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Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktionen von SPD und „AfD“ zum Thema #nrwbleibsozial

„Wir wissen um die Notwendigkeit einer starken sozialen Infrastruktur“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen gerade ging, aber ich finde es schon ein bisschen kurios, dass jetzt ausgerechnet die FDP vom sozialen Gewissen spricht, aber gut. Das sind ganz neue Töne hier im Landtag – interessant.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Gordan Dudas [SPD]: Das sollte Ihnen zu denken geben! – Weitere Zurufe)

Vielleicht verwundert es Sie, aber ich habe mich über die große Beteiligung an der Demo hier am vergangenen Donnerstag wirklich gefreut, weil …

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Man hat sich auch gefreut, dass Sie gesprochen haben!)

– Ja, Sie können reinrufen, Sie können mir zuhören – das entscheiden Sie; aber ich habe das Wort.

(Zuruf von der SPD: Wir können beides!)

Ich habe mich aus zwei Gründen gefreut. Ich habe mich gefreut, dass es in Zeiten, in denen immer mehr Menschen diese Demokratie ablehnen oder ihr skeptisch gegenüberstehen, Menschen gibt, die sich einbringen, die friedlich und eindringlich für ihre Anliegen demonstrieren. Das ist ein gutes Zeichen für die Demokratie; das hat mich gefreut.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Zweitens – und das ist natürlich viel wichtiger – teile ich das inhaltliche Anliegen. Es geht um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Kitas, OGS, Frauenhäuser, Migrationsberatung, Wohnungslosenhilfe, Schuldnerberatung, Begegnungscafés – die Menschen, die sich in diesen Einrichtungen engagieren, die dort arbeiten, die sich aufreiben und teilweise über ihre Grenzen gehen, sind elementar für die Bildung unserer Kinder. Sie bieten Schutz und Sicherheit, helfen in Notlagen und haben ein offenes Ohr für ältere Menschen in Einsamkeit. Diese Menschen und die dort geleistete Arbeit bilden den Kitt unserer Gesellschaft.

Wir von der schwarz-grünen Koalition sehen das, und wir wissen um die Notwendigkeit einer starken sozialen Infrastruktur.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb haben wir beim Sondervermögen zur Krisenbewältigung auch insbesondere die sozialen Einrichtungen in den Blick genommen. Wir haben die Kitas, die Tafeln, die Beratungsstellen und die Frauenhäuser unterstützt,

(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

weil sie in diesen von Krisen geprägten Zeiten sehr viel auffangen und wir das sehen. Uns war es wichtig, im Rahmen des Möglichen alles zu tun, um die Einrichtungen zu unterstützen. Gerne hätten wir auch noch mehr und für einen längeren Zeitraum gemacht.

Ein Leben in Selbstbestimmung und Würde muss für alle Menschen möglich sein. Deshalb müssen wir auch die politische Auseinandersetzung darüber führen, welchen Stellenwert die sozialen Einrichtungen von Kitas bis zur Tagespflege für Seniorinnen und Senioren in unserer Gesellschaft haben.

(Zuruf von Thorsten Klute [SPD])

Das ist eine politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung, die darüber geführt werden muss, welche Prioritätensetzung wir bei der Verteilung von Steuergeldern vornehmen. Das ist eine Diskussion, die wir auf allen Ebenen führen müssen, von der Kommune über die Bundesländer hin zum Bund und zu Europa. Das ist eine Frage, die sich alle stellen müssen, die auf diesen verschiedenen politischen Ebenen Verantwortung tragen. Das ist letztlich keine parteipolitische Frage.

(Thorsten Klute [SPD]: Aha!)

Es ist eine Frage, wie wir als Gesellschaft Prioritäten setzen wollen.

(Nadja Lüders [SPD]: Ihre Aufgabe! – Zurufe von Kirsten Stich [SPD] und Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Bei der Auseinandersetzung über den Stellenwert geht es um Wertschätzung und gute Arbeitsverhältnisse. Es geht um eine Arbeit, die nicht krank macht oder dazu führt, dass man ausbrennt, und es geht um eine Arbeit, die für andere Menschen gemacht wird. Die Arbeit mit Menschen, die soziale Arbeit, gehört aus meiner Sicht dringend aufgewertet.

Es ist übrigens oft eine Arbeit, die von Frauen geleistet wird. Auch das mag dazu beitragen, dass diese Arbeit bisher nicht in dem Maße wertgeschätzt wurde, wie es eigentlich notwendig wäre. Deshalb sind auch die Tarifsteigerungen im Sinne der Beschäftigten zu begrüßen.

(Zuruf von Thorsten Klute [SPD])

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im sozialen Bereich haben sie für ihre wichtige Arbeit verdient. Das ist die eine Seite der Medaille.

Aber es gibt auch eine andere Perspektive, und das ist die Perspektive, die wir als Haushaltsgesetzgeber haben.

(Zurufe: Ah!)

Da kann man sich nicht wegducken, sondern es ist auch eine Frage, wie die gestiegenen Gehälter jetzt bezahlt werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau!)

Wir wissen alle, dass die Tarifsteigerungen sowohl für die Träger kaum aufzufangen sind, als aber auch genauso wenig für das Land. Ich will hier deutlich sagen und auch transparent machen, denn ich finde, das gehört zur Wahrheit einfach dazu: Das Land hat die Tarifsteigerungen nicht verhandelt. Es war nicht das Land, sondern es waren Bund und Kommunen.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Das heißt nicht, dass wir uns vor einer Verantwortung wegducken,

(Weitere Zurufe – Glocke)

aber man muss es einfach benennen, weil es so ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Träger der freien Wohlfahrtspflege stehen aktuell auch deshalb unter Druck, weil der Bund gerade an ganz vielen Stellen – an empfindlichen Stellen, wie ich finde – kürzt.

(Zurufe von der SPD)

– Ja, das ist so; auch das gehört zur Wahrheit dazu.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Da können Sie jetzt rufen, aber die Diskussion führen wir doch gerade alle in den Wahlkreisen.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Wir erleben das doch alle, zum Beispiel bei der Migrationsberatung, beim Jugendmigrationsdienst. Das sind sehr schmerzhafte Kürzungen,

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP] – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch nicht dein Ernst! – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

die gerade gemacht werden. Ich hoffe sehr, dass unsere Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag noch zu Lösungen kommen werden.

Ich bin der festen Überzeugung: Es gibt eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Land und Kommunen. Alle müssen dabei ihren Beitrag leisten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir wissen doch alle, wie angespannt die Haushaltslage gerade in Nordrhein-Westfalen ist. Wir haben insgesamt weniger Geld zur Verfügung; das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Die schwarz-grüne Koalition hat in dieser aktuellen Situation gesagt: Wir legen einen Schwerpunkt auf Kinder und Bildung. Man kann jetzt so tun, als wäre das nicht so, aber dann muss man mal einen Blick in den Haushaltsplan werfen; dann werden Sie sehen: Es ist so.

Das bedeutet übrigens auch – wir müssen ja insgesamt Einsparungen im Haushalt vornehmen –, dass wir die Bildung herausnehmen, dass wir bei den Kitas Aufwüchse haben. Das bedeutet im Übrigen, dass wir umverteilen müssen. Das bedeutet, dass gerade in anderen Bereichen, in anderen Einzeletats gespart wird.

Sie können mit dem Kopf schütteln, aber das ist so. Das meine ich mit politischer Auseinandersetzung. Sie können sich nicht hinstellen und sagen: Hier noch 500 Millionen Euro mehr und da noch was und da noch was. – Das hat mit seriöser, mit ehrlicher Haushaltspolitik einfach rein gar nichts zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wenn jetzt hier einige lächeln und mit dem Kopf nicken: Sie haben leider überhaupt nicht gesagt, wo das Geld herkommen soll. Sie haben es schlichtweg nicht gesagt.

(Marcel Hafke [FDP]: Sie regieren doch hier!)

Sie stellen sich hin und sagen: Wir brauchen Pakete. – Sie sagen noch nicht mal, was da drin sein soll. Sie sagen: Wir brauchen Rettungspakete. – Sie sagen aber nicht, woher das Geld kommt.

(Christian Dahm [SPD]: Wir sind in der Aktuellen Stunde! Da brauchen wir das auch nicht! Die Regierungsverantwortung liegt nach wie vor bei Ihnen!)

Ich finde, das ist einfach unehrlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich will hier noch etwas richtigstellen, weil uns auf der Demo vorgeworfen wurde, dass wir Kürzungen im sozialen Bereich vornehmen würden: Wir kürzen bei der Schule nicht; das stimmt einfach nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir haben bei der OGS-Finanzierung einen Aufwuchs

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

von 65 Millionen Euro.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Ich will auch sagen: Wir haben einen großen Kraftakt für die Kitas geleistet. Wir führen die Sprach-Kitas fort, bei denen der Bund aus der Finanzierung ausgestiegen ist. Wir verstetigen die Kita-Alltagshelfer.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Wir machen die Überbrückungshilfe von 100 Millionen Euro in einem großen Kraftakt. Insgesamt werden 550 Millionen Euro mehr in das System der frühkindlichen Bildung fließen.

(Christian Dahm [SPD]: Das musstet ihr doch sowieso machen!)

Wir reden hier nicht über Kürzungen. Wir haben hier Aufwüchse. Ich weiß aber auch – das will ich auch so ehrlich sagen –, dass die Träger dennoch vor riesigen Herausforderungen stehen. Ja, das sehe ich; das weiß ich auch. Ich würde mir wünschen, wir hätten andere haushaltsrechtliche Spielräume. Ich würde mir das wirklich wünschen.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP] – Kirsten Stich [SPD]: Krokodilstränen sind das!)

Da kann man mit dem Kopf schütteln, aber es ist nun einmal so, dass die Haushaltslage ist, wie sie ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Lassen Sie uns trotzdem im Gespräch bleiben. Lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen suchen!

(Zurufe von der SPD und der FDP)

Es gibt eine gemeinsame Verantwortung der demokratischen Parteien.

(Jochen Ott [SPD]: In der Krise zeigt sich, ob man’s kann!)

Lassen Sie uns nach Lösungen suchen, die trotz der Haushaltslage des Landes im Sinne der Einrichtungen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land die Arbeitsbedingungen verbessern und die Angebote aufrechterhalten. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN für Solidarität mit Israel

„Mein tiefster Wunsch für Israel und für die Menschen in Israel ist: Frieden, Freiheit und Sicherheit“

Der Antrag „Solidarität mit Israel: Antisemitismus entschieden bekämpfen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „haTikwa“ ist Hebräisch und heißt „Hoffnung“. „haTikwa“ ist der Name der israelischen Nationalhymne.

Mit unvorstellbarer Brutalität geht die terroristische Hamas gegen das vor, wofür die haTikwa steht: für einen eigenen Staat, in dem Jüdinnen und Juden in Freiheit und Sicherheit leben können. Die Hamas will Israel vernichten. Die Hamas ist in ihrem ideologischen Kern geprägt von Hass auf Jüdinnen und Juden.

Die Gräueltaten, die Verbrechen gegen israelische Frauen, Männer, Kinder erinnern in ihrer ganzen grenzenlosen Brutalität an die Methoden des Islamischen Staates. Diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind durch absolut nichts zu rechtfertigen. Unsere Solidarität gilt dem Staat Israel und den Menschen in Israel.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Ausgerechnet – ausgerechnet! – ein Musikfestival war eines der ersten Angriffsziele, bei dem junge Menschen den Terroristen schutzlos ausgeliefert waren. Ausgerechnet in den Kibbuzim, die für Gemeinschaft stehen, die für Solidarität stehen, wurden Hunderte Menschen gefoltert, ermordet und als Geiseln verschleppt. Ausgerechnet in diesem Land, in Israel, das eigentlich der Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt ist!

Die Berichte aus Israel machen mich fassungslos. Sie machen mich traurig. Traurig macht mich auch der Gedanke, dass manche Jüdinnen und Juden Wurzeln in der Ukraine haben und Angehörige, Verwandte, Freunde in Israel nun mit gleich zwei Kriegen konfrontiert sind. Die Angriffe auf Israel und auch auf die Ukraine sind ja nicht vorbei. Unablässig wird Israel aus dem Gazastreifen, aus dem Libanon beschossen. Die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah wollen Israel auslöschen, unterstützt und finanziert vom iranischen Unrechtsregime.

Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich zu verteidigen, und Israel hat auch – wie jedes andere Land – eine Pflicht, seine eigenen Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Deutschland steht ohne Wenn und Aber zu dem Existenzrecht Israels.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Das Leid, das die Hamas über die Menschen in Israel bringt, ist unermesslich und eigentlich überhaupt nicht zu beschreiben. Die Hamas richtet sich dabei nicht nur gegen Israelis, sondern auch gegen die palästinensische Zivilbevölkerung. Dass sich die Terroristen der Hamas in Tunneln unter Gebäuden und in Häusern von Zivilisten verstecken, zeigt, dass die Menschen in Gaza als lebende Schutzschilde missbraucht werden.

So verschärft der Krieg die Situation der Zivilbevölkerung in Gaza. Die humanitäre Hilfe für den Gazastreifen ist notwendig, um eine noch größere humanitäre Katastrophe zu verhindern.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass sich Menschen aus Israel und Menschen mit palästinensischen Wurzeln in Deutschland aktuell große Sorgen um ihre Angehörigen machen. Aber es gibt keine Rechtfertigung, absolut überhaupt gar keine Rechtfertigung dafür, Antisemitismus und Hass gegen Israel auf unsere Straßen zu tragen und zu relativieren, wer für den Angriff verantwortlich ist. Demonstrationen sind durch das hohe verfassungsrechtliche Gut der Versammlungsfreiheit geschützt. Aber diese endet dort, wo Straftaten begangen werden, wo Volksverhetzung auf die Straßen getragen wird und die öffentliche Sicherheit gefährdet ist.

Erschreckend ist auch die islamistische Gefahr, wie wir gestern Abend mit der Festnahme in Duisburg erfahren haben. Ich vertraue unseren Sicherheitsbehörden, dass sie konsequent gegen antisemitische Straftaten in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen vorgehen. Denn unsere Demokratie ist nicht wehrlos, sie ist wehrhaft. Antisemitismus muss bekämpft werden!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Wir erleben in Deutschland gerade einen massiven israelbezogenen Antisemitismus – aus migrantischen Communities, aus dem linken Milieu, aus dem Rechtsextremismus. Wir erleben einen Antisemitismus in der gesamten Bevölkerung, der mit doppelten Standards misst, sobald es um den Staat Israel geht. Antisemitismus ist in Deutschland tief verankert und ursächlich für Verfolgung, Vertreibung, Pogrome bis hin zur Shoah.

Auch nach 1945 war der Antisemitismus in Deutschland nie weg. Viele Gewalttaten, darunter auch der rechtsterroristische Anschlag von Halle, führen uns das sehr schmerzlich vor Augen. Weil wir um die Verbreitung von Antisemitismus wissen, haben wir in den letzten Jahren die Maßnahmen verstärkt mit der Stelle der Antisemitismusbeauftragten, der Meldestelle RIAS, den Antidiskriminierungsstellen SABRA und ADIRA, den Studien zum Kontext Schule, um diskriminierungsfreie Räume an den Schulen zu schaffen. Aber offenbar – das ist eine absolut bittere Erkenntnis nach so vielen Jahren Arbeit, die wir hier auch gemeinsam als Demokratinnen und Demokraten im Parlament geleistet haben – reichen diese Maßnahmen nicht aus.

Dass in den letzten Tagen Drohungen gegen Schulen eingegangen sind, besorgt mich sehr. Jüdische Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte haben ja schon vor dem 7. Oktober, vor diesem Angriffskrieg, immer wieder von Antisemitismus im Alltag an unseren Schulen berichtet, ausgerechnet an diesem Ort Schule, an dem junge Menschen gemeinsam lernen und sich sicher fühlen sollen.

Wir haben da eine Gesetzeslücke, und zwar im Antidiskriminierungsrecht, sowohl an den Schulen als auch an den Hochschulen hier im Land, denn das ist Ländersache, und das Gesetz des Bundes greift nicht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ein eigenes Landesantidiskriminierungsgesetz planen und umsetzen wollen, damit sich Betroffene von Antisemitismus, von menschenverachtender Diskriminierung dagegen wehren können.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Antisemitismus braucht eine klare Absage, und das erwarte ich auch von allen gesellschaftlichen Akteuren. Doch ich habe die Sorge, dass die aktuelle Debatte über schärfere Forderungen in der Migrationspolitik nicht zu weniger Antisemitismus führen wird, sondern zu mehr Ausgrenzung von gesellschaftlichen und marginalisierten Minderheiten.

Ich fürchte, es schadet denjenigen, die Schutz vor Terror suchen, und das kann wirklich niemand wollen.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Der Schutz jüdischen Lebens ist unsere Verpflichtung als demokratische Gesellschaft. Jüdinnen und Juden sind unsere Nachbarn, unsere Arbeitskolleg*innen und unsere Klassenkamerad*innen seit mehr als 1700 Jahren in Deutschland. Ob Jüdinnen und Juden in Deutschland frei von Angst, frei von Bedrohungen und frei von Gewalt leben können, ist auch ein Gradmesser über die Verfasstheit unserer demokratischen Gesellschaft.

Die Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland – das erleben wir aktuell ja sehr stark – bedeutet, dass wir unsere Anstrengungen verstärken müssen, dass wir für mehr Resilienz gegen antisemitische Ressentiments in allen gesellschaftlichen Milieus und Gruppen sorgen müssen. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe als Demokratinnen und Demokraten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „haTikwa“ heißt Hoffnung. In diesem Augenblick, in dem israelische Geiseln noch in den Händen der Hamas-Terroristen sind, wo Menschen weiterhin getötet werden, fällt es nicht leicht, Worte der Hoffnung zu finden. Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass nach diesem furchtbaren Angriffskrieg der Hamas an die Annäherung der letzten Jahre im Nahen Osten auch wieder angeknüpft und darauf aufgebaut werden kann.

Mein tiefster Wunsch für Israel und für die Menschen in Israel ist: Frieden, Freiheit und Sicherheit.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNEN im Landtag zur Stärkung der Demokratie

„Wir sind eine demokratische, eine vielfältige Gesellschaft – dafür stehen wir jeden Tag auf“

Der Antrag „Demokratiefeindlichkeit entgegenwirken – Präventionsarbeit weiter stärken“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ziemlich erschüttert über die aktuellen Ergebnisse der neuen Mitte-Studie, die alle zwei Jahre die Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft misst. 8 % der Bevölkerung haben demnach ein rechtsextremes Weltbild.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Vor zwei Jahren waren es noch 1,7 %. Wir erleben also einen massiven Anstieg rechtsextremer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Das sollte uns als Demokratinnen und Demokraten alle sehr besorgen.

Alle Indikatoren, nach denen gemessen wird, was ein rechtsextremes Weltbild ist – zum Beispiel Verharmlosung der NS-Verbrechen, Rassismus, Antisemitismus, sozialdarwinistische Haltungen –, sind in den Befragungen angestiegen. Mehr als 6 % der Befragten befürworten sogar eine Diktatur mit einem starken Führer.

Für mich müssen diese dramatischen Ergebnisse, die heute vorgestellt wurden, zu einem echten Schulterschluss der Demokratinnen und Demokraten führen. Wir brauchen mehr Anstrengungen gegen Rechtsextremismus. Wir müssen mehr machen und dürfen es nicht zulassen, dass diese Feinde der Demokratie unsere demokratische, vielfältige Gesellschaft anfeinden und angreifen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Wir erleben seit Jahren, seit Jahrzehnten Veränderungen in der rechtsextremen Szene. Es hat nie die eine rechtsextreme Szene gegeben. Wir erleben Veränderungen bei den Akteuren, Strategien und Themen. Verschwörungsmythen, die Zusammenkunft von bürgerlichen Milieus und Rechtsextremen bei den Coronaprotesten, Hassrede im Internet, aber auch im realen Leben, die Radikalisierung im Netz, die Aufmärsche, die Publikationen von extrem rechten Akteuren und der Ankauf von Immobilien durch Rechtsextreme sind nur einige der Schlaglichter, mit denen wir es auch in Nordrhein-Westfalen zu tun haben, wenn wir über Rechtsextremismus sprechen.

Eines ist dabei klar: Es gibt ein verbindendes Element im Rechtsextremismus. Das sind die rassistischen, antisemitischen, menschenverachtenden Einstellungen. Das ist der Kern. Darüber müssen wir sprechen.

Unsere Demokratie ist gerade gefährdet. Es ist nicht nur abstrakt, wenn wir sagen: Es ist eine Gefahr für unsere Demokratie. – Die Gefahr ist ja sehr real. Rechtsextreme haben zum Ziel, unsere Demokratie abzuschaffen. Die AfD hat zum Ziel, unsere Demokratie abzuschaffen.

Was heißt das konkret für Menschen in unserem Land? Was heißt das für Menschen, die gesellschaftlichen Minderheiten angehören? Sie erleben das jeden Tag. Sie erleben Diskriminierungen und Anfeindungen und auch, dass diese in einer Situation zunehmen, in der sich ein gesellschaftlicher Diskurs verändert. Deshalb reden wir über eine reale innenpolitische Gefahr in Nordrhein-Westfalen.

Das bedeutet auch, dass wir uns als Demokratinnen und Demokraten mit aller Kraft dagegenstellen müssen und Hass und Hetze in diesem Land niemals zulassen dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Es gibt nicht die eine Lösung, die eine Antwort. Dann wäre es ja so einfach. Aber es ist nicht einfach, weil wir über Einstellungen reden. Wir reden nicht nur über irgendwelche Akteure an einem vermeintlich rechtsextremen Rand, sondern über Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Das hat die Studie heute noch einmal sehr deutlich gezeigt.

Das macht es gleichzeitig so schwer, weil wir auch über uns reden müssen. Wir müssen darüber reden: Was haben wir denn in unseren Köpfen? Welche Einstellungen vertreten wir? Welche Stereotype haben wir im Kopf? – Es ist die Auseinandersetzung, die wir in unserer Gesellschaft führen müssen, in allen gesellschaftlichen Organisationen, überall da, wo Menschen zusammenkommen. Das macht die Bekämpfung von Rassismus in der Mitte der Gesellschaft eben so schwierig.

Insofern gibt es nicht die eine Antwort. Aber natürlich müssen wir das Thema angehen.

Deshalb hat die damalige rot-grüne Landesregierung schon 2016 ein Integriertes Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf den Weg gebracht. Dieses Konzept wurde weiterentwickelt und evaluiert. Ein wichtiges Ergebnis dabei war, dass wir die Rolle der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus im Land stärken müssen, weil diese Koordinierungsstelle die verschiedenen Maßnahmen umsetzt. Klar ist aber auch: Es betrifft nicht das eine Ressort, das eine Ministerium.

Wir müssen mit Repression gegen Rechtsextremismus vorgehen. Wir brauchen die Intervention, die Solidarität mit von rechter Gewalt Betroffenen und die Prävention. Das zeigt, wie breit wir die Bekämpfung von Rechtsextremismus anlegen müssen. Dafür gibt es das Handlungskonzept.

Wir wollen mit dem Antrag die Rolle der Landeskoordinierungsstelle weiter stärken, damit die Maßnahmen gegen rechts umgesetzt und noch verstärkt werden können.

Mein Ziel ist, dass die rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung bei null sind, wenn wir in zwei Jahren wieder hier stehen und eine neue Mitte-Studie auf dem Tisch liegt.

(Beifall von den GRÜNEN und Daniel Hagemeier [CDU])

Das Ziel muss doch sein, dass wir Rechtsextremismus und Rassismus in unserer Gesellschaft erfolgreich bekämpfen. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Ich bin auch optimistisch, dass wir als Demokratinnen und Demokraten das schaffen. Denn wir sind mehr. Wir sind die Mehrheit in dieser Gesellschaft. Wir sind eine demokratische, eine vielfältige Gesellschaft. Dafür stehen wir jeden Tag auf. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zu Anträgen der Fraktionen von SPD, FDP und „AfD“ zu kommunalen Flüchtlingsunterkünften

„Was ich in dieser Debatte wirklich vermisse, ist Ehrlichkeit und Redlichkeit“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss wirklich sagen, dass mich die ersten Redebeiträge dieser Debatte echt fassungslos machen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Elisabeth Müller-Witt [SPD] – André Stinka [SPD]: Das dürfte Sie nicht wundern! Sie sollten sich schämen! Unglaublich!)

Wir reden hier immer noch über Menschen. Wir reden über Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Ich finde das Gebaren, insbesondere der SPD-Fraktion, wirklich unwürdig und verantwortungslos.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ja, die Herausforderungen in den Kommunen sind riesengroß. Das ist so. Die Anpassung an die Klimakrise, die Schaffung …

(Unruhe – Glocke)

Präsident André Kuper: Frau Schäffer, ich darf gerade mal um Unterbrechung bitten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen der Rednerin oder dem jeweiligen Redner hier das Wort ermöglichen. Ich bitte, sich alle entsprechend zu verhalten.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident.

Es ist ja so, die Herausforderung in den Kommunen ist riesengroß – das stimmt –, seien es die Schaffung von OGS-Plätzen, die Anpassungen an die Klimakrise und auch die Aufnahme von Geflüchteten, die Unterbringung, die Integration, die Organisation von Sprachkursen, von Kitaplätzen. Ich bin dankbar, dass die Kommunen es jeden Tag in Nordrhein-Westfalen schaffen und sie Verantwortung, mehr Verantwortung übernehmen. Jede Kommune in Nordrhein-Westfalen übernimmt derzeit mehr Verantwortung als diese SPD-Landtagsfraktion.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Frank Börner [SPD])

Ankommenden Geflüchteten eine menschenwürdige Unterbringung zu geben, das ist Aufgabe des Landes und der Kommunen. Ja, mit der steigenden Anzahl von Geflüchteten müssen die Kapazitäten erhöht werden, und genau daran arbeitet diese Landesregierung.

(Christian Dahm [SPD]: Leider nicht!

SPD und FDP blenden doch eine Sache bewusst aus. Nicht nur für die Kommunen, sondern auch für das Land ist die aktuelle Situation eine riesengroße Herausforderung. Aber ich habe in dieser Debatte keinen einzigen sinnvollen Vorschlag von Ihnen gehört, wie Sie denn wirklich konkret mehr Plätze schaffen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Ich hätte wirklich einen anderen Anspruch an eine konstruktive Oppositionsarbeit.

(Christian Dahm [SPD]: Ha, ja! – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Wir Grüne haben Oppositionsarbeit immer anders verstanden. Ich finde, Sie werden dem gerade nicht gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was ich in dieser Debatte wirklich vermisse, ist Ehrlichkeit und Redlichkeit.

(Zurufe von der SPD)

– Lassen Sie mich doch einmal ausreden, kommen Sie doch einmal runter!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Kommen Sie mal runter! – Zuruf von der SPD: Reden Sie zur Sache!)

– Ich rede zur Sache.

(André Stinka [SPD]: Überhaupt nicht!)

Ich würde gerne an eine Sache erinnern, weil ich es noch so gut vor Augen haben. Alle demokratischen Fraktionen hier im Hause waren schon mal in Regierungsverantwortung. Ich habe noch gut vor Augen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wie wir gemeinsam im Innenausschuss gesessen haben und von der Opposition getrieben wurden. Ich finde es traurig, dass die SPD jetzt in dieser Situation

(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Mein Gott, muss die Wunde tief sein!)

reflexartig in genau dieselbe Oppositionsrolle verfällt. Ich finde das unehrlich und frage mich wirklich, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD: Was habt ihr denn aus der damaligen Situation gelernt? Wo steht ihr eigentlich heute in dieser Frage?

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

So ein ritualisierter Schlagabtausch ist doch unwürdig und wird der Sache nicht gerecht.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Ein Versagen des Staates herbeizureden und damit den Vertrauensverlust in staatliche Institutionen noch weiter zu befördern, ist verantwortungslos

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wer die Wahrheit ausspricht, ist schuld!)

und wird, wie gesagt, der Sache nicht gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Landesunterkünfte können immer nur in Kommunen eingerichtet werden. Deshalb braucht es die Bereitschaft und die Kooperation vor Ort.

Als schwarz-grüne Koalition wollen wir die hundertprozentige Anrechnung der Landesunterkünfte auf die Aufnahmeverpflichtung der Kommunen. Wir müssen und wollen die Ehrenamtlichen vor Ort, die es gibt und die total engagiert sind, stärker einbinden. Es ist richtig, dass das Flüchtlingsministerium angekündigt hat, die Bezirksregierungen noch stärker bei der Akquise von Flächen und beim Belegungsmanagement zu unterstützen. Das sind wichtige Schritte, die wir als Land gehen, um die Kommunen in Zukunft noch besser zu unterstützen.

Ich will eins noch einmal klarstellen: Die derzeitige Zuweisung von Geflüchteten an die Kommunen geschieht ja nicht willkürlich. Es werden vorrangig Menschen zugewiesen, die eine gute Bleibeperspektive haben. Insgesamt haben über 70 % der Geflüchteten, die zu uns kommen, eine gute Bleibeperspektive. Deshalb ist die Integration von Anfang an so wichtig – im Interesse der geflüchteten Menschen, aber auch im Interesse unserer Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ja, ich muss den Bund ansprechen, auch wenn Sie wieder kritisieren werden, wir würden immer nach Berlin zeigen. Aber es gibt geteilte Verantwortlichkeiten. Es gibt eine Verantwortung des Landes, der Kommunen, und es gibt auch eine Verantwortung des Bundes. Dazu gehört es, dass es im Bereich der Migration ein Gesamtpaket geben muss. Dazu gehören Migrationsabkommen mit Herkunftsländern für die Rücknahme bei abgelehnten Asylanträgen, aber genauso für die Schaffung legaler Fluchtwege. Was macht stattdessen Nancy Faeser in der aktuellen Flüchtlingsdebatte? Sie heftet sich in halbgaren Diskussionen ihren roten Sheriffstern an und verwässert die flüchtlingspolitische Programmatik der SPD weiter.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Der FDP-Bundesfinanzminister hat immer noch nicht die Zusage über die Bundesbeteiligung gegeben, die dauerhaft sein muss, die dynamisch sein muss, damit die Kommunen und Länder planen können.

(Zurufe von der FDP)

Wir haben eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen, und der muss auch der Bund endlich gerecht werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Eines möchte ich zum Abschluss gerne noch sagen. Ich mache mir wirklich gerade sehr große Sorgen über die Zustimmung zu rechtspopulistischen Positionen in unserer Gesellschaft. Ich weiß, dass es hier sehr vielen in den demokratischen Fraktionen so ergeht. Wir wissen, dass solche Diskurse als Legitimation für flüchtlingsfeindliche Straftaten genutzt werden. Man kann die jeweilige konkrete Situation nicht gleichsetzen, aber den Zusammenhang von Stimmung in der Gesellschaft und Straftaten hat es Anfang der 90er-Jahre in Deutschland gegeben, es hat diesen Zusammenhang 2015/2016 gegeben – das ist messbar, das sehen wir an den Straftaten –, und aktuell steigt auch wieder die Zahl flüchtlingsfeindlicher Straftaten in Deutschland.

Deshalb sind wir als Demokratinnen und Demokraten doch gefragt, unsere demokratischen Grundwerte zu verteidigen. Ich finde, dazu gehört auch, dass keine Stimmungen entstehen dürfen und dass wir es nicht zulassen, dass sie entstehen, weil Rechte und Rechtsextreme diese als Legitimation für ihre Straftaten nutzen. Das dürfen wir unter keinen Umständen zulassen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zum Antrag der FDP-Fraktion zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

„Die Einigung der europäischen Mitgliedsstaaten kann aus grüner Sicht zentrale Anliegen nicht erfüllen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das UNHCR hat am Mittwoch veröffentlicht, dass derzeit 108 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, davon etwa 40 % Kinder. Das ist ein neuer, ein sehr trauriger Höchstwert.

Diese Menschen müssen ihre Heimat aufgrund von Krieg und Gewalt, Vertreibung und Zerstörung verlassen, um das eigene Leben oder das ihrer Familie in Sicherheit zu bringen. Mehr als die Hälfte fliehen innerhalb ihres Landes. Wenn Geflüchtete das Land verlassen, sind es zum größten Teil ärmere Länder, die sie aufnehmen.

In Europa gab es im letzten Jahr etwa 5 Millionen Geflüchtete, davon 4 Millionen Menschen aus der Ukraine, die vor dem russischen Angriffskrieg fliehen mussten. Ich bin sehr dankbar für die Aufnahmebereitschaft in Europa. Vielen Dank an die Kommunen, an die vielen Ehrenamtlichen, die wieder einmal Großartiges leisten!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir alle haben die teils katastrophale Situation an den EU-Außengrenzen im Kopf. Mit dem Schiffsunglück auf dem Mittelmeer vor zwei Tagen mit vermutlich mehreren hundert Toten kommt ein weiteres, sehr trauriges Bild hinzu.

Eine Reform der europäischen Asylpolitik, die sich an Menschenrechten und an Solidarität unter den europäischen Mitgliedsstaaten ausrichtet, ist dringend notwendig. Und deshalb war es auch richtig, dass die deutsche Bundesregierung aktiv in die Verhandlung eingestiegen ist.

Den Antrag der FDP für die Aktuelle Stunde finde ich jedoch reichlich unterkomplex. Sie wissen als Europapartei, dass die Verhandlungen auf europäischer Ebene noch gar nicht abgeschlossen sind. Das Trilog-Verfahren steht doch jetzt erst an. Es sind unsere Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, die jetzt dran sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Sie wissen auch, dass der Landtag von Nordrhein-Westfalen gar nicht über die GEAS-Reform entscheiden wird. Deshalb ist das Anliegen der FDP, das mit dieser Aktuellen Stunde verbunden wird, auch so eindeutig, und das hat auch gerade die Rede von Henning Höne deutlich gemacht: Sie wollen einzig und allein Streit in dieser Koalition provozieren. Um es vorwegzunehmen: Es wird Ihnen nicht gelingen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Aber dass Ihnen mit so einer Debatte politische Geländegewinne wichtiger sind als diejenigen, um die es hier eigentlich gehen muss, nämlich asylsuchende Menschen, das finde ich wirklich nicht in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Einigung der Innenministerinnen und Innenminister der europäischen Mitgliedsstaaten kann aus grüner Sicht zentrale Anliegen nicht erfüllen. Denn anders, als der Antrag der FDP suggeriert, gibt es eben keinen verbindlichen Verteilmechanismus.

(Beifall von den GRÜNEN)

In Zukunft sollen Asylsuchende in haftähnlichen Bedingungen das Asylverfahren an den EU-Außengrenzen durchlaufen. Ich halte das aus rechtsstaatlicher Perspektive für fragwürdig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Darüber hinaus ist es der Bundesregierung nicht gelungen, Familien und minderjährige Kinder davon auszunehmen. Das ist wirklich bitter, das ist richtig bitter. Deshalb handelt es sich mitnichten um einen historischen Erfolg für eine solidarische Migrationspolitik und für den Schutz von Menschenrechten, wie Nancy Faeser die Einigung gefeiert hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nancy Faeser braucht offenbar die Erfolgsmeldung noch vor der Hessenwahl. Aber dass Kinder bald von Freiheitsentziehung betroffen sein werden, das ist wirklich alles andere als ein Grund zum Feiern. Hierüber muss beim Trilog im Sinne der UN-Kinderrechtskommission dringend verhandelt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich weiß – auch das ist gerade deutlich geworden –, dass die CDU insgesamt eine andere politische Einschätzung zur GEAS-Reform hat. Und wissen Sie, was das ist? Das ist völlig in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich verrate Ihnen gerne ein Geheimnis: Wir sind und bleiben zwei unterschiedliche Parteien, und wir haben auch nicht vor, das zu ändern.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb ist es auch absolut in Ordnung, unterschiedliche Meinungen zu haben.

Lieber Henning Höne, wir brauchen auch keinen FDP-Antrag. Denn wir sind uns in Nordrhein-Westfalen in der schwarz-grünen Koalition sehr einig und eng beisammen, wenn es darum geht, die Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen. Nicht nur die Mittel aus dem Sondervermögen in Höhe von 390 Millionen Euro für die Kommunen waren wichtig. Wir sind auch die Stimme der Kommunen in Berlin. So nehme ich die FDP nicht wahr. Sie sind es nämlich nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen doch endlich von Einzelverhandlungen über Einmalzahlungen wegkommen. Wir brauchen dringend eine dauerhafte, strukturelle Beteiligung des Bundes an den Flüchtlingskosten. Insbesondere Bundesfinanzminister Christian Lindner ist in der Verantwortung dafür, dass der Bund die Finanzierungszusagen macht, damit unsere Kommunen bei der Aufnahme, Unterbringung und Integration von Geflüchteten unterstützt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wissen auch, dass viele Menschen, die hier bei uns Schutz suchen, aus berechtigten Gründen auch bei uns bleiben werden. Deshalb ist Integration von Beginn an so wichtig, und zwar nicht nur im Interesse der geflüchteten Menschen, sondern auch im Interesse unserer gesamten Gesellschaft. Denn wir brauchen schlicht die Fach- und Arbeitskräfte. Wir brauchen die Potenziale der Menschen, die zu uns kommen.

Deshalb ist es wichtig, an der zügigeren Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen, aber auch an der Aufhebung von Arbeitsverboten für Geflüchtete zu arbeiten. Daran arbeiten wir gemeinsam als Koalition.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Migration und Integration bleiben eine Daueraufgabe. Deshalb müssen wir verantwortlich handeln. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das den komplexen Herausforderungen gerade in den Kommunen Rechnung trägt. Deshalb reicht es auch nicht aus, sich hier in politischen Schaukämpfen zu verlieren, um vermeintlich die Koalition vorzuführen.

Wir brauchen Migrationsabkommen, um Rückführungen bei abgelehnten Asylanträgen durchzusetzen. Wir brauchen sie aber auch, um legale und sichere Migrationswege zu schaffen.

Wir brauchen Perspektiven für die Menschen, die zu uns kommen, und für diejenigen, die schon hier sind. Wir brauchen eine starke Integrationsinfrastruktur, weil unsere Gesellschaft auch auf Migration angewiesen ist.

Der Beitrag der FDP dazu ist heute leider unterkomplex geblieben. Ich finde das schade. Wir brauchen hier die sachliche Diskussion über dieses wichtige Thema.

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag zum 30. Jahrestag des Anschlages von Solingen

„Wir als Demokratinnen und Demokraten müssen alles für dieses „Nie wieder“ tun“

Der Antrag „Gedenken an die Opfer des rechtsextremistischen Brandanschlags in Solingen – Einstehen gegen Rassismus und Diskriminierung“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Nacht auf den 29. Mai 1993 verlor die Familie Genç fünf Familienmitglieder. Die Erinnerung an die fünf getöteten Frauen und Mädchen der Familie Genç wachzuhalten, ist ein ganz zentraler Teil der Erinnerungskultur unseres Landes. Wir werden Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç nicht vergessen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute nennen wir uns ganz selbstverständlich Einwanderungsgesellschaft. Das war ja nicht immer so. Als in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren Menschen als Arbeitskräfte angeworben wurden, nannte man sie Gastarbeiter. Man erwartete, dass sie irgendwann in ihr Herkunftsland zurückkehren würden.

Auch Mevlüde und Durmuş Genç wanderten in den 70er-Jahren nach Deutschland ein. Und sie blieben mit ihrer Familie. – Herr Genç, liebe Familie Genç, danke, dass Sie heute da sind.

(Beifall von allen Fraktionen)

Anfang der 90er-Jahre, kurz nach der Wiedervereinigung, wurde rassistisch aufgeheizt über die Aufnahme von Geflüchteten diskutiert. Trotz der Pogrome und Anschläge von Mölln, Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda wurde am 26. Mai 1993 im Deutschen Bundestag der sogenannte Asylkompromiss und damit eine erhebliche Beschneidung des Asylrechts beschlossen.

Für Neonazis und Rechtsextreme muss das eine Bestätigung für ihre menschenverachtende Hetze gewesen sein. Nur drei Tage später brannte in Solingen das Haus der Familie Genç.

Ich finde, das sollte uns sehr nachdenklich machen – nachdenklich darüber, wie wir als Politikerinnen und Politiker diskutieren, wie wir kommunizieren und was wir sagen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Am kommenden Montag jährt sich dieses furchtbare Ereignis zum 30. Mal. Der Brandanschlag von Solingen hat tiefe Narben in der Geschichte unseres Landes hinterlassen. Viele insbesondere junge Menschen mit Migrationsgeschichte in Nordrhein-Westfalen hat dieser rassistische Anschlag sehr geprägt. Wenn man mit ihnen spricht, kann man erahnen, welche Angst und Wut damals in der Luft lag. Diese Verunsicherung begleitet eine ganze Generation bis heute.

Neben der Erinnerung an die ermordeten Mitglieder der Familie Genç ist der Jahrestag auch ein wichtiger Anlass, über Kontinuitäten rechtsextremer Gewalt in Deutschland zu sprechen. Denn Solingen ist kein Einzelfall. Rassistische Gewalt in der Bundesrepublik begann nicht erst mit den 1990er-Jahren. Auch heute geht die größte Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft vom Rechtsextremismus aus.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Um Rechtsextremismus zu bekämpfen, stärken wir die Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus. Wir stärken die Präventionsarbeit. Wir reagieren auf neue Phänomene wie etwa die Verbreitung von Verschwörungserzählungen. Wir gehen gegen rechtsextreme Akteure vor, indem wir den Ermittlungsdruck gegen rechtsextreme Straftaten hoch halten.

Es ist eine gemeinsame Verantwortung und Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten, gegen Rechtsextremismus konsequent vorzugehen.

Mir ist aber auch wichtig, zu sagen, dass wir über Rechtsextremismus nicht losgelöst von Rassismus und menschenverachtenden Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft diskutieren können. Deshalb ist es wichtig, neben der Bekämpfung des Rechtsextremismus für wirksame Antidiskriminierungsstrukturen zu sorgen, diejenigen zu stärken, die von Rassismus und Diskriminierung in unserer Gesellschaft betroffen sind, ein eigenes Landesgesetz zu schaffen, um die Schutzlücken des AGG zu schließen, und eine Landesantidiskriminierungsstelle zu schaffen. Denn jeder Mensch soll ohne Angst vor rassistischer Gewalt oder Diskriminierung in Nordrhein-Westfalen leben können.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Bereits unmittelbar nach dem Anschlag rief Mevlüde Genç zur Versöhnung auf, und sie tat alles dafür, die Erinnerung wach zu halten. Mir ist bei einer der vielen Veranstaltungen, die ich miterleben durfte, auf der Mevlüde Genç gesprochen hat, in Erinnerung geblieben, wie Mevlüde Genç vor einigen Jahren von ihrer Enkelin Saime berichtete. Saime habe sich so sehr gefreut, endlich bald den Kindergarten besuchen zu dürfen. Dazu ist es nicht gekommen, weil die kleine Saime im Alter von gerade einmal vier Jahren ermordet wurde.

Die Geschichte von Saime ist die Geschichte eines nicht gelebten Lebens. Alle fünf Frauen und Mädchen waren sehr jung und hatten ihr ganzes Leben vor sich. Der Gedanke, was es bedeutet, was sie alles nicht erleben konnten, macht mich tief traurig, und den Schmerz der Angehörigen können wir nur erahnen.

Nie wieder sollen Eltern und Großeltern ihre Kinder durch einen rechtsextremen Anschlag verlieren, und wir als Demokratinnen und Demokraten müssen alles für dieses „Nie wieder“ tun.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP, Enxhi Seli-Zacharias [AfD] und der Regierungsbank)

Rede zum Entwurf der Landesregierung für ein Stiftungsgesetz – zweite Lesung

„Ich kann nicht erkennen, dass es hier ein Kontrolldefizit geben würde“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Sven Wolf, im Hauptausschuss machen wir viele Dinge wirklich interfraktionell. Ich glaube, es ist okay und in Ordnung, wenn wir an einer solchen Stelle auch mal zu einer unterschiedlichen Auffassung kommen und ein Gesetz nicht gemeinsam machen.

Ich möchte aber gern vorab auch noch einmal festhalten, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen eine vielfältige Stiftungslandschaft haben und die allermeisten Stiftungen in NRW eine wirklich wichtige gemeinnützige Arbeit leisten. Viele der Stiftungen unterstützen gerade diejenigen unserer Gesellschaft, die Unterstützung besonders brauchen. Das sind Kinder und Jugendliche; das sind ältere Menschen; das sind Menschen mit Behinderung; das sind Menschen, die von Armut betroffen oder gefährdet sind; das sind Menschen in Notlagen. Auch im Bereich von Kunst und Kultur, in der Denkmalpflege und in vielen gesellschaftspolitischen Themen engagieren sich ganz viele Stiftungen hier in Nordrhein-Westfalen. Oft wird diese Arbeit ehrenamtlich geleistet. Dafür möchte ich einmal Danke schön sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Jetzt aber zum konkreten Gesetzentwurf: Der Bundesgesetzgeber hat das Stiftungsrecht novelliert. Deshalb sind die landesrechtlichen Anpassungen notwendig, die jetzt mit diesem Gesetz getroffen werden sollen.

Die Sachverständigen haben in der Anhörung viele wichtige Fragen aufgeworfen. Sie haben in der Tat auch viel Kritik geäußert; das will ich gar nicht bestreiten. Ich möchte hier aber auch noch einmal sagen, dass wir uns als Regierungsfraktionen sehr intensiv mit dieser Kritik auseinandergesetzt haben und offensichtlich zu einem anderen Ergebnis kommen als SPD und FDP. Ganz deutlich widersprechen will ich nur der Aussage, wir würden diese Hinweise ignorieren. Wir ignorieren sie nicht. Wir haben sie geprüft und intern diskutiert. Wir haben sie abgewogen und kommen zu einem anderen Ergebnis als Sie.

Wir stellen einen Änderungsantrag und haben ihn schon im Hauptausschuss abgestimmt. Dort geht es ganz konkret um den § 6, bei dem wir eine redaktionelle Änderung vornehmen, weil es Unklarheiten bezüglich der Formulierung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gibt. Daher ist es sinnvoll, das hier zu streichen, damit diese Unklarheiten ausgeräumt werden und wir bei der gängigen Praxis bleiben.

Ich bin den Sachverständigen ausdrücklich dankbar für ihre Kritik. Wir sind als Abgeordnete immer darauf angewiesen, dass wir von externen Sachverständigen Hinweise bekommen. Das ist gut und hat auch zu diesem Änderungsantrag geführt.

Eine Kritik, die von den Sachverständigen geäußert wurde, bezog sich auf die Unterscheidung zwischen gemeinnützigen und privatrechtlichen Stiftungen. Auf den ersten Blick fand ich diese Kritik durchaus schlüssig. Deshalb haben wir natürlich darüber diskutiert und uns das angeschaut.

(Sven Wolf [SPD]: Uns hat das überzeugt!)

Auf den zweiten Blick muss ich aber sagen, dass ich der Einschätzung, der Prüfung und der Argumentation des Innenministeriums durchaus folgen kann. Deshalb ändern wir das an dieser Stelle nicht. Denn die Aufsichtsinstrumente, die wir als Staat haben, finden auch bei den privatrechtlichen Stiftungen Anwendung. Nur bei der jährlichen unaufgeforderten Vorlage von Jahresabrechnungen sind privatrechtliche Stiftungen ausgenommen. Das entspricht der bisherigen Praxis. Dabei werden wir bleiben.

Die Argumentation, dass die Kontrolldichte bei gemeinnützigen Stiftungen höher liegt – eben, um die Gemeinnützigkeit zu prüfen –, erscheint mir durchaus plausibel. Insofern kann ich dieser Argumentation folgen.

Selbstverständlich ist, dass der Stifterwille durchgesetzt werden muss. Das gilt sowohl für gemeinnützige als auch für privatrechtliche Stiftungen. Dafür stehen den Stiftungsbehörden nach wie vor auch nach dem neuen Gesetz entsprechende Aufsichtsmittel zur Verfügung. Meines Erachtens gibt es überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Zuständigen im Innenministerium oder in den Bezirksregierungen ihrer Aufgabe bei der Rechtsaufsicht unvermindert nachkommen werden.

Deshalb, lieber Sven Wolf, kann ich nicht erkennen, dass es hier ein Kontrolldefizit geben würde. Ein solches Defizit sehe ich nicht. Daher werden wir den Änderungsantrag von SPD und FDP ablehnen.

Ich hoffe und gehe auch davon aus, dass die Stiftungen in Nordrhein-Westfalen mit dieser Gesetzesnovelle eine gute Grundlage haben, um ihre so wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft auch in Zukunft fortsetzen zu können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag zum 80. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto

„Das Versprechen ‚Nie wieder!‘ einzulösen, heißt auch, jüdisches Leben zu schützen“

Der Antrag „80 Jahre Aufstand im Warschauer Ghetto: Gedenken an den unerschrockenen Widerstand“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir erinnern heute an den mutigen Aufstand im Warschauer Ghetto vor 80 Jahren. Ich finde es dabei auch wichtig, daran zu erinnern, dass es ein reiches kulturelles jüdisches Leben in Polen gegeben hat. Jüdinnen und Juden machten vor der Shoah 10 % der Gesamtbevölkerung in Polen aus.

Warschau war das bedeutendste Zentrum jüdischen Lebens in Europa. In den Straßen von Warschau gab es jüdische Gebetshäuser und Synagogen. Es gab die rituellen Tauchbäder, die Mikwen. Es gab Schulen und jüdische Bibliotheken.

In Warschau wurden jiddische Tageszeitungen herausgegeben, wurde jiddisches Theater gespielt. Es gab ein jüdisches Musikinstitut, und es gab diverse jüdische Sportklubs.

Ein Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt war jüdisch. Ja, das stellt letztlich auch unser Bild einer jüdischen Minderheit in Europa auf den Kopf und zeigt zugleich, dass die Nationalsozialisten einen großen Teil der polnischen Bevölkerung grausam ermordet und vernichtet haben. Es ist unsere Pflicht, an jedes einzelne Schicksal, an jeden einzelnen Menschen zu erinnern.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Von den über 3 Millionen Jüdinnen und Juden in Polen haben gerade einmal etwa 300.000 Menschen überlebt. Wenn man sich die Bilder und Berichte von Zeitzeugen des Warschauer Ghettos anschaut, dann werden aus diesen unvorstellbaren Zahlen ganz konkrete Schicksale. Dann sehen wir die einzelnen Menschen, die unter absolut katastrophalen Bedingungen im Warschauer Ghetto eingepfercht leben mussten, jüdische Kinder, die ihrer Kindheit beraubt wurden und in Hunger und Angst leben mussten, Menschen, die ihr Leben riskierten und gestohlene Lebensmittel in das Ghetto schmuggelten, um ihre Familie zu ernähren, Leichen von verhungerten Menschen auf der Straße, die Ausbreitung von Krankheiten aufgrund der desaströsen hygienischen Bedingungen, die Zwangsarbeit, die Gewalt, die Willkür, mit der die Nationalsozialisten brutal gegen die jüdische Bevölkerung vorgegangen sind.

Ab Juli 1942 gab es die Deportation ins Vernichtungslager Treblinka. Alte und kranke Menschen wurden noch in Warschau erschossen. Übrig blieben im Warschauer Ghetto die Jüdinnen und Juden, die die Nationalsozialisten vorerst am Leben ließen, um sie als Zwangsarbeiter auszubeuten. Auch das war ganz besonders perfide und grausam.

Am 19. April 1943, kurz vor Beginn des Pessach, begann der Aufstand im Warschauer Ghetto, als weitere Deportationen bevorstanden. Die Menschen wussten ja, dass sie in den Tod geschickt werden sollten.

Es waren insbesondere junge Menschen, deren Angehörige oftmals längst getötet worden waren, die den Aufstand im Warschauer Ghetto anführten und im wahrsten Sinne des Wortes trotz völlig ungleicher Waffen mehrere Wochen den SS- und Wehrmachtseinheiten Einhalt geboten. Dieser Mut und diese Entschlossenheit sind absolut beeindruckend. Das Gedenken an den größten jüdischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist deshalb wichtig, und die Erinnerung daran muss wachgehalten werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Es ist wichtig, dass wir aller Menschen des Warschauer Ghettos gedenken – denen, die kämpfen konnten und Widerstand geleistet haben, und denen, die es eben nicht konnten. Für uns steht das Gedenken an die Opfer des Warschauer Ghettos gleichzeitig für das Gedenken an alle Menschen, die die Gräueltaten des NS-Regimes erleiden mussten und ermordet wurden. Wir werden sie nicht vergessen!

Ich danke allen demokratischen Fraktionen, dass wir die heutige Debatte auch dazu nutzen, um ein weiteres gemeinsames Zeichen gegen Antisemitismus und für den Schutz und die Wertschätzung jüdischen Lebens zu setzen. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und die Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes ist eine tragende Säule der Erinnerungskultur, die wir weiter fördern und stärken wollen.

Einen herausragenden Beitrag hierfür leisten die Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen. Uns als demokratische Fraktionen ist es wichtig, allen Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, mindestens einmal eine Gedenkstätte zu besuchen. Ich bin davon überzeugt, dass mit einer Einbettung in ein gutes pädagogisches Konzept Gedenkstättenfahrten dazu beitragen können, zukünftigen Generationen zu vermitteln, dass es in unserer Verantwortung liegt, für eine lebendige Erinnerungskultur zu sorgen und gegen Antisemitismus und Rassismus einzustehen.

Mir ist auch wichtig, an die Bedeutung jüdischen Lebens vor der Shoah zu erinnern und jüdisches Leben auch heute zu unterstützen und zu schützen. Das Versprechen „Nie wieder!“ einzulösen, heißt auch, jüdisches Leben zu schützen. Auch das liegt in unserer Verantwortung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Rede zu verwaisten jüdischen Friedhöfen

„Die verwaisten jüdischen Friedhöfe sind ein unschätzbares Kulturerbe“

Der Antrag „Geschichte für die Zukunft erhalten – Verantwortung für die Pflege verwaister jüdischer Friedhöfe in Nordrhein-Westfalen weiterhin nachkommen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Friedhöfe sind ganz besondere Orte. Sie sind Orte der Trauer. Sie sind Orte, an denen wir der Verstorbenen gedenken. Sie sind Orte der Stille, und sie sind religiöse Orte. Ich finde, sie sind auch sehr friedliche Orte.

Ich gebe zu, ich bin sehr gerne auf Friedhöfen. Denn sowohl aktuell genutzte als auch alte, historische Friedhöfe erzählen uns ganz viele Geschichten – über die Menschen, die dort bestattet wurden, aber auch über Veränderungen in der Gesellschaft.

Das gilt natürlich auch für jüdische Friedhöfe. Wer einen jüdischen Friedhof besucht, kann ganz viel entdecken. Er sieht vielleicht auf einem Grabstein die Priesterhände der Kohanim, die Levitenkanne oder den Schofar. Oder man sieht Abbildungen von Tieren, die bildliche Hinweise auf den Namen der oder des Verstorbenen geben.

Die Symbolik auf den Grabsteinen verrät uns schon auf einen Blick ganz viel über die Verstorbene oder den Verstorbenen. Die Inschriften, die Anzahl oder die Anordnung von Gräbern, aber auch die Lage der Friedhöfe geben uns Auskunft nicht nur über die hier bestatteten Menschen, sondern auch über die Situation von Jüdinnen und Juden in einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft im Verlauf der Geschichte.

Dass den jüdischen Gemeinden in der Vergangenheit oftmals Grundstücke angeboten wurden, die man für nichts anderes nutzen konnte, sagt sehr viel über die Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft aus.

Seit mindestens 1.700 Jahren gibt es jüdisches Leben in Deutschland, und seit mindestens 1.700 Jahren sorgen Jüdinnen und Juden dafür, dass ihre Angehörigen sehr würdig begraben werden. Das jüdische Religionsgesetz sieht die ewige Totenruhe vor. Deshalb haben wir in Deutschland zum Teil sehr alte jüdische Friedhöfe.

Diese alten, verwaisten Friedhöfe sind von unschätzbarem kulturellem Wert und eine unglaublich wertvolle historische Quelle. Deshalb ist es wichtig, dass wir für den Erhalt dieser Friedhöfe sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Die wechselhafte Geschichte von Jüdinnen und Juden in Deutschland ist von Verfolgung und Vertreibung geprägt. Jüdische Friedhöfe oder auch nur einzelne Grabsteine sind immer wieder geschändet worden. Leider erleben wir heute noch, dass jüdische Gräber geschändet werden.

Die Vernichtungspolitik des NS-Regimes richtete sich sowohl gegen jüdische Menschen wie auch gegen jüdische Institutionen. Dazu gehören eben die jüdischen Friedhöfe. Viele jüdische Friedhöfe sind in dieser Zeit unwiederbringlich zerstört worden. Auch nach 1945 – ich finde es wichtig, das zu sagen – sind in Nordrhein-Westfalen noch jüdische Friedhöfe vernichtet worden.

Daraus erwächst eine ganz besondere Verantwortung für uns: die Verantwortung, die ewige Totenruhe der Verstorbenen zu gewährleisten, jüdische Friedhöfe als historische Quelle mit einem unschätzbaren kulturellen Wert zu erhalten und jüdische Friedhöfe als wichtigen Bestandteil unserer Erinnerungskultur zu verstehen. Denn an manchen Orten auch in Nordrhein-Westfalen sind es nur noch die jüdischen Friedhöfe, die daran erinnern, dass dort einst jüdische Gemeinden bestanden haben.

Deshalb ist dieser Antrag ein wirklich wichtiges Signal, dass wir als demokratische Fraktionen der Verantwortung für die verwaisten jüdischen Friedhöfe nachkommen wollen.

Es gibt die Kostenpauschale für die Pflege und Instandhaltung der verwaisten jüdischen Friedhöfe. Wir wissen, dass diese Pauschale nicht mehr auskömmlich ist. Der Antrag soll der Landesregierung Rückenwind bei den Verhandlungen mit dem Bund geben, damit die Pauschale angehoben wird. Es ist ganz klar geregelt, dass Bund und Länder die Kostenpauschale hälftig tragen. Wir hier in Nordrhein-Westfalen wollen, dass die Mittel für die Instandhaltung und Pflege der verwaisten jüdischen Friedhöfe wieder auskömmlich sind. Ich hoffe sehr auf die Bereitschaft des Bundes.

Die verwaisten jüdischen Friedhöfe sind ein unschätzbares Kulturerbe, das wir hegen und pflegen müssen. Wir tragen gemeinsam Verantwortung für die Vergangenheit, aber auch für die Zukunft. Deshalb bin ich sehr dankbar für diesen Antrag. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – Erinnern heißt Verantwortung zu übernehmen

„Es darf keinen Schlussstrich geben“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nur wenige hundert Schritte vom Landtag entfernt steht im Alten Hafen die kleine Statue eines Mädchens mit einem Ball in der Hand. Das Mädchen ist Ida Ehra Meinhardt. 1940 wurde Ehra nach Polen deportiert, glücklicherweise überlebte sie. Wir können nur erahnen, mit welchen körperlichen und seelischen Folgen.

Die Ehra-Statue erinnert an die hunderttausenden Opfer des Völkermords an den Sinti und Roma. Sie und die anderen Opfer des Nationalsozialismus werden wir niemals vergessen.

(Beifall von der den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Auschwitz ist das Synonym für die systematische Vernichtung von Jüdinnen und Juden als die größte Opfergruppe, aber auch von Sinti und Roma, von Homosexuellen, von Menschen mit Behinderung, von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, von politischen Gegnerinnen und Gegnern. Die systematische Vernichtung folgte auf die systematische Ausgrenzung und Entrechtung durch die Nationalsozialisten.

Der Boykott jüdischer Geschäfte, die Euthanasie-Programme, die Rassengesetze, die Verschärfung des § 175, die Reichspogromnacht, die Angriffskriege auf souveräne Staaten und ihre Bevölkerung, der Auschwitz-Erlass zur Deportation der Roma und Sinti, die Wannseekonferenz – all das konnte geschehen, weil es Menschen gab, die die Nationalsozialisten unterstützt und sich angeschlossen haben, Menschen, die ihre Nachbarn verraten haben, Menschen, die Erlasse unterzeichnet, Schießbefehle erteilt und Hinrichtungen angeordnet haben, und Menschen, die mindestes weggewesen haben.

Der Auschwitz-Überlebende Primo Levi hat gesagt:

„Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, wir müssen alles dafür tun, dass es nicht wieder geschieht. Das ist unser Auftrag, das ist unsere Verantwortung, und zwar nicht nur in Reden an Gedenktagen, sondern im Alltag, und zwar jeden Tag.

(Beifall von der den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Mit der Befreiung von Auschwitz und dem Kriegsende in Deutschland und in Europa ist die menschenverachtende Ideologie nicht verschwunden, weder aus den Köpfen noch aus allen Gesetzen und Amtsstuben. Auch heute machen Jüdinnen und Juden in unserer Gesellschaft jeden Tag Antisemitismuserfahrungen, werden Menschen mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert, erleben Diskriminierung, weil sie der Minderheit der Sinti und Roma angehören, werden beschimpft und bespuckt aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität.

Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir uns dieser menschenfeindlichen Hetze und Ausgrenzung immer entgegenstellen.

Wir haben hier im Land gemeinsam als Demokratinnen und Demokraten die Stelle einer Antisemitismusbeauftragten eingerichtet, und wir wollen ihre Arbeit weiter stärken. Da die Arbeit der Antidiskriminierungsstellen und der Opferberatungsstellen so wichtig ist, werden wir eine Landesantidiskriminierungsstelle und ein Landesantidiskriminierungsgesetz schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb ist es auch so wichtig, dass Politikerinnen und Politiker darauf achten, wie sie sprechen, dass durch ihre Worte Gruppen nicht pauschal herabgesetzt werden, egal, in welchem Land die Eltern geboren wurden.

Wir als demokratische Gesellschaft müssen uns am Umgang mit unseren Minderheiten messen lassen. Jeder muss hier frei und ohne Angst vor Diskriminierung und Gewalt leben können.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und der FDP)

Die aktuelle Ausstellung der Zweitzeugen draußen im Foyer macht deutlich, weil die Zeitzeugen immer weniger werden, brauchen junge Menschen neue Zugänge zur Erinnerung. Wir müssen die historisch-politische Bildung deshalb mehr denn je stärken. Die Erinnerungsorte in Nordrhein-Westfalen leisten einen wichtigen Beitrag, um das Wissen über den Nationalsozialismus und auch die Forschung voranzutreiben. Es gilt dabei, die Erinnerungskultur weiterzuentwickeln, insbesondere in einer pluraler werdenden Gesellschaft. Es gilt auch, alle Opfergruppen in den Blick zu nehmen.

Dem Gedenken an die Verfolgung von Homosexuellen wurde lange Zeit kein Platz in der Erinnerungskultur eingeräumt. Der § 175 StGB galt lange unverändert fort. Die Schicksale der Kriegsgefangenen und der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sind noch nicht im kollektiven Gedächtnis präsent, und die Neukonstruktion des Erinnerungsortes Stalag 326 wird das sicherlich und hoffentlich ändern. Die Ehra-Statue im Alten Hafen von Düsseldorf wurde übrigens erst 1997 auf Betreiben des Landesverbandes deutscher Sinti und Roma in Nordrhein-Westfalen aufgestellt. Das zeigt uns, dass die Aufarbeitung und die Auseinandersetzung mit der Geschichte auch am 78. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung noch lange nicht abgeschlossen sind. Es darf keinen Schlussstrich geben.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Verantwortung als Demokratinnen und Demokraten, die Erinnerung wachzuhalten, die Geschichte eben nicht ruhen zu lassen sowie Hass und Diskriminierung heute und an jedem Tag entgegenzutreten. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Rede zu den Entwürfen der Landesregierung für das NRW Krisenbewältigungsgesetz und das NRW Rettungsschirmgesetz – dritte Lesung

„Es geht darum, den Menschen zu helfen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit inzwischen 300 Tagen führt Russland Krieg gegen die gesamte Ukraine. Das sind 300 Tage voller Leid und Angst, Vergewaltigungen, Folter und Tod.

Ich bin dankbar dafür, dass unsere Wirtschaft geschlossen hinter den Sanktionen steht, obwohl sie davon selbst hart getroffen ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich bin dankbar für alle ehrenamtlich Engagierten und die Menschen in den Kommunen, in den Bezirksregierungen und im Land, die jeden Tag Geflüchtete mit offenen Armen empfangen. Wir lassen uns von Putin nicht spalten. Wir stehen weiterhin fest an der Seite der Ukraine.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Schon als die ersten Sanktionspakete auf den Weg gebracht wurden, war klar, dass Putin mit seinen Androhungen ernst machen und die Gaslieferungen nach Westeuropa stoppen würde. Für eine Wirtschaft, deren Wachstum auf billigem Öl und Gas sowie billiger Kohle gründete, hat das fatale Auswirkungen, denn diese Abhängigkeit und die Versäumnisse der vergangenen Jahre kommen uns nun teuer zu stehen.

Das hat auch Folgen für die Unternehmen hier in Nordrhein-Westfalen, denn unser Land ist geprägt von energieintensiver Industrie. Deshalb trifft die Energiekrise unsere Unternehmen stärker als in anderen Bundesländern. Die Aussichten für das neue Jahr sind aufgrund von Rezession und Inflation alles andere als gut.

Eines ist klar: Es geht nicht nur um diesen Winter. Es geht auch um den nächsten Winter. Die Gasspeicher sind jetzt gerade gut gefüllt, aber die kalten Monate dieses Winters kommen erst noch. Es wird ein Kraftakt werden, die Gasspeicher für den darauffolgenden Winter wieder zu befüllen. Das nächste Jahr ist deshalb von einer hohen wirtschaftlichen Unsicherheit geprägt.

Wenn Sie uns nicht glauben, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und FDP, kann ich damit leben. Aber nehmen Sie doch bitte die Prognosen von Wirtschaftsexpertinnen und -experten ernst.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Nehmen wir!)

Die denken sich das doch nicht einfach aus.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Armut war bereits vor der Krise ein Problem hier in Nordrhein-Westfalen. Die gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise treffen von Armut betroffene und bedrohte Menschen besonders schwer. Deshalb sind Maßnahmen zur Krisenbewältigung dringend notwendig für die soziale Infrastruktur, für kleine und mittlere Unternehmen, für Kultureinrichtungen und Sportvereine. Kitas und Jugendzentren müssen warm und geöffnet bleiben. Frauen müssen auch weiterhin in einem Frauenhaus Zuflucht finden können.

Ja, wir treffen auch Vorsorge für den Worst Case. Ein Blackout ist sehr unwahrscheinlich, aber wenn er eintreten würde, dann wäre das eine ziemlich große Katastrophe. Deshalb ist es richtig, die kritische Infrastruktur vorzubereiten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Unterschiedliche Meinungen, der Wettbewerb um die besten Ideen und Argumente, die Kontrolle der Regierung: All das macht unseren Parlamentarismus aus. Das gehört zu Demokratie, und das gehört auch ein Stück weit zur Rollenverteilung zwischen der Opposition und den Regierungsfraktionen. Wer jedoch seit Monaten das Aufheben der Schuldenbremse fordert, aber nun die Notsituation nicht anerkennen will, wer ein NRW-Entlastungspaket fordert und gleichzeitig all unsere Vorschläge, die wir gestern gemacht haben, einfach pauschal ablehnt, der muss sich die Frage gefallen lassen, wie glaubwürdig das ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich war in den letzten Tagen etwas erstaunt darüber, wie von SPD und FDP mal eben so behauptet wird, was verfassungswidrig ist und was nicht. Das Prinzip der Gewaltenteilung sollte in diesem Parlament keine Wissenslücke sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Lachen von Christian Dahm [SPD] – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Ich würde gerne noch auf eine andere Wissenslücke hinweisen und sie schließen. Steuermehreinnahmen, die wider Erwarten in 2022 anfallen werden, können wir nicht für das Hilfspaket ausgeben, das in 2023 startet.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Jochen Ott [SPD]: Aber doch in 2022!)

Wir haben in 2022 noch die Coronanotsituation. Deshalb müssen wir alle Mehreinahmen am Ende des Jahres in die Schuldentilgung stecken.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Sie haben selbst noch vor ein paar Wochen die Auffassung vertreten, dass wir keine kreditfinanzierten Rücklagen ins nächste Haushaltsjahr übertragen dürfen. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Vorschläge von SPD und FDP sind getreu dem Motto: „Was interessiert mich eigentlich das Geschwätz von gestern?“

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Ralf Witzel [FDP]: Unvorstellbar! – Henning Höne [FDP]: Das sagt die Regierung nach dem Beratungsverfahren? Wahnsinn!)

Wenn ich mir eines für das neue Jahr wünschen darf, dann, dass wir vom Streit über Verfahren wegkommen und wieder darüber diskutieren, welche Unterstützung die Menschen in dieser schwierigen Zeit brauchen. Ich weiß, Herr Zimkeit, Sie haben gerade etwas komplett anderes gesagt. Trotzdem möchte ich es noch einmal betonen: Es geht darum, den Menschen zu helfen.

(Zuruf von der SPD: Er hat nicht komplett etwas anderes gesagt! Was soll das denn?)

Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, und ich fände es gut, wenn wir wieder dahin zurückkommen würden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Abgeordneten Dr. Maelzer. Lassen Sie die zu?

Verena Schäffer (GRÜNE): Nein, das möchte ich nicht. Danke.

(Zuruf von der SPD: Bloß nicht verwirren lassen!)

Präsident André Kuper: Okay.

Verena Schäffer (GRÜNE): Zurück zum Thema „300 Tage Krieg in der Ukraine“. Nach 300 Tagen tritt gewissermaßen ein Gewöhnungseffekt ein. Aber an Krieg dürfen wir uns niemals gewöhnen. Er darf niemals zur Normalität werden. Ich hoffe und ich glaube – ich bin mir sehr sicher –, dass wir uns darüber als Demokratinnen und Demokraten sehr einig sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zum Entwurf der Landesregierung zum Haushaltsgesetz 2023, Einzelplan „Staatskanzlei“ – zweite Lesung

„Ein wichtiger Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für unser demokratisches Zusammenleben“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sagt ja immer: Der Haushalt ist Politik in Zahlen. – Das gilt natürlich für alle Einzelpläne. Man könnte vielleicht sagen, dass es bei der Staatkanzlei nicht ganz stimmt, denn die Staatskanzlei hat viel Arbeit, aber im Verhältnis zu anderen Einzelplänen ein ziemlich kleines Budget.

(Sven Wolf [SPD]: Die macht sich auch viel Arbeit!)

Eine ganz wesentliche Aufgabe der Staatskanzlei ist die Koordinierung innerhalb der Landesregierung, aber vor allen Dingen auch mit dem Bund. Ich will daran erinnern, wie viele MPKen, Ministerpräsidentenkonferenzen, es in den vergangenen Monaten gegeben hat. Die Abkürzung MPK kannte vorher wahrscheinlich niemand, und jetzt weiß jeder sofort, was damit gemeint ist. Es geht bei den MPKen immer um ziemlich viel Geld. Deshalb sind sie nicht zu unterschätzen, sondern für das Land Nordrhein-Westfalen enorm wichtig.

Zu den Aufgaben der Staatkanzlei gehört die Öffentlichkeitsarbeit, die Informationen möglichst transparent aufzuarbeiten und aufzubereiten, zum Beispiel zu Corona oder zur Flut. Dazu wurden extra Hotlines eingerichtet. Ich finde, dass das eine ganz wichtige Funktion ist.

(Beifall von Romina Plonsker [CDU])

Die repräsentativen Aufgaben, die Gespräche mit den unterschiedlichen Akteuren, mit den Religionsgemeinschaften und, und, und – all das sind wichtige Aufgaben. Das klingt vielleicht nach viel Klein-Klein, deshalb will ich einmal grundlegender sagen, wofür der Einzelplan 02 auch steht.

Der Einzelplan 02 stellt die Mittel für grundlegende Strukturen von bürgerschaftlichem Engagement, von Beteiligungsmöglichkeiten an unserer Demokratie, für die Religionsgemeinschaften und für die Arbeit gegen Antisemitismus zur Verfügung. Damit ist er ein wichtiger Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für unser demokratisches Zusammenleben.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Am Montag haben wir den Tag des Ehrenamts begangen und die vielen Ehrenamtlichen dafür gefeiert, dass sie eine so grundlegende Arbeit für unsere Gesellschaft leisten: in den Religionsgemeinschaften, bei den Tafeln, im Naturschutz, für Geflüchtete, im Sport, bei den Feuerwehren und, und, und.

Viel Herzblut und viel Ehrenamt steckten auch in „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, was wir im vergangenen Jahr in ganz Deutschland und natürlich auch in Nordrhein-Westfalen begangen haben.

Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass jüdisches Leben sichtbar gemacht wird, dass jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen in der Öffentlichkeit gelebt werden kann und dass Jüdinnen und Juden keine Angst haben müssen. Deshalb ist die Bekämpfung von Antisemitismus von zentraler Bedeutung.

Wir haben hier vor zwei Wochen noch über den Anschlag auf die Alte Synagoge in Essen diskutiert, und wir waren uns als Demokratinnen und Demokraten einig, dass wir gegen Antisemitismus sehr entschieden vorgehen müssen, insbesondere gegen die Verschwörungsmythen, die immer wieder von Rassismus, von Antisemitismus geprägt sind.

Eines ist in den Debatten der vergangenen Wochen, wie ich finde, sehr deutlich geworden: Antisemitismus ist ein Phänomen in der Mitte der Gesellschaft, und er ist nicht nur an irgendwelchen Rändern zu finden. Er muss also auch in der Mitte der Gesellschaft bekämpft werden. Deshalb sind zum Beispiel die Studien der Antisemitismusbeauftragen als Grundlage zur Bekämpfung von Antisemitismus so wichtig. Ich sehe uns als Demokratinnen und Demokraten auch weiterhin darin geeint, dass wir den Kampf gegen menschenverachtende Einstellungen und gegen Antisemitismus gemeinsam führen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir wissen, dass der Antisemitismus ein Kernelement des Rechtsextremismus darstellt.

Ich glaube, wir waren heute Morgen alle ziemlich schockiert, als wir die Eilmeldung auf unseren Handys gesehen haben, dass es eine groß angelegte bundesweite Razzia des BKA bei Reichsbürgern und Coronaleugnern gibt. Was sich heute Morgen offenbart hat – wir haben gesehen, dass sich in solchen Netzwerken Personen aus Sicherheitskreisen organisieren –, stellt sich in der Bewertung als neue Dimension des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus dar. Ich halte das für besonders gefährlich. Deshalb will ich hier noch einmal sagen, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft darstellt.

Wir werden weiterhin konsequent dagegen vorgehen, die Sicherheitsbehörden werden weiterhin dagegen vorgehen. Aber – wir reden hier als Mitglieder des Hauptausschusses – uns ist klar, dass dies nicht nur eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden ist, sondern es geht hierbei auch um Demokratie- und Menschenrechtsbildung, Prävention, Intervention und Opferschutz.

Wir sind durch die vielen Akteure und Beratungsstellen, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, sehr gut aufgestellt. Dennoch wollen wir als schwarz-grüne Koalition diese Strukturen in Zukunft stärker unterstützen, weil der Bedarf einfach da ist.

Ich muss zum Schluss kommen. Meine Redezeit ist schon vorbei, daher noch ein letzter Punkt: Eigentlich haben wir Demokratinnen und Demokraten hinsichtlich der Aufgabenbereiche der Staatskanzlei, aber auch der Landeszentrale für politische Bildung viele Gemeinsamkeiten, vielleicht nicht heute in dieser Haushaltsdebatte; ich weiß, Sie werden gleich dagegenstimmen.

Ich möchte aber sagen: Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Ausschuss, weil wir hier als Demokratinnen und Demokraten eine gemeinsame Verantwortung tragen und sie auch gemeinsam wahrnehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN gegen Antisemitismus

„Jedes Kind hat das Recht darauf, ohne Diskriminierung, ohne Antisemitismus aufwachsen zu dürfen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es war eine Tür, die vor drei Jahren sehr vielen Menschen das Leben rettete. Mehr als 50 Personen feierten hinter dieser Tür Jom Kippur, als ein Rechtsextremer versuchte, die Synagoge zu stürmen. Zum Glück hielt die Tür stand. Dennoch wurden bei diesem antisemitischen, antifeministischen, rassistischen und rechtsextremen Anschlag zwei Menschen getötet.

Drei Jahre später, an einem anderen Ort, wieder Schüsse auf eine Tür: die Tür des ehemaligen Rabbinerhauses neben der alten Synagoge in Essen.

Die Hintergründe sind noch nicht bekannt. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf als Zentralstelle für die Terrorismusverfolgung leitet nun die Ermittlungen.

Dass die Generalstaatsanwaltschaft von einer antisemitisch motivierten Tat ausgeht, ist richtig. Denn fest steht: Angriffe und Attentate auf jüdische Einrichtungen sind niemals unpolitisch; sie sind antisemitisch und müssen als solche auch verfolgt und geahndet werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Noch ein Ortswechsel und noch eine Tür: In Berlin wurde in der Nacht von Freitag auf Samstag an der Synagoge die Mesusa abgerissen, also die Kleine Pergamentrolle am Türrahmen jüdischer Häuser. Diese Angriffe auf die Türen jüdischer Einrichtungen stehen sinnbildlich für den Antisemitismus in Deutschland.

Diese drei Ereignisse sind nur ein Ausschnitt des Antisemitismus, den wir hier erleben. Im letzten Jahr hat die Polizei 437 Straftaten und damit einen Höchststand antisemitischer Delikte in Nordrhein-Westfalen verzeichnet. Und das ist nur das Hellfeld. Wir wissen, dass das Dunkelfeld wesentlich größer ist, weil Straftaten nicht zur Anzeige gebracht werden oder weil die Polizei vielleicht auch Straftaten nicht als antisemitisch erkennt und sie dann nicht in die Statistik einfließen.

Dazu kommen antisemitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Insbesondere jüdische Kinder berichten uns immer wieder von Vorfällen in Klassenzimmern und auf Schulhöfen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Dunkelfeldstudie und auch Studien zu Antisemitismus in der Schule durchführen, damit wir Präventionen verbessern können, damit wir Gegenmaßnahmen verbessern können.

Wir werden auch die Aus- und Fortbildung von Beschäftigten in Polizei, Justiz und Schule weiter verbessern, um die Bekämpfung von Antisemitismus voranzutreiben. Wir werden Lehrerinnen und Lehrer handlungssicherer machen im Umgang mit Antisemitismus in der Schule.

Denn – und das finde ich wichtig – jede und jeder in unserer Gesellschaft muss sich darauf verlassen können, dass die Strafverfolgungsbehörden konsequent gegen Antisemitismus vorgehen. Und jedes Kind hat das Recht darauf, ohne Diskriminierung, ohne Antisemitismus aufwachsen zu dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, wir haben es gemeinsam erreicht hier in Nordrhein-Westfalen: mit der Einrichtung der Stelle der Antisemitismusbeauftragten, mit der Förderung der beiden Antidiskriminierungsstellen mit dem Schwerpunkt Antisemitismus, SABRA und ADIRA, mit der Einrichtung der Meldestelle RIAS, mit den Antisemitismusbeauftragten in der Justiz. Damit haben wir strukturelle Maßnahmen ergriffen. Mit den verschiedenen Studien werden wir auch die Erkenntnislagen über den Antisemitismus weiter verbessern.

Aber: Das ist nicht genug. Das Erreichte ist nicht genug. Das zeigen uns ja die Schüsse auf die Synagoge in Essen, der geplante Anschlag auf die Synagoge in Hagen, die Schändung jüdischer Friedhöfe, der traurige Höchststand von Straftaten im letzten Jahr, die Antisemitismuserfahrungen von Jüdinnen und Juden.

Deshalb: Wir müssen besser werden, um Menschen vor Diskriminierung und Gewalt in unserer Gesellschaft zu schützen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Antisemitismus bleibt ein Kernelement des Rechtsextremismus und des Islamismus. Israelbezogener Antisemitismus taucht in linken Milieus auf und reicht weit bis in die Mitte der Gesellschaft. Auch der sekundäre Antisemitismus, der ja die Auseinandersetzung mit der Shoa verhindert, ist weit verbreitet.

Aktuelle Verschwörungsmythen greifen genau diesen Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft auf. Man muss eigentlich sagen, der Antisemitismus ist seit der Antike mit der Ritualmordlegende, mit der Brunnenvergiftung eigentlich an sich schon eine einzige Verschwörungserzählung.

Weil aktuelle Verschwörungsmythen, Verschwörungserzählungen so anspruchsfähig sind bis in die Mitte der Gesellschaft, sind sie auch so gefährlich. Sie verbreiten sich, und sie führen zu tödlichen Anschlägen. Wir haben das gesehen bei den rechtsextremen Attentätern von Oslo und Utøya, von Christchurch, von Halle und von Hanau. Da haben Verschwörungsmythen eine sehr große Rolle gespielt.

Deshalb glaube ich, dass die aktuelle Verbreitung von Verschwörungsmythen eine der größten Herausforderungen bei der Bekämpfung des Antisemitismus ist.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Also lassen Sie uns gemeinsam diese Herausforderung angehen. Es hilft ja nichts. Wir müssen besser werden, wir müssen diese Herausforderungen annehmen: mit Aufklärung und Prävention, mit deutlichem Widerspruch bei antisemitischen Äußerungen, mit der Einbeziehung und Beachtung der Betroffenenperspektive, mit bestmöglich aus- und fortgebildeten Beschäftigten in den Strafverfolgungsbehörden.

Vor drei Jahren hat die Tür der Jüdischen Gemeinde in Halle vielen Menschen das Leben gerettet. Jeden Tag schützen Türen von Sicherheitsschleusen Kita-Kinder, Schülerinnen und Schüler, Seniorinnen und Senioren und viele andere Mitglieder der Jüdischen Gemeinden. Für jüdische Kinder ist es Teil ihrer ganz alltäglichen Normalität.

Ich wünsche mir, dass diese Normalität irgendwann der Vergangenheit angehört, dass starke Türen, Sicherheitsschleusen, Polizeiwagen vor den Eingängen jüdischer Einrichtungen irgendwann nicht mehr nötig sind, dass jüdisches Leben nicht geschützt hinter verschlossenen Türen stattfinden muss, dass jüdische Kinder einfach in ihre Kita laufen können. Ich will, dass Jüdinnen und Juden frei und ohne Angst in unserer Gesellschaft leben können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, ich weiß, dass wir dieses Ziel teilen. Deshalb lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Wir tragen gemeinsam Verantwortung, genau dafür zu sorgen. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Rede zur Einbringung des Haushaltsplans 2023 durch die Landesregierung

„Wir übernehmen Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es sind herausfordernde Zeiten. Davon ist auch der Haushaltsentwurf 2023 geprägt. Das wurde ja eben in der Debatte schon so weit deutlich.

Es ist eine Zeit, in der ein souveräner und demokratischer Staat mitten in Europa brutal überfallen wird, Menschen von Bomben getötet, Frauen, Männer und selbst Kinder gefoltert, vergewaltigt und hingerichtet werden.

Die Menschen in der Ukraine und diejenigen, die zu uns nach Nordrhein-Westfalen fliehen mussten und müssen, können sich sicher sein, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen weiterhin fest an ihrer Seite stehen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es ist eine Zeit, in der Frauen und Männer gemeinsam gegen ein autoritäres und frauenverachtendes System aufstehen und unter Lebensgefahr für „Frau, Leben, Freiheit“ demonstrieren.

Dabei haben sie unsere volle Solidarität, weil Frauenrechte Menschenrechte sind, und zwar überall auf der Welt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es ist eine Zeit, in der eine Jahreszeit nach der anderen neue Temperaturrekorde bricht und einer der wärmsten Oktober seit 1881 hinter uns liegt.

Während wir in der vergangenen Woche bei leckerem Eis die Herbstsonne genossen haben, schmilzt das ewige Eis und taut der Permafrost. Das sind zwei von vielen katastrophalen Entwicklungen in der globalen Klimakrise.

Ohne die Eindämmung der Klimakrise, den Erhalt unserer Wälder und den Schutz unseres Wassers und der Artenvielfalt können und werden wir das Versprechen an unsere Kinder nicht einlösen, ihnen gesunde Lebensgrundlagen zu hinterlassen. Deshalb müssen wir alles dafür tun, die Klimakrise zu bekämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es ist eine Zeit, in der die Auswirkungen der Coronapandemie noch immer zu spüren sind: gestörte Lieferketten, an die Grenzen der Belastbarkeit gehende Pflegerinnen und Pfleger, Krankenhäuser, die Stationen schließen müssen. Wir erleben ja auch jeden Tag im Alltag, dass Freundinnen und Freunde oder Bekannte gerade eine Infektion durchmachen.

Das sind Zeiten mit vielen globalen und nationalen Herausforderungen. Und doch gibt es hier im Landtag Nordrhein-Westfalen auch einige Gewissheiten.

Der Landeshaushalt muss bis Ende des Jahres verabschiedet sein. Das hat uns das Landesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben. Alle, die auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind, brauchen Planungssicherheit. Soziale Einrichtungen, unsere Kommunen und Unternehmen müssen wissen, mit welchen Mitteln sie rechnen können und wie die Rahmenbedingungen aussehen.

Deshalb ist es richtig, dass wir heute über den Entwurf eines Landeshaushalts 2023 diskutieren, auch wenn wir wissen, dass es weitere Nachsteuerungen geben wird.

Die andere Gewissheit ist, dass es Kritik von der Opposition gibt. Ich kann die Kritik als überzeugte Parlamentarierin und Abgeordnete in Teilen sogar nachvollziehen. Das ist überhaupt keine Frage. Dieses Haushaltsverfahren ist aus Parlamentssicht natürlich alles andere als wünschenswert. Aber es sind im Moment eben auch keine normalen, keine geordneten Zeiten.

Klar ist auch: Kritik und Kontrolle, vor allen Dingen die Kontrolle, sind die Rolle des Parlaments. Die Frage ist aber nur: Wo liegt eigentlich die Grenze zwischen konstruktiver Oppositionskritik auf der einen Seite und billiger Polemik auf der anderen Seite?

(Zurufe von Kirsten Stich [SPD] und Henning Höne [FDP])

In Ihren Reden, Herr Kutschaty, Herr Höne, ist das Pendel eindeutig in Richtung Polemik ausgeschlagen. Das finde ich sehr schade.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Weiterer Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Mit der Glaskugel durch die Krise: So hört sich das an, wenn man hier CDU, Entschuldigung, SPD und FDP sieht.

(Lachen und Beifall von der SPD)

Man sieht: Wir hängen alle noch in den alten Mustern fest.

(Andreas Keith [AfD]: So austauschbar ist man!)

Ich glaube, davon kann sich hier auch keiner freisprechen.

Mit der Glaskugel durch die Krise: So klingen die Reden von Herrn Kutschaty und von Herrn Höne. Mit welcher Leichtfertigkeit Sie hier behaupten, man hätte die Kostenbeteiligung des Landes an dem Entlastungspaket einrechnen müssen! Ich finde das unehrlich.

Sie prangern ja nicht nur das kurze Haushaltsberatungsverfahren an, sondern kritisieren auch, Herr Kutschaty, dass die Landesregierung einen Entwurf vorlegt, der im Prinzip jetzt schon überholt ist. Ja, da muss man sich dann halt entscheiden. Sie können das eine nicht ohne das andere haben. Denn die neuen Grundlagen liegen uns ja noch gar nicht vor. Sie werden hoffentlich heute Abend geschaffen werden, wenn endlich der Bund, wenn endlich Christian Lindner im Bund dann auch Klarheit geschaffen hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die MPK verhandelt heute ja nicht nur die geplanten Entlastungen des Bundes, sondern auch die Regionalisierungsmittel, die Energiekosten für den ÖPNV, die Beteiligung des Bundes an der Flüchtlingsfinanzierung und die Krankenhausfinanzierung. Mitnichten ist zu diesem Zeitpunkt klar, wie hoch die Kosten für die Länder tatsächlich sein werden.

(Henning Höne [FDP]: Das hätte man ja mal reinschreiben können!)

Wer etwas anderes behauptet, der mag vielleicht eine Glaskugel haben und auch einen Blick in diese Glaskugel geworfen haben. Aber wir als schwarz-grüne Koalition haben schon den Anspruch, auch seriöse Haushaltspolitik mit echten Zahlen zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden hoffentlich heute Abend die konkreten Zahlen für den Haushalt kennen. Wir werden hoffentlich heute Abend auch wissen, wie die konkreten Hilfen ausgestaltet sein werden. Dass es Hilfen geben muss, ist doch völlig unumstritten.

Da möchte ich auch noch etwas in Richtung SPD sagen, weil es mich langsam wirklich ärgert und nervt, dass Sie immer wieder diese alte Erzählung „Nordrhein-Westfalen blockiert das Entlastungspaket des Bundes“ hier verbreiten. Das stimmt einfach nicht. Sie wissen auch, dass das nicht stimmt. Wir haben immer gesagt: Natürlich trägt Nordrhein-Westfalen auch seine Verantwortung und wird Kosten übernehmen.

Aber wenn der Bund ein Paket mit 19 Milliarden Euro für die Länder und 3 Milliarden Euro für die Kommunen vorlegt, können wir doch nicht hingehen und sagen: Ja, alles klar; das werden wir natürlich übernehmen. – Natürlich machen wir das nicht, sondern gehen in die Verhandlungen mit dem Bund.

Thomas Kutschaty, bei aller persönlichen Wertschätzung, die ich für dich habe, bin ich wirklich froh, dass du nicht mit am Verhandlungstisch in Berlin sitzt. Denn mit dieser Verhandlungsstrategie der SPD würde Nordrhein-Westfalen garantiert mit leeren Händen da herausgehen.

(Anhaltender und lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das erleben wir doch jeden Tag in Gesprächen: Viele Menschen machen sich im Moment große, große Sorgen:

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

die alleinerziehende Mutter, bei der das Geld schon heute hinten und vorne nicht ausreicht; die Rentnerin, deren Rente so klein ist, dass sie auch schon vor der Energiekrise zu Hause einen dicken Pullover angezogen hat, um die Heizkosten niedrig zu halten; die Unternehmerin, die irgendwie noch durch die Coronapandemie durchgekommen ist und jetzt mit voller Wucht von der Energiekrise getroffen wird; die Wohlfahrtsverbände, die Beratungsstellen und die Einrichtungen, die uns allen doch berichten, dass sie sich nicht nur Sorgen um ihre Klientinnen und Klienten, ihre Gäste in den Einrichtungen, wegen der hohen Kosten – der Lebensmittelkosten, der Stromkosten, der Heizkosten – machen, sondern sich auch große, große Sorgen um die Kosten für ihre eigenen Einrichtungen machen.

Deshalb brauchen wir diese Klarheit vom Bund. Wir müssen wissen, was da kommt.

(Zuruf von der SPD)

Erst dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn wir wissen, was der Bund macht, können wir sagen, was wir in Nordrhein-Westfalen auflegen müssen. Man muss diese Schrittigkeit doch mitdenken.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich kann einfach nicht nachvollziehen, wie Sie sich hier aufstellen.

(Kirsten Stich [SPD]: Andere Bundesländer können das!)

Ich muss eins sagen. Ich hab lange und schon in vielen Debatten überlegt, ob ich es hier einmal ansprechen soll oder nicht, aber ich tue es jetzt. Ich finde es schon bemerkenswert, dass ausgerechnet die SPD-Fraktion hier im Parlament immer am lautesten schreit, die Partei, die unser Land in den vergangenen Jahren aufgrund einer völligen Naivität in die Abhängigkeit der fossilen Energien Russlands gebracht hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf: So sieht es aus!)

Ein bisschen mehr Selbstreflexion, ein bisschen Selbstkritik – das ist doch nicht zu viel verlangt.

(Kirsten Stich [SPD]: Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich finde, Selbstkritik ist nicht zu viel verlangt. Das gilt für die SPD-Fraktion und im Übrigen auch für die FDP-Fraktion, lieber Henning Höne.

(Jochen Ott [SPD]: Das gilt insbesondere auch für die Grünen!)

Wer jahrelang den Ausbau der Erneuerbaren verhindert und heute mit Atomkraft und Fracking zwei Technologien fordert, bei denen in aller erster Linie das Risiko sicher ist, wer sich heute hier hinstellt und fordert: „Wir brauchen die heimischen Energieträger“, statt für den Ausbau der echten Freiheitsenergien zu sorgen, wer vor drei Wochen hier im Parlament noch gesagt hat, der Kohleausstieg 2030 sei eine unrealistische Träumerei, der sollte in dieser Debatte ein bisschen sparsamer mit Kritik sein. Mit Glaubwürdigkeit hat das nichts zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD] und Henning Höne [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Nordrhein-Westfalen ist ein Land mit vielen Herausforderungen. Eine der größten Herausforderungen ist das Thema „Armut“. Deshalb brauchen wir die Stärkung der sozialen Infrastruktur als Rückgrat unserer Gesellschaft. Dazu gehören viele Einrichtungen: die Tafeln, die Wohnungs- und Obdachlosenhilfe, die Frauenberatungsstellen, die Frauenhäuser, die Empowerment-Projekte für Mädchen aus benachteiligten Familien und für Mädchen mit Migrationsgeschichte, die Antidiskriminierungsstellen, die Familienzentren. Es gibt viele weitere Einrichtungen der sozialen Infrastruktur.

Weil Sparen an der Infrastruktur, an diesen sozialen Einrichtungen das absolut Falscheste wäre, was man in dieser Krise machen könnte, ist es so relevant, was in Berlin bei den Verhandlungen herauskommt. Denn im Kern der Verhandlungen heute Abend geht es doch um Folgendes: Es ist ein Ebenen-Konflikt. Es geht darum, wer was bezahlen wird und bezahlen muss. Es geht darum, dass wir in Nordrhein-Westfalen und unsere Kommunen handlungsfähig sind und dass Sozialpolitik auf kommunaler Ebene überhaupt gemacht werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich bin mir absolut sicher, dass unsere Enkel und Kinder uns eines Tages nicht dafür danken werden, dass wir Ihnen eine schwarze Null und dafür einen kaputten Planeten hinterlassen haben. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns aus der Krise nicht heraussparen können.

(Jochen Ott [SPD]: Sieht das die CDU auch so? Hat die CDU ihre Position geändert?)

Es ist doch gerade jetzt die Zeit für mehr Klimainvestitionen, damit wir über die nächsten Winter kommen und unsere Kinder noch eine Zukunft auf diesem Planeten haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Interessant, dass die CDU ihre Position gedreht hat!)

Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine treffen uns hart – insbesondere deshalb, weil wir so abhängig von den fossilen Energien sind. Es geht nicht nur um diesen und um den nächsten Winter, sondern es geht um die Energieversorgung der Zukunft.

Es geht beim Klimaschutz um nichts weniger als um die Freiheit der zukünftigen Generation. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht noch einmal sehr deutlich gesagt. Deshalb handeln wir als schwarz-grüne Koalition sehr konkret mit dem Kohleausstieg 2030 und mit dem Einstieg in wichtige Klimaschutzinvestitionen. Klimaschutzinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Über 300 Millionen Euro haben wir für den Klimaschutz und die Energiewende vorgesehen. Ich freue mich sehr, dass auch die SPD nun endlich sagt, dass der Kohleausstieg 2030 wichtig ist. Das klang im Wahlkampf noch ein bisschen anders. Im Wahlprogramm war überhaupt kein Datum genannt. Ich freue mich, dass wir Sie jetzt endlich auf unserer Seite haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden in das Thema „Wasserstoff“ investieren. Wir stärken das Handwerk, und wir sehen die Kommunen als wichtige Partner an, die den Klimaschutz vor Ort machen.

(Jochen Ott [SPD]: Das werden wir sehen! – Zuruf Henning Höne [FDP])

Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Haushalt 2023 die Energieberatung bei der Verbraucherzentrale unterstützen werden. Denn eins ist klar: Wenn wir es schaffen, mehr Energie einzusparen, dann macht uns das unabhängiger von Kohle, Gas und Diktaturen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Doch wir wissen, dass bei allen Anstrengungen, die jetzt im Klimaschutz notwendig sind, die bisherige Erderwärmung katastrophale Auswirkungen auf unser Leben hat. Die Hochwasserkatastrophe im letzten Jahr, der Dürre- und Hitzesommer, die Waldbrände – das alles ist längst Realität. Deshalb werden wir unsere Kommunen dabei unterstützen, klimaresilienter zu werden. Wir werden den Hochwasserschutz stärken und dafür sorgen, dass wir bei einer Katastrophe handlungsfähig sind. Dass wir das sein müssen, das haben wir im letzten Jahr bei der Hochwasserkatastrophe gesehen.

Wir werden den Katastrophenschutz auf Landesebene stärken. Wir werden eine neue zentrale Landesstelle für den Katastrophenschutz einrichten. Wir werden die anerkannten Hilfsorganisationen weiter unterstützen. Wie verletzlich unsere Infrastruktur ist – insbesondere auch durch Cyberattacken –, ist uns doch in den letzten Wochen noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt worden.

Klimaanpassung, Katastrophenschutz und Krisenvorsorge sind also kein Nice-to-have und auch keine Sandkastenspielerei von irgendwelchen Innenpolitikerinnen und Innenpolitikern, sondern elementare Notwendigkeit für unsere Sicherheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir reden heute viel über Krisen, über den Krieg, die Energiekrise, die Klimakrise oder die Coronapandemie, aber all das darf nicht über eine weitere ökologische Krise hinwegtäuschen: das Artensterben.

Wir müssen die Krisen zusammen denken und zusammen lösen. Die biologischen Stationen sind wichtige Akteure, aber genauso sind es die Partnerinnen und Partner, die Einrichtungen im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Diese leisten eine unverzichtbare Arbeit, und auch sie stärken und unterstützen wir mit diesem Haushalt.

Wir wissen aber auch, dass mit unserer Natur, mit unserer Umwelt nicht jeder so achtsam umgeht. Ein starker Umweltschutz bedeutet deshalb, dass wir Umweltkriminalität konsequent verfolgen.

Wer Abfall illegal entsorgt, wer Flüsse verschmutzt oder geschützte Tierarten schmuggelt, bedroht unsere natürlichen Ressourcen. Wir werden in Zukunft die Straftaten der Umweltkriminalität mit einer eigenen Staatsanwaltschaft noch besser verfolgen. Der Haushaltsentwurf 2023 legt den richtigen Grundstein für eine effektive Strafverfolgung; denn zum einen bekämpfen wir damit die Kriminalität und insbesondere die Organisierte Kriminalität, und zum anderen schützen wir unsere Natur und Umwelt konsequent.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Nichts von diesen Erhöhungen ist Schnickschnack oder ein Luxus, den wir uns noch zusätzlich leisten. Im Gegenteil: Alles davon ist notwendig, um unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.

Die FDP hat in einer Pressemitteilung erklärt, NRW hätte die Kosten für das Entlastungspaket einpreisen sollen; Herr Höne hat es hier am Rednerpult gerade noch einmal gesagt. Abgesehen davon, dass wir aktuell gar nicht wissen, welche Kosten konkret auf uns zukommen werden, frage ich mich schon, auf welche Ausgaben Sie dann verzichtet hätten? Diese Frage müssten Sie auch als Oppositionsfraktion beantworten, Herr Höne. Hätten Sie auf die Fortsetzung der Sprach-Kitas, auf die Kita-Alltagshelfer und auf die Weiterführung des OGS-Helferprogramms verzichtet?

(Zuruf von der SPD: Was heißt das denn dann?)

Hätten Sie den Start der Krankenhausplanung verschoben und die Mittel für die Childhood-Häuser verweigert?

(Zuruf von der FDP)

Ich bin mir bei einer Sache,

(Zuruf von der FDP)

auf die die FDP verzichtet hätte, sehr sicher, und zwar ist das

(Zuruf von der FDP)

der Tarifvertrag „Entlastung“. Das hätten Sie nicht gemacht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir finden aber, dass es wichtig ist, dass die Beschäftigten in den patientennahen Berufen, an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen entlastet werden und wir

(Zuruf von der FDP)

für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Eine gute Pflege braucht gute Arbeitsbedingungen, und deshalb ist auch der Tarifvertrag „Entlastung“ wichtig.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

In diesen herausfordernden Zeiten ist der Haushaltsentwurf trotz des Wissens, dass wir aufgrund der Verhandlungen und vielen weiteren Unsicherheiten nachsteuern werden müssen, eine gute Grundlage. Er ist deshalb eine gute Grundlage, weil er zeigt: Wir sind mit den Menschen in und aus der Ukraine solidarisch. Wir stärken den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir stärken den Klimaschutz. Wir übernehmen Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen. – Ich freue mich auf die weiteren Haushaltsberatungen. Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Luthers Waschsalon in Hagen

„#NRW – stark für alle“-Tour zu Gast in Luthers Waschsalon in Hagen

Auf ihrer sozialpolitischen Tour „NRW – Stark für Alle“ hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag NRW, Verena Schäffer MdL, auch Luthers Waschsalon in Hagen besucht.

Gemeinsam mit Jule Wenzel MdL, sozialpolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion, sowie Andrea Peuler-Kampe und Jan Eckhoff von den Hagener Grünen tauschte sie sich vor Ort mit der Leiterin Ilona Ladwig-Henning zu den Angeboten von Luthers Waschsalon aus. Dabei ging es auch um die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der aktuellen Energiekrise auf die Arbeit im Waschsalon.

Zur ihrem Besuch erklärt Verena Schäffer MdL: „Besonders beeindruckt bin ich von den vielfältigen Angeboten von Luthers Waschsalon – von der Möglichkeit, zu duschen und Wäsche zu waschen bis hin zum Frühstück. Die Kooperation des Waschsalons mit der Uni Witten/Herdecke in den Bereichen der zahnmedizinischen und medizinischen Versorgung ist einzigartig. Davon profitieren sowohl die Gäste des Waschsalons als auch die Studierenden, die dort behandeln lernen dürfen und Verantwortung übernehmen. Auch die Vernetzung zu anderen sozialen Einrichtungen in Hagen und die hohe Spendenbereitschaft der Hagener Stadtbevölkerung finde ich großartig.

Dass auch inzwischen vermehrt Hagener Rentnerinnen und Rentner das Frühstücksangebot des Hagener Waschsalons annehmen, zeigt wie groß die Not bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ist. Sie sind besonders von den aktuellen Preissteigerungen betroffen. „Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass viele Menschen auch vor der aktuellen Krise bereits von Armut bedroht oder betroffen waren oder in anderen prekären Lebenssituationen waren. Der Zulauf in unsere Einrichtung ist vor dem Hintergrund der aktuellen Situation spürbar. Wir sind mehr denn je auf Spenden und Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung angewiesen“, sagt Ilona Ladwig-Henning.

Jule Wenzel MdL erklärt: „Für mich gehört es zur gesellschaftlichen Verantwortung und Solidarität, soziale Einrichtungen und Beratungsstellen zu fördern, damit diese Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützt werden können. Wir haben im Koalitionsvertrag mit der CDU verabredet, dass noch in diesem Jahr gemeinsam mit zahlreichen Akteuren die Erarbeitung eines „Aktionsplans gegen Armut“ begonnen werden soll. Unsere Eindrücke von der Tour und auch von dem Besuch des Hagener Waschsalons werden wir für die Diskussionen auf Landesebene mitnehmen.“

Sozialpolitische NRW-Tour der Grünen Fraktionsvorsitzenden startet in Herford

#NRW – stark für alle

Ihre sozialpolitischen Tour „NRW – Stark für Alle“ startete die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag NRW, Verena Schäffer MdL, am vergangenen Montag bei der Frauenberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel (NADESCHDA) in Herford.

Gemeinsam mit Jule Wenzel MdL, Sprecherin für Sozialpolitik der Grünen im Landtag NRW, und Norika Creuzmann, Sprecherin für Kinder- und Jugendschutz sowie Abgeordnete aus Ostwestfalen-Lippe, tauschte sich Verena Schäffer MdL vor Ort mit Corinna Dammeyer, Sozialarbeiterin der Beratungsstelle und Diakonin, sowie der Leitenden Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., Birgit Reiche, aus. Der Frauenverband hat die Beratungsstelle NADESCHDA, deren Einzugsbereich ganz Ostwestfalen-Lippe ist, vor 25 Jahren gegründet. Seit elf Jahren wird die Arbeit durch die Beratungsstelle THEODORA ergänzt, die Prostituierte in der Region unterstützt.

Zur ihrem Besuch erklärt Verena Schäffer MdL: „NADESCHDA leistet eine ungeheuer wichtige Arbeit für von Menschenhandel betroffene Frauen. NADESCHDA bedeutet übersetzt Hoffnung. Den Namen finde ich sehr zutreffend, denn die betroffenen Frauen brauchen diese Hoffnung und sie bekommen sie durch die Unterstützung der Beratungsstelle. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind schwere Menschenrechtsverletzungen, die konsequent strafrechtlich verfolgt werden müssen. Zugleich müssen wir die Opfer dieser Verbrechen unterstützen. Wir haben uns im schwarz-grünen Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir spezialisierte Frauenberatungsstellen wie NADESCHDA insbesondere auch im ländlichen Raum fördern wollen.  

Auf meiner Tour durch ganz Nordrhein-Westfalen werde ich weitere Beratungsstellen und Einrichtungen rund um das Thema Sozialpolitik besuchen. Durch die aktuelle Energiekrise ist die Situation von sozial benachteiligten Menschen, die jetzt besonders von den steigenden Kosten betroffen sind, in den Vordergrund gerückt. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass viele Menschen auch vor der aktuellen Krise bereits von Armut bedroht oder betroffen waren oder in anderen prekären Lebenssituationen waren. Für mich gehört es zur gesellschaftlichen Verantwortung und Solidarität, soziale Einrichtungen und Beratungsstellen zu fördern, damit diese Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützen können.“

Corinna Dammeyer ergänzt: „In den 25 Jahren hat sich die Arbeit von Nadeschda sehr verändert, gerade was die Herkunftsländer und die Unterstützungsbedarfe der Klientinnen angeht. Die Arbeit ist mehr und nicht weniger geworden. Es ist gut zu wissen, dass die Landesregierung das Thema Menschenhandel im Blick hat und uns weiterhin unterstützt.“

Rede zur Aussprache zur Regierungserklärung

„Das ist ein hoher Anspruch an uns selbst und an diese Koalition, aber ich bin mir sicher, dass wir diesem Anspruch gerecht werden“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Welche Bilder und Zeitzeugenberichte werden in den Geschichtsbüchern unserer Enkelkinder einmal den Zeitpunkt markieren, ab dem die Auswirkungen der Klimakrise hier in Europa für jeden von uns im Alltag dramatisch spürbar wurden? Werden es die Bilder der Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr, die Hitzesommer mit den Waldbränden und den niedrigen Wasserpegeln sein

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

oder die schmelzenden Gletscher, unter denen Menschen vergraben wurden?

Welche Bilder und Berichte von den Menschen in der Ukraine werden sich für immer in unser Gedächtnis und in unsere Herzen einbrennen? Die Geburtshilfen in der Metrostation, die Menschenrechtsverletzungen in Irpin und anderen Städten, die Sorge um eine drohende Atomkatastrophe?

Was werden wir mit der Coronapandemie für immer verbinden? Es werden natürlich die traurigen Nachrichten über viel zu hohe Todeszahlen und Berichte über Long COVID, Vereinsamung und Isolation sein. Es werden ganz sicher die Erinnerungen an Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal und alle sein, die Großartiges für unsere Gesellschaft geleistet haben und leisten. Hoffentlich bleiben auch die Erinnerungen an grenzenlose Solidarität, Anteilnahme, Nachbarschaftshilfen und Menschlichkeit.

Uns in Nordrhein-Westfalen zeichnet aus, dass wir in den akuten Krisen zusammenstehen und anpacken: beim Einkaufen für die Nachbarfamilie, die gerade in Quarantäne zu Hause sitzt, beim Wegschaufeln von Schlamm und Schutt in den Hochwassergebieten, bei der herzlichen Aufnahme von Geflüchteten aus allen Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt.

In der Krise und im Alltag können wir aufeinander zählen. Das zeigen auch die vielen, vielen Ehrenamtlichen in unserem Land jeden Tag – ob im Sport, in der Feuerwehr, den Hilfsorganisationen, der Flüchtlingsinitiative oder der Kirchengemeinde. Mir macht das Mut. Mir gibt das Zuversicht, dass wir in Nordrhein-Westfalen auch in diesen Krisen wieder über uns hinauswachsen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in einer Gesellschaft, in einer Zeit aufgewachsen, die Frieden und Wohlstand als Selbstverständlichkeit angesehen hat. Und unsere Kinder? Unsere Kinder wachsen bereits in einer Welt auf, in der Hitzesommer Realität sind und sie manche Tierarten gar nicht mehr kennenlernen können, eine Welt, in der das Artensterben so dramatisch ist, dass innerhalb von nur zwei Generationen die weltweite Biomasse aus Insekten um drei Viertel zurückgegangen ist. Seit ich lebe, hat sich der Bestand des Kiebitzes so weit reduziert, dass heute nur noch ein Zehntel des ehemaligen Bestands vorhanden ist.

Für uns Grüne ist seit unserer Gründung der Anspruch, unseren Kindern eine lebenswerte Natur zu hinterlassen, ein zentrales Leitmotiv unserer Politik.

Wir als schwarz-grüne Koalition werden diesen beiden großen ökologischen Krisen, der Klimakrise und der Artenkrise, mit aller Entschlossenheit entgegentreten

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden die erneuerbaren Energien ausbauen, und wir werden Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas machen.

Die aktuelle Gaskrise zeigt die politischen Versäumnisse der Vorgängerregierungen. Die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern kommt uns teuer zu stehen. Sonne und Wind sind nicht nur langfristig günstiger, sondern stärken auch unsere Unabhängigkeit und unsere Sicherheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden den Flächenverbrauch wirksam reduzieren. Fläche ist eine wertvolle und endliche Ressource, die wir besser schützen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir brauchen Fläche als Lebensraum und zum Erhalt der Artenvielfalt. Wir brauchen Fläche für unsere Landwirtschaft, die uns ernährt. Wir brauchen Fläche für unseren Wald als wichtigsten Verbündeten beim Klimaschutz. Fläche hilft uns beim Hochwasserschutz, um dem Wasser den Raum zu geben, den es braucht. Deshalb werden wir das Prinzip der Flächensparsamkeit zur Leitschnur unseres Handelns machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Bekämpfung der Umweltkriminalität werden wir stärken. Wir werden eine zentrale Koordinierungsstelle Umweltkriminalität beim Landeskriminalamt ansiedeln und die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden in einer neuen Schwerpunktstaatsanwaltschaft bündeln. Straftaten gegen gesetzlich geschützte Umweltgüter, also Boden, Wasser, Luft, Pflanzen und Tiere, und damit Straftaten gegen unsere Zukunft werden wir konsequent verfolgen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ob uns der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen gelingt, entscheidet über das Leben und den Wohlstand unserer Kinder. Die Herausforderungen sind groß. Aber was könnte uns mehr Mut, mehr Zuversicht und Kraft geben als die Zukunft unserer Kinder? Die Verantwortung für kommende Generationen ist der politische Antrieb dieser Koalition.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Alle Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen haben es verdient, gesehen und gefördert zu werden. Jedes Kind und jeder junge Mensch hat es verdient, nach den Sternen greifen zu können.

Die bittere Realität sieht für zu viele Kinder in unserem Land jedoch ganz anders aus. Da bringt der Kinobesuch mit den Freundinnen oder das Geburtsgeschenk als vermeintliche Eintrittskarte für den Kindergeburtstag die Familie finanziell an ihre Grenzen. Schon heute leben zu viele Menschen in Armut oder sind von Armut bedroht. Armut macht krank. Und Armut macht einsam; denn Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kostet Menschen, deren Geld zum Leben kaum reicht, zu oft zu viel.

Deshalb ist es für uns ein so wichtiges Thema. Wir werden das Thema „Armut“ anpacken, wir werden Armut bekämpfen. Wir werden mit den Wohlfahrtsverbänden, den Gewerkschaften, den Kommunen und vielen anderen einen Pakt schließen.

Wir gehen auch das Thema „Kinderarmut“ an. Denn es kann nicht sein, dass in unserer Gesellschaft Kinder in Armut aufwachsen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

In den letzten Jahren ist das Thema „Wohnen“ zu einer sozialen Frage geworden. An vielen Orten in Nordrhein-Westfalen wird es immer schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Das betrifft Studierende, Rentnerinnen und Rentner sowie Familien gleichermaßen.

Wir wollen Mieterinnen und Mieter effektiver schützen – zum Beispiel mit einer längeren Frist bei Eigenbedarfskündigungen. Wir wollen deutlich mehr preiswerten und sozialen Wohnraum schaffen. Die Gründung von Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften werden wir unterstützen. Nicht zuletzt wollen wir mit Housing First priorisieren, was priorisiert werden muss. Bei Obdachlosigkeit ist eine Wohnung der erste Schritt zur Stabilität. Wir in Nordrhein-Westfalen werden dem Menschenrecht auf Wohnen Rechnung tragen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Zu diesen sozialen Herausforderungen kommt nun noch die Energiekrise hinzu, die sich bereits zu einer sozialen Krise entwickelt. Der Gang zum Briefkasten ist für viele Menschen in diesen Tagen ein sorgenvoller; denn die Schreiben der Energieversorger entscheiden aktuell darüber, ob der ersehnte Familienurlaub kürzer ausfallen muss, ob die Miete noch bezahlbar ist und was auf den Teller kommt.

Deshalb müssen soziale Entlastungen nun vom Bund zielgerichtet kommen. Dazu gehört auch Mobilität; denn Mobilität ermöglicht Teilhabe. Der Bund muss eine Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets ebenso wie die zugesagte Erhöhung der Regionalisierungsmittel liefern, um soziale Teilhabe sicherzustellen und dabei auch einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Für das Entlastungspaket steht der Bund in der Pflicht. Doch wir ziehen uns hier auf Landesebene eben nicht aus der Verantwortung. Mit einer Vereinbarung zu einem Moratorium bei Strom- und Gassperren und mit der Absenkung der Elternbeiträge für die Verpflegung in Betreuungseinrichtungen werden wir einen Beitrag zur dringend notwendigen Entlastung leisten.

Eines möchte ich hier auch noch mal ganz deutlich sagen: Mit dieser Verschärfung der sozialen Schieflage, die wir gerade erleben, macht 2.000 km Luftlinie von Düsseldorf entfernt Wladimir Putin Politik. Es ist sein politisches Kalkül, auch mit dieser Form der hybriden Kriegsführung die Solidarität des Westens mit der Ukraine zu schwächen. Doch das wird Putin nicht gelingen. Wir werden uns nicht spalten lassen. Wir Demokratinnen und Demokraten stehen weiterhin fest an der Seite der Menschen in der Ukraine.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Längst nutzen Rechtsextreme die sozialen Auswirkungen der Energiekrise als Mobilisierungsthema zur Destabilisierung unserer Demokratie und zur Verbreitung ihrer menschenverachtenden Hetze.

Dass Verschwörungsideologien zu Gewalt gegen Personen führen können, haben uns nicht erst die Rechtsextremen unter den Coronaleugnern gezeigt. Verschwörungsideologien sind neben Rassismus, Antisemitismus, Queer- und Transfeindlichkeit und den anderen menschenverachtenden Einstellungen die Triebfeder für rechtsextreme Gewalt und Terrortaten.

Mit allen Mitteln unseres Rechtsstaats, mit Prävention, mit Intervention und Repression werden wir gegen rechte Ideologien und Gewalt vorgehen, denn Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere demokratische und vielfältige Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir wissen genau um unsere Verantwortung für den Schutz betroffener Menschen und unsere Verantwortung für unsere demokratische Gesellschaft.

Wir werden dieser Verantwortung mit aller Konsequenz nachkommen – gemeinsam mit allen demokratischen Kräften in diesem Land, mit den demokratischen Parteien, den Gewerkschaften, den Religionsgemeinschaften, den vielen Vereinen und Initiativen unserer engagierten Zivilgesellschaft.

Wir treten Rechtsextremismus und menschenverachtenden Einstellungen entschieden entgegen, und zwar jeden Tag.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen erwarten zu Recht vom Staat, dass er für ihre Sicherheit sorgt – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Religion, sexueller Identität und anderen Merkmalen.

Der Schutz der Kleinsten und Jüngsten in unserer Gesellschaft hat für uns höchste Priorität. Babys und Kleinkinder, die noch nicht sagen können, wenn ihnen jemand wehtut, Kinder und Jugendliche, die nicht in Worte fassen können, was ihnen angetan wird – und wir Erwachsenen, die Hilferufe und Signale unserer Kinder nicht verstehen oder sogar verdrängen?

Die Fraktionen von CDU und Grünen knüpfen an die vergangene Legislaturperiode an. Wir wollen interfraktionell gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen in diesem Haus die Zusammenarbeit zu diesem wichtigen Thema fortsetzen. Wir wollen alles dafür tun, um sexualisierte, psychische und physische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu verhindern.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden minderjährige Opfer von Gewalt durch eine kind- und jugendgerechte Justiz besonders unterstützen. Straftaten werden wir konsequent verfolgen. Jeder Täter und jede Täterin muss in Nordrhein-Westfalen damit rechnen, entdeckt und zur Rechenschaft gezogen zu werden; denn unsere Kinder in den Blick zu nehmen und ihre Sicherheit ins Zentrum zu stellen, ist auch Generationengerechtigkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das Vertrauen in unsere Polizei und unsere Justiz ist zu Recht hoch, und wir wollen, dass das so bleibt. Über 50.000 Beschäftigte in der Polizei und über 40.000 Beschäftigte in der Justiz sorgen jeden Tag für unsere Sicherheit.

Gleichzeitig nehmen wir ernst, wenn es Kritik an der Arbeit der Polizei gibt, wenn Menschen von einem Vertrauensverlust berichten. Wir wollen, dass auch diejenigen der Polizei vertrauen können, die es heute vielleicht noch nicht tun. Wir werden aktiv um dieses Vertrauen werben.

Wir schaffen mit dem unabhängigen Polizeibeauftragten im Landtag eine Anlaufstelle für diejenigen, die sich nicht direkt bei der Polizei über die Polizei beschweren wollen.

Mit dem Polizeibeauftragten schaffen wir auch eine Anlaufstelle für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte analog zum Wehrbeauftragten beim Deutschen Bundestag, der sich im Landtag für die Belange der Polizei beim Parlament einsetzt. Davon profitieren die Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Polizeiuniform; beides ist wichtig.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Alle Menschen sind gleich. Niemand darf benachteiligt werden – nicht wegen des Geschlechts, der Herkunft oder der Hautfarbe, der Religionszugehörigkeit oder einer Behinderung. Ich füge noch an: Niemand darf aufgrund der sexuellen Identität benachteiligt werden. Diesbezüglich braucht unser Grundgesetz dringend ein Update. Das werden wir aus Nordrhein-Westfalen heraus unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Alle Menschen sind gleich, und doch erfahren Menschen auch hier in Nordrhein-Westfalen Diskriminierung. Wir werden mit einer Landesantidiskriminierungsstelle und mit gesetzlichen Maßnahmen den Diskriminierungsschutz stärken.

Wir werden die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umsetzen. Jede und jeder soll teilhaben und sich frei in unserer Gesellschaft bewegen können – ohne Angst und Sorge vor verletzenden Sprüchen, Drohungen oder sogar Gewalt.

Alle Menschen sind gleich und bringen zugleich unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen in unsere Gesellschaft ein. Das ist nicht nur eine große Bereicherung, sondern auch eine große Chance zur Bewältigung der Krisen unserer Zeit.

Es sind die jungen Menschen, die die Krisen besonders zu spüren bekommen werden. Deshalb ist es auch nur konsequent, sie mit dem Wahlrecht ab 16 Jahren über ihre Zukunft mitentscheiden zu lassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Doch nicht alle Erfahrungen, die Menschen nach Nordrhein-Westfalen bringen, sind selbst gewählt. Geflüchtete haben das Recht auf ein faires Asylverfahren. Unser Ziel sind eine menschenwürdige und auf Integration ausgerichtete Unterbringung und eine angemessene Gesundheitsversorgung.

Geflüchteten, die lange hier leben und gut integriert sind, wollen wir eine Bleiberechtsperspektive geben. Mit dem Vorgriffserlass zum Chancenaufenthaltsrecht des Bundes hat unsere Koalition bereits einen wichtigen Schritt für viele Menschen hier in Nordrhein-Westfalen gemacht.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Ich bin davon überzeugt, dass sich ein demokratischer Staat immer daran messen lassen muss, wie er mit seinen Minderheiten umgeht. Wir haben die Messlatte in unserem Koalitionsvertrag bewusst hoch gelegt, weil alle Menschen ein Recht auf ein diskriminierungsfreies Leben haben und weil die Vielfalt zu Nordrhein-Westfalen gehört.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Vielfalt brauchen wir auch im öffentlichen Dienst. Wir wollen, dass er zu einem Spiegelbild unserer Einwanderungsgesellschaft wird. Geschlechtergerechtigkeit in den Führungspositionen des öffentlichen Dienstes ist uns ein wichtiges Ziel.

Unser öffentlicher Dienst muss längst im Wettkampf um die besten Köpfe mit der Wirtschaft bestehen. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Ein Schwerpunkt wird dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein, weil der öffentliche Dienst als Vorbild vorangehen sollte, aber auch, weil er attraktiver werden muss.

Wir haben vereinbart, die Eingangsbesoldung bei Lehrkräften auf A13 anzuheben und damit für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.

Daran, wie der öffentliche Dienst aufgestellt ist, entscheidet sich aus meiner Sicht die Zukunftsfähigkeit unseres Staates. Denn es ist das pädagogische Personal an den Schulen, das für Chancengerechtigkeit sorgt. Es sind die Planerinnen und Planer, die unsere Städte der Zukunft gestalten. Es sind die Menschen im öffentlichen Gesundheitsdienst, die, wie alle anderen im Gesundheitssektor, einen maßgeblichen Anteil an der Bekämpfung der Coronapandemie haben.

Auf all diese Frauen und Männer in den Kommunen, in den Polizeidienststellen, Gerichten und Justizvollzugsanstalten, an den Grundschulen und Universitäten, in den Landesämtern, Bezirksregierungen und Ministerien sind wir angewiesen, um den Krisen dieser Zeit zu begegnen und um unser Land krisenfest zu machen. Für einen funktionierenden Staat brauchen wir einen starken öffentlichen Dienst. Wir stehen zu unserer Verantwortung für all die Menschen, die jeden Tag dafür sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auf unseren Staat verlassen können.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU und wir Grüne sind zwei selbstbewusste Fraktionen. Unsere teils unterschiedlichen Perspektiven auf die Themen sind aus meiner Sicht eine große Chance, den Herausforderungen zu begegnen, denn Debatten und konstruktive Auseinandersetzungen sind die Grundlage für neue Antworten und Lösungen. Die Krisen sind zu groß, als dass sie durch Stillstand gelöst werden könnten. Wir als schwarz-grüne Koalition sind bereit. Wir packen die dringend notwendigen Veränderungen jetzt an.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es werden einmal unsere Enkelkinder sein, die mittags nach dem Geschichtsunterricht aus der Schule kommen, und vielleicht werden ihre Fragen lauten: Wie war das damals, als die Sommer immer heißer wurden? Was habt ihr eigentlich gemacht, um den Klimawandel aufzuhalten?

Ich möchte meinen Enkelkindern antworten können, dass wir, trotz der Parallelität der verschiedenen Krisen, politisch alles unternommen haben, um ihnen eine lebenswerte und intakte Lebensgrundlage zu hinterlassen und dabei die sozialen Fragen nie aus dem Blick zu verlieren.

Das ist ein hoher Anspruch an uns selbst und an diese Koalition, aber ich bin mir sicher, dass wir diesem Anspruch gerecht und Nordrhein-Westfalen gut für die Zukunft aufstellen werden. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Zukunftsvertrag für NRW – Kurzauswertung

Kurzauswertung für den Bereich Innenpolitik, Demokratie und Rechtspolitik

Die Vertreter*innen von GRÜNEN und CDU haben am 27. Juni den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Mit dem Zukunftsvertrag stellen wir die Weichen für ein sozial gerechteres, nachhaltiges, modernes und wirtschaftlich starkes Nordrhein-Westfalen und übernehmen dafür gemeinsam Verantwortung. Mit dieser Kommunalinfo möchten wir Euch über die Vereinbarungen in unserem Koalitionsvertrag zu den Themen Innenpolitik, Demokratie und Rechtspolitik informieren. Wir – Verena Schäffer, İlayda Bostancıeri, Dorothea Deppermann und Julia Höller – durften in dieser Facharbeitsgruppe für die Grünen verhandeln.

Für eine bürgernahe und grundrechtsorientierte Innenpolitik
Unsere Polizei leistet jeden Tag gute Arbeit für die Menschen in NRW. Es kann aber auch zu Konfliktsituationen kommen. In diesen Fällen soll die*der unabhängige Polizeibeauftragte für Bürger*innen sowie auch für die Beschäftigten in der Polizei ansprechbar sein. Den Bezirksdienst wollen wir ausbauen und damit auch die Präsenz und die Vernetzung der Polizei vor Ort stärken. Wir stehen für eine grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik und die konsequente Durchsetzung des Recht. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung bedeutet tiefe Grundrechtseingriffe und ein Sicherheitsrisiko für alle durch das Offenhalten von IT-Sicherheitslücken. Softwarelücken wollen wir schließen und werden von ihrer Nutzung absehen. Der „Taser“ wird bis 2024 unabhängig, wissenschaftlich und ergebnisoffen evaluiert – hiervon hängt der weitere Fortgang ab. Nur hierfür fortgebildete Beamt*innen dürfen ihn nutzen, zudem soll dabei immer die Bodycam eingeschaltet werden. Das Versammlungsgesetz haben auch wir kritisiert. Das Gesetz wird nun unabhängig und wissenschaftlich evaluiert. Jede Evaluation bietet den Anlass für mögliche Änderungen. Die Handlungsempfehlungen der Stabsstelle „rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ werden wir umsetzen und weiterentwickeln. Zudem wollen wir eine deutliche Stärkung der Kriminalpolizei erwirken.

Stärkung des Katastrophenschutzes
Wir machen Katastrophenschutz zu einem Schwerpunkt unserer Innenpolitik. Dazu werden wir u.a. die Handlungsfähigkeit des Landes im Katastrophenfall in einer zentralen Landesstelle im Innenministerium stärken. Sowohl das Land als auch die Kreise und kreisfreien Städten werden zukünftig Katastrophenschutzbedarfspläne für unterschiedliche Katastrophenszenarien erstellen, um zukünftig besser vorbereitet zu sein. Die Kritische Infrastruktur wollen wir besser schützen, zudem wollen wir Sirenen und barrierefreie Warnmechanismen ausbauen.

Wir stärken unsere Demokratie und verteidigen sie vor ihren Feinden
Wir werden das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren einführen und den Anteil von Frauen in den Parlamenten durch eine verfassungskonforme Änderung des Wahlrechts erhöhen. Mit einem Lobbyregister und dem legislativen Fußabdruck schaffen wir mehr Transparenz. Bürger*innen können sich so ein besseres Bild über den Einfluss von Interessensgruppen auf die Gesetzgebung verschaffen. Der Rechtsextremismus ist derzeit die größte Gefahr für unsere Demokratie. Deshalb werden wir die Erkenntnislage mit einem Lagebild Rechtsextremismus, Dunkelfeldstudien und einem NRW-Monitor verbessern. Zudem werden wir die Vollstreckung offener Haftbefehle, den Entzug von Waffenberechtigungen und der Aufklärung von Geldflüssen weiter vorantreiben.

Wir sorgen für eine moderne Rechtspolitik
In einem neuen Landesresozialisierungs- und Opferschutzgesetz werden wir einheitliche Standards und Strukturen für die Resozialisierung von Inhaftierten schaffen und die Rechte von Opfern bündeln und weiter stärken. Wir können auf Landesebene die Ersatzfreiheitsstrafe oder den Straftatbestand „Schwarzfahren“ zwar nicht abschaffen, werden uns aber bemühen, Ersatzfreiheitsstrafen weitestgehend zu vermeiden, u.a. durch Modellprojekte und eine Zusammenarbeit mit den Verkehrsverbünden. Wir werden die Situation für Inhaftierte und Bedienstete in den Justizvollzugsanstalten unter anderem durch Modernisierungen, eine bessere Versorgung physisch und psychisch kranker Menschen und eine angemessene Personalausstattung verbessern. Digitalisierung ist das große Thema der kommenden Jahre in der Justiz. Wir werden die Digitalisierung der Justiz in allen Bereichen vorantreiben und dabei einen Schwerpunkt auf die Zuverlässigkeit und Sicherheit der technischen Dienste legen. Wir werden den Universitäten die Möglichkeit geben, für Jurastudierende einen integrierten Bachelor einzuführen.

Diese Punkte sind nur ein kleiner Ausschnitt der Dinge, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wer sich für die Details interessiert, findet hier den Vertrag in voller Länge.

Danke für das Vertrauen!

Vielen, vielen Dank für das großartige Wahlergebnis. Ich freue mich darüber, in Witten und Herdecke 22 Prozent der Erststimmen erreicht zu haben – das ist zwar „nur“ Platz 3, aber ich freue mich wirklich sehr, in einem Ruhrgebiets-Wahlkreis ein so gutes Ergebnis bekommen zu haben.

Wir haben landesweit mit 18,2% das beste grüne Landtagswahlergebnis in unserer Geschichte erreicht. Das ist ein riesiger Vertrauensvorschuss und ich nehme die Verantwortung sehr ernst – für ganz NRW sowie für Witten und Herdecke. Jetzt freue ich mich darauf, mit der neuen Fraktion mit sage und schreibe 39 Landtagsabgeordneten als starkes Team Grüne Politik in NRW machen zu dürfen und die Aufgaben, die vor uns liegen anzupacken. 

Rede zum Antrag der GRÜNEN im Landtag für mehr Unterstützung für Betroffene von Hate Speech

„Im allerschlimmsten Fall kann Hass im Netz dazu führen, dass es auch im realen Leben zu Gewalttaten gegen Personen kommt“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen wurden bundesweit mehr als 100 Wohnungen und Häuser wegen Hass-Postings anlässlich der Bundestagswahl durchsucht. Das zeigt zum einen, dass Hassrede im Internet kein Einzelfall ist, und zum anderen, dass der demokratische Rechtsstaat wehrhaft ist. Sicherheitsbehörden nehmen Hate Speech als das wahr, was es ist: eine Gefahr für unsere Demokratie. Deshalb muss Hate Speech auch konsequent bekämpft werden.

Soziale Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram sind für viele Menschen ein Ort, an dem man sich mit Gleichgesinnten vernetzen, diskutieren und austauschen kann. Diese Orte sollten wie alle anderen Orte unserer demokratischen Gesellschaft Orte sein, an denen die Werte Demokratie und Menschenwürde gelten.

Doch eine von der Landesanstalt für Medien NRW in Auftrag gegebene Befragung macht deutlich, dass Hassrede im Internet ein immer größeres Problem wird. In der jüngsten Befragung aus dem Jahr 2021 gaben zwei Fünftel der Befragten an, dass ihnen Hate Speech im Internet sehr häufig oder häufig begegnet ist. Nur zum Vergleich die Zahl aus dem Jahr 2016: Da waren es nur 26 %.

(Unruhe)

– Ich hätte eine Bitte. Gerade rede ich gegen eine ziemlich laute Wand an. Es wäre total nett, vielleicht die Gespräche nach draußen zu verlagern. Ich verstehe das angesichts der Uhrzeit auch. Aber ich finde, es ist ein wichtiges und ernstes Thema, das viele von uns auch durchaus betrifft.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

– Danke. Das macht ja auch der Applaus noch einmal deutlich.

Dass ein Ansteigen von Hassrede nicht nur im Internet wahrgenommen wird, zeigt sich auch am Anstieg der Straftaten. Das BKA hat einen Anstieg von 71 % der Hass-Postings zwischen dem Jahr 2019 und dem Jahr 2020 festgestellt. Das zeigt noch einmal deutlich, was für ein Problem es hier gibt.

Wir alle wissen, dass eine sehr hohe Dunkelziffer existiert. Denn eine Vielzahl dieser Hass-Postings wird nicht gemeldet. Zudem handelt es sich häufig um ein Antragsdelikt. Die Postings erreichen zum Teil auch nicht die Grenze der Strafbarkeit, was aber nicht weniger problematisch für die Betroffenen ist.

Ziel von Hate Speech sind Menschen aufgrund von Merkmalen wie der Hautfarbe, der Herkunft, dem Geschlecht, dem Alter oder einer Behinderung. Mir ist wichtig, dabei eines zu betonen: Insbesondere Frauen erfahren nicht nur Hate Speech in Form von Beleidigung, sondern häufig kommen auch noch sexualisierte Gewaltandrohungen hinzu.

Die Mechanismen von Hate Speech funktionieren im Prinzip so wie bei der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im realen Leben auch. Die Angriffe dienen dazu, andere Menschen abzuwerten. Deshalb wundert es aus meiner Sicht auch nicht, dass der größte Anteil dieser Straftaten der politisch motivierten Kriminalität rechts zuzurechnen ist.

Hate Speech dient dazu, andere einzuschüchtern. Es gibt eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft aus dem Jahre 2019. Demzufolge bringen sich 54 % der Befragten seltener mit ihrer politischen Meinung im Internet ein, weil sie Hasskommentare befürchten. Ich halte es schon für einen ziemlich krassen Befund, dass Menschen sich nicht mehr in die Debatte im Internet einbringen, weil sie befürchten, dass sie dann angegriffen und von Hass überzogen werden. So weit darf es aus meiner Sicht nicht kommen.

Es geht ja auch noch weiter. Im allerschlimmsten Fall kann Hass im Netz dazu führen, dass es auch im realen Leben zu Gewalttaten gegen Personen kommt.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Thema ernst nehmen und dass Hate Speech konsequent verfolgt wird.

Neben der Stärkung der Ermittlungsarbeit muss es auch darum gehen, dass wir Opfer und Betroffene damit nicht alleine lassen, sondern sie unterstützen.

Deshalb wollen wir mit unserem Antrag die Idee in den Landtag einbringen, die es ja auch in anderen Bundesländern schon gibt, dass wir eine eigene Melde- und Beratungsstruktur für von Hate Speech Betroffene in NRW einrichten. Es sollte natürlich ein Beratungsangebot sein, das an das anknüpft, was wir mit den mobilen Beratungsteams, den spezialisierten Opferberatungsstellen und den Antidiskriminierungsstellen bereits haben. Wir haben hier ganz viel Fachexpertise im Land. Aber es geht darum, konkret ein Angebot für Menschen zu schaffen, die von Hate Speech im Internet betroffen sind.

Ich weiß auch, dass wir kurz vor der Landtagswahl stehen. In fünf Wochen wird hier gewählt. Es ist klar, dass in diesen fünf Wochen so etwas nicht umgesetzt werden kann. Wahrscheinlich wird die Mehrheit des Hohen Hauses den Antrag auch leider ablehnen.

Nichtsdestotrotz will ich das Thema gerne noch einmal in das Parlament einbringen, weil ich finde, dass es ein wichtiges Thema ist. Wir werden wahrscheinlich leider auch im Landtagswahlkampf Hass und Hetze im Netz erleben, erleben müssen. Das ist für die Betroffenen ganz dramatisch und fatal.

Umso mehr ist es, wie ich finde, Handlungsauftrag für uns alle, in der nächsten Legislaturperiode zu schauen, wie wir die Arbeit gegen Hate Speech noch einmal stärken können und gerade Betroffene und Opfer von Hassrede im Internet besser unterstützen können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Ralph Bombis [FDP] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

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