Entwurf der „AfD“-Fraktion zum Landeswahlgesetz – zweite Lesung

“Bei noch kleineren Fraktionen ist es irgendwann nicht mehr leistbar”

Entwurf der „AfD“-Fraktion zum Landeswahlgesetz – zweite Lesung

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, ich finde, wir müssen über das Thema „Wahlrechtsreform“ diskutieren. Ich hatte dazu Ende letzten Jahres bzw. Anfang dieses Jahres ein Gutachten beim parlamentarischen Gutachterdienst in Auftrag gegeben und habe noch einmal nachrechnen lassen, was die damals aktuellen Prognosen für die Größe des Parlaments bedeuten würden.

Zumindest zum damaligen Zeitpunkt hätte es bedeutet, dass das Parlament hier massiv anwachsen würde. Im Frühjahr dieses Jahres hatten wir Prognosen, die wir umgerechnet haben auf die Mandatszahl hier im Landtag. Es gab Prognosen, wonach der Landtag vielleicht sogar auf 300 Abgeordnete anwachsen würde.

Herr Bovermann hat recht: Momentan sehen die Prognosen ein bisschen anders aus. Das ist alles, wie wir wissen, sehr volatil, wie man sagt – mal sehen, wie wir dann im Mai 2022 tatsächlich hier sitzen und wie viele Abgeordnete dem Landtag angehören werden. Aber es ist definitiv so, dass wir über das Thema „Wahlrechtsreform“ sprechen müssen. Diese Notwendigkeit sehe ich.

Ich finde aber den Gesetzentwurf der AfD-Fraktion inhaltlich nicht richtig. Ich finde ihn nicht gut, weil Sie im Endeffekt sagen, dass Sie die Anzahl der gesetzlich vorgesehenen Abgeordneten drastisch reduzieren wollen und das Verhältnis zwischen Direktmandaten und Listenmandaten halbe-halbe sein soll.

Ich glaube, dass wir bei der Anzahl von 181 Abgeordneten, die so im Gesetz vorgesehen sind, bleiben sollten. Ich sage das auch als Vertreterin einer kleinen Fraktion, weil wir ja auch die Arbeitsfähigkeit der Fraktionen gewährleisten müssen.

Ich kann Ihnen sagen, es ist heute schon mit nur 14 Abgeordneten heftig, alle Ausschüsse bedienen zu müssen und alle Themen zu bearbeiten. Ich glaube, ich kann für uns sagen, dass wir das gut hinkriegen. Aber man muss auch an die Arbeitsfähigkeit der kleinen Fraktionen denken. Bei noch kleineren Fraktionen ist es irgendwann nicht mehr leistbar, diese Arbeit für die Menschen in Nordrhein-Westfalen zu gewährleisten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb meine ich, dass der Weg ein anderer Weg sein muss. Ich denke, wir sollten nicht an der Soll-Zahl der Abgeordneten drehen, sondern wir sollten an dem Verhältnis zwischen Direktmandaten und Listenmandaten arbeiten. – Herr Hovenjürgen nickt. Ich finde, das ist genau die Diskussion, die wir führen müssten. Ich habe die Zahlen gerade nicht ganz genau parat. Die Zahl von181 Abgeordneten steht im Gesetz. Ich glaube, wir haben 121 …

(Zuruf: 128 Wahlkreise!)

– Wir haben128 Wahlkreise. Man kann darüber reden, diese zu reduzieren, dass man das Verhältnis auf halbe-halbe festlegt, man könnte dann auch die Sollzahl ein wenig höher ansetzen. Das wäre die Diskussion. Auf jeden Fall geht es darum, dass man einen anderen Ausgleich zwischen den Überhang- und den Ausgleichsmandaten findet, damit sich das nachher im Parlament nicht so heftig niederschlägt. Das ist doch der Punkt, den wir erreichen müssen.

Meines Erachtens ist diese Diskussion notwendig. Ich hätte sie gerne schon mit den demokratischen Fraktionen in dieser Legislatur geführt, um das klar zu sagen. Wir Grüne haben die anderen Fraktionen angeschrieben, weil wir genau das in dieser Legislatur diskutieren wollen; denn allen muss klar sein: Wenn wir einmal einen Landtag haben, der sehr viel mehr Abgeordnete beherbergt, wird es umso schwieriger werden, über solche Reformen zu diskutieren, weil keiner gerne dafür sorgt, dass sein Wahlkreis und damit eventuell auch sein Mandat verschwindet. Dessen muss man sich bewusst sein. Das ist keine einfache Diskussion, aber wir müssen sie definitiv führen.

Den Gesetzentwurf der AfD-Fraktion finde ich, wie gesagt, falsch. Er macht aus meiner Sicht die Wahlkreise zu groß, er macht das Parlament zu klein. Damit wäre das Parlament auch nicht mehr arbeitsfähig. Die kleinen Fraktionen wären nicht mehr arbeitsfähig. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Aber wir lehnen ihn nicht nur deshalb ab; Sie wissen es, ich würde keinem AfD-Gesetzentwurf zustimmen. Aber ich habe auch sehr triftige inhaltliche Gründe, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN auf Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Hochwasserkatastrophe“

“Das sind wir den Opfern schuldig”

Zum Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN auf Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Hochwasserkatastrophe“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir hatten hier gestern Morgen eine sehr würdige Gedenkstunde für die Opfer der Flutkatastrophe. 49 Menschen haben allein in Nordrhein-Westfalen in dieser Hochwasserkatastrophe ihr Leben verloren. Es gibt außerdem viele verletzte Menschen, traumatisierte Menschen, die alles verloren haben, darunter Erinnerungsstücke, die durch die Fluten weggerissen und vernichtet wurden.

Wir alle wissen, dass uns der Wiederaufbau noch viele, viele Jahre hier in Nordrhein-Westfalen beschäftigen wird. Ich denke, es ist auch klar – und so haben wir das hier immer gemeinsam diskutiert –, dass es jetzt um schnelle Hilfen für die Betroffenen gehen muss.

Aber auch die Aufarbeitung ist wichtig; ich finde, das sind wir den Opfern schuldig. Es ist auch wichtig, um offene Fragen aufzuarbeiten und aus den Antworten Konsequenzen ziehen zu können.

Unsere Aufgabe als Abgeordnete, als Parlament ist es, Gesetze zu verabschieden. Unsere Aufgabe ist es aber auch, die Landesregierung zu kontrollieren. Wann, wenn nicht jetzt – nach einer Katastrophe mit 49 Toten und mit der Fragestellung, wie die Landesbehörden konkret vor, während und nach dieser Katastrophe gehandelt haben – sollten wir als Parlament das Instrument eines Untersuchungssauschusses nutzen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wann hat wer welche Unwetterwarnung erhalten, und warum hat die Landesregierung sie nicht entsprechend eingeordnet? Welche Unterstützung haben die Kreise und die kreisfreien Städte als untere Katastrophenschutzbehörden vom Innenministerium und den Bezirksregierungen erhalten? Warum hat das Innenministerium die Bezirksregierungen erst am 15. Juli um 1:20 Uhr nachts angeordnet, ihr Krisenmanagement bis morgens um 7 Uhr hochzufahren? Warum gab es keine entsprechende Kommunikation? Warum wurden die anderen Kommunen nicht von der Landesregierung gewarnt, als in einigen Städten das Wasser bereits über die Ufer getreten ist? Welche Rolle hätte das Land hier einnehmen müssen?

Das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die nach wie vor nicht aufgeklärt sind. Meine Fraktion und auch die SPD halten deshalb einen Untersuchungsausschuss für unverzichtbar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Gestern hieß es in der Debatte, wir wollten im Untersuchungsausschuss jeden Landrat, jeden Bürgermeister sowie alle Einsatzkräfte vorladen und vernehmen. Das ist schlichtweg falsch, und das wissen Sie auch; das ist Stimmungsmache.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir wollen die Arbeit der Landesbehörden untersuchen; genauso steht es auch im Einsetzungsantrag. Dazu gehört selbstverständlich auch die Kommunikation der Landesbehörden in Richtung Kommunen. Klar ist aber: Wir werden nicht jeden Landrat und jeden Bürgermeister vernehmen wollen.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Hätten Sie den Antrag gelesen, wüssten Sie das auch.

Dann kam der Vorwurf, wir würden uns verweigern, parallel Konsequenzen zu ziehen. Ich will klar dagegen sprechen: Sie wissen, dass wir im Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch gerade aufarbeiten und gleichzeitig schon Konsequenzen gezogen worden sind; beides schließt sich nicht aus. Ich will noch einmal deutlich sagen: Wir stehen gerne zur Verfügung, um konstruktiv an Konsequenzen zu arbeiten.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ja!)

Es war übrigens der Minister, der uns gestern jegliche Antwort schuldig blieb, was denn aus seiner Sicht Konsequenzen sein könnten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will noch etwas klarstellen, was mir wichtig ist: Der Minister hat gestern wider besseren Wissens die Behauptung aufgestellt, wir würden einen gemeinsamen Antrag mit der AfD stellen. Das stimmt nicht; Herr Reul, Sie wissen das. Das ist reiner Populismus.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das war ein populistischer Schlag, weil wir Sie gestern in der Debatte offenbar so sehr getroffen haben. Nein, wir werden heute einen Einsetzungsbeschluss mit den Stimmen von Grünen und SPD fassen. Das ist mir sehr wichtig, weil ich klar sagen will, dass wir nicht mit der AfD – einer rassistischen Partei – gemeinsame Sache machen.

Ich sage auch in aller Deutlichkeit: Dass Querdenker und rechtsextreme Gruppierungen versucht haben, die Hochwasserkatastrophe für ihre Zwecke zu nutzen, ist schäbig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Klar ist doch: Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine starke Zivilgesellschaft. Dazu gehören die Freiwilligen Feuerwehren und die anerkannten Hilfsorganisationen, das THW, aber auch die vielen spontanen Helferinnen und Helfer, die angepackt haben. All denen möchte ich mein herzliches Dankeschön für ihre Tatkraft und ihr Engagement während dieser Katastrophe aussprechen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

SPD und Grüne beantragen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss

„Hochwasserkatastrophe aufarbeiten und aufklären“

SPD und Grüne beantragen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss

Nach der Hochwasserkatastrophe vom Juli in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD heute einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 41 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen beantragt. Die Aufarbeitung der behördlichen Abläufe ist angesichts des Ausmaßes der Hochwasserkatastrophe und der zahlreichen offenen Fragen zum Krisenmanagement zwingend geboten.

Hierzu erklärt Verena Schäffer, Vorsitzende und innenpolitische Sprecherin der GRÜNEN Fraktion: 

„Neben den Hilfen für die Betroffenen steht jetzt die Aufarbeitung des Krisenmanagements an. Noch immer sind viele Fragen zum Handeln der Landesbehörden vor, während und nach der Hochwasserkatastrophe offen, die allein in NRW 49 Todesopfer gefordert hat. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht auf Antworten, zudem ist die Aufarbeitung notwendig, um die richtigen Schlüsse für Veränderungen der Strukturen des Katastrophenschutzes ziehen zu können. Der Untersuchungsausschuss wird untersuchen, warum die Landesbehörden die Unwetterwarnungen inhaltlich nicht bewertet und die Kreise und kreisfreien Städte als untere Katastrophenschutzbehörden nicht zum Handeln aufgefordert haben. Warum kommunizierten Innen- und Umweltministerium nicht eher miteinander, warum wurde das Umweltministerium erst so spät in die Koordinierungsgruppe des Innenministeriums eingebunden? Warum hat das Innenministerium die Bezirksregierungen erst am 15. Juli um 1.20 Uhr nachts angewiesen, ihr Krisenmanagement bis morgens um 7 Uhr hochzufahren? Wirkliche Aufklärung kann umfassend nur durch einen Untersuchungsausschuss funktionieren, der unter anderem das Recht hat, Akten einzusehen und Zeugen zu vernehmen. Die Aufarbeitung verhindert nicht das parallele Erarbeiten von Konsequenzen. Dafür haben wir bereits Vorschläge unterbreitet und stehen gerne konstruktiv zur Verfügung. Denn wir müssen dafür sorgen, dass der Katastrophenschutz bestmöglich auf mögliche Katastrophen vorbereitet ist.“

Aufzeichnung Online-Veranstaltung Versammlungsgesetz

Online-Veranstaltung zum Versammlungsgesetz NRW

Am 8. Juni 2021 habe ich zusammen mit Prof. Dr. Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie ein sehr interessantes und informatives Gespräch über das von der Landesregierung für NRW geplante Versammlungsgesetz geführt. Eine Aufzeichnung des Gesprächs findet ihr auf dieser Seite.

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag auf eine Aktuelle Stunde zur Demonstration gegen das Versammlungsgesetz

“Diesen guten Ruf setzen Sie, Herr Reul, für Ihre Träumereien aufs Spiel”

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag auf eine Aktuelle Stunde zur Demonstration gegen das Versammlungsgesetz

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Grundsatzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985, der sogenannte Brokdorf-Beschluss, nennt die Versammlungsfreiheit ein unentbehrliches Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens. Dieser Beschluss ist bis heute prägend für das Versammlungsrecht. Doch Innenminister Reul wollte noch vor einem Jahr den Brokdorf-Beschluss grundsätzlich auf den Prüfstand stellen.

Ministerpräsident Armin Laschet lobte hier vor zwei Wochen, dass die Polizei sogar ermögliche, dass Menschen für absurde Dinge ihr Demonstrationsrecht in Anspruch nehmen könnten – als wäre das nicht ihr Grundrecht. Der Staat hat nicht zu bewerten, für welche Anliegen Bürgerinnen und Bürger demonstrieren. Ja, manches ist für Demokratinnen und Demokraten schwer erträglich, aber unsere Demokratie hält das aus.

Die Äußerungen von Minister Reul und Ministerpräsident Armin Laschet zeigen vor allem eines: Diese Koalition hat keinerlei Wertschätzung für Versammlungen als einem unabdingbaren Element unserer Demokratie, sondern sie sieht in ihnen immer eine potenzielle Gefahr. Man schützt aber die Demokratie nicht, indem man Grundrechte unverhältnismäßig einschränkt, wie diese Landesregierung es aktuell plant.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Aufarbeitung des Polizeieinsatzes vom vergangenen Samstag ist nicht nur eine Aufklärung der Einzelfragen zum Einsatz. Machen wir uns da nichts vor! Wer es gerade im Innenausschuss erlebt hat, weiß, was ich meine. Es ist im Kern eine Auseinandersetzung über die Ausrichtung der Einsatztaktik unserer Polizei.

(Daniel Sieveke [CDU]: Unglaublich!)

In den 80er-Jahren hat sich in Nordrhein-Westfalen viel verändert. Die Polizeistrategie wurde grundlegend weiterentwickelt. Sogar noch vor dem Brokdorf-Beschluss wurde die NRW-Linie für den Einsatz der bürgernahen Polizei entwickelt, die auch heute noch Gültigkeit hat. Seitdem gelten Deeskalation, Verhältnismäßigkeit der Einsatzmittel, Kommunikation, Kooperation, Differenzierung zwischen friedlichen Versammlungsteilnehmern und -störern als wesentliche Teile der Einsatzstrategie. Für diese NRW-Linie genießt unsere Polizei zu Recht bundesweit einen sehr guten Ruf.

Diesen guten Ruf und vor allem diese erfolgreiche Einsatztaktik setzen Sie, Herr Reul, für Ihre Träumereien von einer robusten, einer repressiv ausgerichteten Polizei aufs Spiel. Ich finde das unverantwortlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Weil es hier um eine grundsätzliche Frage des Umgangs mit der Versammlung geht, muss auch die Rolle des Innenministeriums im Vorfeld der Demo am Samstag in den Blick genommen werden.

Ja, Herr Reul, Sie haben eben im Innenausschuss sehr heftig dementiert, dass es Vorgaben gegeben habe. So wie ich Ihre Polizeiabteilung in den letzten vier Jahren erlebt habe, bin ich mir aber sehr sicher, dass bereits im Vorfeld darauf hingewirkt wurde, dass bei dieser Versammlung hart durchgegriffen wird.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist doch eine Unterstellung! Unglaublich!)

Dass Sie gerade im Innenausschuss derart gereizt auf die Frage reagiert haben, ob es eine klare Erwartungshaltung des Innenministeriums an das PP Düsseldorf gab,

(Nadja Lüders [SPD]: Macht er ja immer!)

spricht aus meiner Sicht sehr dafür, dass ich mit meiner Einschätzung richtig liege und es diese Einflussnahme gab.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich!)

Das wäre übrigens aus meiner Sicht in Bezug auf die Einsatzstrategie eine klare Missachtung der NRW-Linie.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will eines ganz klar sagen: Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung und darf es niemals sein.

(Gregor Golland [CDU]: Wie im Hambacher Forst!)

Wenn es zu Gewalt und Straftaten kommt, dann müssen diese selbstverständlich von der Polizei verfolgt werden.

Deeskalation und Kommunikation aber sind wesentliche taktische Einsatzmittel, damit angespannte Situationen gar nicht erst eskalieren – dies im Übrigen auch zum Schutz unser eingesetzten Polizeibeamtinnen und ‑beamten.

Ich halte es rechtlich für mehr als fragwürdig, dass über 300 Menschen, darunter viele Minderjährige – 38, wie wir gerade gehört haben –, über Stunden in einem sogenannten polizeilichen Kessel eingeschlossen waren. Es ist gerade im Innenausschuss nicht wirklich dargelegt worden, was die rechtliche Begründung dafür ist. Hier werden wir weiter nachhaken.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist ungeheuerlich, dass ein Journalist, der sich als Journalist zu erkennen gibt, bei einer Demonstration von Polizisten verletzt wird. Wir Grüne haben bei der Beratung des Gesetzentwurfs darauf hingewiesen, dass Art. 5 Grundgesetz, die Pressefreiheit, bei Versammlungen gewährleistet werden muss. Nehmen Sie also die Versammlung zum Anlass, für den Schutz der Pressefreiheit bei Demonstrationen zu sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nach den Erfahrungen am Samstag ist bei vielen Menschen das Vertrauen in unsere Polizei erschüttert.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Sie fragen sich, ob das der Anfang einer neuen harten Linie ist, um es ganz klar zu sagen.

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

Herr Reul und Herr Löttgen wollen in Bezug auf das Versammlungsgesetz den Ball flach halten.

(Daniel Sieveke [CDU]: Sie halten den Ball nicht mehr flach!)

Sie suggerieren, dass es sich bei dem Gesetzentwurf der Landesregierung allein um eine Überarbeitung des alten Bundesgesetzes handelt. Sie suggerieren, es sei nur eine Überarbeitung mit einer Anpassung an die aktuelle Rechtsprechung. Das ist schlichtweg falsch.

Es ist im Übrigen arrogant, Herr Reul, wenn Sie behaupten, dass diejenigen, die das Gesetz kritisieren, es nicht gelesen hätten. Ich habe es sehr intensiv gelesen. Der Gesetzentwurf geht weit über die Rechtsprechung hinaus. Er ist zum Teil sogar schärfer als das Bayerische Versammlungsgesetz. Es wird Versammlungen in Zukunft einschränken und damit ein wichtiges Grundrecht einschränken. Das halte ich schlichtweg für falsch.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist einfach – Entschuldigung – heuchlerisch, dass die FDP-Landtagsfraktion hier im Landtag erst auf Druck aus Berlin die Freiheits- und Bürgerrechte wiederentdeckt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihre Ministerinnen und Minister haben dem Gesetzentwurf im Kabinett zugestimmt. Sie haben der Verhinderung von Gegendemonstrationen, von vereinfachten Bild- und Tonaufnahmen, erschwerten Bedingungen zur Anmeldung einer Demonstration,

(Marc Lürbke [FDP]: Verhinderung von Gegendemonstrationen? Verhinderung?)

sogar dem Vergleich der heutigen Klimaschutzbewegung mit den Aufmärschen von SA und SS unter den Nationalsozialisten zugestimmt.

Ja, Herr Lürbke, § 7 des Gesetzentwurfs, Störung von Versammlungen, sieht genau das vor: die Verhinderung von Gegendemonstrationen. Bitte schauen Sie in das Gesetz. Das haben Sie offenbar noch immer nicht getan. Dort steht das genauso. Das ist auch mehrfach von Sachverständigen so vorgetragen worden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Lürbke, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die Freiheitsrechte waren Ihnen im Polizeigesetz egal, sie waren Ihnen bis zum Tweet von Frau Strack-Zimmermann am Samstagabend egal, und deshalb nimmt Ihnen Ihre Haltung hier gerade niemand ab.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von Henning Höne [FDP]: und Marc Lürbke [FDP])

– Da scheine ich ja einen sehr wunden Punkt getroffen zu haben, Herr Höne und Herr Lürbke.

Der gesamte Duktus des Gesetzentwurfes …

(Marc Lürbke [FDP]: Nein, das ist alles Quatsch!)

– Nein, das ist kein Quatsch. Gucken Sie sich doch die Reden zum Polizeigesetz an, Ihre Äußerungen zum Versammlungsgesetz.

(Zurufe von Henning Höne [FDP] und Josefine Paul [GRÜNE])

Hier nimmt Ihnen schlichtweg niemand ab, dass Sie für Freiheitsrechte einstehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der gesamte Duktus des Gesetzentwurfs ist geprägt von Repression, von der Verhinderung von Versammlungen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Deshalb muss der Gesetzentwurf aus meiner Sicht zurückgezogen werden.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist ja maßlos, Frau Kollegin! Unglaublich!)

Ja, ich gebe Ihnen recht: Wir brauchen ein modernes Versammlungsrecht – das ist so –, aber eines, das Art. 8 des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit, wirklich schützt und Versammlungen ermöglicht, anstatt sie zu behindern. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Golland, ich werde in der Tat leidenschaftlich, wenn es um die Grundrechte geht, und im Gegensatz zu Ihnen bedeutet mir der Schutz unserer Grundrechte sehr viel.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von Bodo Löttgen [CDU] und Ralf Witzel [FDP])

Aber, Herr Golland, ich will hier auch noch einmal ganz deutlich sagen: Sie müssen sich schon mit meiner sachlichen Kritik auseinandersetzen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wenn sie denn sachlich wäre!)

und es ist, glaube ich, gerade sehr erkennbar geworden, dass Sie das nicht tun wollen.

Herr Reul, Sie sagten, Sie würden nicht wollen, dass die Debatte auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werde. Diese Auffassung teile ich. Mir ist deshalb wichtig, Folgendes klarstellen – so hatte ich auch die Fragen in der Innenausschusssitzung angelegt, und ich meine, das wäre in meiner Rede deutlich geworden –: Es geht mir nicht darum, einzelne Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in den Fokus zu nehmen und zu sagen, welcher Polizeibeamte wann und wo bei der Demo steht. Darum geht es nicht.

Natürlich gibt es bei dieser Demonstration, bei der ich weiß nicht wie viele Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte eingesetzt waren – wahrscheinlich waren es mehrere Hundert, aber vielleicht auch 1.000 oder sogar mehr –, …

(Bodo Löttgen [CDU]: Wenn Sie mal zugehört hätten! Die Zahl hat er doch genannt!)

– Es tut mir leid, Herr Löttgen, dass ich an dieser Stelle vielleicht einmal nicht zugehört habe. Wenn Sie die Zahl aber gerade wissen, ist das in Ordnung. Darum geht es aber gar nicht. Es geht nicht um die Zahl, sondern es geht darum, dass es bei einer Vielzahl von eingesetzten Beamtinnen und Beamten zu Fehlern kommen kann.

Mir geht es in der Debatte aber darum, und darauf waren auch meine Fragen im Innenausschuss ausgerichtet, welche Einsatzvorgaben gemacht wurden. Mit welcher rechtlichen Begründung wurden welche polizeilichen Maßnahmen eingeleitet? Außerdem geht es um die Bewertung, ob diese Einleitung von polizeilichen Maßnahmen verhältnismäßig war oder nicht. Dabei handelt es sich um juristische Fragen, und da geht es, wie gesagt, nicht um die einzelnen Beamtinnen und Beamten.

Im Übrigen ist es die Aufgabe des Parlaments, diese Fragen hier zu klären, Herr Reul. Sie müssen anerkennen – Entschuldigung –, dass das unsere Aufgabe als Abgeordnete ist und wir uns nicht darauf verlassen, dass der Minister als Teil der Exekutive aufklärt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es sind noch viele Fragen zu klären, und ich kann hier schon einmal ankündigen, dass wir das weiter anmelden werden.

Dann möchte ich gerne noch einmal zu Herrn Golland und zur NRW-Leitlinie kommen. Herr Golland, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie in der letzten Legislaturperiode eine Kleine Anfrage zum Thema „Was ist die NRW-Linie?“ gestellt haben. Sie haben das nach vier Jahren Mitgliedschaft im Parlament und als Mitglied des Innenausschusses nicht gewusst. Ich finde, dass man das hätte wissen können, aber ich bin Ihnen dankbar, dass wir dafür nun diese Leitlinie vorliegen haben, die sich jeder aus dem Netz ziehen kann.

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

Ich möchte daraus gerne den letzten Absatz zitieren, weil Sie von einer „weichen Welle“ sprachen. Dieser Absatz lautet: Die nordrhein-westfälische Linie ist keine weiche Welle, keine bestimmte Linie, keine falsche Nachgiebigkeit, sondern angemessener, differenzierter Polizeieinsatz. Sie verwirklicht den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. – Das ist die NRW-Linie, und ich bin froh, dass diese Linie in Nordrhein-Westfalen nach wie vor Bestand hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Gregor Golland [CDU]: Das hat man bei der Silvesternacht gesehen!)

Ich möchte auch noch einmal darauf eingehen, dass Sie hier sagten –Herr Katzidis hat das ebenfalls anklingen lassen –, dass nicht genügend gegen Straftaten vorgegangen werde, und den Grundgedanken der NRW-Leitlinie zitieren. Die NRW-Leitlinie spricht zu Beginn von den zwei Grundgedanken – Zitat – „entschiedener und problembewusster Einsatz von konfliktmindernden und gewaltdämpfenden Maßnahmen“ und „konsequentes Einschreiten gegen Gewalt durch angemessen starke Kräfte“. Auch das ist ein Teil der NRW-Linie, und ich würde wirklich empfehlen, dass Sie sich das noch einmal zur Lektüre vornehmen.

Diese NRW-Linie beschreibt aus meiner Sicht sehr gut, dass Deeskalation bzw. ein angemessener verhältnismäßiger Polizeieinsatz gerade dazu führen, bei Demonstrationen Gewalt zu vermeiden und eine Eskalation zu verhindern. Genau darum muss es uns auch zum Schutz der eingesetzten Beamtinnen und Beamten gehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Lürbke, ich komme zu Ihren Ausführungen. Jetzt so zu tun, als wäre es normal, dass Gesetze innerhalb einer Koalition grundlegend überarbeitet würden, wenn sie dem Parlament einmal vorlägen, ist schlichtweg weltfremd. Jeder, der schon einmal in einer Koalition war, weiß das auch. Selbst wenn es der Fall wäre, dass man ein Gesetz dann noch einmal grundsätzlich komplett umschreiben würde, würde ich mich fragen, warum ein Minister Stamp, ein Minister Pinkwart und eine Ministerin Gebauer diesem Gesetzentwurf zugestimmt haben.

(Bodo Löttgen [CDU]: Ja, der ist gut!)

Abgesehen davon, dass ich immer noch nicht weiß, was die FDP jetzt an diesem Gesetzentwurf konkret ändern will – Sie sind im Plenum maximal nebulös geblieben –, will ich auch noch einmal klar feststellen, dass eine Überarbeitung des Gesetzentwurfs alleine überhaupt nicht reicht. Der Duktus des Gesetzes und die Gesetzesbegründung mit den unsäglichen Vergleichen, indem zum Beispiel die Klimaschutzbewegung mit der SS und der SA gleichgesetzt wird, gehen einfach nicht. Das kriegen Sie auch nicht über eine Überarbeitung weg, denn die Begründung bleibt doch stehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deshalb will ich noch einmal sagen: Wir brauchen ein modernes Versammlungsgesetz, das die Rechtsprechung berücksichtigt, aber es muss ein Versammlungsfreiheitsgesetz sein, das Art. 8 Grundgesetz schützt. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, Regina Kopp-Herr [SPD] und Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN auf eine Aktuelle Stunde „NRW gegen Antisemitismus“

“Wir als Demokratinnen und Demokraten sind immer aufgefordert, uns gegen Antisemitismus zu stellen und uns mit den Betroffenen zu solidarisieren”

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN auf eine Aktuelle Stunde „NRW gegen Antisemitismus“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 11. De­zember im Jahr 321 erließ Kaiser Konstantin ein Edikt, dass Juden städtische Ämter in Köln bekleiden dürfen. In diesem Jahr feiern wir 1.700 Jahre jüdisches Leben und die Vielfalt des Judentums in Deutschland.

Allerdings überschatten die jüngsten antisemitischen Angriffe und Androhungen dieses Fest­jahr. Dass Jüdinnen und Juden unverhohlener Hass entgegenschlägt, dass Synagogen angegriffen werden, dass Israelflaggen – auch hier in Nordrhein-Westfalen – brennen, ist un­erträglich und auf das Schärfste zu verurteilen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Es ist keine neue Erkenntnis, dass gewaltsame Konflikte in Nahost zu antisemitischen Hand­lungen in Deutschland führen. Wir haben das während des Gaza-Kriegs 2014 auch hier in NRW erlebt und müssen es heute wieder erleben.

Wichtig ist mir dabei eines: Der Antisemitismus wird dann nur sichtbar. Vorhanden war er auch vorher. Ich finde, das ist das eigentlich Erschreckende, über das wir reden müssen.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Israelbezogener Antisemitismus macht Jüdinnen und Juden pauschal für politische Entschei­dungen der israelischen Regierung verantwortlich. Es gibt keine Amerika-Kritik, noch gibt es solche Kritik zu einem anderen Land; es gibt einzig Israel-Kritik.

Dabei darf die Regierung Israels selbstverständlich kritisiert werden. Das tun ja auch Israelis – genauso, wie wir immer wieder die Landesregierung kritisieren; Herr Laschet kann ein Lied davon singen.

Aber was sich auf der Demonstration in Gelsenkirchen entladen hat, war keine sachliche Kritik am Handeln Israels. Das war offener Antisemitismus. Genau so muss das auch benannt wer­den. So muss auch das Verbrennen von Israelflaggen vor Synagogen gewertet und verurteilt werden.

Mir bereitet es große Sorge, dass wir es offenbar nicht geschafft haben, dass sich die gesamte Einwanderungsgesellschaft hinter einem Konsens des entschiedenen Kampfes gegen Anti­semitismus versammelt. Hier demonstrieren arabischstämmige Personen gemeinsam mit tür­kischen Nationalisten, die zum Teil seit Jahrzehnten hier leben, hier geboren sind, hier aufge­wachsen sind, hier sozialisiert sind und deutsche Staatsangehörige sind.

Israelbezogener Antisemitismus findet sich auch in linken Milieus. Er findet sich im Rechts­extremismus. Er findet sich in der gesamten Gesellschaft. Deshalb reicht es auch nicht, nur auf andere zu zeigen, um sich selbst zu entlasten. Wir müssen über Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft reden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und der FDP)

Ich will aber auch sagen: Wer wie die AfD versucht, aus den antisemitischen Vorfällen Kapital für die eigene rassistische Politik zu ziehen, handelt mehr als schäbig. Antisemitismus lässt sich nicht durch Rassismus bekämpfen. Wir müssen sowohl Antisemitismus als auch Rassis­mus entschieden entgegentreten.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wenn wir über Antisemitismus sprechen, dann müssen wir über Kontinuitäten sprechen. In den vergangenen 1.700 Jahren haben Jüdinnen und Juden die Gesellschaft maßgeblich mit-geprägt und gestaltet. Es ist auch eine Geschichte der Ausgrenzung und der Verfolgung. Die Zeit der Kreuzzüge, der Mythos der Brunnenvergiftung, die Ritualmordlegende – all das führte immer wieder zu massiver Gewalt gegen Jüdinnen und Juden.

Der Judenhass gipfelte in den menschenverachtenden Verbrechen des NS-Regimes. Und nach 1945? Der Antisemitismus war nie weg. Die Bundesrepublik Deutschland erlebte anti­semitische Straftaten und Anschläge.

Am 9. Oktober 2019 rettete eine Holztür 51 Jüdinnen und Juden, die in der Synagoge in Halle Jom Kippur feierten. Zwei Menschen wurden bei diesem rechtsterroristischen Anschlag getö­tet.

Antisemitismus tritt heute auch als israelbezogener Antisemitismus auf Querdenker-De­monstrationen in Form von antisemitischen Narrativen auf.

Wir als Demokratinnen und Demokraten sind immer aufgefordert, uns gegen Antisemitismus zu stellen und uns mit den Betroffenen zu solidarisieren.

Doch was folgt daraus, wenn wir nicht bei wohlfeilen Sonntagsreden bleiben wollen? Ich ver­suche einmal, ein paar Vorschläge zu machen, die ja diskutiert werden können und auch diskutiert werden müssen.

Erstens. Wir müssen die Perspektive von Jüdinnen und Juden einbeziehen, und zwar die Perspektive von Jüdinnen und Juden auf das Thema „Antisemitismus“. Wir müssen diejeni­gen stärken, die Antisemitismuserfahrungen machen mussten – zum Beispiel durch Bera­tungsstellen wie SABRA in Düsseldorf. Wir müssen Lehrkräfte im Umgang mit Antisemitismus handlungssicher machen, damit Antisemitismus im Klassenzimmer und auf dem Schulhof nicht unwidersprochen bleibt und damit die Betroffenen nicht alleine bleiben.

Zweitens. Wir müssen Antisemitismus sichtbar machen. Die Meldestelle muss jetzt endlich kommen – ebenso wie eine Dunkelfeldstudie Antisemitismus. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Meldestelle immer noch nicht da ist, obwohl sie seit über einem Jahr angekündigt wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Drittens. Wir müssen bestehende Projekte gegen Antisemitismus langfristig absichern. Es gab und gibt qualitativ sehr gute Projekte. Das interreligiöse Projekt „Ibrahim trifft Abraham“ wurde zu Recht vielfach gelobt. Aber die Förderung dafür ist ausgelaufen. Die Stadt Köln finanziert die Fachstelle „[m2] miteinander mittendrin“. Von solchen kommunalen Stellen brau­chen wir mehr in Nordrhein-Westfalen. Aber das wird nicht ohne die Beteiligung des Landes funktionieren.

Viertens. Wir müssen die politische Bildung stärken, weil Mündigkeit eine Auseinanderset­zung ermöglicht und weil politische Bildung auch eine präventive Wirkung haben kann. Ebenso können Gedenkstättenfahrten präventiv wirken, wenn – das ist mir wichtig – sie in­tensiv pädagogisch begleitet werden. Wir müssen Wissensvermittlung der Gründe für die Gründung des Staates Israels und den Nahostkonflikt in unseren Bildungsinstitutionen veran­kern.

Fünftens: das Thema „Repression und Schutz“. Für Fälle von konkreten antisemitischen Übergriffen müssen Schutzkonzepte der Polizei greifen. Antisemitismus muss strafrechtlich konsequent verfolgt werden. Damit Antisemitismus auch von Polizei und Justiz erkannt wird, braucht es eine Verankerung der Thematik in der Aus- und Fortbildung. Diese Liste ist nicht abschließend. Sie kann auch nicht abschließend sein. Dafür brauchen wir ja die politische Diskussion. Aber wichtig ist mir eines: Ebenso, wie es eine Kontinuität von Antisemitismus in Deutschland gibt, brauchen wir eine Kontinuität der Auseinandersetzung und der Bekämpfung des Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen. Wir müssen alles dafür tun, dass Jüdinnen und Juden sicher in Deutschland leben können.

Aber vor allem ist jüdisches Leben ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Das werden wir in diesem Jahr – 1.700 Jahre jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen – feiern. – Herzli­chen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)