„Sie erkennen meines Erachtens nicht die Gefahr, die von Verschwörungsmythen ausgeht“
Rede zum Antrag der SPD-Fraktion gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus
Der grüne Entschließungsantrag
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Magazin der Süddeutschen Zeitung trägt heute den Titel: „Narben der Gesellschaft. Acht Überlebende rechtsextremer Gewalt in Deutschland erzählen“.
Im Magazin der Süddeutschen Zeitung von heute kommen Opfer der rechtsextremen und rechtsterroristischen Anschläge von Mölln 1992, München 2016, Halle 2019 – dieser Anschlag jährt sich morgen übrigens zum zweiten Mal – und Hanau 2020 ebenso wie Opfer rechtsextremer Attentate zu Wort.
Besonders berührt haben mich die Worte von Muhammed Bah, der im Februar 2016 in Bayern von einem Rechtextremen angegriffen und verletzt wurde.
In der Süddeutschen Zeitung sagt er heute – Zitat –:
„Das Leben könnte gut sein, wäre ich nicht täglich mit Rassismus konfrontiert. Die Leute glotzen, sie sagen das N-Wort zu mir, aber am meisten sorge ich mich um unsere Tochter. Wie soll ich sie als Vater jemals vor diesem Hass beschützen?“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus geht die größte Gefahr aus, auch in Nordrhein-Westfalen. Der Amadeu Antonio Stiftung zufolge sind seit 1990 mindestens 228 Menschen aufgrund rechtsextremer Gewalt in Deutschland gestorben, 32 von ihnen in Nordrhein-Westfalen.
Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und andere menschenverachtende Einstellungen brauchen wir Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen: Opferschutz, Antidiskriminierungsmaßnahmen, Prävention und natürlich Strafverfolgung, Gefahrenanalyse, Aussteigerberatung. Vor allem geht es aber nur gemeinsam mit der demokratischen Zivilgesellschaft.
In den letzten Jahren ist in Nordrhein-Westfalen einiges passiert und auf den Weg gebracht worden. Noch unter Rot-Grün haben wir die spezialisierten Opferberatungsstellen auf den Weg gebracht. Wir haben die Beratungsinfrastruktur deutlich gestärkt. Wir haben das integrierte Handlungskonzept beschlossen. Wir haben das Förderprogramm „NRWeltoffen“ aufgelegt. Wir haben nach dem Bekanntwerden des NSU den Verfassungsschutz neu aufgestellt. Und wir haben auch die Bekämpfung des Rechtsextremismus durch die Polizei gestärkt.
CDU und FDP haben daran angeknüpft. Sie haben kürzlich erst das Integrierte Handlungskonzept entfristet. Das ist gut. Gemeinsam haben wir für die Einrichtung der Stelle der Antisemitismusbeauftragten gesorgt.
Zwar haben wir in den letzten Jahren viel getan und viel auf den Weg gebracht, aber das ist nicht genug. Der Hass im Internet wächst und bedroht auch in unserer analogen Welt ganz real unsere Sicherheit. Diskriminierung und Ausgrenzung sind für Angehörige marginalisierter Gruppen tägliche Begleiter.
Dem müssen wir uns als Mehrheitsgesellschaft stellen. Wir als Mehrheitsgesellschaft, der die meisten von uns hier auch angehören, sind für den Schutz der gesamten Gesellschaft verantwortlich. Ich finde, eine Demokratie muss sich auch daran messen lassen, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht und ob sie für deren Schutz sorgt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Dr. Ralf Nolten [CDU])
Sowohl die SPD als auch wir Grüne haben nach den Anschlägen von Halle und Hanau Anträge mit vielen Vorschlägen vorgelegt, wie wir Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus entgegentreten wollen. Ich finde es sehr schade, dass wir es nicht geschafft haben, heute einen gemeinsamen Antrag – einen gemeinsamen Antrag der demokratischen Fraktionen – vorzulegen und auch zu beschließen. Die Gespräche mit CDU und FDP sind leider gescheitert. Offenbar war es nicht gewünscht, dass wir einen gemeinsamen Antrag zur Abstimmung stellen. Ich finde das sehr bedauerlich.
Zu dem SPD-Antrag will ich nur kurz sagen, dass wir uns dazu enthalten werden, weil wir die Forderung ablehnen, die „Wegweiser“-Beratungsstellen auf alle Phänomenbereiche auszuweiten. Ich finde das fachlich nicht richtig und lehne es ab.
Den Antrag von CDU und FDP werden wir gleich ablehnen. Ich erkenne durchaus an – das will ich so deutlich sagen –, dass es bei Ihnen an vielen Stellen eine inhaltliche Weiterentwicklung gibt und dass Sie auch Forderungen von uns aufgreifen. Ich finde aber auch, dass der Antrag an vielen Stellen zu kurz greift.
Hier möchte ich das Thema „Opferschutz“ herausgreifen. Frau Freimuth hat es eben angesprochen und auf das Opferschutzportal verwiesen. Ich habe in diversen Sitzungen und erst kürzlich im Hauptausschuss gesagt, dass in diesem Opferschutzportal immer noch nicht die spezialisierten Opferberatungsstellen aufgeführt werden. Man hat das immer noch nicht geschafft. Ich frage mich, wie Sie das allen Ernstes in diesen Antrag schreiben können, wenn noch nicht einmal die Beratungsstellen zu dem Thema in diesem Portal vertreten sind.
(Beifall von den GRÜNEN und Regina Kopp-Herr [SPD)
Sie sagen, Sie wollen die Bedarfe für die Beratungsstrukturen prüfen. Dazu muss ich ehrlich sagen: Das muss nicht mehr geprüft werden. Wir wissen, dass es diese Bedarfe gibt, dass es sehr viele Anfragen gibt und dass wir eine stärkere Förderung brauchen. Das müssten wir mit dem nächsten Haushalt beschließen. Sie müssten die Mittel dafür einstellen und nicht mehr prüfen.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Verena Schäffer (GRÜNE): Dass Sie in einem erst wenige Wochen alten Antrag das Thema „Verschwörungsmythen“ und die Gefahr durch Verschwörungsmythen mit keinem Wort erwähnen, ist eine Leerstelle in diesem Text. Das greift viel zu kurz.
(Sven Wolf [SPD]: Wobei der Verfassungsschutz den Bereich ausdrücklich nennt!)
Sie erkennen meines Erachtens nicht die Gefahr, die von Verschwörungsmythen ausgeht.
Ich möchte eines ganz deutlich sagen: Ich bin froh …
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Verena Schäffer (GRÜNE): Das sind meine letzten beiden Sätze. – Auch wenn wir heute keinen gemeinsamen Antrag beschließen können, bin ich wirklich froh, dass die demokratischen Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus, gegen menschenverachtende Einstellungen zusammenstehen. Lassen Sie uns bitte daran in der Zukunft anknüpfen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)