Rede zu verwaisten jüdischen Friedhöfen

„Die verwaisten jüdischen Friedhöfe sind ein unschätzbares Kulturerbe“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zu Jüdischen Friedhöfen

 

Der Antrag „Geschichte für die Zukunft erhalten – Verantwortung für die Pflege verwaister jüdischer Friedhöfe in Nordrhein-Westfalen weiterhin nachkommen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Friedhöfe sind ganz besondere Orte. Sie sind Orte der Trauer. Sie sind Orte, an denen wir der Verstorbenen gedenken. Sie sind Orte der Stille, und sie sind religiöse Orte. Ich finde, sie sind auch sehr friedliche Orte.

Ich gebe zu, ich bin sehr gerne auf Friedhöfen. Denn sowohl aktuell genutzte als auch alte, historische Friedhöfe erzählen uns ganz viele Geschichten – über die Menschen, die dort bestattet wurden, aber auch über Veränderungen in der Gesellschaft.

Das gilt natürlich auch für jüdische Friedhöfe. Wer einen jüdischen Friedhof besucht, kann ganz viel entdecken. Er sieht vielleicht auf einem Grabstein die Priesterhände der Kohanim, die Levitenkanne oder den Schofar. Oder man sieht Abbildungen von Tieren, die bildliche Hinweise auf den Namen der oder des Verstorbenen geben.

Die Symbolik auf den Grabsteinen verrät uns schon auf einen Blick ganz viel über die Verstorbene oder den Verstorbenen. Die Inschriften, die Anzahl oder die Anordnung von Gräbern, aber auch die Lage der Friedhöfe geben uns Auskunft nicht nur über die hier bestatteten Menschen, sondern auch über die Situation von Jüdinnen und Juden in einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft im Verlauf der Geschichte.

Dass den jüdischen Gemeinden in der Vergangenheit oftmals Grundstücke angeboten wurden, die man für nichts anderes nutzen konnte, sagt sehr viel über die Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft aus.

Seit mindestens 1.700 Jahren gibt es jüdisches Leben in Deutschland, und seit mindestens 1.700 Jahren sorgen Jüdinnen und Juden dafür, dass ihre Angehörigen sehr würdig begraben werden. Das jüdische Religionsgesetz sieht die ewige Totenruhe vor. Deshalb haben wir in Deutschland zum Teil sehr alte jüdische Friedhöfe.

Diese alten, verwaisten Friedhöfe sind von unschätzbarem kulturellem Wert und eine unglaublich wertvolle historische Quelle. Deshalb ist es wichtig, dass wir für den Erhalt dieser Friedhöfe sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Die wechselhafte Geschichte von Jüdinnen und Juden in Deutschland ist von Verfolgung und Vertreibung geprägt. Jüdische Friedhöfe oder auch nur einzelne Grabsteine sind immer wieder geschändet worden. Leider erleben wir heute noch, dass jüdische Gräber geschändet werden.

Die Vernichtungspolitik des NS-Regimes richtete sich sowohl gegen jüdische Menschen wie auch gegen jüdische Institutionen. Dazu gehören eben die jüdischen Friedhöfe. Viele jüdische Friedhöfe sind in dieser Zeit unwiederbringlich zerstört worden. Auch nach 1945 – ich finde es wichtig, das zu sagen – sind in Nordrhein-Westfalen noch jüdische Friedhöfe vernichtet worden.

Daraus erwächst eine ganz besondere Verantwortung für uns: die Verantwortung, die ewige Totenruhe der Verstorbenen zu gewährleisten, jüdische Friedhöfe als historische Quelle mit einem unschätzbaren kulturellen Wert zu erhalten und jüdische Friedhöfe als wichtigen Bestandteil unserer Erinnerungskultur zu verstehen. Denn an manchen Orten auch in Nordrhein-Westfalen sind es nur noch die jüdischen Friedhöfe, die daran erinnern, dass dort einst jüdische Gemeinden bestanden haben.

Deshalb ist dieser Antrag ein wirklich wichtiges Signal, dass wir als demokratische Fraktionen der Verantwortung für die verwaisten jüdischen Friedhöfe nachkommen wollen.

Es gibt die Kostenpauschale für die Pflege und Instandhaltung der verwaisten jüdischen Friedhöfe. Wir wissen, dass diese Pauschale nicht mehr auskömmlich ist. Der Antrag soll der Landesregierung Rückenwind bei den Verhandlungen mit dem Bund geben, damit die Pauschale angehoben wird. Es ist ganz klar geregelt, dass Bund und Länder die Kostenpauschale hälftig tragen. Wir hier in Nordrhein-Westfalen wollen, dass die Mittel für die Instandhaltung und Pflege der verwaisten jüdischen Friedhöfe wieder auskömmlich sind. Ich hoffe sehr auf die Bereitschaft des Bundes.

Die verwaisten jüdischen Friedhöfe sind ein unschätzbares Kulturerbe, das wir hegen und pflegen müssen. Wir tragen gemeinsam Verantwortung für die Vergangenheit, aber auch für die Zukunft. Deshalb bin ich sehr dankbar für diesen Antrag. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – Erinnern heißt Verantwortung zu übernehmen

„Es darf keinen Schlussstrich geben“

Meine Rede zum Antrag „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – Erinnern heißt Verantwortung zu übernehmen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nur wenige hundert Schritte vom Landtag entfernt steht im Alten Hafen die kleine Statue eines Mädchens mit einem Ball in der Hand. Das Mädchen ist Ida Ehra Meinhardt. 1940 wurde Ehra nach Polen deportiert, glücklicherweise überlebte sie. Wir können nur erahnen, mit welchen körperlichen und seelischen Folgen.

Die Ehra-Statue erinnert an die hunderttausenden Opfer des Völkermords an den Sinti und Roma. Sie und die anderen Opfer des Nationalsozialismus werden wir niemals vergessen.

(Beifall von der den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Auschwitz ist das Synonym für die systematische Vernichtung von Jüdinnen und Juden als die größte Opfergruppe, aber auch von Sinti und Roma, von Homosexuellen, von Menschen mit Behinderung, von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, von politischen Gegnerinnen und Gegnern. Die systematische Vernichtung folgte auf die systematische Ausgrenzung und Entrechtung durch die Nationalsozialisten.

Der Boykott jüdischer Geschäfte, die Euthanasie-Programme, die Rassengesetze, die Verschärfung des § 175, die Reichspogromnacht, die Angriffskriege auf souveräne Staaten und ihre Bevölkerung, der Auschwitz-Erlass zur Deportation der Roma und Sinti, die Wannseekonferenz – all das konnte geschehen, weil es Menschen gab, die die Nationalsozialisten unterstützt und sich angeschlossen haben, Menschen, die ihre Nachbarn verraten haben, Menschen, die Erlasse unterzeichnet, Schießbefehle erteilt und Hinrichtungen angeordnet haben, und Menschen, die mindestes weggewesen haben.

Der Auschwitz-Überlebende Primo Levi hat gesagt:

„Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, wir müssen alles dafür tun, dass es nicht wieder geschieht. Das ist unser Auftrag, das ist unsere Verantwortung, und zwar nicht nur in Reden an Gedenktagen, sondern im Alltag, und zwar jeden Tag.

(Beifall von der den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Mit der Befreiung von Auschwitz und dem Kriegsende in Deutschland und in Europa ist die menschenverachtende Ideologie nicht verschwunden, weder aus den Köpfen noch aus allen Gesetzen und Amtsstuben. Auch heute machen Jüdinnen und Juden in unserer Gesellschaft jeden Tag Antisemitismuserfahrungen, werden Menschen mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert, erleben Diskriminierung, weil sie der Minderheit der Sinti und Roma angehören, werden beschimpft und bespuckt aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität.

Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir uns dieser menschenfeindlichen Hetze und Ausgrenzung immer entgegenstellen.

Wir haben hier im Land gemeinsam als Demokratinnen und Demokraten die Stelle einer Antisemitismusbeauftragten eingerichtet, und wir wollen ihre Arbeit weiter stärken. Da die Arbeit der Antidiskriminierungsstellen und der Opferberatungsstellen so wichtig ist, werden wir eine Landesantidiskriminierungsstelle und ein Landesantidiskriminierungsgesetz schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb ist es auch so wichtig, dass Politikerinnen und Politiker darauf achten, wie sie sprechen, dass durch ihre Worte Gruppen nicht pauschal herabgesetzt werden, egal, in welchem Land die Eltern geboren wurden.

Wir als demokratische Gesellschaft müssen uns am Umgang mit unseren Minderheiten messen lassen. Jeder muss hier frei und ohne Angst vor Diskriminierung und Gewalt leben können.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und der FDP)

Die aktuelle Ausstellung der Zweitzeugen draußen im Foyer macht deutlich, weil die Zeitzeugen immer weniger werden, brauchen junge Menschen neue Zugänge zur Erinnerung. Wir müssen die historisch-politische Bildung deshalb mehr denn je stärken. Die Erinnerungsorte in Nordrhein-Westfalen leisten einen wichtigen Beitrag, um das Wissen über den Nationalsozialismus und auch die Forschung voranzutreiben. Es gilt dabei, die Erinnerungskultur weiterzuentwickeln, insbesondere in einer pluraler werdenden Gesellschaft. Es gilt auch, alle Opfergruppen in den Blick zu nehmen.

Dem Gedenken an die Verfolgung von Homosexuellen wurde lange Zeit kein Platz in der Erinnerungskultur eingeräumt. Der § 175 StGB galt lange unverändert fort. Die Schicksale der Kriegsgefangenen und der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sind noch nicht im kollektiven Gedächtnis präsent, und die Neukonstruktion des Erinnerungsortes Stalag 326 wird das sicherlich und hoffentlich ändern. Die Ehra-Statue im Alten Hafen von Düsseldorf wurde übrigens erst 1997 auf Betreiben des Landesverbandes deutscher Sinti und Roma in Nordrhein-Westfalen aufgestellt. Das zeigt uns, dass die Aufarbeitung und die Auseinandersetzung mit der Geschichte auch am 78. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung noch lange nicht abgeschlossen sind. Es darf keinen Schlussstrich geben.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Verantwortung als Demokratinnen und Demokraten, die Erinnerung wachzuhalten, die Geschichte eben nicht ruhen zu lassen sowie Hass und Diskriminierung heute und an jedem Tag entgegenzutreten. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Rede zu den Entwürfen der Landesregierung für das NRW Krisenbewältigungsgesetz und das NRW Rettungsschirmgesetz – dritte Lesung

„Es geht darum, den Menschen zu helfen“

Meine Rede zu den Entwürfen der Landesregierung für das NRW Krisenbewältigungsgesetz und das NRW Rettungsschirmgesetz – dritte Lesung

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit inzwischen 300 Tagen führt Russland Krieg gegen die gesamte Ukraine. Das sind 300 Tage voller Leid und Angst, Vergewaltigungen, Folter und Tod.

Ich bin dankbar dafür, dass unsere Wirtschaft geschlossen hinter den Sanktionen steht, obwohl sie davon selbst hart getroffen ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich bin dankbar für alle ehrenamtlich Engagierten und die Menschen in den Kommunen, in den Bezirksregierungen und im Land, die jeden Tag Geflüchtete mit offenen Armen empfangen. Wir lassen uns von Putin nicht spalten. Wir stehen weiterhin fest an der Seite der Ukraine.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Schon als die ersten Sanktionspakete auf den Weg gebracht wurden, war klar, dass Putin mit seinen Androhungen ernst machen und die Gaslieferungen nach Westeuropa stoppen würde. Für eine Wirtschaft, deren Wachstum auf billigem Öl und Gas sowie billiger Kohle gründete, hat das fatale Auswirkungen, denn diese Abhängigkeit und die Versäumnisse der vergangenen Jahre kommen uns nun teuer zu stehen.

Das hat auch Folgen für die Unternehmen hier in Nordrhein-Westfalen, denn unser Land ist geprägt von energieintensiver Industrie. Deshalb trifft die Energiekrise unsere Unternehmen stärker als in anderen Bundesländern. Die Aussichten für das neue Jahr sind aufgrund von Rezession und Inflation alles andere als gut.

Eines ist klar: Es geht nicht nur um diesen Winter. Es geht auch um den nächsten Winter. Die Gasspeicher sind jetzt gerade gut gefüllt, aber die kalten Monate dieses Winters kommen erst noch. Es wird ein Kraftakt werden, die Gasspeicher für den darauffolgenden Winter wieder zu befüllen. Das nächste Jahr ist deshalb von einer hohen wirtschaftlichen Unsicherheit geprägt.

Wenn Sie uns nicht glauben, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und FDP, kann ich damit leben. Aber nehmen Sie doch bitte die Prognosen von Wirtschaftsexpertinnen und -experten ernst.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Nehmen wir!)

Die denken sich das doch nicht einfach aus.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Armut war bereits vor der Krise ein Problem hier in Nordrhein-Westfalen. Die gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise treffen von Armut betroffene und bedrohte Menschen besonders schwer. Deshalb sind Maßnahmen zur Krisenbewältigung dringend notwendig für die soziale Infrastruktur, für kleine und mittlere Unternehmen, für Kultureinrichtungen und Sportvereine. Kitas und Jugendzentren müssen warm und geöffnet bleiben. Frauen müssen auch weiterhin in einem Frauenhaus Zuflucht finden können.

Ja, wir treffen auch Vorsorge für den Worst Case. Ein Blackout ist sehr unwahrscheinlich, aber wenn er eintreten würde, dann wäre das eine ziemlich große Katastrophe. Deshalb ist es richtig, die kritische Infrastruktur vorzubereiten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Unterschiedliche Meinungen, der Wettbewerb um die besten Ideen und Argumente, die Kontrolle der Regierung: All das macht unseren Parlamentarismus aus. Das gehört zu Demokratie, und das gehört auch ein Stück weit zur Rollenverteilung zwischen der Opposition und den Regierungsfraktionen. Wer jedoch seit Monaten das Aufheben der Schuldenbremse fordert, aber nun die Notsituation nicht anerkennen will, wer ein NRW-Entlastungspaket fordert und gleichzeitig all unsere Vorschläge, die wir gestern gemacht haben, einfach pauschal ablehnt, der muss sich die Frage gefallen lassen, wie glaubwürdig das ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich war in den letzten Tagen etwas erstaunt darüber, wie von SPD und FDP mal eben so behauptet wird, was verfassungswidrig ist und was nicht. Das Prinzip der Gewaltenteilung sollte in diesem Parlament keine Wissenslücke sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Lachen von Christian Dahm [SPD] – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Ich würde gerne noch auf eine andere Wissenslücke hinweisen und sie schließen. Steuermehreinnahmen, die wider Erwarten in 2022 anfallen werden, können wir nicht für das Hilfspaket ausgeben, das in 2023 startet.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Jochen Ott [SPD]: Aber doch in 2022!)

Wir haben in 2022 noch die Coronanotsituation. Deshalb müssen wir alle Mehreinahmen am Ende des Jahres in die Schuldentilgung stecken.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Sie haben selbst noch vor ein paar Wochen die Auffassung vertreten, dass wir keine kreditfinanzierten Rücklagen ins nächste Haushaltsjahr übertragen dürfen. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Vorschläge von SPD und FDP sind getreu dem Motto: „Was interessiert mich eigentlich das Geschwätz von gestern?“

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Ralf Witzel [FDP]: Unvorstellbar! – Henning Höne [FDP]: Das sagt die Regierung nach dem Beratungsverfahren? Wahnsinn!)

Wenn ich mir eines für das neue Jahr wünschen darf, dann, dass wir vom Streit über Verfahren wegkommen und wieder darüber diskutieren, welche Unterstützung die Menschen in dieser schwierigen Zeit brauchen. Ich weiß, Herr Zimkeit, Sie haben gerade etwas komplett anderes gesagt. Trotzdem möchte ich es noch einmal betonen: Es geht darum, den Menschen zu helfen.

(Zuruf von der SPD: Er hat nicht komplett etwas anderes gesagt! Was soll das denn?)

Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, und ich fände es gut, wenn wir wieder dahin zurückkommen würden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Abgeordneten Dr. Maelzer. Lassen Sie die zu?

Verena Schäffer (GRÜNE): Nein, das möchte ich nicht. Danke.

(Zuruf von der SPD: Bloß nicht verwirren lassen!)

Präsident André Kuper: Okay.

Verena Schäffer (GRÜNE): Zurück zum Thema „300 Tage Krieg in der Ukraine“. Nach 300 Tagen tritt gewissermaßen ein Gewöhnungseffekt ein. Aber an Krieg dürfen wir uns niemals gewöhnen. Er darf niemals zur Normalität werden. Ich hoffe und ich glaube – ich bin mir sehr sicher –, dass wir uns darüber als Demokratinnen und Demokraten sehr einig sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zum Entwurf der Landesregierung zum Haushaltsgesetz 2023, Einzelplan „Staatskanzlei“ – zweite Lesung

„Ein wichtiger Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für unser demokratisches Zusammenleben“

Meine Rede zum Entwurf der Landesregierung zum Haushaltsgesetz 2023, Einzelplan „Staatskanzlei“ – zweite Lesung

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sagt ja immer: Der Haushalt ist Politik in Zahlen. – Das gilt natürlich für alle Einzelpläne. Man könnte vielleicht sagen, dass es bei der Staatkanzlei nicht ganz stimmt, denn die Staatskanzlei hat viel Arbeit, aber im Verhältnis zu anderen Einzelplänen ein ziemlich kleines Budget.

(Sven Wolf [SPD]: Die macht sich auch viel Arbeit!)

Eine ganz wesentliche Aufgabe der Staatskanzlei ist die Koordinierung innerhalb der Landesregierung, aber vor allen Dingen auch mit dem Bund. Ich will daran erinnern, wie viele MPKen, Ministerpräsidentenkonferenzen, es in den vergangenen Monaten gegeben hat. Die Abkürzung MPK kannte vorher wahrscheinlich niemand, und jetzt weiß jeder sofort, was damit gemeint ist. Es geht bei den MPKen immer um ziemlich viel Geld. Deshalb sind sie nicht zu unterschätzen, sondern für das Land Nordrhein-Westfalen enorm wichtig.

Zu den Aufgaben der Staatkanzlei gehört die Öffentlichkeitsarbeit, die Informationen möglichst transparent aufzuarbeiten und aufzubereiten, zum Beispiel zu Corona oder zur Flut. Dazu wurden extra Hotlines eingerichtet. Ich finde, dass das eine ganz wichtige Funktion ist.

(Beifall von Romina Plonsker [CDU])

Die repräsentativen Aufgaben, die Gespräche mit den unterschiedlichen Akteuren, mit den Religionsgemeinschaften und, und, und – all das sind wichtige Aufgaben. Das klingt vielleicht nach viel Klein-Klein, deshalb will ich einmal grundlegender sagen, wofür der Einzelplan 02 auch steht.

Der Einzelplan 02 stellt die Mittel für grundlegende Strukturen von bürgerschaftlichem Engagement, von Beteiligungsmöglichkeiten an unserer Demokratie, für die Religionsgemeinschaften und für die Arbeit gegen Antisemitismus zur Verfügung. Damit ist er ein wichtiger Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für unser demokratisches Zusammenleben.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Am Montag haben wir den Tag des Ehrenamts begangen und die vielen Ehrenamtlichen dafür gefeiert, dass sie eine so grundlegende Arbeit für unsere Gesellschaft leisten: in den Religionsgemeinschaften, bei den Tafeln, im Naturschutz, für Geflüchtete, im Sport, bei den Feuerwehren und, und, und.

Viel Herzblut und viel Ehrenamt steckten auch in „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, was wir im vergangenen Jahr in ganz Deutschland und natürlich auch in Nordrhein-Westfalen begangen haben.

Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass jüdisches Leben sichtbar gemacht wird, dass jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen in der Öffentlichkeit gelebt werden kann und dass Jüdinnen und Juden keine Angst haben müssen. Deshalb ist die Bekämpfung von Antisemitismus von zentraler Bedeutung.

Wir haben hier vor zwei Wochen noch über den Anschlag auf die Alte Synagoge in Essen diskutiert, und wir waren uns als Demokratinnen und Demokraten einig, dass wir gegen Antisemitismus sehr entschieden vorgehen müssen, insbesondere gegen die Verschwörungsmythen, die immer wieder von Rassismus, von Antisemitismus geprägt sind.

Eines ist in den Debatten der vergangenen Wochen, wie ich finde, sehr deutlich geworden: Antisemitismus ist ein Phänomen in der Mitte der Gesellschaft, und er ist nicht nur an irgendwelchen Rändern zu finden. Er muss also auch in der Mitte der Gesellschaft bekämpft werden. Deshalb sind zum Beispiel die Studien der Antisemitismusbeauftragen als Grundlage zur Bekämpfung von Antisemitismus so wichtig. Ich sehe uns als Demokratinnen und Demokraten auch weiterhin darin geeint, dass wir den Kampf gegen menschenverachtende Einstellungen und gegen Antisemitismus gemeinsam führen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir wissen, dass der Antisemitismus ein Kernelement des Rechtsextremismus darstellt.

Ich glaube, wir waren heute Morgen alle ziemlich schockiert, als wir die Eilmeldung auf unseren Handys gesehen haben, dass es eine groß angelegte bundesweite Razzia des BKA bei Reichsbürgern und Coronaleugnern gibt. Was sich heute Morgen offenbart hat – wir haben gesehen, dass sich in solchen Netzwerken Personen aus Sicherheitskreisen organisieren –, stellt sich in der Bewertung als neue Dimension des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus dar. Ich halte das für besonders gefährlich. Deshalb will ich hier noch einmal sagen, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft darstellt.

Wir werden weiterhin konsequent dagegen vorgehen, die Sicherheitsbehörden werden weiterhin dagegen vorgehen. Aber – wir reden hier als Mitglieder des Hauptausschusses – uns ist klar, dass dies nicht nur eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden ist, sondern es geht hierbei auch um Demokratie- und Menschenrechtsbildung, Prävention, Intervention und Opferschutz.

Wir sind durch die vielen Akteure und Beratungsstellen, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, sehr gut aufgestellt. Dennoch wollen wir als schwarz-grüne Koalition diese Strukturen in Zukunft stärker unterstützen, weil der Bedarf einfach da ist.

Ich muss zum Schluss kommen. Meine Redezeit ist schon vorbei, daher noch ein letzter Punkt: Eigentlich haben wir Demokratinnen und Demokraten hinsichtlich der Aufgabenbereiche der Staatskanzlei, aber auch der Landeszentrale für politische Bildung viele Gemeinsamkeiten, vielleicht nicht heute in dieser Haushaltsdebatte; ich weiß, Sie werden gleich dagegenstimmen.

Ich möchte aber sagen: Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Ausschuss, weil wir hier als Demokratinnen und Demokraten eine gemeinsame Verantwortung tragen und sie auch gemeinsam wahrnehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN gegen Antisemitismus

„Jedes Kind hat das Recht darauf, ohne Diskriminierung, ohne Antisemitismus aufwachsen zu dürfen“

Meine Rede zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN gegen Antisemitismus

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es war eine Tür, die vor drei Jahren sehr vielen Menschen das Leben rettete. Mehr als 50 Personen feierten hinter dieser Tür Jom Kippur, als ein Rechtsextremer versuchte, die Synagoge zu stürmen. Zum Glück hielt die Tür stand. Dennoch wurden bei diesem antisemitischen, antifeministischen, rassistischen und rechtsextremen Anschlag zwei Menschen getötet.

Drei Jahre später, an einem anderen Ort, wieder Schüsse auf eine Tür: die Tür des ehemaligen Rabbinerhauses neben der alten Synagoge in Essen.

Die Hintergründe sind noch nicht bekannt. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf als Zentralstelle für die Terrorismusverfolgung leitet nun die Ermittlungen.

Dass die Generalstaatsanwaltschaft von einer antisemitisch motivierten Tat ausgeht, ist richtig. Denn fest steht: Angriffe und Attentate auf jüdische Einrichtungen sind niemals unpolitisch; sie sind antisemitisch und müssen als solche auch verfolgt und geahndet werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Noch ein Ortswechsel und noch eine Tür: In Berlin wurde in der Nacht von Freitag auf Samstag an der Synagoge die Mesusa abgerissen, also die Kleine Pergamentrolle am Türrahmen jüdischer Häuser. Diese Angriffe auf die Türen jüdischer Einrichtungen stehen sinnbildlich für den Antisemitismus in Deutschland.

Diese drei Ereignisse sind nur ein Ausschnitt des Antisemitismus, den wir hier erleben. Im letzten Jahr hat die Polizei 437 Straftaten und damit einen Höchststand antisemitischer Delikte in Nordrhein-Westfalen verzeichnet. Und das ist nur das Hellfeld. Wir wissen, dass das Dunkelfeld wesentlich größer ist, weil Straftaten nicht zur Anzeige gebracht werden oder weil die Polizei vielleicht auch Straftaten nicht als antisemitisch erkennt und sie dann nicht in die Statistik einfließen.

Dazu kommen antisemitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Insbesondere jüdische Kinder berichten uns immer wieder von Vorfällen in Klassenzimmern und auf Schulhöfen. Deshalb ist es richtig, dass wir die Dunkelfeldstudie und auch Studien zu Antisemitismus in der Schule durchführen, damit wir Präventionen verbessern können, damit wir Gegenmaßnahmen verbessern können.

Wir werden auch die Aus- und Fortbildung von Beschäftigten in Polizei, Justiz und Schule weiter verbessern, um die Bekämpfung von Antisemitismus voranzutreiben. Wir werden Lehrerinnen und Lehrer handlungssicherer machen im Umgang mit Antisemitismus in der Schule.

Denn – und das finde ich wichtig – jede und jeder in unserer Gesellschaft muss sich darauf verlassen können, dass die Strafverfolgungsbehörden konsequent gegen Antisemitismus vorgehen. Und jedes Kind hat das Recht darauf, ohne Diskriminierung, ohne Antisemitismus aufwachsen zu dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, wir haben es gemeinsam erreicht hier in Nordrhein-Westfalen: mit der Einrichtung der Stelle der Antisemitismusbeauftragten, mit der Förderung der beiden Antidiskriminierungsstellen mit dem Schwerpunkt Antisemitismus, SABRA und ADIRA, mit der Einrichtung der Meldestelle RIAS, mit den Antisemitismusbeauftragten in der Justiz. Damit haben wir strukturelle Maßnahmen ergriffen. Mit den verschiedenen Studien werden wir auch die Erkenntnislagen über den Antisemitismus weiter verbessern.

Aber: Das ist nicht genug. Das Erreichte ist nicht genug. Das zeigen uns ja die Schüsse auf die Synagoge in Essen, der geplante Anschlag auf die Synagoge in Hagen, die Schändung jüdischer Friedhöfe, der traurige Höchststand von Straftaten im letzten Jahr, die Antisemitismuserfahrungen von Jüdinnen und Juden.

Deshalb: Wir müssen besser werden, um Menschen vor Diskriminierung und Gewalt in unserer Gesellschaft zu schützen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Antisemitismus bleibt ein Kernelement des Rechtsextremismus und des Islamismus. Israelbezogener Antisemitismus taucht in linken Milieus auf und reicht weit bis in die Mitte der Gesellschaft. Auch der sekundäre Antisemitismus, der ja die Auseinandersetzung mit der Shoa verhindert, ist weit verbreitet.

Aktuelle Verschwörungsmythen greifen genau diesen Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft auf. Man muss eigentlich sagen, der Antisemitismus ist seit der Antike mit der Ritualmordlegende, mit der Brunnenvergiftung eigentlich an sich schon eine einzige Verschwörungserzählung.

Weil aktuelle Verschwörungsmythen, Verschwörungserzählungen so anspruchsfähig sind bis in die Mitte der Gesellschaft, sind sie auch so gefährlich. Sie verbreiten sich, und sie führen zu tödlichen Anschlägen. Wir haben das gesehen bei den rechtsextremen Attentätern von Oslo und Utøya, von Christchurch, von Halle und von Hanau. Da haben Verschwörungsmythen eine sehr große Rolle gespielt.

Deshalb glaube ich, dass die aktuelle Verbreitung von Verschwörungsmythen eine der größten Herausforderungen bei der Bekämpfung des Antisemitismus ist.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Also lassen Sie uns gemeinsam diese Herausforderung angehen. Es hilft ja nichts. Wir müssen besser werden, wir müssen diese Herausforderungen annehmen: mit Aufklärung und Prävention, mit deutlichem Widerspruch bei antisemitischen Äußerungen, mit der Einbeziehung und Beachtung der Betroffenenperspektive, mit bestmöglich aus- und fortgebildeten Beschäftigten in den Strafverfolgungsbehörden.

Vor drei Jahren hat die Tür der Jüdischen Gemeinde in Halle vielen Menschen das Leben gerettet. Jeden Tag schützen Türen von Sicherheitsschleusen Kita-Kinder, Schülerinnen und Schüler, Seniorinnen und Senioren und viele andere Mitglieder der Jüdischen Gemeinden. Für jüdische Kinder ist es Teil ihrer ganz alltäglichen Normalität.

Ich wünsche mir, dass diese Normalität irgendwann der Vergangenheit angehört, dass starke Türen, Sicherheitsschleusen, Polizeiwagen vor den Eingängen jüdischer Einrichtungen irgendwann nicht mehr nötig sind, dass jüdisches Leben nicht geschützt hinter verschlossenen Türen stattfinden muss, dass jüdische Kinder einfach in ihre Kita laufen können. Ich will, dass Jüdinnen und Juden frei und ohne Angst in unserer Gesellschaft leben können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, ich weiß, dass wir dieses Ziel teilen. Deshalb lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Wir tragen gemeinsam Verantwortung, genau dafür zu sorgen. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Rede zur Einbringung des Haushaltsplans 2023 durch die Landesregierung

„Wir übernehmen Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen“

Meine Rede zur Einbringung des Haushaltsplans 2023 durch die Landesregierung

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es sind herausfordernde Zeiten. Davon ist auch der Haushaltsentwurf 2023 geprägt. Das wurde ja eben in der Debatte schon so weit deutlich.

Es ist eine Zeit, in der ein souveräner und demokratischer Staat mitten in Europa brutal überfallen wird, Menschen von Bomben getötet, Frauen, Männer und selbst Kinder gefoltert, vergewaltigt und hingerichtet werden.

Die Menschen in der Ukraine und diejenigen, die zu uns nach Nordrhein-Westfalen fliehen mussten und müssen, können sich sicher sein, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen weiterhin fest an ihrer Seite stehen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es ist eine Zeit, in der Frauen und Männer gemeinsam gegen ein autoritäres und frauenverachtendes System aufstehen und unter Lebensgefahr für „Frau, Leben, Freiheit“ demonstrieren.

Dabei haben sie unsere volle Solidarität, weil Frauenrechte Menschenrechte sind, und zwar überall auf der Welt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es ist eine Zeit, in der eine Jahreszeit nach der anderen neue Temperaturrekorde bricht und einer der wärmsten Oktober seit 1881 hinter uns liegt.

Während wir in der vergangenen Woche bei leckerem Eis die Herbstsonne genossen haben, schmilzt das ewige Eis und taut der Permafrost. Das sind zwei von vielen katastrophalen Entwicklungen in der globalen Klimakrise.

Ohne die Eindämmung der Klimakrise, den Erhalt unserer Wälder und den Schutz unseres Wassers und der Artenvielfalt können und werden wir das Versprechen an unsere Kinder nicht einlösen, ihnen gesunde Lebensgrundlagen zu hinterlassen. Deshalb müssen wir alles dafür tun, die Klimakrise zu bekämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es ist eine Zeit, in der die Auswirkungen der Coronapandemie noch immer zu spüren sind: gestörte Lieferketten, an die Grenzen der Belastbarkeit gehende Pflegerinnen und Pfleger, Krankenhäuser, die Stationen schließen müssen. Wir erleben ja auch jeden Tag im Alltag, dass Freundinnen und Freunde oder Bekannte gerade eine Infektion durchmachen.

Das sind Zeiten mit vielen globalen und nationalen Herausforderungen. Und doch gibt es hier im Landtag Nordrhein-Westfalen auch einige Gewissheiten.

Der Landeshaushalt muss bis Ende des Jahres verabschiedet sein. Das hat uns das Landesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben. Alle, die auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind, brauchen Planungssicherheit. Soziale Einrichtungen, unsere Kommunen und Unternehmen müssen wissen, mit welchen Mitteln sie rechnen können und wie die Rahmenbedingungen aussehen.

Deshalb ist es richtig, dass wir heute über den Entwurf eines Landeshaushalts 2023 diskutieren, auch wenn wir wissen, dass es weitere Nachsteuerungen geben wird.

Die andere Gewissheit ist, dass es Kritik von der Opposition gibt. Ich kann die Kritik als überzeugte Parlamentarierin und Abgeordnete in Teilen sogar nachvollziehen. Das ist überhaupt keine Frage. Dieses Haushaltsverfahren ist aus Parlamentssicht natürlich alles andere als wünschenswert. Aber es sind im Moment eben auch keine normalen, keine geordneten Zeiten.

Klar ist auch: Kritik und Kontrolle, vor allen Dingen die Kontrolle, sind die Rolle des Parlaments. Die Frage ist aber nur: Wo liegt eigentlich die Grenze zwischen konstruktiver Oppositionskritik auf der einen Seite und billiger Polemik auf der anderen Seite?

(Zurufe von Kirsten Stich [SPD] und Henning Höne [FDP])

In Ihren Reden, Herr Kutschaty, Herr Höne, ist das Pendel eindeutig in Richtung Polemik ausgeschlagen. Das finde ich sehr schade.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Weiterer Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Mit der Glaskugel durch die Krise: So hört sich das an, wenn man hier CDU, Entschuldigung, SPD und FDP sieht.

(Lachen und Beifall von der SPD)

Man sieht: Wir hängen alle noch in den alten Mustern fest.

(Andreas Keith [AfD]: So austauschbar ist man!)

Ich glaube, davon kann sich hier auch keiner freisprechen.

Mit der Glaskugel durch die Krise: So klingen die Reden von Herrn Kutschaty und von Herrn Höne. Mit welcher Leichtfertigkeit Sie hier behaupten, man hätte die Kostenbeteiligung des Landes an dem Entlastungspaket einrechnen müssen! Ich finde das unehrlich.

Sie prangern ja nicht nur das kurze Haushaltsberatungsverfahren an, sondern kritisieren auch, Herr Kutschaty, dass die Landesregierung einen Entwurf vorlegt, der im Prinzip jetzt schon überholt ist. Ja, da muss man sich dann halt entscheiden. Sie können das eine nicht ohne das andere haben. Denn die neuen Grundlagen liegen uns ja noch gar nicht vor. Sie werden hoffentlich heute Abend geschaffen werden, wenn endlich der Bund, wenn endlich Christian Lindner im Bund dann auch Klarheit geschaffen hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die MPK verhandelt heute ja nicht nur die geplanten Entlastungen des Bundes, sondern auch die Regionalisierungsmittel, die Energiekosten für den ÖPNV, die Beteiligung des Bundes an der Flüchtlingsfinanzierung und die Krankenhausfinanzierung. Mitnichten ist zu diesem Zeitpunkt klar, wie hoch die Kosten für die Länder tatsächlich sein werden.

(Henning Höne [FDP]: Das hätte man ja mal reinschreiben können!)

Wer etwas anderes behauptet, der mag vielleicht eine Glaskugel haben und auch einen Blick in diese Glaskugel geworfen haben. Aber wir als schwarz-grüne Koalition haben schon den Anspruch, auch seriöse Haushaltspolitik mit echten Zahlen zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden hoffentlich heute Abend die konkreten Zahlen für den Haushalt kennen. Wir werden hoffentlich heute Abend auch wissen, wie die konkreten Hilfen ausgestaltet sein werden. Dass es Hilfen geben muss, ist doch völlig unumstritten.

Da möchte ich auch noch etwas in Richtung SPD sagen, weil es mich langsam wirklich ärgert und nervt, dass Sie immer wieder diese alte Erzählung „Nordrhein-Westfalen blockiert das Entlastungspaket des Bundes“ hier verbreiten. Das stimmt einfach nicht. Sie wissen auch, dass das nicht stimmt. Wir haben immer gesagt: Natürlich trägt Nordrhein-Westfalen auch seine Verantwortung und wird Kosten übernehmen.

Aber wenn der Bund ein Paket mit 19 Milliarden Euro für die Länder und 3 Milliarden Euro für die Kommunen vorlegt, können wir doch nicht hingehen und sagen: Ja, alles klar; das werden wir natürlich übernehmen. – Natürlich machen wir das nicht, sondern gehen in die Verhandlungen mit dem Bund.

Thomas Kutschaty, bei aller persönlichen Wertschätzung, die ich für dich habe, bin ich wirklich froh, dass du nicht mit am Verhandlungstisch in Berlin sitzt. Denn mit dieser Verhandlungsstrategie der SPD würde Nordrhein-Westfalen garantiert mit leeren Händen da herausgehen.

(Anhaltender und lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das erleben wir doch jeden Tag in Gesprächen: Viele Menschen machen sich im Moment große, große Sorgen:

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

die alleinerziehende Mutter, bei der das Geld schon heute hinten und vorne nicht ausreicht; die Rentnerin, deren Rente so klein ist, dass sie auch schon vor der Energiekrise zu Hause einen dicken Pullover angezogen hat, um die Heizkosten niedrig zu halten; die Unternehmerin, die irgendwie noch durch die Coronapandemie durchgekommen ist und jetzt mit voller Wucht von der Energiekrise getroffen wird; die Wohlfahrtsverbände, die Beratungsstellen und die Einrichtungen, die uns allen doch berichten, dass sie sich nicht nur Sorgen um ihre Klientinnen und Klienten, ihre Gäste in den Einrichtungen, wegen der hohen Kosten – der Lebensmittelkosten, der Stromkosten, der Heizkosten – machen, sondern sich auch große, große Sorgen um die Kosten für ihre eigenen Einrichtungen machen.

Deshalb brauchen wir diese Klarheit vom Bund. Wir müssen wissen, was da kommt.

(Zuruf von der SPD)

Erst dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn wir wissen, was der Bund macht, können wir sagen, was wir in Nordrhein-Westfalen auflegen müssen. Man muss diese Schrittigkeit doch mitdenken.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich kann einfach nicht nachvollziehen, wie Sie sich hier aufstellen.

(Kirsten Stich [SPD]: Andere Bundesländer können das!)

Ich muss eins sagen. Ich hab lange und schon in vielen Debatten überlegt, ob ich es hier einmal ansprechen soll oder nicht, aber ich tue es jetzt. Ich finde es schon bemerkenswert, dass ausgerechnet die SPD-Fraktion hier im Parlament immer am lautesten schreit, die Partei, die unser Land in den vergangenen Jahren aufgrund einer völligen Naivität in die Abhängigkeit der fossilen Energien Russlands gebracht hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf: So sieht es aus!)

Ein bisschen mehr Selbstreflexion, ein bisschen Selbstkritik – das ist doch nicht zu viel verlangt.

(Kirsten Stich [SPD]: Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich finde, Selbstkritik ist nicht zu viel verlangt. Das gilt für die SPD-Fraktion und im Übrigen auch für die FDP-Fraktion, lieber Henning Höne.

(Jochen Ott [SPD]: Das gilt insbesondere auch für die Grünen!)

Wer jahrelang den Ausbau der Erneuerbaren verhindert und heute mit Atomkraft und Fracking zwei Technologien fordert, bei denen in aller erster Linie das Risiko sicher ist, wer sich heute hier hinstellt und fordert: „Wir brauchen die heimischen Energieträger“, statt für den Ausbau der echten Freiheitsenergien zu sorgen, wer vor drei Wochen hier im Parlament noch gesagt hat, der Kohleausstieg 2030 sei eine unrealistische Träumerei, der sollte in dieser Debatte ein bisschen sparsamer mit Kritik sein. Mit Glaubwürdigkeit hat das nichts zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD] und Henning Höne [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Nordrhein-Westfalen ist ein Land mit vielen Herausforderungen. Eine der größten Herausforderungen ist das Thema „Armut“. Deshalb brauchen wir die Stärkung der sozialen Infrastruktur als Rückgrat unserer Gesellschaft. Dazu gehören viele Einrichtungen: die Tafeln, die Wohnungs- und Obdachlosenhilfe, die Frauenberatungsstellen, die Frauenhäuser, die Empowerment-Projekte für Mädchen aus benachteiligten Familien und für Mädchen mit Migrationsgeschichte, die Antidiskriminierungsstellen, die Familienzentren. Es gibt viele weitere Einrichtungen der sozialen Infrastruktur.

Weil Sparen an der Infrastruktur, an diesen sozialen Einrichtungen das absolut Falscheste wäre, was man in dieser Krise machen könnte, ist es so relevant, was in Berlin bei den Verhandlungen herauskommt. Denn im Kern der Verhandlungen heute Abend geht es doch um Folgendes: Es ist ein Ebenen-Konflikt. Es geht darum, wer was bezahlen wird und bezahlen muss. Es geht darum, dass wir in Nordrhein-Westfalen und unsere Kommunen handlungsfähig sind und dass Sozialpolitik auf kommunaler Ebene überhaupt gemacht werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich bin mir absolut sicher, dass unsere Enkel und Kinder uns eines Tages nicht dafür danken werden, dass wir Ihnen eine schwarze Null und dafür einen kaputten Planeten hinterlassen haben. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns aus der Krise nicht heraussparen können.

(Jochen Ott [SPD]: Sieht das die CDU auch so? Hat die CDU ihre Position geändert?)

Es ist doch gerade jetzt die Zeit für mehr Klimainvestitionen, damit wir über die nächsten Winter kommen und unsere Kinder noch eine Zukunft auf diesem Planeten haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Interessant, dass die CDU ihre Position gedreht hat!)

Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine treffen uns hart – insbesondere deshalb, weil wir so abhängig von den fossilen Energien sind. Es geht nicht nur um diesen und um den nächsten Winter, sondern es geht um die Energieversorgung der Zukunft.

Es geht beim Klimaschutz um nichts weniger als um die Freiheit der zukünftigen Generation. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht noch einmal sehr deutlich gesagt. Deshalb handeln wir als schwarz-grüne Koalition sehr konkret mit dem Kohleausstieg 2030 und mit dem Einstieg in wichtige Klimaschutzinvestitionen. Klimaschutzinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Über 300 Millionen Euro haben wir für den Klimaschutz und die Energiewende vorgesehen. Ich freue mich sehr, dass auch die SPD nun endlich sagt, dass der Kohleausstieg 2030 wichtig ist. Das klang im Wahlkampf noch ein bisschen anders. Im Wahlprogramm war überhaupt kein Datum genannt. Ich freue mich, dass wir Sie jetzt endlich auf unserer Seite haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden in das Thema „Wasserstoff“ investieren. Wir stärken das Handwerk, und wir sehen die Kommunen als wichtige Partner an, die den Klimaschutz vor Ort machen.

(Jochen Ott [SPD]: Das werden wir sehen! – Zuruf Henning Höne [FDP])

Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Haushalt 2023 die Energieberatung bei der Verbraucherzentrale unterstützen werden. Denn eins ist klar: Wenn wir es schaffen, mehr Energie einzusparen, dann macht uns das unabhängiger von Kohle, Gas und Diktaturen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Doch wir wissen, dass bei allen Anstrengungen, die jetzt im Klimaschutz notwendig sind, die bisherige Erderwärmung katastrophale Auswirkungen auf unser Leben hat. Die Hochwasserkatastrophe im letzten Jahr, der Dürre- und Hitzesommer, die Waldbrände – das alles ist längst Realität. Deshalb werden wir unsere Kommunen dabei unterstützen, klimaresilienter zu werden. Wir werden den Hochwasserschutz stärken und dafür sorgen, dass wir bei einer Katastrophe handlungsfähig sind. Dass wir das sein müssen, das haben wir im letzten Jahr bei der Hochwasserkatastrophe gesehen.

Wir werden den Katastrophenschutz auf Landesebene stärken. Wir werden eine neue zentrale Landesstelle für den Katastrophenschutz einrichten. Wir werden die anerkannten Hilfsorganisationen weiter unterstützen. Wie verletzlich unsere Infrastruktur ist – insbesondere auch durch Cyberattacken –, ist uns doch in den letzten Wochen noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt worden.

Klimaanpassung, Katastrophenschutz und Krisenvorsorge sind also kein Nice-to-have und auch keine Sandkastenspielerei von irgendwelchen Innenpolitikerinnen und Innenpolitikern, sondern elementare Notwendigkeit für unsere Sicherheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir reden heute viel über Krisen, über den Krieg, die Energiekrise, die Klimakrise oder die Coronapandemie, aber all das darf nicht über eine weitere ökologische Krise hinwegtäuschen: das Artensterben.

Wir müssen die Krisen zusammen denken und zusammen lösen. Die biologischen Stationen sind wichtige Akteure, aber genauso sind es die Partnerinnen und Partner, die Einrichtungen im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Diese leisten eine unverzichtbare Arbeit, und auch sie stärken und unterstützen wir mit diesem Haushalt.

Wir wissen aber auch, dass mit unserer Natur, mit unserer Umwelt nicht jeder so achtsam umgeht. Ein starker Umweltschutz bedeutet deshalb, dass wir Umweltkriminalität konsequent verfolgen.

Wer Abfall illegal entsorgt, wer Flüsse verschmutzt oder geschützte Tierarten schmuggelt, bedroht unsere natürlichen Ressourcen. Wir werden in Zukunft die Straftaten der Umweltkriminalität mit einer eigenen Staatsanwaltschaft noch besser verfolgen. Der Haushaltsentwurf 2023 legt den richtigen Grundstein für eine effektive Strafverfolgung; denn zum einen bekämpfen wir damit die Kriminalität und insbesondere die Organisierte Kriminalität, und zum anderen schützen wir unsere Natur und Umwelt konsequent.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Nichts von diesen Erhöhungen ist Schnickschnack oder ein Luxus, den wir uns noch zusätzlich leisten. Im Gegenteil: Alles davon ist notwendig, um unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.

Die FDP hat in einer Pressemitteilung erklärt, NRW hätte die Kosten für das Entlastungspaket einpreisen sollen; Herr Höne hat es hier am Rednerpult gerade noch einmal gesagt. Abgesehen davon, dass wir aktuell gar nicht wissen, welche Kosten konkret auf uns zukommen werden, frage ich mich schon, auf welche Ausgaben Sie dann verzichtet hätten? Diese Frage müssten Sie auch als Oppositionsfraktion beantworten, Herr Höne. Hätten Sie auf die Fortsetzung der Sprach-Kitas, auf die Kita-Alltagshelfer und auf die Weiterführung des OGS-Helferprogramms verzichtet?

(Zuruf von der SPD: Was heißt das denn dann?)

Hätten Sie den Start der Krankenhausplanung verschoben und die Mittel für die Childhood-Häuser verweigert?

(Zuruf von der FDP)

Ich bin mir bei einer Sache,

(Zuruf von der FDP)

auf die die FDP verzichtet hätte, sehr sicher, und zwar ist das

(Zuruf von der FDP)

der Tarifvertrag „Entlastung“. Das hätten Sie nicht gemacht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir finden aber, dass es wichtig ist, dass die Beschäftigten in den patientennahen Berufen, an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen entlastet werden und wir

(Zuruf von der FDP)

für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Eine gute Pflege braucht gute Arbeitsbedingungen, und deshalb ist auch der Tarifvertrag „Entlastung“ wichtig.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

In diesen herausfordernden Zeiten ist der Haushaltsentwurf trotz des Wissens, dass wir aufgrund der Verhandlungen und vielen weiteren Unsicherheiten nachsteuern werden müssen, eine gute Grundlage. Er ist deshalb eine gute Grundlage, weil er zeigt: Wir sind mit den Menschen in und aus der Ukraine solidarisch. Wir stärken den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir stärken den Klimaschutz. Wir übernehmen Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen. – Ich freue mich auf die weiteren Haushaltsberatungen. Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)