Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNEN im Landtag zur Stärkung der Demokratie

„Wir sind eine demokratische, eine vielfältige Gesellschaft – dafür stehen wir jeden Tag auf“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNEN im Landtag zur Stärkung der Demokratie

Der Antrag „Demokratiefeindlichkeit entgegenwirken – Präventionsarbeit weiter stärken“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ziemlich erschüttert über die aktuellen Ergebnisse der neuen Mitte-Studie, die alle zwei Jahre die Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft misst. 8 % der Bevölkerung haben demnach ein rechtsextremes Weltbild.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Vor zwei Jahren waren es noch 1,7 %. Wir erleben also einen massiven Anstieg rechtsextremer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Das sollte uns als Demokratinnen und Demokraten alle sehr besorgen.

Alle Indikatoren, nach denen gemessen wird, was ein rechtsextremes Weltbild ist – zum Beispiel Verharmlosung der NS-Verbrechen, Rassismus, Antisemitismus, sozialdarwinistische Haltungen –, sind in den Befragungen angestiegen. Mehr als 6 % der Befragten befürworten sogar eine Diktatur mit einem starken Führer.

Für mich müssen diese dramatischen Ergebnisse, die heute vorgestellt wurden, zu einem echten Schulterschluss der Demokratinnen und Demokraten führen. Wir brauchen mehr Anstrengungen gegen Rechtsextremismus. Wir müssen mehr machen und dürfen es nicht zulassen, dass diese Feinde der Demokratie unsere demokratische, vielfältige Gesellschaft anfeinden und angreifen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Wir erleben seit Jahren, seit Jahrzehnten Veränderungen in der rechtsextremen Szene. Es hat nie die eine rechtsextreme Szene gegeben. Wir erleben Veränderungen bei den Akteuren, Strategien und Themen. Verschwörungsmythen, die Zusammenkunft von bürgerlichen Milieus und Rechtsextremen bei den Coronaprotesten, Hassrede im Internet, aber auch im realen Leben, die Radikalisierung im Netz, die Aufmärsche, die Publikationen von extrem rechten Akteuren und der Ankauf von Immobilien durch Rechtsextreme sind nur einige der Schlaglichter, mit denen wir es auch in Nordrhein-Westfalen zu tun haben, wenn wir über Rechtsextremismus sprechen.

Eines ist dabei klar: Es gibt ein verbindendes Element im Rechtsextremismus. Das sind die rassistischen, antisemitischen, menschenverachtenden Einstellungen. Das ist der Kern. Darüber müssen wir sprechen.

Unsere Demokratie ist gerade gefährdet. Es ist nicht nur abstrakt, wenn wir sagen: Es ist eine Gefahr für unsere Demokratie. – Die Gefahr ist ja sehr real. Rechtsextreme haben zum Ziel, unsere Demokratie abzuschaffen. Die AfD hat zum Ziel, unsere Demokratie abzuschaffen.

Was heißt das konkret für Menschen in unserem Land? Was heißt das für Menschen, die gesellschaftlichen Minderheiten angehören? Sie erleben das jeden Tag. Sie erleben Diskriminierungen und Anfeindungen und auch, dass diese in einer Situation zunehmen, in der sich ein gesellschaftlicher Diskurs verändert. Deshalb reden wir über eine reale innenpolitische Gefahr in Nordrhein-Westfalen.

Das bedeutet auch, dass wir uns als Demokratinnen und Demokraten mit aller Kraft dagegenstellen müssen und Hass und Hetze in diesem Land niemals zulassen dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Es gibt nicht die eine Lösung, die eine Antwort. Dann wäre es ja so einfach. Aber es ist nicht einfach, weil wir über Einstellungen reden. Wir reden nicht nur über irgendwelche Akteure an einem vermeintlich rechtsextremen Rand, sondern über Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Das hat die Studie heute noch einmal sehr deutlich gezeigt.

Das macht es gleichzeitig so schwer, weil wir auch über uns reden müssen. Wir müssen darüber reden: Was haben wir denn in unseren Köpfen? Welche Einstellungen vertreten wir? Welche Stereotype haben wir im Kopf? – Es ist die Auseinandersetzung, die wir in unserer Gesellschaft führen müssen, in allen gesellschaftlichen Organisationen, überall da, wo Menschen zusammenkommen. Das macht die Bekämpfung von Rassismus in der Mitte der Gesellschaft eben so schwierig.

Insofern gibt es nicht die eine Antwort. Aber natürlich müssen wir das Thema angehen.

Deshalb hat die damalige rot-grüne Landesregierung schon 2016 ein Integriertes Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf den Weg gebracht. Dieses Konzept wurde weiterentwickelt und evaluiert. Ein wichtiges Ergebnis dabei war, dass wir die Rolle der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus im Land stärken müssen, weil diese Koordinierungsstelle die verschiedenen Maßnahmen umsetzt. Klar ist aber auch: Es betrifft nicht das eine Ressort, das eine Ministerium.

Wir müssen mit Repression gegen Rechtsextremismus vorgehen. Wir brauchen die Intervention, die Solidarität mit von rechter Gewalt Betroffenen und die Prävention. Das zeigt, wie breit wir die Bekämpfung von Rechtsextremismus anlegen müssen. Dafür gibt es das Handlungskonzept.

Wir wollen mit dem Antrag die Rolle der Landeskoordinierungsstelle weiter stärken, damit die Maßnahmen gegen rechts umgesetzt und noch verstärkt werden können.

Mein Ziel ist, dass die rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung bei null sind, wenn wir in zwei Jahren wieder hier stehen und eine neue Mitte-Studie auf dem Tisch liegt.

(Beifall von den GRÜNEN und Daniel Hagemeier [CDU])

Das Ziel muss doch sein, dass wir Rechtsextremismus und Rassismus in unserer Gesellschaft erfolgreich bekämpfen. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Ich bin auch optimistisch, dass wir als Demokratinnen und Demokraten das schaffen. Denn wir sind mehr. Wir sind die Mehrheit in dieser Gesellschaft. Wir sind eine demokratische, eine vielfältige Gesellschaft. Dafür stehen wir jeden Tag auf. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zu Anträgen der Fraktionen von SPD, FDP und „AfD“ zu kommunalen Flüchtlingsunterkünften

„Was ich in dieser Debatte wirklich vermisse, ist Ehrlichkeit und Redlichkeit“

Zu Anträgen der Fraktionen von SPD, FDP und „AfD“ zu kommunalen Flüchtlingsunterkünften

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss wirklich sagen, dass mich die ersten Redebeiträge dieser Debatte echt fassungslos machen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Elisabeth Müller-Witt [SPD] – André Stinka [SPD]: Das dürfte Sie nicht wundern! Sie sollten sich schämen! Unglaublich!)

Wir reden hier immer noch über Menschen. Wir reden über Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Ich finde das Gebaren, insbesondere der SPD-Fraktion, wirklich unwürdig und verantwortungslos.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ja, die Herausforderungen in den Kommunen sind riesengroß. Das ist so. Die Anpassung an die Klimakrise, die Schaffung …

(Unruhe – Glocke)

Präsident André Kuper: Frau Schäffer, ich darf gerade mal um Unterbrechung bitten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen der Rednerin oder dem jeweiligen Redner hier das Wort ermöglichen. Ich bitte, sich alle entsprechend zu verhalten.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident.

Es ist ja so, die Herausforderung in den Kommunen ist riesengroß – das stimmt –, seien es die Schaffung von OGS-Plätzen, die Anpassungen an die Klimakrise und auch die Aufnahme von Geflüchteten, die Unterbringung, die Integration, die Organisation von Sprachkursen, von Kitaplätzen. Ich bin dankbar, dass die Kommunen es jeden Tag in Nordrhein-Westfalen schaffen und sie Verantwortung, mehr Verantwortung übernehmen. Jede Kommune in Nordrhein-Westfalen übernimmt derzeit mehr Verantwortung als diese SPD-Landtagsfraktion.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Frank Börner [SPD])

Ankommenden Geflüchteten eine menschenwürdige Unterbringung zu geben, das ist Aufgabe des Landes und der Kommunen. Ja, mit der steigenden Anzahl von Geflüchteten müssen die Kapazitäten erhöht werden, und genau daran arbeitet diese Landesregierung.

(Christian Dahm [SPD]: Leider nicht!

SPD und FDP blenden doch eine Sache bewusst aus. Nicht nur für die Kommunen, sondern auch für das Land ist die aktuelle Situation eine riesengroße Herausforderung. Aber ich habe in dieser Debatte keinen einzigen sinnvollen Vorschlag von Ihnen gehört, wie Sie denn wirklich konkret mehr Plätze schaffen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Ich hätte wirklich einen anderen Anspruch an eine konstruktive Oppositionsarbeit.

(Christian Dahm [SPD]: Ha, ja! – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Wir Grüne haben Oppositionsarbeit immer anders verstanden. Ich finde, Sie werden dem gerade nicht gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was ich in dieser Debatte wirklich vermisse, ist Ehrlichkeit und Redlichkeit.

(Zurufe von der SPD)

– Lassen Sie mich doch einmal ausreden, kommen Sie doch einmal runter!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Kommen Sie mal runter! – Zuruf von der SPD: Reden Sie zur Sache!)

– Ich rede zur Sache.

(André Stinka [SPD]: Überhaupt nicht!)

Ich würde gerne an eine Sache erinnern, weil ich es noch so gut vor Augen haben. Alle demokratischen Fraktionen hier im Hause waren schon mal in Regierungsverantwortung. Ich habe noch gut vor Augen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wie wir gemeinsam im Innenausschuss gesessen haben und von der Opposition getrieben wurden. Ich finde es traurig, dass die SPD jetzt in dieser Situation

(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Mein Gott, muss die Wunde tief sein!)

reflexartig in genau dieselbe Oppositionsrolle verfällt. Ich finde das unehrlich und frage mich wirklich, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD: Was habt ihr denn aus der damaligen Situation gelernt? Wo steht ihr eigentlich heute in dieser Frage?

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

So ein ritualisierter Schlagabtausch ist doch unwürdig und wird der Sache nicht gerecht.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Ein Versagen des Staates herbeizureden und damit den Vertrauensverlust in staatliche Institutionen noch weiter zu befördern, ist verantwortungslos

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wer die Wahrheit ausspricht, ist schuld!)

und wird, wie gesagt, der Sache nicht gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Landesunterkünfte können immer nur in Kommunen eingerichtet werden. Deshalb braucht es die Bereitschaft und die Kooperation vor Ort.

Als schwarz-grüne Koalition wollen wir die hundertprozentige Anrechnung der Landesunterkünfte auf die Aufnahmeverpflichtung der Kommunen. Wir müssen und wollen die Ehrenamtlichen vor Ort, die es gibt und die total engagiert sind, stärker einbinden. Es ist richtig, dass das Flüchtlingsministerium angekündigt hat, die Bezirksregierungen noch stärker bei der Akquise von Flächen und beim Belegungsmanagement zu unterstützen. Das sind wichtige Schritte, die wir als Land gehen, um die Kommunen in Zukunft noch besser zu unterstützen.

Ich will eins noch einmal klarstellen: Die derzeitige Zuweisung von Geflüchteten an die Kommunen geschieht ja nicht willkürlich. Es werden vorrangig Menschen zugewiesen, die eine gute Bleibeperspektive haben. Insgesamt haben über 70 % der Geflüchteten, die zu uns kommen, eine gute Bleibeperspektive. Deshalb ist die Integration von Anfang an so wichtig – im Interesse der geflüchteten Menschen, aber auch im Interesse unserer Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ja, ich muss den Bund ansprechen, auch wenn Sie wieder kritisieren werden, wir würden immer nach Berlin zeigen. Aber es gibt geteilte Verantwortlichkeiten. Es gibt eine Verantwortung des Landes, der Kommunen, und es gibt auch eine Verantwortung des Bundes. Dazu gehört es, dass es im Bereich der Migration ein Gesamtpaket geben muss. Dazu gehören Migrationsabkommen mit Herkunftsländern für die Rücknahme bei abgelehnten Asylanträgen, aber genauso für die Schaffung legaler Fluchtwege. Was macht stattdessen Nancy Faeser in der aktuellen Flüchtlingsdebatte? Sie heftet sich in halbgaren Diskussionen ihren roten Sheriffstern an und verwässert die flüchtlingspolitische Programmatik der SPD weiter.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Der FDP-Bundesfinanzminister hat immer noch nicht die Zusage über die Bundesbeteiligung gegeben, die dauerhaft sein muss, die dynamisch sein muss, damit die Kommunen und Länder planen können.

(Zurufe von der FDP)

Wir haben eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen, und der muss auch der Bund endlich gerecht werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Eines möchte ich zum Abschluss gerne noch sagen. Ich mache mir wirklich gerade sehr große Sorgen über die Zustimmung zu rechtspopulistischen Positionen in unserer Gesellschaft. Ich weiß, dass es hier sehr vielen in den demokratischen Fraktionen so ergeht. Wir wissen, dass solche Diskurse als Legitimation für flüchtlingsfeindliche Straftaten genutzt werden. Man kann die jeweilige konkrete Situation nicht gleichsetzen, aber den Zusammenhang von Stimmung in der Gesellschaft und Straftaten hat es Anfang der 90er-Jahre in Deutschland gegeben, es hat diesen Zusammenhang 2015/2016 gegeben – das ist messbar, das sehen wir an den Straftaten –, und aktuell steigt auch wieder die Zahl flüchtlingsfeindlicher Straftaten in Deutschland.

Deshalb sind wir als Demokratinnen und Demokraten doch gefragt, unsere demokratischen Grundwerte zu verteidigen. Ich finde, dazu gehört auch, dass keine Stimmungen entstehen dürfen und dass wir es nicht zulassen, dass sie entstehen, weil Rechte und Rechtsextreme diese als Legitimation für ihre Straftaten nutzen. Das dürfen wir unter keinen Umständen zulassen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zum Antrag der FDP-Fraktion zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

„Die Einigung der europäischen Mitgliedsstaaten kann aus grüner Sicht zentrale Anliegen nicht erfüllen“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das UNHCR hat am Mittwoch veröffentlicht, dass derzeit 108 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, davon etwa 40 % Kinder. Das ist ein neuer, ein sehr trauriger Höchstwert.

Diese Menschen müssen ihre Heimat aufgrund von Krieg und Gewalt, Vertreibung und Zerstörung verlassen, um das eigene Leben oder das ihrer Familie in Sicherheit zu bringen. Mehr als die Hälfte fliehen innerhalb ihres Landes. Wenn Geflüchtete das Land verlassen, sind es zum größten Teil ärmere Länder, die sie aufnehmen.

In Europa gab es im letzten Jahr etwa 5 Millionen Geflüchtete, davon 4 Millionen Menschen aus der Ukraine, die vor dem russischen Angriffskrieg fliehen mussten. Ich bin sehr dankbar für die Aufnahmebereitschaft in Europa. Vielen Dank an die Kommunen, an die vielen Ehrenamtlichen, die wieder einmal Großartiges leisten!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir alle haben die teils katastrophale Situation an den EU-Außengrenzen im Kopf. Mit dem Schiffsunglück auf dem Mittelmeer vor zwei Tagen mit vermutlich mehreren hundert Toten kommt ein weiteres, sehr trauriges Bild hinzu.

Eine Reform der europäischen Asylpolitik, die sich an Menschenrechten und an Solidarität unter den europäischen Mitgliedsstaaten ausrichtet, ist dringend notwendig. Und deshalb war es auch richtig, dass die deutsche Bundesregierung aktiv in die Verhandlung eingestiegen ist.

Den Antrag der FDP für die Aktuelle Stunde finde ich jedoch reichlich unterkomplex. Sie wissen als Europapartei, dass die Verhandlungen auf europäischer Ebene noch gar nicht abgeschlossen sind. Das Trilog-Verfahren steht doch jetzt erst an. Es sind unsere Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, die jetzt dran sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Sie wissen auch, dass der Landtag von Nordrhein-Westfalen gar nicht über die GEAS-Reform entscheiden wird. Deshalb ist das Anliegen der FDP, das mit dieser Aktuellen Stunde verbunden wird, auch so eindeutig, und das hat auch gerade die Rede von Henning Höne deutlich gemacht: Sie wollen einzig und allein Streit in dieser Koalition provozieren. Um es vorwegzunehmen: Es wird Ihnen nicht gelingen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Aber dass Ihnen mit so einer Debatte politische Geländegewinne wichtiger sind als diejenigen, um die es hier eigentlich gehen muss, nämlich asylsuchende Menschen, das finde ich wirklich nicht in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Einigung der Innenministerinnen und Innenminister der europäischen Mitgliedsstaaten kann aus grüner Sicht zentrale Anliegen nicht erfüllen. Denn anders, als der Antrag der FDP suggeriert, gibt es eben keinen verbindlichen Verteilmechanismus.

(Beifall von den GRÜNEN)

In Zukunft sollen Asylsuchende in haftähnlichen Bedingungen das Asylverfahren an den EU-Außengrenzen durchlaufen. Ich halte das aus rechtsstaatlicher Perspektive für fragwürdig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Darüber hinaus ist es der Bundesregierung nicht gelungen, Familien und minderjährige Kinder davon auszunehmen. Das ist wirklich bitter, das ist richtig bitter. Deshalb handelt es sich mitnichten um einen historischen Erfolg für eine solidarische Migrationspolitik und für den Schutz von Menschenrechten, wie Nancy Faeser die Einigung gefeiert hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nancy Faeser braucht offenbar die Erfolgsmeldung noch vor der Hessenwahl. Aber dass Kinder bald von Freiheitsentziehung betroffen sein werden, das ist wirklich alles andere als ein Grund zum Feiern. Hierüber muss beim Trilog im Sinne der UN-Kinderrechtskommission dringend verhandelt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich weiß – auch das ist gerade deutlich geworden –, dass die CDU insgesamt eine andere politische Einschätzung zur GEAS-Reform hat. Und wissen Sie, was das ist? Das ist völlig in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich verrate Ihnen gerne ein Geheimnis: Wir sind und bleiben zwei unterschiedliche Parteien, und wir haben auch nicht vor, das zu ändern.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb ist es auch absolut in Ordnung, unterschiedliche Meinungen zu haben.

Lieber Henning Höne, wir brauchen auch keinen FDP-Antrag. Denn wir sind uns in Nordrhein-Westfalen in der schwarz-grünen Koalition sehr einig und eng beisammen, wenn es darum geht, die Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen. Nicht nur die Mittel aus dem Sondervermögen in Höhe von 390 Millionen Euro für die Kommunen waren wichtig. Wir sind auch die Stimme der Kommunen in Berlin. So nehme ich die FDP nicht wahr. Sie sind es nämlich nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen doch endlich von Einzelverhandlungen über Einmalzahlungen wegkommen. Wir brauchen dringend eine dauerhafte, strukturelle Beteiligung des Bundes an den Flüchtlingskosten. Insbesondere Bundesfinanzminister Christian Lindner ist in der Verantwortung dafür, dass der Bund die Finanzierungszusagen macht, damit unsere Kommunen bei der Aufnahme, Unterbringung und Integration von Geflüchteten unterstützt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wissen auch, dass viele Menschen, die hier bei uns Schutz suchen, aus berechtigten Gründen auch bei uns bleiben werden. Deshalb ist Integration von Beginn an so wichtig, und zwar nicht nur im Interesse der geflüchteten Menschen, sondern auch im Interesse unserer gesamten Gesellschaft. Denn wir brauchen schlicht die Fach- und Arbeitskräfte. Wir brauchen die Potenziale der Menschen, die zu uns kommen.

Deshalb ist es wichtig, an der zügigeren Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen, aber auch an der Aufhebung von Arbeitsverboten für Geflüchtete zu arbeiten. Daran arbeiten wir gemeinsam als Koalition.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Migration und Integration bleiben eine Daueraufgabe. Deshalb müssen wir verantwortlich handeln. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das den komplexen Herausforderungen gerade in den Kommunen Rechnung trägt. Deshalb reicht es auch nicht aus, sich hier in politischen Schaukämpfen zu verlieren, um vermeintlich die Koalition vorzuführen.

Wir brauchen Migrationsabkommen, um Rückführungen bei abgelehnten Asylanträgen durchzusetzen. Wir brauchen sie aber auch, um legale und sichere Migrationswege zu schaffen.

Wir brauchen Perspektiven für die Menschen, die zu uns kommen, und für diejenigen, die schon hier sind. Wir brauchen eine starke Integrationsinfrastruktur, weil unsere Gesellschaft auch auf Migration angewiesen ist.

Der Beitrag der FDP dazu ist heute leider unterkomplex geblieben. Ich finde das schade. Wir brauchen hier die sachliche Diskussion über dieses wichtige Thema.

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag zum 30. Jahrestag des Anschlages von Solingen

„Wir als Demokratinnen und Demokraten müssen alles für dieses „Nie wieder“ tun“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag zum 30. Jahrestag des Anschlages von Solingen

Der Antrag „Gedenken an die Opfer des rechtsextremistischen Brandanschlags in Solingen – Einstehen gegen Rassismus und Diskriminierung“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Nacht auf den 29. Mai 1993 verlor die Familie Genç fünf Familienmitglieder. Die Erinnerung an die fünf getöteten Frauen und Mädchen der Familie Genç wachzuhalten, ist ein ganz zentraler Teil der Erinnerungskultur unseres Landes. Wir werden Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç nicht vergessen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute nennen wir uns ganz selbstverständlich Einwanderungsgesellschaft. Das war ja nicht immer so. Als in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren Menschen als Arbeitskräfte angeworben wurden, nannte man sie Gastarbeiter. Man erwartete, dass sie irgendwann in ihr Herkunftsland zurückkehren würden.

Auch Mevlüde und Durmuş Genç wanderten in den 70er-Jahren nach Deutschland ein. Und sie blieben mit ihrer Familie. – Herr Genç, liebe Familie Genç, danke, dass Sie heute da sind.

(Beifall von allen Fraktionen)

Anfang der 90er-Jahre, kurz nach der Wiedervereinigung, wurde rassistisch aufgeheizt über die Aufnahme von Geflüchteten diskutiert. Trotz der Pogrome und Anschläge von Mölln, Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda wurde am 26. Mai 1993 im Deutschen Bundestag der sogenannte Asylkompromiss und damit eine erhebliche Beschneidung des Asylrechts beschlossen.

Für Neonazis und Rechtsextreme muss das eine Bestätigung für ihre menschenverachtende Hetze gewesen sein. Nur drei Tage später brannte in Solingen das Haus der Familie Genç.

Ich finde, das sollte uns sehr nachdenklich machen – nachdenklich darüber, wie wir als Politikerinnen und Politiker diskutieren, wie wir kommunizieren und was wir sagen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Am kommenden Montag jährt sich dieses furchtbare Ereignis zum 30. Mal. Der Brandanschlag von Solingen hat tiefe Narben in der Geschichte unseres Landes hinterlassen. Viele insbesondere junge Menschen mit Migrationsgeschichte in Nordrhein-Westfalen hat dieser rassistische Anschlag sehr geprägt. Wenn man mit ihnen spricht, kann man erahnen, welche Angst und Wut damals in der Luft lag. Diese Verunsicherung begleitet eine ganze Generation bis heute.

Neben der Erinnerung an die ermordeten Mitglieder der Familie Genç ist der Jahrestag auch ein wichtiger Anlass, über Kontinuitäten rechtsextremer Gewalt in Deutschland zu sprechen. Denn Solingen ist kein Einzelfall. Rassistische Gewalt in der Bundesrepublik begann nicht erst mit den 1990er-Jahren. Auch heute geht die größte Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft vom Rechtsextremismus aus.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Um Rechtsextremismus zu bekämpfen, stärken wir die Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus. Wir stärken die Präventionsarbeit. Wir reagieren auf neue Phänomene wie etwa die Verbreitung von Verschwörungserzählungen. Wir gehen gegen rechtsextreme Akteure vor, indem wir den Ermittlungsdruck gegen rechtsextreme Straftaten hoch halten.

Es ist eine gemeinsame Verantwortung und Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten, gegen Rechtsextremismus konsequent vorzugehen.

Mir ist aber auch wichtig, zu sagen, dass wir über Rechtsextremismus nicht losgelöst von Rassismus und menschenverachtenden Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft diskutieren können. Deshalb ist es wichtig, neben der Bekämpfung des Rechtsextremismus für wirksame Antidiskriminierungsstrukturen zu sorgen, diejenigen zu stärken, die von Rassismus und Diskriminierung in unserer Gesellschaft betroffen sind, ein eigenes Landesgesetz zu schaffen, um die Schutzlücken des AGG zu schließen, und eine Landesantidiskriminierungsstelle zu schaffen. Denn jeder Mensch soll ohne Angst vor rassistischer Gewalt oder Diskriminierung in Nordrhein-Westfalen leben können.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Bereits unmittelbar nach dem Anschlag rief Mevlüde Genç zur Versöhnung auf, und sie tat alles dafür, die Erinnerung wach zu halten. Mir ist bei einer der vielen Veranstaltungen, die ich miterleben durfte, auf der Mevlüde Genç gesprochen hat, in Erinnerung geblieben, wie Mevlüde Genç vor einigen Jahren von ihrer Enkelin Saime berichtete. Saime habe sich so sehr gefreut, endlich bald den Kindergarten besuchen zu dürfen. Dazu ist es nicht gekommen, weil die kleine Saime im Alter von gerade einmal vier Jahren ermordet wurde.

Die Geschichte von Saime ist die Geschichte eines nicht gelebten Lebens. Alle fünf Frauen und Mädchen waren sehr jung und hatten ihr ganzes Leben vor sich. Der Gedanke, was es bedeutet, was sie alles nicht erleben konnten, macht mich tief traurig, und den Schmerz der Angehörigen können wir nur erahnen.

Nie wieder sollen Eltern und Großeltern ihre Kinder durch einen rechtsextremen Anschlag verlieren, und wir als Demokratinnen und Demokraten müssen alles für dieses „Nie wieder“ tun.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP, Enxhi Seli-Zacharias [AfD] und der Regierungsbank)

Rede zum Entwurf der Landesregierung für ein Stiftungsgesetz – zweite Lesung

„Ich kann nicht erkennen, dass es hier ein Kontrolldefizit geben würde“

Zum Entwurf der Landesregierung für ein Stiftungsgesetz – zweite Lesung

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Sven Wolf, im Hauptausschuss machen wir viele Dinge wirklich interfraktionell. Ich glaube, es ist okay und in Ordnung, wenn wir an einer solchen Stelle auch mal zu einer unterschiedlichen Auffassung kommen und ein Gesetz nicht gemeinsam machen.

Ich möchte aber gern vorab auch noch einmal festhalten, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen eine vielfältige Stiftungslandschaft haben und die allermeisten Stiftungen in NRW eine wirklich wichtige gemeinnützige Arbeit leisten. Viele der Stiftungen unterstützen gerade diejenigen unserer Gesellschaft, die Unterstützung besonders brauchen. Das sind Kinder und Jugendliche; das sind ältere Menschen; das sind Menschen mit Behinderung; das sind Menschen, die von Armut betroffen oder gefährdet sind; das sind Menschen in Notlagen. Auch im Bereich von Kunst und Kultur, in der Denkmalpflege und in vielen gesellschaftspolitischen Themen engagieren sich ganz viele Stiftungen hier in Nordrhein-Westfalen. Oft wird diese Arbeit ehrenamtlich geleistet. Dafür möchte ich einmal Danke schön sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Jetzt aber zum konkreten Gesetzentwurf: Der Bundesgesetzgeber hat das Stiftungsrecht novelliert. Deshalb sind die landesrechtlichen Anpassungen notwendig, die jetzt mit diesem Gesetz getroffen werden sollen.

Die Sachverständigen haben in der Anhörung viele wichtige Fragen aufgeworfen. Sie haben in der Tat auch viel Kritik geäußert; das will ich gar nicht bestreiten. Ich möchte hier aber auch noch einmal sagen, dass wir uns als Regierungsfraktionen sehr intensiv mit dieser Kritik auseinandergesetzt haben und offensichtlich zu einem anderen Ergebnis kommen als SPD und FDP. Ganz deutlich widersprechen will ich nur der Aussage, wir würden diese Hinweise ignorieren. Wir ignorieren sie nicht. Wir haben sie geprüft und intern diskutiert. Wir haben sie abgewogen und kommen zu einem anderen Ergebnis als Sie.

Wir stellen einen Änderungsantrag und haben ihn schon im Hauptausschuss abgestimmt. Dort geht es ganz konkret um den § 6, bei dem wir eine redaktionelle Änderung vornehmen, weil es Unklarheiten bezüglich der Formulierung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gibt. Daher ist es sinnvoll, das hier zu streichen, damit diese Unklarheiten ausgeräumt werden und wir bei der gängigen Praxis bleiben.

Ich bin den Sachverständigen ausdrücklich dankbar für ihre Kritik. Wir sind als Abgeordnete immer darauf angewiesen, dass wir von externen Sachverständigen Hinweise bekommen. Das ist gut und hat auch zu diesem Änderungsantrag geführt.

Eine Kritik, die von den Sachverständigen geäußert wurde, bezog sich auf die Unterscheidung zwischen gemeinnützigen und privatrechtlichen Stiftungen. Auf den ersten Blick fand ich diese Kritik durchaus schlüssig. Deshalb haben wir natürlich darüber diskutiert und uns das angeschaut.

(Sven Wolf [SPD]: Uns hat das überzeugt!)

Auf den zweiten Blick muss ich aber sagen, dass ich der Einschätzung, der Prüfung und der Argumentation des Innenministeriums durchaus folgen kann. Deshalb ändern wir das an dieser Stelle nicht. Denn die Aufsichtsinstrumente, die wir als Staat haben, finden auch bei den privatrechtlichen Stiftungen Anwendung. Nur bei der jährlichen unaufgeforderten Vorlage von Jahresabrechnungen sind privatrechtliche Stiftungen ausgenommen. Das entspricht der bisherigen Praxis. Dabei werden wir bleiben.

Die Argumentation, dass die Kontrolldichte bei gemeinnützigen Stiftungen höher liegt – eben, um die Gemeinnützigkeit zu prüfen –, erscheint mir durchaus plausibel. Insofern kann ich dieser Argumentation folgen.

Selbstverständlich ist, dass der Stifterwille durchgesetzt werden muss. Das gilt sowohl für gemeinnützige als auch für privatrechtliche Stiftungen. Dafür stehen den Stiftungsbehörden nach wie vor auch nach dem neuen Gesetz entsprechende Aufsichtsmittel zur Verfügung. Meines Erachtens gibt es überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Zuständigen im Innenministerium oder in den Bezirksregierungen ihrer Aufgabe bei der Rechtsaufsicht unvermindert nachkommen werden.

Deshalb, lieber Sven Wolf, kann ich nicht erkennen, dass es hier ein Kontrolldefizit geben würde. Ein solches Defizit sehe ich nicht. Daher werden wir den Änderungsantrag von SPD und FDP ablehnen.

Ich hoffe und gehe auch davon aus, dass die Stiftungen in Nordrhein-Westfalen mit dieser Gesetzesnovelle eine gute Grundlage haben, um ihre so wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft auch in Zukunft fortsetzen zu können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag zum 80. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto

„Das Versprechen ‚Nie wieder!‘ einzulösen, heißt auch, jüdisches Leben zu schützen“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag zum 80. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto

Der Antrag „80 Jahre Aufstand im Warschauer Ghetto: Gedenken an den unerschrockenen Widerstand“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir erinnern heute an den mutigen Aufstand im Warschauer Ghetto vor 80 Jahren. Ich finde es dabei auch wichtig, daran zu erinnern, dass es ein reiches kulturelles jüdisches Leben in Polen gegeben hat. Jüdinnen und Juden machten vor der Shoah 10 % der Gesamtbevölkerung in Polen aus.

Warschau war das bedeutendste Zentrum jüdischen Lebens in Europa. In den Straßen von Warschau gab es jüdische Gebetshäuser und Synagogen. Es gab die rituellen Tauchbäder, die Mikwen. Es gab Schulen und jüdische Bibliotheken.

In Warschau wurden jiddische Tageszeitungen herausgegeben, wurde jiddisches Theater gespielt. Es gab ein jüdisches Musikinstitut, und es gab diverse jüdische Sportklubs.

Ein Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt war jüdisch. Ja, das stellt letztlich auch unser Bild einer jüdischen Minderheit in Europa auf den Kopf und zeigt zugleich, dass die Nationalsozialisten einen großen Teil der polnischen Bevölkerung grausam ermordet und vernichtet haben. Es ist unsere Pflicht, an jedes einzelne Schicksal, an jeden einzelnen Menschen zu erinnern.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Von den über 3 Millionen Jüdinnen und Juden in Polen haben gerade einmal etwa 300.000 Menschen überlebt. Wenn man sich die Bilder und Berichte von Zeitzeugen des Warschauer Ghettos anschaut, dann werden aus diesen unvorstellbaren Zahlen ganz konkrete Schicksale. Dann sehen wir die einzelnen Menschen, die unter absolut katastrophalen Bedingungen im Warschauer Ghetto eingepfercht leben mussten, jüdische Kinder, die ihrer Kindheit beraubt wurden und in Hunger und Angst leben mussten, Menschen, die ihr Leben riskierten und gestohlene Lebensmittel in das Ghetto schmuggelten, um ihre Familie zu ernähren, Leichen von verhungerten Menschen auf der Straße, die Ausbreitung von Krankheiten aufgrund der desaströsen hygienischen Bedingungen, die Zwangsarbeit, die Gewalt, die Willkür, mit der die Nationalsozialisten brutal gegen die jüdische Bevölkerung vorgegangen sind.

Ab Juli 1942 gab es die Deportation ins Vernichtungslager Treblinka. Alte und kranke Menschen wurden noch in Warschau erschossen. Übrig blieben im Warschauer Ghetto die Jüdinnen und Juden, die die Nationalsozialisten vorerst am Leben ließen, um sie als Zwangsarbeiter auszubeuten. Auch das war ganz besonders perfide und grausam.

Am 19. April 1943, kurz vor Beginn des Pessach, begann der Aufstand im Warschauer Ghetto, als weitere Deportationen bevorstanden. Die Menschen wussten ja, dass sie in den Tod geschickt werden sollten.

Es waren insbesondere junge Menschen, deren Angehörige oftmals längst getötet worden waren, die den Aufstand im Warschauer Ghetto anführten und im wahrsten Sinne des Wortes trotz völlig ungleicher Waffen mehrere Wochen den SS- und Wehrmachtseinheiten Einhalt geboten. Dieser Mut und diese Entschlossenheit sind absolut beeindruckend. Das Gedenken an den größten jüdischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist deshalb wichtig, und die Erinnerung daran muss wachgehalten werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Es ist wichtig, dass wir aller Menschen des Warschauer Ghettos gedenken – denen, die kämpfen konnten und Widerstand geleistet haben, und denen, die es eben nicht konnten. Für uns steht das Gedenken an die Opfer des Warschauer Ghettos gleichzeitig für das Gedenken an alle Menschen, die die Gräueltaten des NS-Regimes erleiden mussten und ermordet wurden. Wir werden sie nicht vergessen!

Ich danke allen demokratischen Fraktionen, dass wir die heutige Debatte auch dazu nutzen, um ein weiteres gemeinsames Zeichen gegen Antisemitismus und für den Schutz und die Wertschätzung jüdischen Lebens zu setzen. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und die Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes ist eine tragende Säule der Erinnerungskultur, die wir weiter fördern und stärken wollen.

Einen herausragenden Beitrag hierfür leisten die Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen. Uns als demokratische Fraktionen ist es wichtig, allen Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, mindestens einmal eine Gedenkstätte zu besuchen. Ich bin davon überzeugt, dass mit einer Einbettung in ein gutes pädagogisches Konzept Gedenkstättenfahrten dazu beitragen können, zukünftigen Generationen zu vermitteln, dass es in unserer Verantwortung liegt, für eine lebendige Erinnerungskultur zu sorgen und gegen Antisemitismus und Rassismus einzustehen.

Mir ist auch wichtig, an die Bedeutung jüdischen Lebens vor der Shoah zu erinnern und jüdisches Leben auch heute zu unterstützen und zu schützen. Das Versprechen „Nie wieder!“ einzulösen, heißt auch, jüdisches Leben zu schützen. Auch das liegt in unserer Verantwortung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)