Zuruf nicht richtig.

Das Thema „Cybercrime“ spielt bei der CDU offensichtlich keine Rolle.

(Daniel Sieveke [CDU]: Gibt es auch einen deutschen Begriff dafür?)

Sie sprechen nur über Wohnungseinbrüche, über Diebstähle. Das ist in Ordnung, aber wir müssen auch darüber reden, was im Internet passiert und welche Delikte dort begangen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will aber noch etwas zum Thema „Wohnungseinbruchskriminalität“ sagen. Das ist ja ein Punkt, auf den Sie immer herumreiten. Es stimmt, wir haben hier einen Anstieg der Kriminalität. Bundesweit ist sie um 8,7 %, in Nordrhein-Westfalen übrigens nur um 7,5 % angestiegen. Nichtsdestotrotz erkenne ich an: Wir haben hier ein Problem.

Auf eine interessante Entwicklung, die ersichtlich wird, wenn man sich die Kriminalstatistik anschaut, möchte ich dann doch noch hinweisen: Nicht jeder Wohnungseinbruch kann erfolgreich durchgeführt werden. Ungefähr 40 % der Wohnungseinbrüche sind nicht erfolgreich, sondern scheitern, weil zum Beispiel Fenster und Türen gesichert sind, weil die Nachbarschaft darauf aufmerksam wird und die Polizei ruft.

Trotzdem zu sagen, dass Präventionskampagnen wie „Riegel vor!“ nicht funktionieren, finde ich populistisch. Ich finde, die Zahlen sind ein Ausweis dafür, dass Präventionskampagnen sehr wohl funktionieren können. In dem Zusammenhang dann auch noch von Personalverschwendung zu sprechen, finde ich wirklich völlig daneben.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Es wird auch nicht denjenigen Polizistinnen und Polizisten gerecht, die vor Ort aufklären und beraten, wenn es darum geht, Wohnungen und Häuser zu sichern. Ich finde, die Zahlen geben uns da durchaus recht.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

– Wissen Sie, Herr Sieveke, Sie können hier hereinrufen, wie Sie wollen. Sie machen aber keine Verbesserungsvorschläge! Man kann so viel kritisieren, wie man will,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

aber dann muss man auch konstruktive Vorschläge machen.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Und genau das, Herr Sieveke, tun Sie nicht. Aber das erwarte ich von Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN – Daniel Sieveke [CDU]: Sie haben nur ein Thema! – Sigrid Beer [GRÜNE]: Reden Sie doch von vorn, oder machen Sie eine Kurzintervention!)

Pressemitteilung: Erste öffentliche Sitzung schafft mehr Transparenz beim Verfassungsschutz

Morgen wird das Parlamentarische Kontrollgremium erstmals öffentlich tagen (Beginn: 10.00 Uhr). Dazu erklärt Verena Schäffer, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Innenpolitik der GRÜNEN Fraktion im Landtag NRW:

„Diese erste öffentliche Sitzung wird durch das neue Verfassungsschutz-Gesetz ermöglicht. Dadurch wird die Arbeit des Verfassungsschutzes transparenter. Durch die Öffentlichkeit schaffen wir zudem eine zusätzliche Kontrollfunktion. Das ist ein wichtiger Schritt, um verloren gegangenes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden nach den NSU-Morden wiederherzustellen. Themen der Sitzung werden der Verfassungsschutzbericht 2012 und die aktuelle Sicherheitslage, Wirtschaftsspionage und islamistische Bedrohungsvideos sein.

Die öffentliche Sitzung ersetzt nicht, wie von der Opposition behauptet, die Diskussionen im Innenausschuss. Schon heute behandelt das Parlamentarische Kontrollgremium viele Inhalte, die ohne Sicherheitsbedenken öffentlich gemacht werden können. Zudem bietet es die Möglichkeit, sich intensiver als bisher mit verfassungsfeindlichen Entwicklungen auseinanderzusetzen.“