Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind erschüttert über den Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen. Dieser Anschlag zeigt noch einmal auf sehr erschreckende Weise, dass Jugendliche hier in Nordrhein-Westfalen in der Lage sind, Anschläge zu planen, Bomben zu basteln und auch tatsächlich Anschläge durchzuführen. Dazu gehört ja einiges. Es ist aber offensichtlich hier passiert.

Dieser Anschlag auf den Sikh-Tempel war ein Anschlag auf die Religionsfreiheit und damit auf ein zentrales Grund- und Menschenrecht hier in Deutschland.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist eine erschreckende Erkenntnis, die uns wachrütteln und auch dazu führen muss, unsere Anstrengungen, die wir ja ohnehin schon vornehmen, weiter zu intensivieren.

Dazu will ich noch einmal, Herr Sieveke – weil Sie hier immer von Nordrhein-Westfalen und den Zahlen sprechen –, das unterstützen, was der Kollege Körfges gerade schon sagte. Ja, wir haben hier eine besorgniserregende Entwicklung, gerade was die Radikalisierung von Jugendlichen angeht – insbesondere auch von jungen Frauen bzw. Mädchen. Diese jungen Menschen gehen in die salafistische Szene, planen zum Teil auch Ausreisen und führen diese durch. Das ist aber eine bundesweite bzw. europaweite Entwicklung. Das nicht zu betrachten, ist, ehrlich gesagt, Herr Sieveke, schon ziemlich verkürzt und auch unterkomplex.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sollten aber, wenn wir gerade im Bereich Verfassungsschutzgesetzänderungen – die ja nicht nur auf salafistische Jugendliche zutreffen würden, sondern auch auf viele andere Phänomenbereiche – über die Radikalisierung von Minderjährigen sprechen, feststellen, dass wir eine Radikalisierung nicht nur im Salafismus wahrnehmen, sondern auch bei Jugendlichen zum Beispiel im Rechtsextremismus. Wir haben also eine besorgniserregende Entwicklung in beiden Phänomenbereichen.

Deshalb sage ich auch: Es ist folgerichtig, darüber nachzudenken, ob wir diese Regelungen im Verfassungsschutzgesetz NRW anpassen und die Alterssenkung auf 14 Jahre vornehmen sollen, weil der Bund und alle anderen Länder außer NRW und Mecklenburg-Vorpommern bereits unter strengen Voraussetzungen erlauben, dass personenbezogene Daten von Minderjährigen gespeichert werden dürfen. Da Nordrhein-Westfalen im Verfassungsschutzverbund auf diese Daten bereits zugreifen darf, ist es aus meiner Sicht auch folgerichtig, darüber nachzudenken. Die Landesregierung hat ja bereits einen Gesetzentwurf angekündigt, mit dem das durchgeführt werden kann. Dafür brauchen wir also nicht den CDU?Antrag. Für uns ist aber klar – da will ich mich an das anschließen, was Herr Körfges gesagt hat –, dass wir das nur unter engen Voraussetzungen – das gilt auch für die Löschfristen – machen können.

Sie wollen nach Ihrem Gesetzentwurf – wenn ich den richtig gelesen habe; er lehnt sich an die Regelungen im Entwurf des Bundesverfassungsschutzgesetzes an – auch eine Speicherung von Daten für unter 14-jährige – also für Kinder – zulassen.

Da muss ich für uns als Grüne klar sagen, dass wir das nicht mittragen werden, sondern wir uns ganz klar dafür aussprechen, wenn eine Speicherung einer Altersabsenkung, dann eben nur ab 14 Jahren und nicht darunter.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will auch noch einmal einen anderen Aspekt mit in die Debatte bringen, und zwar bezeichnet sich der Verfassungsschutz selbst auch immer als Frühwarnsystem. Ich habe gerade noch einmal auf der Seite vom Bundesinnenministerium nachgeschaut. Auch da wird der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem betitelt und beschrieben. Als Frühwarnsystem gerade im Bereich von Minderjährigen, von Jugendlichen ist es für uns wichtig, dass wir hier die Jugendhilfe, die Jugendarbeit, die Schulen und die Eltern brauchen. Und die müssen wir in diesem Themenfeld stärken, für die brauchen wir Ansprechpartner, für die brauchen wir Fachkräfte, die informiert sind, die helfen können.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Deshalb ist es richtig und auch wichtig, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen mit dem Programm „Wegweiser“ schon ein Netzwerk an Ansprechpartnern haben, wenn Jugendliche sich radikalisieren und sich das Umfeld an Fachkräfte wenden will. Deshalb ist „Wegweiser“ ein richtiger Ansatz, den wir hier in Nordrhein-Westfalen schon ausgebaut haben. Daher ist es auch richtig, dass wir schon vor einem Jahr über ein Handlungskonzept der Landesregierung diskutiert haben, dass wir ein integriertes, ein vernetztes Handlungskonzept aller Bereiche brauchen, um eben diesen Aspekt der Prävention, der Stärkung der Jugendarbeit, der Schulen voranzutreiben. Dieses Handlungskonzept brauchen wir – das haben wir hier explizit eingebracht –, und zwar nicht nur im Bereich der Prävention, sondern zum Beispiel auch im Bereich der Forschung, um an die Ursachen heranzukommen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Sieveke?

Daniel Sieveke (CDU): Vielen Dank, Frau Schäffer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben eben in Ihren Ausführungen gesagt, die Landesregierung hat ein Gesetz angekündigt, und deswegen bedarf es nicht eines Antrags der CDU. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die CDU einen Gesetzentwurf vorgestellt hat, der schon vorliegt, und die Landesregierung danach etwas ankündigt? Nehmen Sie das zur Kenntnis?

(Zuruf von Dirk Schatz [PIRATEN] – Dietmar Bell [SPD]: Das ist eine intelligente Frage!)

Verena Schäffer (GRÜNE): Ja, Sie haben hier gerade einen Gesetzentwurf eingebracht. Das stimmt.

(Daniel Sieveke [CDU]: Was heißt denn das?)

Wir brauchen Ihren Gesetzentwurf aber ganz bestimmt nicht, um bei uns die Diskussionen zu führen. Im Übrigen ist es so, dass wir, wenn wir über den Verfassungsschutz und über mögliche Änderungen reden, wir auch noch einmal überlegen sollten, in welchen anderen Punkten Änderungen beim Verfassungsschutzgesetz notwendig wären. Es gibt verschiedene Urteile, zum Beispiel zur Anti-Terror-Datei, zum Ramelow-Urteil. Das sind Punkte, die wir in unser Verfassungsschutzgesetz auch noch einbauen müssten. Die Punkte haben Sie in Ihrem Entwurf gar nicht berücksichtigt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Entwurf – das habe ich hier gerade noch einmal gesagt – geht viel weiter als das, was wir wollen. Sie wollen eine Speicherung auch für unter 14-Jährige ermöglichen. Da sage ich ganz klar im Interesse von Kindern und Jugendlichen. Um deren besonderem Schutz Rechnung zu tragen, werden wir das so nicht mittragen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen einen eigenen Gesetzentwurf, um diese Altersabsenkung vorzunehmen. Wir werden Ihren Entwurf natürlich auch im Innenausschuss beraten, aber wie gesagt, im Detail sind wir da unterschiedlicher Meinung. Insofern ist Ihr Gesetzentwurf nicht so, dass wir ihn so mittragen können.

Ich will noch etwas zum Thema Prävention etwas sagen, weil ich es wirklich wichtig finde. Wenn wir darüber reden, wie wir wirksam salafistischem Zulauf und auch der Ausreise von Menschen im Salafismus nach Syrien und in andere Länder unterbinden wollen, dann brauchen wir eine Doppelstrategie aus Repression auf der einen Seite und aus Prävention auf der anderen Seite. Allein mit der Möglichkeit, dass man Daten über 14- und 15-Jährige speichern kann, werden sie keine Ausreisen verhindern können, sondern da brauchen wir eine Doppelstrategie. Daran arbeiten wir. Ich lade ganz herzlich die Opposition dazu ein, mit uns gemeinsam daran zu arbeiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)