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Rede zur Einbringung des Haushaltsplans 2023 durch die Landesregierung

„Wir übernehmen Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es sind herausfordernde Zeiten. Davon ist auch der Haushaltsentwurf 2023 geprägt. Das wurde ja eben in der Debatte schon so weit deutlich.

Es ist eine Zeit, in der ein souveräner und demokratischer Staat mitten in Europa brutal überfallen wird, Menschen von Bomben getötet, Frauen, Männer und selbst Kinder gefoltert, vergewaltigt und hingerichtet werden.

Die Menschen in der Ukraine und diejenigen, die zu uns nach Nordrhein-Westfalen fliehen mussten und müssen, können sich sicher sein, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen weiterhin fest an ihrer Seite stehen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es ist eine Zeit, in der Frauen und Männer gemeinsam gegen ein autoritäres und frauenverachtendes System aufstehen und unter Lebensgefahr für „Frau, Leben, Freiheit“ demonstrieren.

Dabei haben sie unsere volle Solidarität, weil Frauenrechte Menschenrechte sind, und zwar überall auf der Welt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es ist eine Zeit, in der eine Jahreszeit nach der anderen neue Temperaturrekorde bricht und einer der wärmsten Oktober seit 1881 hinter uns liegt.

Während wir in der vergangenen Woche bei leckerem Eis die Herbstsonne genossen haben, schmilzt das ewige Eis und taut der Permafrost. Das sind zwei von vielen katastrophalen Entwicklungen in der globalen Klimakrise.

Ohne die Eindämmung der Klimakrise, den Erhalt unserer Wälder und den Schutz unseres Wassers und der Artenvielfalt können und werden wir das Versprechen an unsere Kinder nicht einlösen, ihnen gesunde Lebensgrundlagen zu hinterlassen. Deshalb müssen wir alles dafür tun, die Klimakrise zu bekämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es ist eine Zeit, in der die Auswirkungen der Coronapandemie noch immer zu spüren sind: gestörte Lieferketten, an die Grenzen der Belastbarkeit gehende Pflegerinnen und Pfleger, Krankenhäuser, die Stationen schließen müssen. Wir erleben ja auch jeden Tag im Alltag, dass Freundinnen und Freunde oder Bekannte gerade eine Infektion durchmachen.

Das sind Zeiten mit vielen globalen und nationalen Herausforderungen. Und doch gibt es hier im Landtag Nordrhein-Westfalen auch einige Gewissheiten.

Der Landeshaushalt muss bis Ende des Jahres verabschiedet sein. Das hat uns das Landesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben. Alle, die auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind, brauchen Planungssicherheit. Soziale Einrichtungen, unsere Kommunen und Unternehmen müssen wissen, mit welchen Mitteln sie rechnen können und wie die Rahmenbedingungen aussehen.

Deshalb ist es richtig, dass wir heute über den Entwurf eines Landeshaushalts 2023 diskutieren, auch wenn wir wissen, dass es weitere Nachsteuerungen geben wird.

Die andere Gewissheit ist, dass es Kritik von der Opposition gibt. Ich kann die Kritik als überzeugte Parlamentarierin und Abgeordnete in Teilen sogar nachvollziehen. Das ist überhaupt keine Frage. Dieses Haushaltsverfahren ist aus Parlamentssicht natürlich alles andere als wünschenswert. Aber es sind im Moment eben auch keine normalen, keine geordneten Zeiten.

Klar ist auch: Kritik und Kontrolle, vor allen Dingen die Kontrolle, sind die Rolle des Parlaments. Die Frage ist aber nur: Wo liegt eigentlich die Grenze zwischen konstruktiver Oppositionskritik auf der einen Seite und billiger Polemik auf der anderen Seite?

(Zurufe von Kirsten Stich [SPD] und Henning Höne [FDP])

In Ihren Reden, Herr Kutschaty, Herr Höne, ist das Pendel eindeutig in Richtung Polemik ausgeschlagen. Das finde ich sehr schade.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Weiterer Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Mit der Glaskugel durch die Krise: So hört sich das an, wenn man hier CDU, Entschuldigung, SPD und FDP sieht.

(Lachen und Beifall von der SPD)

Man sieht: Wir hängen alle noch in den alten Mustern fest.

(Andreas Keith [AfD]: So austauschbar ist man!)

Ich glaube, davon kann sich hier auch keiner freisprechen.

Mit der Glaskugel durch die Krise: So klingen die Reden von Herrn Kutschaty und von Herrn Höne. Mit welcher Leichtfertigkeit Sie hier behaupten, man hätte die Kostenbeteiligung des Landes an dem Entlastungspaket einrechnen müssen! Ich finde das unehrlich.

Sie prangern ja nicht nur das kurze Haushaltsberatungsverfahren an, sondern kritisieren auch, Herr Kutschaty, dass die Landesregierung einen Entwurf vorlegt, der im Prinzip jetzt schon überholt ist. Ja, da muss man sich dann halt entscheiden. Sie können das eine nicht ohne das andere haben. Denn die neuen Grundlagen liegen uns ja noch gar nicht vor. Sie werden hoffentlich heute Abend geschaffen werden, wenn endlich der Bund, wenn endlich Christian Lindner im Bund dann auch Klarheit geschaffen hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die MPK verhandelt heute ja nicht nur die geplanten Entlastungen des Bundes, sondern auch die Regionalisierungsmittel, die Energiekosten für den ÖPNV, die Beteiligung des Bundes an der Flüchtlingsfinanzierung und die Krankenhausfinanzierung. Mitnichten ist zu diesem Zeitpunkt klar, wie hoch die Kosten für die Länder tatsächlich sein werden.

(Henning Höne [FDP]: Das hätte man ja mal reinschreiben können!)

Wer etwas anderes behauptet, der mag vielleicht eine Glaskugel haben und auch einen Blick in diese Glaskugel geworfen haben. Aber wir als schwarz-grüne Koalition haben schon den Anspruch, auch seriöse Haushaltspolitik mit echten Zahlen zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden hoffentlich heute Abend die konkreten Zahlen für den Haushalt kennen. Wir werden hoffentlich heute Abend auch wissen, wie die konkreten Hilfen ausgestaltet sein werden. Dass es Hilfen geben muss, ist doch völlig unumstritten.

Da möchte ich auch noch etwas in Richtung SPD sagen, weil es mich langsam wirklich ärgert und nervt, dass Sie immer wieder diese alte Erzählung „Nordrhein-Westfalen blockiert das Entlastungspaket des Bundes“ hier verbreiten. Das stimmt einfach nicht. Sie wissen auch, dass das nicht stimmt. Wir haben immer gesagt: Natürlich trägt Nordrhein-Westfalen auch seine Verantwortung und wird Kosten übernehmen.

Aber wenn der Bund ein Paket mit 19 Milliarden Euro für die Länder und 3 Milliarden Euro für die Kommunen vorlegt, können wir doch nicht hingehen und sagen: Ja, alles klar; das werden wir natürlich übernehmen. – Natürlich machen wir das nicht, sondern gehen in die Verhandlungen mit dem Bund.

Thomas Kutschaty, bei aller persönlichen Wertschätzung, die ich für dich habe, bin ich wirklich froh, dass du nicht mit am Verhandlungstisch in Berlin sitzt. Denn mit dieser Verhandlungsstrategie der SPD würde Nordrhein-Westfalen garantiert mit leeren Händen da herausgehen.

(Anhaltender und lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das erleben wir doch jeden Tag in Gesprächen: Viele Menschen machen sich im Moment große, große Sorgen:

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

die alleinerziehende Mutter, bei der das Geld schon heute hinten und vorne nicht ausreicht; die Rentnerin, deren Rente so klein ist, dass sie auch schon vor der Energiekrise zu Hause einen dicken Pullover angezogen hat, um die Heizkosten niedrig zu halten; die Unternehmerin, die irgendwie noch durch die Coronapandemie durchgekommen ist und jetzt mit voller Wucht von der Energiekrise getroffen wird; die Wohlfahrtsverbände, die Beratungsstellen und die Einrichtungen, die uns allen doch berichten, dass sie sich nicht nur Sorgen um ihre Klientinnen und Klienten, ihre Gäste in den Einrichtungen, wegen der hohen Kosten – der Lebensmittelkosten, der Stromkosten, der Heizkosten – machen, sondern sich auch große, große Sorgen um die Kosten für ihre eigenen Einrichtungen machen.

Deshalb brauchen wir diese Klarheit vom Bund. Wir müssen wissen, was da kommt.

(Zuruf von der SPD)

Erst dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn wir wissen, was der Bund macht, können wir sagen, was wir in Nordrhein-Westfalen auflegen müssen. Man muss diese Schrittigkeit doch mitdenken.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich kann einfach nicht nachvollziehen, wie Sie sich hier aufstellen.

(Kirsten Stich [SPD]: Andere Bundesländer können das!)

Ich muss eins sagen. Ich hab lange und schon in vielen Debatten überlegt, ob ich es hier einmal ansprechen soll oder nicht, aber ich tue es jetzt. Ich finde es schon bemerkenswert, dass ausgerechnet die SPD-Fraktion hier im Parlament immer am lautesten schreit, die Partei, die unser Land in den vergangenen Jahren aufgrund einer völligen Naivität in die Abhängigkeit der fossilen Energien Russlands gebracht hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf: So sieht es aus!)

Ein bisschen mehr Selbstreflexion, ein bisschen Selbstkritik – das ist doch nicht zu viel verlangt.

(Kirsten Stich [SPD]: Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich finde, Selbstkritik ist nicht zu viel verlangt. Das gilt für die SPD-Fraktion und im Übrigen auch für die FDP-Fraktion, lieber Henning Höne.

(Jochen Ott [SPD]: Das gilt insbesondere auch für die Grünen!)

Wer jahrelang den Ausbau der Erneuerbaren verhindert und heute mit Atomkraft und Fracking zwei Technologien fordert, bei denen in aller erster Linie das Risiko sicher ist, wer sich heute hier hinstellt und fordert: „Wir brauchen die heimischen Energieträger“, statt für den Ausbau der echten Freiheitsenergien zu sorgen, wer vor drei Wochen hier im Parlament noch gesagt hat, der Kohleausstieg 2030 sei eine unrealistische Träumerei, der sollte in dieser Debatte ein bisschen sparsamer mit Kritik sein. Mit Glaubwürdigkeit hat das nichts zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD] und Henning Höne [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Nordrhein-Westfalen ist ein Land mit vielen Herausforderungen. Eine der größten Herausforderungen ist das Thema „Armut“. Deshalb brauchen wir die Stärkung der sozialen Infrastruktur als Rückgrat unserer Gesellschaft. Dazu gehören viele Einrichtungen: die Tafeln, die Wohnungs- und Obdachlosenhilfe, die Frauenberatungsstellen, die Frauenhäuser, die Empowerment-Projekte für Mädchen aus benachteiligten Familien und für Mädchen mit Migrationsgeschichte, die Antidiskriminierungsstellen, die Familienzentren. Es gibt viele weitere Einrichtungen der sozialen Infrastruktur.

Weil Sparen an der Infrastruktur, an diesen sozialen Einrichtungen das absolut Falscheste wäre, was man in dieser Krise machen könnte, ist es so relevant, was in Berlin bei den Verhandlungen herauskommt. Denn im Kern der Verhandlungen heute Abend geht es doch um Folgendes: Es ist ein Ebenen-Konflikt. Es geht darum, wer was bezahlen wird und bezahlen muss. Es geht darum, dass wir in Nordrhein-Westfalen und unsere Kommunen handlungsfähig sind und dass Sozialpolitik auf kommunaler Ebene überhaupt gemacht werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich bin mir absolut sicher, dass unsere Enkel und Kinder uns eines Tages nicht dafür danken werden, dass wir Ihnen eine schwarze Null und dafür einen kaputten Planeten hinterlassen haben. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns aus der Krise nicht heraussparen können.

(Jochen Ott [SPD]: Sieht das die CDU auch so? Hat die CDU ihre Position geändert?)

Es ist doch gerade jetzt die Zeit für mehr Klimainvestitionen, damit wir über die nächsten Winter kommen und unsere Kinder noch eine Zukunft auf diesem Planeten haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Interessant, dass die CDU ihre Position gedreht hat!)

Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine treffen uns hart – insbesondere deshalb, weil wir so abhängig von den fossilen Energien sind. Es geht nicht nur um diesen und um den nächsten Winter, sondern es geht um die Energieversorgung der Zukunft.

Es geht beim Klimaschutz um nichts weniger als um die Freiheit der zukünftigen Generation. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht noch einmal sehr deutlich gesagt. Deshalb handeln wir als schwarz-grüne Koalition sehr konkret mit dem Kohleausstieg 2030 und mit dem Einstieg in wichtige Klimaschutzinvestitionen. Klimaschutzinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Über 300 Millionen Euro haben wir für den Klimaschutz und die Energiewende vorgesehen. Ich freue mich sehr, dass auch die SPD nun endlich sagt, dass der Kohleausstieg 2030 wichtig ist. Das klang im Wahlkampf noch ein bisschen anders. Im Wahlprogramm war überhaupt kein Datum genannt. Ich freue mich, dass wir Sie jetzt endlich auf unserer Seite haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden in das Thema „Wasserstoff“ investieren. Wir stärken das Handwerk, und wir sehen die Kommunen als wichtige Partner an, die den Klimaschutz vor Ort machen.

(Jochen Ott [SPD]: Das werden wir sehen! – Zuruf Henning Höne [FDP])

Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Haushalt 2023 die Energieberatung bei der Verbraucherzentrale unterstützen werden. Denn eins ist klar: Wenn wir es schaffen, mehr Energie einzusparen, dann macht uns das unabhängiger von Kohle, Gas und Diktaturen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Doch wir wissen, dass bei allen Anstrengungen, die jetzt im Klimaschutz notwendig sind, die bisherige Erderwärmung katastrophale Auswirkungen auf unser Leben hat. Die Hochwasserkatastrophe im letzten Jahr, der Dürre- und Hitzesommer, die Waldbrände – das alles ist längst Realität. Deshalb werden wir unsere Kommunen dabei unterstützen, klimaresilienter zu werden. Wir werden den Hochwasserschutz stärken und dafür sorgen, dass wir bei einer Katastrophe handlungsfähig sind. Dass wir das sein müssen, das haben wir im letzten Jahr bei der Hochwasserkatastrophe gesehen.

Wir werden den Katastrophenschutz auf Landesebene stärken. Wir werden eine neue zentrale Landesstelle für den Katastrophenschutz einrichten. Wir werden die anerkannten Hilfsorganisationen weiter unterstützen. Wie verletzlich unsere Infrastruktur ist – insbesondere auch durch Cyberattacken –, ist uns doch in den letzten Wochen noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt worden.

Klimaanpassung, Katastrophenschutz und Krisenvorsorge sind also kein Nice-to-have und auch keine Sandkastenspielerei von irgendwelchen Innenpolitikerinnen und Innenpolitikern, sondern elementare Notwendigkeit für unsere Sicherheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir reden heute viel über Krisen, über den Krieg, die Energiekrise, die Klimakrise oder die Coronapandemie, aber all das darf nicht über eine weitere ökologische Krise hinwegtäuschen: das Artensterben.

Wir müssen die Krisen zusammen denken und zusammen lösen. Die biologischen Stationen sind wichtige Akteure, aber genauso sind es die Partnerinnen und Partner, die Einrichtungen im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Diese leisten eine unverzichtbare Arbeit, und auch sie stärken und unterstützen wir mit diesem Haushalt.

Wir wissen aber auch, dass mit unserer Natur, mit unserer Umwelt nicht jeder so achtsam umgeht. Ein starker Umweltschutz bedeutet deshalb, dass wir Umweltkriminalität konsequent verfolgen.

Wer Abfall illegal entsorgt, wer Flüsse verschmutzt oder geschützte Tierarten schmuggelt, bedroht unsere natürlichen Ressourcen. Wir werden in Zukunft die Straftaten der Umweltkriminalität mit einer eigenen Staatsanwaltschaft noch besser verfolgen. Der Haushaltsentwurf 2023 legt den richtigen Grundstein für eine effektive Strafverfolgung; denn zum einen bekämpfen wir damit die Kriminalität und insbesondere die Organisierte Kriminalität, und zum anderen schützen wir unsere Natur und Umwelt konsequent.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Nichts von diesen Erhöhungen ist Schnickschnack oder ein Luxus, den wir uns noch zusätzlich leisten. Im Gegenteil: Alles davon ist notwendig, um unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.

Die FDP hat in einer Pressemitteilung erklärt, NRW hätte die Kosten für das Entlastungspaket einpreisen sollen; Herr Höne hat es hier am Rednerpult gerade noch einmal gesagt. Abgesehen davon, dass wir aktuell gar nicht wissen, welche Kosten konkret auf uns zukommen werden, frage ich mich schon, auf welche Ausgaben Sie dann verzichtet hätten? Diese Frage müssten Sie auch als Oppositionsfraktion beantworten, Herr Höne. Hätten Sie auf die Fortsetzung der Sprach-Kitas, auf die Kita-Alltagshelfer und auf die Weiterführung des OGS-Helferprogramms verzichtet?

(Zuruf von der SPD: Was heißt das denn dann?)

Hätten Sie den Start der Krankenhausplanung verschoben und die Mittel für die Childhood-Häuser verweigert?

(Zuruf von der FDP)

Ich bin mir bei einer Sache,

(Zuruf von der FDP)

auf die die FDP verzichtet hätte, sehr sicher, und zwar ist das

(Zuruf von der FDP)

der Tarifvertrag „Entlastung“. Das hätten Sie nicht gemacht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir finden aber, dass es wichtig ist, dass die Beschäftigten in den patientennahen Berufen, an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen entlastet werden und wir

(Zuruf von der FDP)

für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Eine gute Pflege braucht gute Arbeitsbedingungen, und deshalb ist auch der Tarifvertrag „Entlastung“ wichtig.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

In diesen herausfordernden Zeiten ist der Haushaltsentwurf trotz des Wissens, dass wir aufgrund der Verhandlungen und vielen weiteren Unsicherheiten nachsteuern werden müssen, eine gute Grundlage. Er ist deshalb eine gute Grundlage, weil er zeigt: Wir sind mit den Menschen in und aus der Ukraine solidarisch. Wir stärken den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir stärken den Klimaschutz. Wir übernehmen Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen. – Ich freue mich auf die weiteren Haushaltsberatungen. Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Luthers Waschsalon in Hagen

„#NRW – stark für alle“-Tour zu Gast in Luthers Waschsalon in Hagen

Auf ihrer sozialpolitischen Tour „NRW – Stark für Alle“ hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag NRW, Verena Schäffer MdL, auch Luthers Waschsalon in Hagen besucht.

Gemeinsam mit Jule Wenzel MdL, sozialpolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion, sowie Andrea Peuler-Kampe und Jan Eckhoff von den Hagener Grünen tauschte sie sich vor Ort mit der Leiterin Ilona Ladwig-Henning zu den Angeboten von Luthers Waschsalon aus. Dabei ging es auch um die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der aktuellen Energiekrise auf die Arbeit im Waschsalon.

Zur ihrem Besuch erklärt Verena Schäffer MdL: „Besonders beeindruckt bin ich von den vielfältigen Angeboten von Luthers Waschsalon – von der Möglichkeit, zu duschen und Wäsche zu waschen bis hin zum Frühstück. Die Kooperation des Waschsalons mit der Uni Witten/Herdecke in den Bereichen der zahnmedizinischen und medizinischen Versorgung ist einzigartig. Davon profitieren sowohl die Gäste des Waschsalons als auch die Studierenden, die dort behandeln lernen dürfen und Verantwortung übernehmen. Auch die Vernetzung zu anderen sozialen Einrichtungen in Hagen und die hohe Spendenbereitschaft der Hagener Stadtbevölkerung finde ich großartig.

Dass auch inzwischen vermehrt Hagener Rentnerinnen und Rentner das Frühstücksangebot des Hagener Waschsalons annehmen, zeigt wie groß die Not bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ist. Sie sind besonders von den aktuellen Preissteigerungen betroffen. „Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass viele Menschen auch vor der aktuellen Krise bereits von Armut bedroht oder betroffen waren oder in anderen prekären Lebenssituationen waren. Der Zulauf in unsere Einrichtung ist vor dem Hintergrund der aktuellen Situation spürbar. Wir sind mehr denn je auf Spenden und Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung angewiesen“, sagt Ilona Ladwig-Henning.

Jule Wenzel MdL erklärt: „Für mich gehört es zur gesellschaftlichen Verantwortung und Solidarität, soziale Einrichtungen und Beratungsstellen zu fördern, damit diese Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützt werden können. Wir haben im Koalitionsvertrag mit der CDU verabredet, dass noch in diesem Jahr gemeinsam mit zahlreichen Akteuren die Erarbeitung eines „Aktionsplans gegen Armut“ begonnen werden soll. Unsere Eindrücke von der Tour und auch von dem Besuch des Hagener Waschsalons werden wir für die Diskussionen auf Landesebene mitnehmen.“

Sozialpolitische NRW-Tour der Grünen Fraktionsvorsitzenden startet in Herford

#NRW – stark für alle

Ihre sozialpolitischen Tour „NRW – Stark für Alle“ startete die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag NRW, Verena Schäffer MdL, am vergangenen Montag bei der Frauenberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel (NADESCHDA) in Herford.

Gemeinsam mit Jule Wenzel MdL, Sprecherin für Sozialpolitik der Grünen im Landtag NRW, und Norika Creuzmann, Sprecherin für Kinder- und Jugendschutz sowie Abgeordnete aus Ostwestfalen-Lippe, tauschte sich Verena Schäffer MdL vor Ort mit Corinna Dammeyer, Sozialarbeiterin der Beratungsstelle und Diakonin, sowie der Leitenden Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., Birgit Reiche, aus. Der Frauenverband hat die Beratungsstelle NADESCHDA, deren Einzugsbereich ganz Ostwestfalen-Lippe ist, vor 25 Jahren gegründet. Seit elf Jahren wird die Arbeit durch die Beratungsstelle THEODORA ergänzt, die Prostituierte in der Region unterstützt.

Zur ihrem Besuch erklärt Verena Schäffer MdL: „NADESCHDA leistet eine ungeheuer wichtige Arbeit für von Menschenhandel betroffene Frauen. NADESCHDA bedeutet übersetzt Hoffnung. Den Namen finde ich sehr zutreffend, denn die betroffenen Frauen brauchen diese Hoffnung und sie bekommen sie durch die Unterstützung der Beratungsstelle. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind schwere Menschenrechtsverletzungen, die konsequent strafrechtlich verfolgt werden müssen. Zugleich müssen wir die Opfer dieser Verbrechen unterstützen. Wir haben uns im schwarz-grünen Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir spezialisierte Frauenberatungsstellen wie NADESCHDA insbesondere auch im ländlichen Raum fördern wollen.  

Auf meiner Tour durch ganz Nordrhein-Westfalen werde ich weitere Beratungsstellen und Einrichtungen rund um das Thema Sozialpolitik besuchen. Durch die aktuelle Energiekrise ist die Situation von sozial benachteiligten Menschen, die jetzt besonders von den steigenden Kosten betroffen sind, in den Vordergrund gerückt. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass viele Menschen auch vor der aktuellen Krise bereits von Armut bedroht oder betroffen waren oder in anderen prekären Lebenssituationen waren. Für mich gehört es zur gesellschaftlichen Verantwortung und Solidarität, soziale Einrichtungen und Beratungsstellen zu fördern, damit diese Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützen können.“

Corinna Dammeyer ergänzt: „In den 25 Jahren hat sich die Arbeit von Nadeschda sehr verändert, gerade was die Herkunftsländer und die Unterstützungsbedarfe der Klientinnen angeht. Die Arbeit ist mehr und nicht weniger geworden. Es ist gut zu wissen, dass die Landesregierung das Thema Menschenhandel im Blick hat und uns weiterhin unterstützt.“

Rede zur Aussprache zur Regierungserklärung

„Das ist ein hoher Anspruch an uns selbst und an diese Koalition, aber ich bin mir sicher, dass wir diesem Anspruch gerecht werden“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Welche Bilder und Zeitzeugenberichte werden in den Geschichtsbüchern unserer Enkelkinder einmal den Zeitpunkt markieren, ab dem die Auswirkungen der Klimakrise hier in Europa für jeden von uns im Alltag dramatisch spürbar wurden? Werden es die Bilder der Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr, die Hitzesommer mit den Waldbränden und den niedrigen Wasserpegeln sein

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

oder die schmelzenden Gletscher, unter denen Menschen vergraben wurden?

Welche Bilder und Berichte von den Menschen in der Ukraine werden sich für immer in unser Gedächtnis und in unsere Herzen einbrennen? Die Geburtshilfen in der Metrostation, die Menschenrechtsverletzungen in Irpin und anderen Städten, die Sorge um eine drohende Atomkatastrophe?

Was werden wir mit der Coronapandemie für immer verbinden? Es werden natürlich die traurigen Nachrichten über viel zu hohe Todeszahlen und Berichte über Long COVID, Vereinsamung und Isolation sein. Es werden ganz sicher die Erinnerungen an Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal und alle sein, die Großartiges für unsere Gesellschaft geleistet haben und leisten. Hoffentlich bleiben auch die Erinnerungen an grenzenlose Solidarität, Anteilnahme, Nachbarschaftshilfen und Menschlichkeit.

Uns in Nordrhein-Westfalen zeichnet aus, dass wir in den akuten Krisen zusammenstehen und anpacken: beim Einkaufen für die Nachbarfamilie, die gerade in Quarantäne zu Hause sitzt, beim Wegschaufeln von Schlamm und Schutt in den Hochwassergebieten, bei der herzlichen Aufnahme von Geflüchteten aus allen Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt.

In der Krise und im Alltag können wir aufeinander zählen. Das zeigen auch die vielen, vielen Ehrenamtlichen in unserem Land jeden Tag – ob im Sport, in der Feuerwehr, den Hilfsorganisationen, der Flüchtlingsinitiative oder der Kirchengemeinde. Mir macht das Mut. Mir gibt das Zuversicht, dass wir in Nordrhein-Westfalen auch in diesen Krisen wieder über uns hinauswachsen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in einer Gesellschaft, in einer Zeit aufgewachsen, die Frieden und Wohlstand als Selbstverständlichkeit angesehen hat. Und unsere Kinder? Unsere Kinder wachsen bereits in einer Welt auf, in der Hitzesommer Realität sind und sie manche Tierarten gar nicht mehr kennenlernen können, eine Welt, in der das Artensterben so dramatisch ist, dass innerhalb von nur zwei Generationen die weltweite Biomasse aus Insekten um drei Viertel zurückgegangen ist. Seit ich lebe, hat sich der Bestand des Kiebitzes so weit reduziert, dass heute nur noch ein Zehntel des ehemaligen Bestands vorhanden ist.

Für uns Grüne ist seit unserer Gründung der Anspruch, unseren Kindern eine lebenswerte Natur zu hinterlassen, ein zentrales Leitmotiv unserer Politik.

Wir als schwarz-grüne Koalition werden diesen beiden großen ökologischen Krisen, der Klimakrise und der Artenkrise, mit aller Entschlossenheit entgegentreten

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden die erneuerbaren Energien ausbauen, und wir werden Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas machen.

Die aktuelle Gaskrise zeigt die politischen Versäumnisse der Vorgängerregierungen. Die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern kommt uns teuer zu stehen. Sonne und Wind sind nicht nur langfristig günstiger, sondern stärken auch unsere Unabhängigkeit und unsere Sicherheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden den Flächenverbrauch wirksam reduzieren. Fläche ist eine wertvolle und endliche Ressource, die wir besser schützen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir brauchen Fläche als Lebensraum und zum Erhalt der Artenvielfalt. Wir brauchen Fläche für unsere Landwirtschaft, die uns ernährt. Wir brauchen Fläche für unseren Wald als wichtigsten Verbündeten beim Klimaschutz. Fläche hilft uns beim Hochwasserschutz, um dem Wasser den Raum zu geben, den es braucht. Deshalb werden wir das Prinzip der Flächensparsamkeit zur Leitschnur unseres Handelns machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Bekämpfung der Umweltkriminalität werden wir stärken. Wir werden eine zentrale Koordinierungsstelle Umweltkriminalität beim Landeskriminalamt ansiedeln und die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden in einer neuen Schwerpunktstaatsanwaltschaft bündeln. Straftaten gegen gesetzlich geschützte Umweltgüter, also Boden, Wasser, Luft, Pflanzen und Tiere, und damit Straftaten gegen unsere Zukunft werden wir konsequent verfolgen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ob uns der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen gelingt, entscheidet über das Leben und den Wohlstand unserer Kinder. Die Herausforderungen sind groß. Aber was könnte uns mehr Mut, mehr Zuversicht und Kraft geben als die Zukunft unserer Kinder? Die Verantwortung für kommende Generationen ist der politische Antrieb dieser Koalition.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Alle Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen haben es verdient, gesehen und gefördert zu werden. Jedes Kind und jeder junge Mensch hat es verdient, nach den Sternen greifen zu können.

Die bittere Realität sieht für zu viele Kinder in unserem Land jedoch ganz anders aus. Da bringt der Kinobesuch mit den Freundinnen oder das Geburtsgeschenk als vermeintliche Eintrittskarte für den Kindergeburtstag die Familie finanziell an ihre Grenzen. Schon heute leben zu viele Menschen in Armut oder sind von Armut bedroht. Armut macht krank. Und Armut macht einsam; denn Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kostet Menschen, deren Geld zum Leben kaum reicht, zu oft zu viel.

Deshalb ist es für uns ein so wichtiges Thema. Wir werden das Thema „Armut“ anpacken, wir werden Armut bekämpfen. Wir werden mit den Wohlfahrtsverbänden, den Gewerkschaften, den Kommunen und vielen anderen einen Pakt schließen.

Wir gehen auch das Thema „Kinderarmut“ an. Denn es kann nicht sein, dass in unserer Gesellschaft Kinder in Armut aufwachsen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

In den letzten Jahren ist das Thema „Wohnen“ zu einer sozialen Frage geworden. An vielen Orten in Nordrhein-Westfalen wird es immer schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Das betrifft Studierende, Rentnerinnen und Rentner sowie Familien gleichermaßen.

Wir wollen Mieterinnen und Mieter effektiver schützen – zum Beispiel mit einer längeren Frist bei Eigenbedarfskündigungen. Wir wollen deutlich mehr preiswerten und sozialen Wohnraum schaffen. Die Gründung von Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften werden wir unterstützen. Nicht zuletzt wollen wir mit Housing First priorisieren, was priorisiert werden muss. Bei Obdachlosigkeit ist eine Wohnung der erste Schritt zur Stabilität. Wir in Nordrhein-Westfalen werden dem Menschenrecht auf Wohnen Rechnung tragen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Zu diesen sozialen Herausforderungen kommt nun noch die Energiekrise hinzu, die sich bereits zu einer sozialen Krise entwickelt. Der Gang zum Briefkasten ist für viele Menschen in diesen Tagen ein sorgenvoller; denn die Schreiben der Energieversorger entscheiden aktuell darüber, ob der ersehnte Familienurlaub kürzer ausfallen muss, ob die Miete noch bezahlbar ist und was auf den Teller kommt.

Deshalb müssen soziale Entlastungen nun vom Bund zielgerichtet kommen. Dazu gehört auch Mobilität; denn Mobilität ermöglicht Teilhabe. Der Bund muss eine Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets ebenso wie die zugesagte Erhöhung der Regionalisierungsmittel liefern, um soziale Teilhabe sicherzustellen und dabei auch einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Für das Entlastungspaket steht der Bund in der Pflicht. Doch wir ziehen uns hier auf Landesebene eben nicht aus der Verantwortung. Mit einer Vereinbarung zu einem Moratorium bei Strom- und Gassperren und mit der Absenkung der Elternbeiträge für die Verpflegung in Betreuungseinrichtungen werden wir einen Beitrag zur dringend notwendigen Entlastung leisten.

Eines möchte ich hier auch noch mal ganz deutlich sagen: Mit dieser Verschärfung der sozialen Schieflage, die wir gerade erleben, macht 2.000 km Luftlinie von Düsseldorf entfernt Wladimir Putin Politik. Es ist sein politisches Kalkül, auch mit dieser Form der hybriden Kriegsführung die Solidarität des Westens mit der Ukraine zu schwächen. Doch das wird Putin nicht gelingen. Wir werden uns nicht spalten lassen. Wir Demokratinnen und Demokraten stehen weiterhin fest an der Seite der Menschen in der Ukraine.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Längst nutzen Rechtsextreme die sozialen Auswirkungen der Energiekrise als Mobilisierungsthema zur Destabilisierung unserer Demokratie und zur Verbreitung ihrer menschenverachtenden Hetze.

Dass Verschwörungsideologien zu Gewalt gegen Personen führen können, haben uns nicht erst die Rechtsextremen unter den Coronaleugnern gezeigt. Verschwörungsideologien sind neben Rassismus, Antisemitismus, Queer- und Transfeindlichkeit und den anderen menschenverachtenden Einstellungen die Triebfeder für rechtsextreme Gewalt und Terrortaten.

Mit allen Mitteln unseres Rechtsstaats, mit Prävention, mit Intervention und Repression werden wir gegen rechte Ideologien und Gewalt vorgehen, denn Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere demokratische und vielfältige Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir wissen genau um unsere Verantwortung für den Schutz betroffener Menschen und unsere Verantwortung für unsere demokratische Gesellschaft.

Wir werden dieser Verantwortung mit aller Konsequenz nachkommen – gemeinsam mit allen demokratischen Kräften in diesem Land, mit den demokratischen Parteien, den Gewerkschaften, den Religionsgemeinschaften, den vielen Vereinen und Initiativen unserer engagierten Zivilgesellschaft.

Wir treten Rechtsextremismus und menschenverachtenden Einstellungen entschieden entgegen, und zwar jeden Tag.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen erwarten zu Recht vom Staat, dass er für ihre Sicherheit sorgt – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Religion, sexueller Identität und anderen Merkmalen.

Der Schutz der Kleinsten und Jüngsten in unserer Gesellschaft hat für uns höchste Priorität. Babys und Kleinkinder, die noch nicht sagen können, wenn ihnen jemand wehtut, Kinder und Jugendliche, die nicht in Worte fassen können, was ihnen angetan wird – und wir Erwachsenen, die Hilferufe und Signale unserer Kinder nicht verstehen oder sogar verdrängen?

Die Fraktionen von CDU und Grünen knüpfen an die vergangene Legislaturperiode an. Wir wollen interfraktionell gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen in diesem Haus die Zusammenarbeit zu diesem wichtigen Thema fortsetzen. Wir wollen alles dafür tun, um sexualisierte, psychische und physische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu verhindern.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden minderjährige Opfer von Gewalt durch eine kind- und jugendgerechte Justiz besonders unterstützen. Straftaten werden wir konsequent verfolgen. Jeder Täter und jede Täterin muss in Nordrhein-Westfalen damit rechnen, entdeckt und zur Rechenschaft gezogen zu werden; denn unsere Kinder in den Blick zu nehmen und ihre Sicherheit ins Zentrum zu stellen, ist auch Generationengerechtigkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das Vertrauen in unsere Polizei und unsere Justiz ist zu Recht hoch, und wir wollen, dass das so bleibt. Über 50.000 Beschäftigte in der Polizei und über 40.000 Beschäftigte in der Justiz sorgen jeden Tag für unsere Sicherheit.

Gleichzeitig nehmen wir ernst, wenn es Kritik an der Arbeit der Polizei gibt, wenn Menschen von einem Vertrauensverlust berichten. Wir wollen, dass auch diejenigen der Polizei vertrauen können, die es heute vielleicht noch nicht tun. Wir werden aktiv um dieses Vertrauen werben.

Wir schaffen mit dem unabhängigen Polizeibeauftragten im Landtag eine Anlaufstelle für diejenigen, die sich nicht direkt bei der Polizei über die Polizei beschweren wollen.

Mit dem Polizeibeauftragten schaffen wir auch eine Anlaufstelle für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte analog zum Wehrbeauftragten beim Deutschen Bundestag, der sich im Landtag für die Belange der Polizei beim Parlament einsetzt. Davon profitieren die Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Polizeiuniform; beides ist wichtig.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Alle Menschen sind gleich. Niemand darf benachteiligt werden – nicht wegen des Geschlechts, der Herkunft oder der Hautfarbe, der Religionszugehörigkeit oder einer Behinderung. Ich füge noch an: Niemand darf aufgrund der sexuellen Identität benachteiligt werden. Diesbezüglich braucht unser Grundgesetz dringend ein Update. Das werden wir aus Nordrhein-Westfalen heraus unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Alle Menschen sind gleich, und doch erfahren Menschen auch hier in Nordrhein-Westfalen Diskriminierung. Wir werden mit einer Landesantidiskriminierungsstelle und mit gesetzlichen Maßnahmen den Diskriminierungsschutz stärken.

Wir werden die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umsetzen. Jede und jeder soll teilhaben und sich frei in unserer Gesellschaft bewegen können – ohne Angst und Sorge vor verletzenden Sprüchen, Drohungen oder sogar Gewalt.

Alle Menschen sind gleich und bringen zugleich unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen in unsere Gesellschaft ein. Das ist nicht nur eine große Bereicherung, sondern auch eine große Chance zur Bewältigung der Krisen unserer Zeit.

Es sind die jungen Menschen, die die Krisen besonders zu spüren bekommen werden. Deshalb ist es auch nur konsequent, sie mit dem Wahlrecht ab 16 Jahren über ihre Zukunft mitentscheiden zu lassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Doch nicht alle Erfahrungen, die Menschen nach Nordrhein-Westfalen bringen, sind selbst gewählt. Geflüchtete haben das Recht auf ein faires Asylverfahren. Unser Ziel sind eine menschenwürdige und auf Integration ausgerichtete Unterbringung und eine angemessene Gesundheitsversorgung.

Geflüchteten, die lange hier leben und gut integriert sind, wollen wir eine Bleiberechtsperspektive geben. Mit dem Vorgriffserlass zum Chancenaufenthaltsrecht des Bundes hat unsere Koalition bereits einen wichtigen Schritt für viele Menschen hier in Nordrhein-Westfalen gemacht.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Ich bin davon überzeugt, dass sich ein demokratischer Staat immer daran messen lassen muss, wie er mit seinen Minderheiten umgeht. Wir haben die Messlatte in unserem Koalitionsvertrag bewusst hoch gelegt, weil alle Menschen ein Recht auf ein diskriminierungsfreies Leben haben und weil die Vielfalt zu Nordrhein-Westfalen gehört.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Vielfalt brauchen wir auch im öffentlichen Dienst. Wir wollen, dass er zu einem Spiegelbild unserer Einwanderungsgesellschaft wird. Geschlechtergerechtigkeit in den Führungspositionen des öffentlichen Dienstes ist uns ein wichtiges Ziel.

Unser öffentlicher Dienst muss längst im Wettkampf um die besten Köpfe mit der Wirtschaft bestehen. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Ein Schwerpunkt wird dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein, weil der öffentliche Dienst als Vorbild vorangehen sollte, aber auch, weil er attraktiver werden muss.

Wir haben vereinbart, die Eingangsbesoldung bei Lehrkräften auf A13 anzuheben und damit für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.

Daran, wie der öffentliche Dienst aufgestellt ist, entscheidet sich aus meiner Sicht die Zukunftsfähigkeit unseres Staates. Denn es ist das pädagogische Personal an den Schulen, das für Chancengerechtigkeit sorgt. Es sind die Planerinnen und Planer, die unsere Städte der Zukunft gestalten. Es sind die Menschen im öffentlichen Gesundheitsdienst, die, wie alle anderen im Gesundheitssektor, einen maßgeblichen Anteil an der Bekämpfung der Coronapandemie haben.

Auf all diese Frauen und Männer in den Kommunen, in den Polizeidienststellen, Gerichten und Justizvollzugsanstalten, an den Grundschulen und Universitäten, in den Landesämtern, Bezirksregierungen und Ministerien sind wir angewiesen, um den Krisen dieser Zeit zu begegnen und um unser Land krisenfest zu machen. Für einen funktionierenden Staat brauchen wir einen starken öffentlichen Dienst. Wir stehen zu unserer Verantwortung für all die Menschen, die jeden Tag dafür sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auf unseren Staat verlassen können.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU und wir Grüne sind zwei selbstbewusste Fraktionen. Unsere teils unterschiedlichen Perspektiven auf die Themen sind aus meiner Sicht eine große Chance, den Herausforderungen zu begegnen, denn Debatten und konstruktive Auseinandersetzungen sind die Grundlage für neue Antworten und Lösungen. Die Krisen sind zu groß, als dass sie durch Stillstand gelöst werden könnten. Wir als schwarz-grüne Koalition sind bereit. Wir packen die dringend notwendigen Veränderungen jetzt an.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es werden einmal unsere Enkelkinder sein, die mittags nach dem Geschichtsunterricht aus der Schule kommen, und vielleicht werden ihre Fragen lauten: Wie war das damals, als die Sommer immer heißer wurden? Was habt ihr eigentlich gemacht, um den Klimawandel aufzuhalten?

Ich möchte meinen Enkelkindern antworten können, dass wir, trotz der Parallelität der verschiedenen Krisen, politisch alles unternommen haben, um ihnen eine lebenswerte und intakte Lebensgrundlage zu hinterlassen und dabei die sozialen Fragen nie aus dem Blick zu verlieren.

Das ist ein hoher Anspruch an uns selbst und an diese Koalition, aber ich bin mir sicher, dass wir diesem Anspruch gerecht und Nordrhein-Westfalen gut für die Zukunft aufstellen werden. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Zukunftsvertrag für NRW – Kurzauswertung

Kurzauswertung für den Bereich Innenpolitik, Demokratie und Rechtspolitik

Die Vertreter*innen von GRÜNEN und CDU haben am 27. Juni den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Mit dem Zukunftsvertrag stellen wir die Weichen für ein sozial gerechteres, nachhaltiges, modernes und wirtschaftlich starkes Nordrhein-Westfalen und übernehmen dafür gemeinsam Verantwortung. Mit dieser Kommunalinfo möchten wir Euch über die Vereinbarungen in unserem Koalitionsvertrag zu den Themen Innenpolitik, Demokratie und Rechtspolitik informieren. Wir – Verena Schäffer, İlayda Bostancıeri, Dorothea Deppermann und Julia Höller – durften in dieser Facharbeitsgruppe für die Grünen verhandeln.

Für eine bürgernahe und grundrechtsorientierte Innenpolitik
Unsere Polizei leistet jeden Tag gute Arbeit für die Menschen in NRW. Es kann aber auch zu Konfliktsituationen kommen. In diesen Fällen soll die*der unabhängige Polizeibeauftragte für Bürger*innen sowie auch für die Beschäftigten in der Polizei ansprechbar sein. Den Bezirksdienst wollen wir ausbauen und damit auch die Präsenz und die Vernetzung der Polizei vor Ort stärken. Wir stehen für eine grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik und die konsequente Durchsetzung des Recht. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung bedeutet tiefe Grundrechtseingriffe und ein Sicherheitsrisiko für alle durch das Offenhalten von IT-Sicherheitslücken. Softwarelücken wollen wir schließen und werden von ihrer Nutzung absehen. Der „Taser“ wird bis 2024 unabhängig, wissenschaftlich und ergebnisoffen evaluiert – hiervon hängt der weitere Fortgang ab. Nur hierfür fortgebildete Beamt*innen dürfen ihn nutzen, zudem soll dabei immer die Bodycam eingeschaltet werden. Das Versammlungsgesetz haben auch wir kritisiert. Das Gesetz wird nun unabhängig und wissenschaftlich evaluiert. Jede Evaluation bietet den Anlass für mögliche Änderungen. Die Handlungsempfehlungen der Stabsstelle „rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ werden wir umsetzen und weiterentwickeln. Zudem wollen wir eine deutliche Stärkung der Kriminalpolizei erwirken.

Stärkung des Katastrophenschutzes
Wir machen Katastrophenschutz zu einem Schwerpunkt unserer Innenpolitik. Dazu werden wir u.a. die Handlungsfähigkeit des Landes im Katastrophenfall in einer zentralen Landesstelle im Innenministerium stärken. Sowohl das Land als auch die Kreise und kreisfreien Städten werden zukünftig Katastrophenschutzbedarfspläne für unterschiedliche Katastrophenszenarien erstellen, um zukünftig besser vorbereitet zu sein. Die Kritische Infrastruktur wollen wir besser schützen, zudem wollen wir Sirenen und barrierefreie Warnmechanismen ausbauen.

Wir stärken unsere Demokratie und verteidigen sie vor ihren Feinden
Wir werden das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren einführen und den Anteil von Frauen in den Parlamenten durch eine verfassungskonforme Änderung des Wahlrechts erhöhen. Mit einem Lobbyregister und dem legislativen Fußabdruck schaffen wir mehr Transparenz. Bürger*innen können sich so ein besseres Bild über den Einfluss von Interessensgruppen auf die Gesetzgebung verschaffen. Der Rechtsextremismus ist derzeit die größte Gefahr für unsere Demokratie. Deshalb werden wir die Erkenntnislage mit einem Lagebild Rechtsextremismus, Dunkelfeldstudien und einem NRW-Monitor verbessern. Zudem werden wir die Vollstreckung offener Haftbefehle, den Entzug von Waffenberechtigungen und der Aufklärung von Geldflüssen weiter vorantreiben.

Wir sorgen für eine moderne Rechtspolitik
In einem neuen Landesresozialisierungs- und Opferschutzgesetz werden wir einheitliche Standards und Strukturen für die Resozialisierung von Inhaftierten schaffen und die Rechte von Opfern bündeln und weiter stärken. Wir können auf Landesebene die Ersatzfreiheitsstrafe oder den Straftatbestand „Schwarzfahren“ zwar nicht abschaffen, werden uns aber bemühen, Ersatzfreiheitsstrafen weitestgehend zu vermeiden, u.a. durch Modellprojekte und eine Zusammenarbeit mit den Verkehrsverbünden. Wir werden die Situation für Inhaftierte und Bedienstete in den Justizvollzugsanstalten unter anderem durch Modernisierungen, eine bessere Versorgung physisch und psychisch kranker Menschen und eine angemessene Personalausstattung verbessern. Digitalisierung ist das große Thema der kommenden Jahre in der Justiz. Wir werden die Digitalisierung der Justiz in allen Bereichen vorantreiben und dabei einen Schwerpunkt auf die Zuverlässigkeit und Sicherheit der technischen Dienste legen. Wir werden den Universitäten die Möglichkeit geben, für Jurastudierende einen integrierten Bachelor einzuführen.

Diese Punkte sind nur ein kleiner Ausschnitt der Dinge, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wer sich für die Details interessiert, findet hier den Vertrag in voller Länge.

Danke für das Vertrauen!

Vielen, vielen Dank für das großartige Wahlergebnis. Ich freue mich darüber, in Witten und Herdecke 22 Prozent der Erststimmen erreicht zu haben – das ist zwar „nur“ Platz 3, aber ich freue mich wirklich sehr, in einem Ruhrgebiets-Wahlkreis ein so gutes Ergebnis bekommen zu haben.

Wir haben landesweit mit 18,2% das beste grüne Landtagswahlergebnis in unserer Geschichte erreicht. Das ist ein riesiger Vertrauensvorschuss und ich nehme die Verantwortung sehr ernst – für ganz NRW sowie für Witten und Herdecke. Jetzt freue ich mich darauf, mit der neuen Fraktion mit sage und schreibe 39 Landtagsabgeordneten als starkes Team Grüne Politik in NRW machen zu dürfen und die Aufgaben, die vor uns liegen anzupacken. 

Rede zum Antrag der GRÜNEN im Landtag für mehr Unterstützung für Betroffene von Hate Speech

„Im allerschlimmsten Fall kann Hass im Netz dazu führen, dass es auch im realen Leben zu Gewalttaten gegen Personen kommt“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen wurden bundesweit mehr als 100 Wohnungen und Häuser wegen Hass-Postings anlässlich der Bundestagswahl durchsucht. Das zeigt zum einen, dass Hassrede im Internet kein Einzelfall ist, und zum anderen, dass der demokratische Rechtsstaat wehrhaft ist. Sicherheitsbehörden nehmen Hate Speech als das wahr, was es ist: eine Gefahr für unsere Demokratie. Deshalb muss Hate Speech auch konsequent bekämpft werden.

Soziale Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram sind für viele Menschen ein Ort, an dem man sich mit Gleichgesinnten vernetzen, diskutieren und austauschen kann. Diese Orte sollten wie alle anderen Orte unserer demokratischen Gesellschaft Orte sein, an denen die Werte Demokratie und Menschenwürde gelten.

Doch eine von der Landesanstalt für Medien NRW in Auftrag gegebene Befragung macht deutlich, dass Hassrede im Internet ein immer größeres Problem wird. In der jüngsten Befragung aus dem Jahr 2021 gaben zwei Fünftel der Befragten an, dass ihnen Hate Speech im Internet sehr häufig oder häufig begegnet ist. Nur zum Vergleich die Zahl aus dem Jahr 2016: Da waren es nur 26 %.

(Unruhe)

– Ich hätte eine Bitte. Gerade rede ich gegen eine ziemlich laute Wand an. Es wäre total nett, vielleicht die Gespräche nach draußen zu verlagern. Ich verstehe das angesichts der Uhrzeit auch. Aber ich finde, es ist ein wichtiges und ernstes Thema, das viele von uns auch durchaus betrifft.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

– Danke. Das macht ja auch der Applaus noch einmal deutlich.

Dass ein Ansteigen von Hassrede nicht nur im Internet wahrgenommen wird, zeigt sich auch am Anstieg der Straftaten. Das BKA hat einen Anstieg von 71 % der Hass-Postings zwischen dem Jahr 2019 und dem Jahr 2020 festgestellt. Das zeigt noch einmal deutlich, was für ein Problem es hier gibt.

Wir alle wissen, dass eine sehr hohe Dunkelziffer existiert. Denn eine Vielzahl dieser Hass-Postings wird nicht gemeldet. Zudem handelt es sich häufig um ein Antragsdelikt. Die Postings erreichen zum Teil auch nicht die Grenze der Strafbarkeit, was aber nicht weniger problematisch für die Betroffenen ist.

Ziel von Hate Speech sind Menschen aufgrund von Merkmalen wie der Hautfarbe, der Herkunft, dem Geschlecht, dem Alter oder einer Behinderung. Mir ist wichtig, dabei eines zu betonen: Insbesondere Frauen erfahren nicht nur Hate Speech in Form von Beleidigung, sondern häufig kommen auch noch sexualisierte Gewaltandrohungen hinzu.

Die Mechanismen von Hate Speech funktionieren im Prinzip so wie bei der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im realen Leben auch. Die Angriffe dienen dazu, andere Menschen abzuwerten. Deshalb wundert es aus meiner Sicht auch nicht, dass der größte Anteil dieser Straftaten der politisch motivierten Kriminalität rechts zuzurechnen ist.

Hate Speech dient dazu, andere einzuschüchtern. Es gibt eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft aus dem Jahre 2019. Demzufolge bringen sich 54 % der Befragten seltener mit ihrer politischen Meinung im Internet ein, weil sie Hasskommentare befürchten. Ich halte es schon für einen ziemlich krassen Befund, dass Menschen sich nicht mehr in die Debatte im Internet einbringen, weil sie befürchten, dass sie dann angegriffen und von Hass überzogen werden. So weit darf es aus meiner Sicht nicht kommen.

Es geht ja auch noch weiter. Im allerschlimmsten Fall kann Hass im Netz dazu führen, dass es auch im realen Leben zu Gewalttaten gegen Personen kommt.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Thema ernst nehmen und dass Hate Speech konsequent verfolgt wird.

Neben der Stärkung der Ermittlungsarbeit muss es auch darum gehen, dass wir Opfer und Betroffene damit nicht alleine lassen, sondern sie unterstützen.

Deshalb wollen wir mit unserem Antrag die Idee in den Landtag einbringen, die es ja auch in anderen Bundesländern schon gibt, dass wir eine eigene Melde- und Beratungsstruktur für von Hate Speech Betroffene in NRW einrichten. Es sollte natürlich ein Beratungsangebot sein, das an das anknüpft, was wir mit den mobilen Beratungsteams, den spezialisierten Opferberatungsstellen und den Antidiskriminierungsstellen bereits haben. Wir haben hier ganz viel Fachexpertise im Land. Aber es geht darum, konkret ein Angebot für Menschen zu schaffen, die von Hate Speech im Internet betroffen sind.

Ich weiß auch, dass wir kurz vor der Landtagswahl stehen. In fünf Wochen wird hier gewählt. Es ist klar, dass in diesen fünf Wochen so etwas nicht umgesetzt werden kann. Wahrscheinlich wird die Mehrheit des Hohen Hauses den Antrag auch leider ablehnen.

Nichtsdestotrotz will ich das Thema gerne noch einmal in das Parlament einbringen, weil ich finde, dass es ein wichtiges Thema ist. Wir werden wahrscheinlich leider auch im Landtagswahlkampf Hass und Hetze im Netz erleben, erleben müssen. Das ist für die Betroffenen ganz dramatisch und fatal.

Umso mehr ist es, wie ich finde, Handlungsauftrag für uns alle, in der nächsten Legislaturperiode zu schauen, wie wir die Arbeit gegen Hate Speech noch einmal stärken können und gerade Betroffene und Opfer von Hassrede im Internet besser unterstützen können. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Ralph Bombis [FDP] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Rede zur Unterrichtung der Landesregierung zur aktuellen Situation der Geflüchteten aus der Ukraine

„Ihre Hilfe, Ihr Engagement für die schutzsuchenden Menschen ist im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern begegnete mir in meiner Timeline bei Twitter das Foto eines Kleinkindes. Auf seinem nackten Rücken waren mit Edding sein Name und sein Geburtsdatum sowie die Namen seiner Eltern geschrieben. Die Mutter musste mit ihrem Kind aus der Ukraine fliehen, und sie wollte sichergehen, dass ihr Kind identifiziert werden kann, falls sie selbst auf der Flucht getötet würde.

Genau das sind die Berichte aus der Ukraine, die uns die Tränen in die Augen steigen lassen und uns fassungslos machen. Es sind die Berichte vom Leben und von der Flucht aus der Hölle.

Russische Soldaten haben die Vororte von Kiew und weitere Städte und Dörfer in der Ukraine längst zur Hölle gemacht. Das haben uns die Berichte vom Wochenende grausam gezeigt. Was wir in Butscha sehen, sind gezielte Tötungen, Folter und Vergewaltigungen, auch als Teil der psychologischen Kriegsführung.

Auch wenn es die Gräueltaten nicht ungeschehen machen kann: Die Täter müssen vor Gericht gestellt und zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wir haben uns vor zwei Wochen mit der Resolution der demokratischen Fraktionen dazu bekannt, Geflüchteten aus der Ukraine Zuflucht zu bieten. Wir haben eine sichere Ankunft, Unterbringung und Versorgung versprochen. Dieses Versprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, erneuern wir mit der heutigen Debatte. Alle Menschen, die aus der Ukraine fliehen müssen, sind bei uns willkommen.

Auch ich möchte mich ganz ausdrücklich bei den vielen engagierten Ehren- und Hauptamtlichen in den Hilfsorganisationen, in den Gemeinden, in den Flüchtlingsinitiativen und auch in den Kommunalverwaltungen bedanken. Ihre Hilfe, Ihr Engagement für die schutzsuchenden Menschen ist im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar. Vielen herzlichen Dank dafür! Wir sehen das, und wir wertschätzen das auch.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Aber Wertschätzung allein ist nicht ausreichend. Die Kommunen müssen seit inzwischen fünf Wochen wieder in Vorleistung gehen. Sie müssen in dieser Situation flexibel agieren können. Sie sind auf die Unterstützung des Landes angewiesen.

Der Krieg in der Ukraine hat die Kommunen vor bisher unbekannte Herausforderungen gestellt. Wir erleben die größte Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. In Nordrhein-Westfalen kommen täglich Tausende Schutzsuchende an. Es sind vor allem vulnerable Personengruppen: kranke, alte und behinderte Menschen. Es sind vor allem Frauen mit ihren Kindern, häufig noch Babys oder Kleinkindern. Es sind Menschen wie die Mutter und ihr Kind, dem sie seinen Namen mit Edding auf den Rücken schreiben musste. Diese Menschen müssen bedarfsgerecht untergebracht werden: in Hotelzimmern, in wirklich gut ausgestatteten Messehallen.

Diese Kapazitäten jetzt bereitzustellen, ist für die Kommunen nur mit enormer finanzieller Belastung möglich. Deshalb brauchen die Kommunen endlich die Planungssicherheit, welche Kosten in welcher Höhe konkret übernommen werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das alles trifft die Kommunen in einer Zeit, in der sie ohnehin massiv belastet sind: von der Coronapandemie und zum Teil von den Hochwasserschäden. Ein Altschuldenfonds lässt trotz der eigentlichen Zusage, die es einmal gab, immer noch auf sich warten.

Es reicht aus meiner Sicht nicht aus, wenn Herr Wüst oder Herr Stamp immer wieder mit warmen Worten ankündigen, die Kommunen müssten sich keine Sorgen machen. Die Kommen brauchen jetzt konkrete Finanzzusagen, um sich voll und ganz auf die Aufnahme von Geflüchteten konzentrieren zu können.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Da die Menschen aus der Ukraine gemäß der EU-Richtlinie einen vorübergehenden Schutz und einen Aufenthaltstitel inklusive Arbeitsgenehmigung erhalten, sollten sie aus unserer Sicht den anerkannten Geflüchteten sozialrechtlich gleichgestellt werden. Mit der Aufnahme einer Ausnahme in die Sozialgesetzbücher hätten die Menschen aus der Ukraine einen schnellen Zugang zu Integration auf dem Arbeitsmarkt. Die Gesundheitsversorgung wäre geklärt. Die Grundversorgung für Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen wäre besser geregelt. Außerdem wäre dann die Finanzierung größtenteils über den Bund gesichert. Das ist eine entscheidende Frage für die Kommunen und für die Geflüchteten.

Wir hören aus den Kommunen, dass die Bearbeitung der Anträge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aktuell ein echtes Nadelöhr darstellt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Arbeitsagenturen und die Jobcenter könnten mit ihren Ressourcen die Anträge deutlich schneller abarbeiten. Das würde die Kommunen entlasten und dafür sorgen, dass die Geflüchteten schneller und einfacher die dringend nötige Unterstützung erhalten. Herr Wüst, wenn Sie sagen, Sie wollen Anwalt der Kommunen sein, dann kann ich Ihnen nur mitgeben: Gehen Sie diesen Weg! – Aus meiner Sicht ist das der richtige Weg.

Ich hätte mir bei der Unterrichtung heute auch eine Information darüber gewünscht, wie und mit welcher Position das Land in die Bund-Länder-Verhandlung geht, denn das ist sowohl für die Menschen, die hierherkommen, als auch für die Kommunen entscheidend.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vor allem ist wichtig, dass die MPK unter Ihrem Vorsitz, Herr Wüst, morgen zu einem Ergebnis kommt und Bund und Länder den Kommunen morgen die klare Kostenzusage machen.

(Beifall von den GRÜNEN und Karl Schultheis [SPD])

Die Kriegsverbrechen in Butscha und an anderen Orten sind unerträglich. Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter. Deshalb ist es richtig, dass weitere Sanktionen in Kraft treten werden.

Wir müssen die fatale Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen aus Russland in kürzester Zeit beenden, in die uns die Politik Angela Merkels und die unkritische und naive Haltung der SPD zu Putin gebracht haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh!)

Robert Habeck arbeitet als Bundeswirtschaftsminister jeden Tag daran, dass wir unabhängiger von Russland werden. Das schaffen wir natürlich durch den Kauf fossiler Rohstoffe aus anderen Regionen der Welt. Vor allem schaffen wir das durch den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Herr Wüst, da muss Nordrhein-Westfalen seinen Anteil leisten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schaffen Sie die Abstandsregel ab und lösen Sie Ihre selbst geschaffenen Bremsen bei den Erneuerbaren! Es reicht nicht, auch da immer nur auf Berlin zu zeigen und schlaue Tipps zu geben. Werden Sie endlich hier in Nordrhein-Westfalen aktiv! Auch Sie tragen Verantwortung dafür, die Abhängigkeit von Putins Ressourcen zu lösen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben anfangs auch hier in unseren Resolutionen, in unseren gemeinsamen Anträgen sehr, sehr bewusst von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine gesprochen. Ich finde das nicht mehr ganz zeitgemäß. Dieser Krieg wird nicht nur von Putin geführt. Er hat ein Unterstützernetzwerk.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Es sind seine Soldaten, die diese furchtbaren Kriegsverbrechen begehen. Es sind auch Demonstranten auch hier in Deutschland,

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

die mit Pro-Krieg-Symbolik auf die Straße gehen und damit die öffentliche Stimmung beeinflussen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU –Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die russische Regierung missachtet und verletzt bewusst und systematisch Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Genau dafür und für die Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Krieges steht das weiße Z. Deshalb muss auch hier in Nordrhein-Westfalen das öffentliche Tragen dieses Symbols verboten und geahndet werden. Wir können eine Symbolik, die für Menschenrechtsverbrechen steht, hier in Nordrhein-Westfalen nicht dulden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unsere Gesellschaft steht für die Werte Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Deshalb ist es die Verantwortung aller Demokratinnen und Demokraten, selbstverständlich weiterhin an der Seite der Ukraine und der Menschen in der Ukraine zu stehen. Wir werden alles dafür tun, dass geflüchtete Menschen aus der Ukraine gut und sicher bei uns aufgenommen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Hovenjürgen [CDU] – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Rede zum Zwischenbericht des PUA IV (Kindesmissbrauch)

„In aller erster Linie sind wir den Opfern die Aufarbeitung schuldig“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Reden meiner Vorredner haben bereits sehr deutlich gemacht, dass die Arbeit im Untersuchungsausschuss oftmals wirklich anstrengend war und wir alle immer wieder furchtbare Bilder mit Nachhause genommen haben. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass sich die Arbeit im Untersuchungsausschuss wirklich gelohnt hat und unglaublich wichtig war.

In aller erster Linie sind wir den Opfern die Aufarbeitung schuldig. Ich möchte, dass die Betroffenen vielleicht nicht heute, sondern irgendwann später oder auch erst in zehn, zwanzig Jahren wissen, dass wir ihr Leid sehen und es uns leidtut, dass staatliche Strukturen sie nicht geschützt haben, als der Staat sie hätte schützen müssen.

Die Daten und Fakten sind bekannt; sie wurden heute schon mehrfach genannt. Mehr als 30 Kinder wurden auf einem Campingplatz in Lügde von zwei Haupttätern über einen langen Zeitraum hinweg Opfer von sexuellem Missbrauch. Wenn man die Akten und insbesondere die Protokolle von den Zeugenvernehmungen liest, dann werden die Kinder mit ihren Geschichten hinter diesen Opferzahlen sichtbar.

Wir haben uns lange mit dem Fall Ramona Böker beschäftigt. Dieses junge Mädchen war schon in einem sehr jungen Alter regelmäßig auf dem Campingplatz, bis sie irgendwann vollständig bei dem Haupttäter einzog und ihm rund um die Uhr schutzlos ausgeliefert war.

Wir haben uns den Fall Daniel Wittfry angesehen. Das ist ein Mädchen, dessen Vater wegen vielfachem Kindesmissbrauch verurteilt war, und das viele Wochenenden bei dem Täter Mario S. in Lügde verbrachte.

Besonders bewegt hat uns auch das Schicksal von Ernst Gruber, der jahrelang von Mario S. schwer missbraucht wurde und später selbst ein anderes Kind missbrauchte.

Alle drei Kinder waren dem Jugendamt bekannt. Es waren Familienhilfen installiert, es wurden Jugendhilfepläne aufgestellt, und obwohl es immer wieder und zum Teil sehr konkrete Hinweise gab, wurde das nicht erkannt. Das Leid der Kinder wurde nicht beendet.

Wir wissen – das wurde heute auch schon deutlich –, dass Kindesmissbrauch in unserer Gesellschaft, in der Mitte der Gesellschaft vorkommt. In jeder Schulklasse sind etwa ein bis zwei Schülerinnen und Schüler von sexueller Gewalt betroffen oder waren es.

Bei den Fällen, die wir uns im Untersuchungsausschuss näher angeschaut haben, war die Besonderheit, dass die Jugendämter in den Familien waren. Sie kannten die Familien und ihre Problemlagen. Obwohl die Kinder dem Staat also bekannt waren und es immer wieder Hinweise gegeben hat, ist der Missbrauch nicht aufgedeckt worden. Deshalb finde ich, dass man im Zusammenhang mit Lügde ganz klar von einem Behördenversagen sprechen muss.

Wir haben uns mit den Jugendämtern intensiv beschäftigt, und gewisse Muster haben sich wiederholt, obwohl es unterschiedliche Jugendämter waren. Deshalb finde ich es richtig, hier auch von einem strukturellen Versagen zu sprechen.

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jugendämtern fehlten Kenntnisse über Täterstrategien und Anzeichen von sexualisierter Gewalt. Darüber hinaus wurden die Täter sogar als stabilisierende Faktoren für die Familien gesehen.

Der Verdacht auf sexualisiert Gewalt war durchaus vorhanden. Wir haben allerdings immer wieder den Eindruck gewonnen, dass dieses Thema wie ein Elefant im Raum stand und nicht konkret ausgesprochen wurde, obwohl es die konkreten Hinweise darauf gab.

Mich hat am meisten der Umstand bewegt, dass die Kinder von den Jugendämtern nicht angehört wurden. Zum Teil wurde die Notwendigkeit, das betroffene Kind bei einer Kindeswohlgefährdung zu hören oder es bei der Erarbeitung eines Jugendhilfeplans einzubeziehen, sogar gar nicht erst gesehen. Auch das wurde bei den Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss deutlich.

Ich habe mich bei den Vernehmungen im Untersuchungsausschuss und beim Lesen der Akten oft gefragt, an wen sich die Kinder eigentlich hätten wenden können. Denn sie wurden ja nicht einmal von dem Amt, das als Wächteramt des Staates fungiert, ernst genommen und angehört.

Ich finde, es ist eine der wichtigsten Lehren auch aus diesem Untersuchungsausschuss, dass wir Kinder immer ernst nehmen müssen. Kinder müssen in allen Verfahren, die sie betreffen, tatsächlich beteiligt und angehört werden. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die wir aus dem Untersuchungsausschuss ziehen müssen.

In der Debatte ist auch schon deutlich geworden, dass wir das Behördenhandeln von Polizei und Justiz noch nicht umfänglich aufarbeiten konnten. Wir haben allerdings einige Erkenntnisse gewonnen.

Klar ist, dass die Hinweise zu dem Verhalten von Andreas Vetten in Bezug auf Ramona Böker auch an die Polizei gingen. Die Polizei ist diesen Hinweisen aber nicht ausreichend nachgegangen.

Nach dem Bekanntwerden der Taten war die kleine Kreispolizeibehörde Lippe mit den Ermittlungen leider hoffnungslos überfordert. Zwischen dem Eingang der Anzeige gegen Andreas Vetten und der Anregung eines Haftbefehlsantrags verstrich wertvolle Zeit.

Von der Inobhutnahme des Pflegekindes bis zur Festnahme des Täters verging knapp ein Monat, und es ist möglich bzw. zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Täter Beweise vernichten konnte.

Die Vernehmungen der Kinder mussten zum Teil wiederholt und Durchsuchungen mehrfach durchgeführt werden. Bei der Tatortsicherung wurden Fehler gemacht. Die verloren gegangenen Asservate stehen sinnbildlich für die chaotische Ermittlungsführung durch die Kreispolizeibehörde Lippe.

Die Kreispolizeibehörde Lippe hat ihre Überforderung nicht an das Innenministerium kommuniziert. Umgekehrt haben aber auch Landeskriminalamt und Innenministerium als oberste Fachaufsicht nicht nachgehakt. Aus meiner Sicht – und das ist meine Bewertung – ist es so, dass die Landesbehörden hätten wissen können und müssen, dass eine kleine Behörde wie Lippe allein schon mit der Anzahl der Opfer und den komplexen Ermittlungen schlichtweg überfordert ist.

Ich möchte auch eine persönliche Bewertung ziehen, welche Rolle die Tatsache spielt, dass die Kreispolizeibehörde Lippe eine kleine Landratsbehörde ist. Selbstverständlich können – das möchte ich deutlich sagen – die Landratsbehörden, die kleinen Polizeibehörden eine hervorragende Arbeit leisten. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir in dem Untersuchungsausschuss gesehen haben, dass eine kleine Behörde mit wenig Personal, mit wenig Spezialisierung und mit wenig Erfahrung bei komplexen Ermittlungen schneller an ihre Grenzen stößt.

Die Bereiche „Polizei“ und „Justiz“ konnten wir nicht in dem Umfang aufarbeiten, wie wir das wollten und gerne getan hätten. Deshalb bin ich froh, dass wir uns unter den demokratischen Fraktionen einig sind, dass der Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislaturperiode wieder eingesetzt werden muss.

Wir sind es den Opfern schuldig, das Behördenversagen aufzuarbeiten. Wir sind es aber auch allen Kindern und Jugendlichen schuldig, mit der Aufarbeitung Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, weitere Handlungsempfehlungen zu erarbeiten und Veränderungen anzustoßen, weil wir alles dafür tun müssen, Missbrauch in Zukunft zu verhindern bzw. zumindest dafür zu sorgen, dass das nicht mehr so leicht möglich ist, gesehen und möglichst verhindert wird.

Zum Schluss meiner Redezeit will ich Danke sagen. Es ist nicht ganz selbstverständlich, einen PUA-Zwischenbericht zu erstellen, dem alle zustimmen können, und bei dem die demokratischen Fraktionen keine Sondervoten schreiben, weil sie sich alle in den Bericht wiederfinden können. Ich finde, das ist wirklich ein sehr gutes Ergebnis, und ich bin froh, dass wir das geschafft haben.

Deshalb möchte ich hier noch einmal explizit allen Obleuten, die das möglich gemacht haben, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Fraktionen und in der Verwaltung Danke sagen. Ich weiß, wie wahnsinnig viel Arbeit das war. Ich weiß auch, dass es Ihnen genauso ging wie uns. Wir haben die Geschichten immer wieder mit Nachhause genommen und konnten sie nicht einfach an der Bürotür hinter uns lassen.

Uns alle bewegt das sehr, und es wird heute noch einmal deutlich, was es heißt, in so einem Themenfeld zu arbeiten. Ich will aber auch sagen: Es sind die Kinder, die diese Taten erlebt haben. Wir sollten manchmal also das, was wir erleben und mitnehmen, nicht zu hoch gewichten. Dennoch ist es wichtig, das anzusprechen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einmal Danke zu sagen.

Martin Börschel, ich möchte insbesondere dir noch mal Danke sagen. Du bist irgendwann zu dem Untersuchungsausschuss dazugekommen. Du hast die Leitung übernommen, und ich finde, dass du das wahnsinnig gut gemacht hast und es auch dein Verdienst ist, dass wir heute an diesem Punkt stehen, wo wir stehen, und wir in dieser kurzen Zeit auch viel geschafft haben. Wir haben nicht alles geschafft, aber wir haben viel aufgearbeitet. Auch das darf man hier anerkennend sagen.

Die Arbeit geht weiter, dann leider ohne dich. Aber ich wünsche dir wirklich von Herzen alles Gute für deinen weiteren Weg. Vielen Dank dafür, dass du diesen Untersuchungsausschuss geleitet und auch viel Zeit und Energie hineingesteckt hast. Vielen Dank dafür.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP und Nic Peter Vogel [AfD])

Grüner Zwölf-Punkte-Plan gegen Verschwörungsmythen und Rechtsextremismus

Grüner Zwölf-Punkte-Plan gegen Verschwörungsmythen und Rechtsextremismus

Haltung zeigen gegen Rassismus bedeutet ihn auch da zu benennen, wo er nicht von allen sofort erkannt wird. Zurzeit werden verschwörungsideologische Narrative weit verbreitet, die einen rassistischen und antisemitischen Kern haben. Das haben wir heute bei der Vorstellung unseres Grünen Zwölf-Punkte-Plans gegen Verschwörungsmythen und Rechtsextremismus deutlich herausgestellt. Wir brauchen ein Gesamtkonzept gegen Verschwörungsmythen, das auch den Schutz von Betroffenen und die Stärkung von Beratungsstrukturen gegen Rechtsextremismus umfasst.

Hier findet ihr das Papier: 220321_Verschörungsmythen_Autorinnenpapier NeubaurSchäffer

Rede zur Unterrichtung der Landesregierung in der Sondersitzung zu Russlands Krieg gegen die Ukraine

„Die Welt ist eine andere, es ist Zeit, ihr mit neuen Lösungen zu begegnen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Shum! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade einmal 1.600 km von hier entfernt tobt ein brutaler und menschenverachtender Krieg gegen die Menschen in der Ukraine. „Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht“, hat Außenministerin Baerbock nach dem Beginn des Einmarsches Russlands in die Ukraine gesagt.

Das stimmt. Es stimmt vor allem für die vielen Millionen Menschen in der Ukraine, die um ihr Leben und um das ihrer Kinder, Eltern, Freunde und Verwandten bangen.

Ich habe in den vergangenen Tagen oft darüber nachgedacht: Wie erklärt man Kindern den Krieg? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir persönlich fällt es wahnsinnig schwer, meinen Kindern zu erklären, dass in der Ukrainer ein brutaler Krieg herrscht.

Wie aber erklären Eltern in der Ukraine ihren Kindern, dass sie seit Tagen mit vielen Menschen in der Metrostation ausharren müssen? Wie erklären sie ihren Kindern, dass sie sich auf eine sehr gefährliche Flucht begeben müssen? Wie erklären Eltern ihren Kindern, dass Angehörige und Freunde getötet wurden? Auf diese Fragen kann es eigentlich keine leichten Antworten geben – vielleicht auch für uns hier nicht. Ich weiß es nicht.

Der Angriffskrieg Putins lässt uns erschüttert zurück. Unsere Erschütterung, unsere Fragen dürfen uns aber nicht sprachlos machen. Europa ist nicht sprachlos, und wir sind nicht sprachlos. Wir sind auch nicht ohnmächtig. Wir werden Menschen, die Schutz suchen, diesen Schutz gewähren. Die harten Sanktionen gegen Russland sind richtig, auch wenn sie natürlich wirtschaftliche Auswirkungen auf uns hier in Deutschland und in ganz Europa haben. Aber Frieden und Menschenrechte, Freiheit und Demokratie müssen uns das wert sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ich bin den vielen Menschen, die in diesen Tagen für den Frieden aufstehen, und auch den mutigen Menschen, die in Russland trotz der Gefahr, dafür verhaftet zu werden, gegen Putins Krieg auf die Straßen gehen, sehr dankbar. Weltweit senden wir Demokratinnen und Demokraten die unmissverständliche Botschaft: Die Welt steht an der Seite der Ukraine und verurteilt den abscheulichen Angriffskrieg Putins.

Natürlich spüre ich in diesen Tagen mehr als nur Dankbarkeit für die Menschen, die für den Frieden auf die Straße gehen. Wie wir alle empfinde ich Fassungslosigkeit und Wut, aber auch Solidarität und Mitgefühl, angesichts der brutalen Bilder. Die Bilder von tausenden Menschen, die gerade aus der Ukraine fliehen oder zu fliehen versuchen, die Furchtbares gesehen und erlebt haben, die jetzt bei uns Schutz suchen, machen einfach sehr deutlich, welche Bedeutung unsere humanitäre Verantwortung jetzt hat – die Verantwortung dafür, diesen Menschen die Hilfe anzubieten, die sie benötigen: eine Unterkunft, Zugang zu medizinischer und psychosozialer Betreuung, Bildung und auch finanzielle Unterstützung, und die Verantwortung gegenüber unseren Kommunen, sie bei dieser Aufgabe nicht allein zu lassen.

Das UN-Flüchtlingswerk – das ist vorhin in der Diskussion schon genannt worden – spricht von der am schnellsten wachsenden Flüchtlingsbewegung seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Bislang mussten über 2 Millionen Menschen flüchten. Sie sind dazu gezwungen, weil Putin ihre Heimat zerstört und ihr Leben bedroht. Auch in Nordrhein-Westfalen kommen bereits jetzt Tausende Menschen an. Die Hälfte von ihnen sind Kinder.

Ich danke den Flüchtlingsorganisationen, den Hilfsorganisationen, den vielen Gemeinden und den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die jetzt privat unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Trotz der großen Hilfsbereitschaft werden die meisten Geflüchteten nicht privat unterkommen können, schon allein, weil viele Flüchtlinge wahrscheinlich über einen langen Zeitraum hierbleiben werden. Deshalb sind vor allem die Kommunen gefragt, für eine Unterbringung zu sorgen.

Es sind die Kommunen – das will ich an dieser Stelle auch einmal sagen –, die gerade wieder Unglaubliches leisten, obwohl sie mit der Coronapandemie, zum Teil mit dem Hochwasser bereits seit zwei Jahren quasi im Krisenmodus arbeiten. Deshalb brauchen die Kommunen jetzt die volle Unterstützung des Landes.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir Demokratinnen und Demokraten – ich finde, das wird heute noch einmal sehr deutlich – uns parteiübergreifend für die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine einsetzen.

Herr Wüst, ich bin auch Ihnen dankbar dafür, dass Sie sehr deutlich sagen, dass wir schutzsuchende Menschen in Nordrhein-Westfalen natürlich mit offenen Armen aufnehmen und sie hier willkommen heißen.

Ich möchte an derselben Stelle aber auch sagen, dass Ankündigungen alleine nicht ausreichen. Die Kommunen gehen jetzt wieder in Vorleistung. Das machen sie natürlich. Aber damit sie nicht jeden Euro umdrehen müssen, sondern damit sie flexibel agieren können, damit sie flexibel Unterkünfte anmieten können, damit sie für eine gute Betreuung sorgen können, brauchen die Kommunen eine klare Zusage des Landes für die Übernahme von Kosten.

Die Landesregierung, Herr Wüst, muss hier Verantwortung gegenüber den Kommunen übernehmen und damit dafür sorgen, dass die Kommunen schnell agieren können, sodass sie für eine adäquate und schnelle Unterbringung der Geflüchteten sorgen können. Da hätte ich mir heute in der Diskussion mehr gewünscht. Wir brauchen diese klare Zusage an die Kommunen, dass das Land einspringt und die Kosten übernehmen wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber es gibt noch mehr Dinge, die vonseiten der Landesregierung geleistet werden müssen. Die koordinierte Kapazitätsabfrage bei den Kommunen muss fortgeschrieben werden, damit sichergestellt wird, dass nicht Unterbringungen in der einen Kommune leer bleiben, während die Unterkünfte in den großen Städten volllaufen. Das Land muss hier dringend koordinieren und darf nicht abwarten.

Ich will noch einen Punkt ansprechen – ich mache das wirklich ohne Schaum vorm Mund; ich weiß, wir haben in den letzten Jahren viel darüber diskutiert, aber ich will es sachlich vorbringen –: Ich glaube, es wäre an dieser Stelle wirklich an der Zeit, den Krisenstab und die Strukturen, die wir hier haben, zu nutzen, um die Situation besser koordinieren zu können. Ich wünsche mir, dass Sie an dieser Stelle den Krisenstab nutzen und jetzt einsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Weil die Hälfte der ankommenden Menschen Kinder und Jugendliche sind, stehen wir vor besonderen Herausforderungen. Es sind Kinder, die plötzlich ihre Heimat verlassen mussten, die möglicherweise Angriffe miterlebt haben oder die sich große Sorgen um ihre Eltern und andere Angehörigen machen, die noch in der Ukraine sind.

Kinder und Jugendliche brauchen schnellstmöglich die Rückkehr zu einer festen Alltagsstruktur. Für sie müssen wir aber auch Strukturen einer psychosozialen Betreuung vorhalten.

Ein Thema ist mir noch besonders wichtig: Gerade weil Kinder auf der Flucht eine besonders verletzliche, eine besonders vulnerable Personengruppe sind, muss ihr Schutz in allen Unterkünften besonders im Fokus stehen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche auf der Flucht hier bei uns in Nordrhein-Westfalen wieder Kinder sein dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt nicht nur ganz akut den flüchtenden Menschen helfen, sondern auch die richtigen Lehren aus Putins Angriffskrieg für die Zukunft ziehen.

Eine zentrale Lehre ist doch: Wir müssen uns unabhängig von Despoten und ihrem Gas, von Kohle aus Krisenregionen machen. Erneuerbare Energien sind dabei der Weg, unsere Energieversorgung sicher, eigenständig und klimaschonend zu gewährleisten. Das ist unser aller Verantwortung.

Ja, aktuell stehen wir ganz konkret vor der Herausforderung, dass die Versorgungssicherheit für den nächsten Winter gesichert sein muss. Deshalb ist es richtig, dass gerade alle Optionen geprüft werden.

Aus technischen Gründen ist die Laufzeitverlängerung der AKWs vom Tisch.

Eine Sicherung der Versorgung im Winter 2022/23 hat aus meiner Sicht überhaupt nichts mit einem vereinbarten Kohleausstieg 2030 zu tun.

Mittelfristig – das wissen wir – bringen nur die Erneuerbaren Sicherheit und Unabhängigkeit. Daher muss endlich der Booster beim Ausbau der erneuerbaren Energien kommen.

Ich weiß, wir Grüne könnten es uns an dieser Stelle leicht machen. Aber ich will bewusst sagen, dass wir das nicht tun, weil es uns um die Sache geht.

Wir müssen den Turbo beim Ausbau der Windenergie einlegen.

(Matthias Goeken [CDU]: Och!)

Wir müssen die Solarenergie endlich ausbauen. Es muss zum Standard werden, dass auf jedem Dach eine Photovoltaikanlage ist.

Warten Sie nicht darauf, dass die Bundesregierung Sie hier zu einer Kurskorrektur zwingt. Nutzen Sie die Ihnen verbleibenden zwei Monate, und leiten Sie diese Kurskorrektur selbst ein. Lassen Sie Ihre Ankündigungen zu Erleichterungen zum Beispiel bei der Windenergie jetzt Wirklichkeit werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt ist eine andere. Es ist Zeit, ihr mit neuen Lösungen zu begegnen, mit mutigen Schritten in Richtung sauberer Energie zu gehen, die uns unabhängig macht, mit gelebter Solidarität, dem Einstehen für Demokratie und für Frieden, dem Wissen um unsere Verantwortung bei der Hilfe für Tausende Menschen, die jetzt unseren Schutz suchen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Angela Freimuth [FDP])

Rede zum Antrag der „AfD“-Fraktion zu „Spaziergängen“

Meine Rede zur Räumung des Hambacher Waldes

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Versammlungsfreiheit ist in einem Rechtsstaat ein hohes Gut und natürlich auch verfassungsrechtlich geschützt. Die Versammlungen sind ein wichtiger Bestandteil des politischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1985 in seinem Beschluss zu Brokdorf sehr deutlich gemacht, dass die Versammlungsfreiheit zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gehört.

Ja, natürlich, die Versammlungsfreiheit dürfen alle Menschen in Deutschland nutzen und sich darauf berufen, ganz unabhängig von ihren jeweiligen politischen Ansichten. Das ist auch gut so. Gerade das macht doch unseren demokratischen Rechtsstaat aus.

Ich will auch noch einmal klar sagen, dass Infektionsschutzmaßnahmen, also das Tragen von Masken oder auch das Abstandsgebot, in keinster Weise die Versammlungsfreiheit einschränken. Auch mit Maske, auch mit Abstandsgebot kann man sich versammeln und kann seine politische Meinung kundtun, wie das auch vielfach in Nordrhein-Westfalen genutzt wird und in den letzten zwei Jahren genutzt wurde. Ich glaube, das macht deutlich, dass es keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit bedeutet.

Es ist auch keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit, wenn der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem verfassungsfeindliche Bestrebungen analysiert und darüber die Öffentlichkeit informiert. Ich will noch mal klar sagen: Das ist auch die Aufgabe des Verfassungsschutzes. Schauen Sie vielleicht noch mal in das Verfassungsschutzgesetz. Da ist das ganz klar definiert, und ich erwarte das auch vom Verfassungsschutz, dass er genau das tut.

Es ist richtig, dass der Verfassungsschutz das Spektrum der sogenannten Querdenker und Coronaleugner analysiert hat. Wenn man sich anguckt, wie viele Straftaten allein in den letzten beiden Jahren begangen wurden, stellt man fest: Es wurden über 1.400 Straftaten in diesen beiden Pandemiejahren verzeichnet, 794 Straftaten in den letzten beiden Jahren im Zusammenhang mit Corona gegen Einzelpersonen oder Personengruppen. Das macht, finde ich, auch noch mal deutlich, was für eine Gewaltakzeptanz es in dieser Szene gibt. Dass im Prinzip an jedem Tag ein Mensch von Personen aus diesem Spektrum bedroht wird, angegriffen wird, angepöbelt wird, macht sehr deutlich, über was wir hier reden und dass es auch eine Gewaltakzeptanz gibt.

Es vergeht kein Tag, an dem nicht in Netzwerken wie Telegram bundesweit Gewalt- und Mordaufrufe veröffentlicht werden. Ich finde, das ist einfach unerträglich.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Das ist nicht hinnehmbar, und da braucht es auch die Solidarität der gesamten Gesellschaft.

In Nordrhein-Westfalen haben alle relevanten rechtsextremen Parteien und Gruppierungen – von der Partei Die Rechte über den Dritten Weg bis hin zur NPD und den Identitären – an solchen Demonstrationen teilgenommen oder nehmen weiterhin daran teil, und an manchen Orten werden diese Demonstrationen sogar von Rechtsextremen ganz maßgeblich organisiert. Da erwarte ich auch vom Verfassungsschutz, dass er das klar benennt, und ich erwarte das auch von einem Innenminister – und das tut er ja auch –, dass er das öffentlich klar benennt. Das finde ich absolut wichtig.

Ich will noch mal deutlich sagen: Natürlich ist Protest legitim, und die Versammlungsfreiheit muss als Grundrecht geschützt werden. Aber man darf, und, ich finde, man muss auch die Frage stellen, ob man mit Rechtsextremen auf eine Demonstration gehen will. Ich erwarte hier auch von Demokratinnen und Demokraten eine ganz klare Abgrenzung von dieser Szene.

Dass sich die AfD gerade nicht abgrenzt, sondern vor Ort ganz oft auch ein aktiver Teil dieser Szene ist, spricht eben auch Bände.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Eines möchte ich noch sagen, denn auf diesen Demonstrationen werden ganz massiv Verschwörungsmythen verbreitet. Wir wissen, dass die Ablehnung des Staates und die Verschwörungsideologien nach der Pandemie nicht verschwunden sein werden. Deshalb müssen wir über ein Gesamtkonzept sprechen, wie wir diesen Verschwörungsmythen begegnen.

Ich will aber auch noch mal daran erinnern, dass sich morgen zum zweiten Mal der Anschlag von Hanau jähren wird. Der Anschlag von Hanau war nicht nur geprägt von rassistischem und rechtsextremem Denken. Die Motivation des Attentäters waren eben auch Verschwörungsmythen. Das war nicht nur in Hanau so, das war zuvor in Halle so, das war in München so, das war in Christchurch so,

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

das war bei dem Anschlag in Oslo und Utøya so.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Bei diesen Attentätern haben Verschwörungsmythen eine ganz maßgebliche Rolle gespielt.

(Helmut Seifen [AfD]: Das waren einfach Mörder!)

– Das waren nicht nur einfach Mörder, sondern das waren politische Anschläge,

(Beifall von den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Quatsch!)

die ganz bewusst begangen wurden gegen Personengruppen, die einen Migrationshintergrund haben. Wir wissen, dass der Rassismus eine große Rolle spielte, aber auch Verschwörungsmythen

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

bei den Attentätern eine Rolle spielten. Ich finde, das kann man gerade nicht negieren. Dass Sie das tun, spricht auch wiederum Bände.

Deshalb muss doch klar sein auch mit dem Blick auf morgen,

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

dass die von Rassismus, von Rechtsextremismus und von Verschwörungsmythen ausgehende Gefahr weiterhin sehr groß ist.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Gerade in dieser Zeit braucht es die klare Haltung von allen Demokratinnen und Demokraten gegen Hass und Gewalt. Ich bin froh, dass die Mehrheit in diesem Parlament demokratisch ist und genau diese Haltung auch einnimmt.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Rede zur Unterrichtung der Landesregierung mit dem Titel „Vorausschauend und verantwortungsbewusst Öffnungsperspektiven für Nordrhein-Westfalen schaffen“

„Sie verkünden den Tag der Freiheit, während in Kitas und in Schulen immer noch das Virus tobt“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben in dieser Pandemie immer wieder schmerzhaft erleben müssen, dass das Coronavirus seinen eigenen Regeln folgt.

Das Virus interessiert sich nicht für Machtworte von CDU-Ministerpräsidenten, und es interessiert sich auch nicht dafür, dass die FDP die Pandemie regelmäßig für beendet erklärt.

Das Virus hält sich nicht an Daten, und deshalb ist die Beschlussvorlage für die Ministerpräsidentenkonferenz auch nicht sonderlich klug. Stufenpläne sind im Grundsatz gut – aber doch nach messbaren Kriterien und nicht nach dem Datum, das der FDP in den Wahlkampfkalender passt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Grundregeln des Virus sollten wir inzwischen eigentlich alle beherrschen: Es breitet sich dort aus, wo viele Menschen zusammenkommen, wo keine Maske getragen wird und wo schlecht gelüftet wird, und die Verbreitung des Coronavirus erfolgt exponentiell.

Deshalb war es vor einem Jahr keine gute Idee, in den Beginn der dritten Welle hinein zu öffnen. Deshalb wäre es auch jetzt keine gute Idee, auf Druck der FDP zu schnell zu viele Vorsichtsmaßnahmen zu kippen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Beim Versammlungsgesetz oder auch beim Polizeigesetz hinterfragte weit und breit niemand in der NRW-FDP, ob die Grundrechtseingriffe überhaupt noch verhältnismäßig sind. Wenn Vorsitzender Stamp nun …

(Marc Lürbke [FDP]: Das ist aber ein Scherz! Das habe ich anders in Erinnerung!)

– Da habe ich offenbar jemanden getroffen, Herr Lürbke.

(Marc Lürbke [FDP]: Nein! Das ist einfach Quatsch! – Glocke)

Wenn Vorsitzender Joachim Stamp nun Schutzmaßnahmen für die gesundheitlich Schwächsten in unserer Gesellschaft als Freiheitsverbote deklariert, dann ist das gefährlicher Populismus.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das zeigt, dass sich die FDP von gesellschaftlicher Solidarität entfernt hat. Es ist so offensichtlich, welche Wählergruppen die FDP mit dieser Kampagne ansprechen will. Solch ein Populismus ist ein offenes Spiel mit dem Feuer. Mich macht das wirklich fassungslos, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

(Beifall von den GRÜNEN – Marcel Hafke [FDP]: Jetzt machen eher Sie mich fassungslos! – Ralf Witzel [FDP]: Peinlich!)

Die vielbeschworene Ehe zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen steckt inzwischen in einer tiefen Krise. Man hat das bei den Reden von Herrn Löttgen und Herrn Wüst gerade wieder gesehen, und man hat gesehen, wer eigentlich wo klatscht. Darüber können auch Ihre Liebesschwüre nicht hinwegtäuschen.

Verlässlich scheint weder die Beziehung zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen noch die Beziehung innerhalb der CDU-Familie. Inzwischen interessiert es weder die FDP noch die anderen CDU-Ministerpräsidenten, was die MPK unter dem Vorsitz von Hendrik Wüst als gemeinsame Maßnahmen beschlossen hat. Herr Löttgen, es war bezeichnend, dass Sie gerade noch mal dazu aufgefordert haben, dass die MPK-Maßnahmen und -Beschlüsse dann auch tatsächlich einheitlich umgesetzt werden.

Die Weigerung von Markus Söder zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ist aus meiner Sicht ein weiterer Tiefpunkt einer wahltaktisch geführten Diskussion. Die Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht wurde mit den Stimmen der CDU-Bundestagfraktion beschlossen und auch einstimmig im Bundesrat getroffen.

Aber viel schlimmer ist ja noch, wenn ein Ministerpräsident ernsthaft meint und dies auch angekündigt, sich über geltendes Recht hinwegsetzen zu können. Er stellt damit rechtsstaatliche Grundprinzipien und auch das föderale System infrage.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Herr Wüst, da erwarte ich von Ihnen schon, dass Sie in Ihrer Funktion als Vorsitzender der MPK klare Worte finden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bislang sind Sie dieser Führungsfunktion nicht gerecht geworden und konnten die MPK eben nicht beisammenhalten. Das zeigen insbesondere das problematische Rechtsstaatsverständnis und das Gebaren von Markus Söder, dem Sie als MPK-Vorsitzender nichts entgegengesetzt haben.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Sorgen Sie also dafür, dass sich die CDU-Ministerpräsidenten an Recht und Gesetz halten. Sorgen Sie für Klarheit in der CDU zur Impfpflicht. Wir brauchen dringend eine Erhöhung der Impfquote, um gut durch den nächsten Herbst und Winter zu kommen. Wenn die Impfpflicht nicht kommt, werden wir im Herbst – das ist absehbar, liebe Kolleginnen und Kollegen – der Lage wieder hinterherlaufen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Wüst, ich lese meinen Kindern gerne abends noch etwas vor, und ich muss sagen: Sie erinnern mich an den Scheinriesen von Michael Ende. Herr Wüst, Sie sind so ein politischer Scheinriese.

(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

In Berlin wirken Sie immer riesengroß bei den Pressekonferenzen nach der Ministerpräsidentenkonferenz, aber hier, in Düsseldorf, werden Sie mit jedem Tag im Amt als Ministerpräsident kleiner und kleiner.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Wunsch nach Lockerungen, nach mehr Normalität ist ja absolut nachvollziehbar. Für Lockerungen wäre auch aus meiner Sicht ein konkreter Stufenplan mit verlässlichen Kriterien genau der richtige Weg – und eben nicht der Terminkalender der FDP.

Die Inzidenzwerte, die wir uns aktuell tagtäglich anschauen, sind schon lange nicht mehr aussagekräftig. Deshalb ist hier auch Vorsicht geboten. Wir brauchen die tagesaktuellen Daten der Hospitalisierungsrate, der Intensivneuaufnahmen und der Intensivbelegung. Das sagt auch der Expertenrat in seiner Stellungnahme sehr deutlich.

Herr Ministerpräsident Wüst, es ist Ihre Verantwortung, für Orientierung, eine klare Kommunikation und Verlässlichkeit im politischen Handeln zu sorgen, damit es eben nicht das Hin und Her gibt, das Sie vorhin selbst angesprochen haben. Die Politik ist in der Verantwortung, eine verlässliche Perspektive auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu schaffen, anstatt sich einmal mehr in Kraftmeierei und Ankündigungsrhetorik selbst zu überbieten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Politik würde auch bedeuten, endlich die FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen einzuführen.

(Helmut Seifen [AfD]: Das kann doch nicht wahr sein!)

Dann kann man aus meiner Sicht auch auf die 2G-Regel im Einzelhandel verzichten. Aber auch hier herrscht mal wieder das größtmögliche Chaos in Nordrhein-Westfalen: keine FFP2-Maskenpflicht, dafür aber stichprobenartige 2G-Kontrollen im Einzelhandel. Das ist derart unlogisch und auch infektionstechnisch unwirksam, dass Sie damit das Vertrauen der Menschen in den Staat und in die Pandemiebekämpfung verspielen, das wir aber so dringend brauchen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die FDP will gleich alle Maßnahmen abschaffen und auch § 28a des IfSG ab dem 20. März nicht mehr weiterführen.

(Zurufe von der AfD)

Sie verkünden den Tag der Freiheit, während in Kitas und in Schulen immer noch das Virus tobt.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Tobt! – Helmut Seifen [AfD]: Lächerlich! – Weitere Zurufe – Glocke)

Es gibt kaum eine Familie – ich zumindest kenne in meinem Umfeld keine Familie –, in der es nicht schon positive Fälle, Quarantäne oder zumindest einen positiven PCR-Pool in der Kita oder in der Klasse gegeben hätte.

(Zurufe von der FDP)

Nachdem Frau Gebauer vorletzte Woche das Testregime in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geändert hat, ist die Teststrategie der Landesregierung in den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen ebenfalls nur noch ein einziges Chaos.

Wir haben es so oft angemahnt und alle gemeinsam so oft beteuert, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche endlich wieder in den Fokus zu nehmen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Unsägliche Rede!)

Wenn wir über Lockerungen sprechen …

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

– Ja, Herr Hafke, ich hoffe, wir sind einer Meinung, dass wir Kinder und Jugendliche in den Fokus nehmen müssen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Ja, aber keine Panikmache! Sie machen nur Panik!)

– Herr Brockes, vielleicht hören Sie erst mal zu.

(Zurufe von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Vielleicht spricht gleich ja auch Herr Brockes!)

– Es scheint, die FDP ist sehr getroffen. Man merkt es. Vielleicht führen Sie mal ein paar interne Klärungen herbei. Dann sprechen Sie vielleicht auch noch einmal über Ihre unsägliche FDP-Wahlkampagne, aber vielleicht nicht jetzt.

(Ralf Witzel [FDP]: Dummes Zeug! – Zurufe von der FDP – Unruhe – Glocke)

Ich bin sehr auf die Rede von Herrn Rasche gleich gespannt. Ich freue mich. Sie werden gleich noch das Wort haben.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie verbreiten doch Populismus und Angst! – Fortgesetzt Zurufe von der FDP)

Aber ich hoffe, dass wir dabei bleiben, dass …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schäffer, einen kleinen Moment.

Verena Schäffer (GRÜNE): … wir einen politischen Konsens darüber haben,

(Ralf Witzel [FDP]: So ein Blödsinn!)

dass es in dieser Pandemie natürlich immer auch um die Kinder und Jugendlichen geht.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Wenn wir darüber sprechen, welche Lockerungen möglich sind, müssen wir auch darüber sprechen, was das ganz konkret für Kinder und Jugendliche heißt.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich sagen Ihnen sehr ruhig und auch durchaus nachdenklich: Ich persönlich finde es schwierig, wenn Erwachsene in Clubs und Diskos feiern – womöglich ohne Maske; ich weiß nicht, was genau geplant ist –,

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP]: Sie wissen eben gar nichts! Das ist Ihr Problem)

wir gleichzeitig aber überdurchschnittlich hohe Inzidenzen in den Kitas und Schulen haben und das Infektionsgeschehen immer wieder zu Quarantänen und Schließungen führt.

Das ist erst mal Fakt. Ich finde, das muss man wenigstens anerkennen, in Betracht ziehen und abwägen. Herr Hafke, dass Sie als kinder- und jugendpolitischer Sprecher dabei den Kopf schütteln,

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

finde ich mehr als irritierend, um das auch einmal so klar zu sagen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD –Marcel Hafke [FDP]: Unsäglich!)

Impfen ist der Weg aus der Pandemie. Eine hohe Impfquote ist der entscheidende Faktor, wenn es um den Schutz vulnerabler Gruppen und auch um den Schutz der kritischen Infrastruktur geht. Aber die Impfkampagne Nordrhein-Westfalen wird immer mehr zum Rohrkrepierer und kann offenbar auch nicht mehr aufbieten als einen singenden Familienminister.

(Zurufe von der FDP – Unruhe – Glocke)

Die Anzahl der Erst- und Zweitimpfungen stagniert seit Wochen nahezu. Auch hier reicht der Verweis auf den Bund einfach nicht aus. Für das Impfen sind die Länder zuständig.

Absolut notwendig wären Aufklärungskampagnen, die ohne erhobenen Zeigefinger über die Vorteile der Impfung informieren, genauso wie bessere Daten für die Kommunen, in welchen Stadtteilen die Impfquote niedrig ist und wo aufsuchende Impfangebote helfen würden. Das wäre total hilfreich. Aber nichts davon liefert die Landesregierung.

Sie hoffen mal wieder auf den nächsten Sommer und wiederholen immer und immer wieder alte Fehler. Das ist einfach falsch. Ich glaube, die Menschen erwarten zu Recht von uns, dass wir nicht nur darauf gucken was bis zum 19. März passiert.

Ich habe vorhin das IfSG angesprochen, das dann ausläuft. Ich bin gespannt, was in Berlin verhandelt wird. Dass es komplett ausläuft, wäre aus meiner Sicht verantwortungslos. Wir brauchen weiterhin Maßnahmen wie zum Beispiel Abstandsgebote und die Maskenpflicht. Das muss aus meiner Sicht kommen und in Berlin auch weitergeführt werden.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Ralf Nolten [CDU])

Die Menschen erwarten aber eben auch, dass wir eine vorsorgende Politik betreiben und nicht nur schauen, was bis zum 20. März, sondern auch danach, mit Blick auf den nächsten Herbst und Winter passiert. Genau diese vorausschauende Politik brauchen wir jetzt. Das erwarten die Menschen zu Recht von der Politik. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Rede zur Großen Anfrage der „AfD“-Fraktion zu Antisemitismus

„Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es, ehrlich gesagt, eine Zumutung, sich am heutigen Holocaust-Gedenktag mit einer Großen Anfrage der AfD zum Thema „Antisemitismus“ auseinandersetzen zu müssen. Denn – das wurde von dem Kollegen Deutsch schon gesagt; dem stimme ich zu – die AfD instrumentalisiert das Thema „Antisemitismus“. Das ist heute, aber auch an jedem anderen Tag im Jahr unerträglich.

Der Kampf gegen Antisemitismus ist wichtig. Es ist richtig, dass wir als Demokratinnen und Demokraten um die besten Ideen streiten und um Lösungen ringen. Deshalb war es auch richtig, dass wir im Innenausschuss eine kontroverse Debatte über die Maßnahmen geführt haben, wie wir Antisemitismus bekämpfen. So kontrovers war die Debatte gar nicht. Aber es ist richtig, darüber zu diskutieren.

Man muss auch nicht immer einer Meinung sein. Denn wir sind uns als Demokratinnen und Demokraten ja im Ziel sehr einig. Das ist das Wichtige und das, was uns eint. Wir wollen Antisemitismus bekämpfen. Wir wollen, dass Jüdinnen und Juden sicher und ohne Diskriminierung in Deutschland und weltweit leben können.

In der Vorbemerkung zur Großen Anfrage unterstellt die AfD allen demokratischen Parteien und Fraktionen, wir würden Antisemitismus leugnen, wenn er nicht von rechts kommt. Ich halte das angesichts der vielen Debatten, die wir hier insbesondere zum israelbezogenen Antisemitismus geführt haben und führen, für eine ziemlich unverschämte Unterstellung der AfD.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Dr. Ralf Nolten [CDU])

Ich finde auch, dass sich keine demokratische Partei hier im Landtag vor der AfD erklären muss –

(Helmut Seifen [AfD]: Doch!)

ganz im Gegenteil. Denn für die AfD scheint das Thema „Antisemitismus“ immer dann interessant zu sein, wenn der Vorwurf irgendwie gegen die demokratischen Parteien, gegen Menschen mit Migrationshintergrund und gegen andere gedreht werden kann. Das ist so durchschaubar, so billig und auch so unverantwortlich, weil mit dem Thema „Antisemitismus“ Hetze gegen andere Minderheiten betrieben wird.

Auch ohne die Große Anfrage der AfD – wir hätten sie dafür ganz bestimmt nicht gebraucht – will ich eines ganz klar feststellen: Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Er kommt in allen gesellschaftlichen Milieus vor – in linken Gruppen, in migrantischen Communities, in bürgerlichen Milieus. Im Rechtsextremismus und im Islamismus ist der Antisemitismus als ideologischer Kern fest verankert. Antisemitismus ist immer wieder ein Motiv für rechtsextreme und islamistische Gewalt, wie wir das in den letzten Jahren leider auch mehrfach erleben mussten.

Ich will auch kurz auf die PMK-Statistik eingehen. Denn wir alle wissen, dass die Statistik der politisch motivierten Kriminalität nur einen Teil des Antisemitismus abbilden kann. Zum einen wissen wir, dass es ein Dunkelfeld von Straftaten gibt, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Anzeige gebracht werden. Zum anderen wissen wir, dass es Antisemitismus in einem Alter gibt, das unter der Strafbarkeitsgrenze liegt, was es aber nicht besser oder harmloser macht.

Deshalb ist es gut, dass die Meldestelle RIAS in NRW jetzt an den Start gegangen ist, dass Fälle dokumentiert werden und dass Betroffene Fälle dort melden können.

Ich finde, dass wir darüber reden müssen, ob wir diese Meldestelle nicht noch ausbauen können, zum Beispiel auf den Bereich des Monitorings. Das ist von den Beratungsstellen SABRA und ADIRA, die bei den jüdischen Gemeinden angesiedelt sind, auch so gewünscht und gefordert worden, wie sie in ihren schriftlichen Stellungnahmen ja deutlich gemacht haben.

Aus meiner Sicht brauchen wir auch eine Dunkelfeldstudie. Wir haben das als Grüne hier viele Jahre vortragen und eingefordert. Ich bin froh, dass das inzwischen beschlossen ist und das Innenministerium auch schon mit der Sichtung von bereits vorliegenden Studien begonnen ist. Eine Dunkelfeldstudie ist deshalb so wichtig, weil sie uns ein genaueres Bild verschaffen würde, sodass wir darauf aufbauend Projekte weiterentwickeln können, Informationsangebote, die wir auch schon haben, anpassen können und weitere Maßnahmen ergreifen können.

Eines ist jetzt schon klar – auch das haben wir bereits mehrfach in den verschiedenen Ausschüssen angesprochen und diskutiert –: Wir brauchen mehr Aufklärung, Prävention und Beratung zum Thema der Verschwörungsmythen. Wir wissen, dass Verschwörungsmythen immer wieder antisemitische und rassistische Narrative bedienen. Wir wissen, dass wir uns noch viele Jahre mit dem Thema der Verschwörungsmythen beschäftigen werden müssen. Es gab sie schon vor der Pandemie. Auch nach der Pandemie wird es sie noch geben und wahrscheinlich verstärkt geben. Momentan erleben wir ja, dass sie verbreitet werden. Sie sind aus meiner Sicht hochgefährlich. Wir werden uns damit stärker auseinandersetzen müssen.

Wie ich vorhin schon gesagt habe, ist der 27. Januar nicht nur ein Tag von Erinnerung und Mahnung – das ist wichtig –, sondern auch ein Auftrag, zu handeln und immer konsequent gegen Antisemitismus vorzugehen. Aber eine Große Anfrage der AfD brauchen wir dafür sicherlich nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Rede zum Antrag der „AfD“-Fraktion zu Extremwettergefahren

„Wir brauchen ein eigenes Landesamt für Katastrophenschutz“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hochwasserkatastrophe vor einem halben Jahr – so lange ist es schon her, auch wenn wir alle wissen, dass die Schäden und Folgen weiterhin massiv sind – hat offengelegt, was wir zum Teil schon seit Beginn der Coronapandemie wissen, nämlich dass es einen Reformbedarf beim Katastrophenschutz gibt.

Um es direkt vorwegzusagen und um nicht falsch verstanden zu werden: Wir haben einen guten und leistungsfähigen Katastrophenschutz mit vielen engagierten haupt- und ehrenamtlichen Kräften, denen wir für ihr Engagement sehr dankbar sind. Trotzdem sagen wir: Der Katastrophenschutz muss weiterentwickelt werden, um ihn noch besser zu machen.

Ich freue mich, dass CDU und FDP diesen Reformbedarf ebenfalls erkannt haben, auch wenn ich mich ein bisschen über das Verfahren wundere oder zumindest eine kleine Kritik anbringen muss. Denn wir Grüne haben schon im Mai 2020 einen Antrag mit vielen Punkten vorgelegt, in dem wir gesagt haben: Dies müssen wir als Lehre aus der Coronapandemie ziehen, und wir müssen den Katastrophenschutz verbessern.

Sie haben im Ausschuss erklärt, erst später über den Antrag beraten zu wollen, weil Sie die Analyse und Untersuchung von Herrn Broemme abwarten wollten. Sie wollten auch das Kompetenzteam Katastrophenschutz abwarten.

Das haben Sie jetzt nicht gemacht, sondern einen eigenen Antrag vorgelegt, obwohl die Empfehlungen noch nicht da sind. Das finde ich vom Verfahren her nicht so schön, aber es steht Ihnen natürlich frei, und es ist völlig legitim, einen Antrag vorzulegen. Ich setze mich sehr gerne damit auseinander.

Ich will explizit sagen, dass ich es begrüße, dass sich CDU und FDP in manchen Positionen weiterentwickelt haben – ich erkenne das ausdrücklich an –, beispielsweise bei der Frage: Brauchen wir im Katastrophenfall, bei der Bewältigung von großen Schadens- und Katastrophenlagen mehr Kompetenzen auf Landesebene? – Das unterstütze ich ausdrücklich, das sehe ich genauso.

Wir können die unteren Katastrophenschutzbehörden, die Kreise und kreisfreien Städte, in bestimmten Situationen nicht alleinlassen, gerade wenn mehrere Kreise von einer Lage betroffen sind, bestimmte Entscheidungen anstehen und getroffen werden müssen.

Ich begrüße es auch, dass Sie in Ihrem Antrag explizit dem BBK, dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, eine weitere Rolle geben und es stärken wollen. Dazu haben wir in der Vergangenheit auch andere Stimmen gehört, die nicht so weit gegangen sind. Es freut mich, dass wir einen Konsens darüber haben, dass wir eine Stärkung des BBK brauchen.

Wie so oft aber ist es interessant zu sehen, was nicht in dem Antrag steht, was es nicht in den Antrag geschafft hat. Es steht mir als Vertreterin der Opposition vielleicht frei, dies konkret anzusprechen.

Sie sagen zu Recht: Wir brauchen mehr Kompetenzen auf Landesebene. Dann müssen Sie aber auch die Frage beantworten: Wer macht das im Katastrophenfall?

Unsere Überlegung als Grüne lautet: Wir brauchen ein eigenes Landesamt für Katastrophenschutz. Über die Ausgestaltung muss man reden – das habe ich mehrfach gesagt –, aber in diese Richtung muss es eigentlich gehen.

Zum Stichwort „Katastrophenvorsorge“ sagen Sie zu Recht: Die kreisfreien Städte und die Kreise, also die unteren Katastrophenschutzbehörden, müssen mehr Vorsorge betreiben. – Da bin ich bei Ihnen. Sie, Herr Pfeil, haben gerade die Katastrophenschutzbedarfspläne angesprochen. Diese steht leider nicht im Antrag. Das hätte ich mir gewünscht. Ich finde, da müssen wir konkreter werden.

Zum Krisenstab: Aus Ihrer Perspektive verstehe ich es ein bisschen, dass Sie ihn in dem Antrag nicht benennen. Auch hierbei müssen wir aber gesetzlich weitergehen und konkretisieren, welche Aufgaben der Krisenstab der Landesregierung hat, wann er eingesetzt wird und welchen Zweck er hat. Das müssen wir regeln bzw. konkretisieren.

Beim Thema „Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung stärken“ bin ich auch sehr bei Ihnen. Man macht sich aber etwas vor, wenn man nur sagt: Wir müssen sie stärken. – Dann müssen wir nämlich auch sagen, wer das macht. Momentan sind nach dem BHKG die Gemeinden zuständig. Wir wissen aber auch, dass in vielen Gemeinden bei dem Thema nicht sonderlich viel passiert. Das ist kein Vorwurf, man muss es so nüchtern analysieren. Ich sage gar nicht, dass dies eine Landeskompetenz werden muss, meine aber, das Land sollte die Gemeinden darin unterstützen, in dem Bereich besser zu werden und mehr zu machen.

Zum Stichwort „Spontanhelferinnen und Spontanhelfer“: Dieses Thema bewegt uns nicht erst seit dieser Katastrophe, sondern wir wissen aus vorherigen Katastrophen, dass viele Menschen sehr engagiert sind, sich einbringen, helfen wollen und an den Ort des Geschehens fahren.

Wir müssen uns aber die Fragen stellen und beantworten: Wie können wir diese freiwillige, spontane Hilfe zukünftig in die professionellen Strukturen einbinden? Wie können wir sie besser koordinieren, sodass zum Beispiel nicht alle nach Erftstadt-Blessem fahren, weil sie die Bilder im WDR gesehen haben, sondern auch nach Heimerzheim, was medial nicht so präsent ist, wo aber auch Hilfe benötigt wird?

Meine Idee wäre die Schaffung einer Plattform oder App, um diese Dinge besser zu koordinieren.

Bei der BHKG-Novellierung oder zumindest -Überarbeitung, die aus meiner Sicht in der nächsten Legislaturperiode ansteht, müssen wir auch darüber sprechen, ob man den Rettungsdienst im BHKG als medizinischen Teil der Gefahrenabwehr verankert.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Mein letzter Satz: Wir werden dem Antrag als Grüne zustimmen, obwohl ich ihn nicht mutig genug finde. Ich hätte mir an vielen Stellen gewünscht – das habe ich gerade ausgeführt –, dass Sie weitergehen. Das haben Sie leider nicht getan. Trotzdem ist das, was Sie sagen, nicht falsch. Deshalb stimmen wir zu.

Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass wir in der nächsten Legislatur noch mehr Baustellen haben als die, die Sie aufgezeigt haben, und dass wir sie angehen müssen.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Ich hoffe, dass wir dies parteiübergreifend schaffen, denn Katastrophenschutz und Feuerwehr sollten keine Themen sein, die parteipolitisch zerrieben werden. Es wäre schön, gemeinsam Antworten zu finden. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Rede zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus

„Dieser Tag muss Handlungsaufforderung sein, Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und menschenverachtender Hetze immer und überall zu widersprechen“

Der Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der heutige Tag erinnert uns an das unerlässliche Leid der Shoah. Wir haben heute Morgen die sehr bewegende Rede von Frau Dreifuss gehört, wie sie als Kind die Shoah gemeinsam mit ihrer Mutter überlebte.

Insbesondere die Erlebnisse, die Geschichten der jüdischen Kinder und Jugendlichen in der NS-Zeit machen unfassbar traurig, weil diesen Kindern die Kindheit gestohlen wurde, weil sie Repressionen, Verfolgung und Mord ausgesetzt waren.

Ich war vor Kurzem im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten. Mir ist besonders der Abschnitt zu den Kindertransporten in Erinnerung geblieben. Nach den gewalttätigen Übergriffen auf Jüdinnen und Juden, der Zerstörung von Synagogen, jüdischen Friedhöfen, Geschäften und Wohnungen in der Nacht vom 9. auf den 10. November wurden die ersten Kindertransporte organisiert.

Spätestens mit diesen Novemberpogromen wurde ganz deutlich, dass Jüdinnen und Juden nicht nur massiver Diskriminierung ausgesetzt sind, sondern dass es eine ganz reale Bedrohung für Leib und Leben gab. Die Kindertransporte konnten vielen jüdischen Kindern das Leben retten: Etwa 10.000 jüdische Kinder konnten in Großbritannien und etwa noch einmal so viele Kinder in anderen Ländern in Sicherheit gebracht werden.

Ich glaube, wir können nur erahnen, wie wechselvoll die Gefühle der Eltern gewesen sein müssen, ihre Kinder einerseits in Sicherheit bringen zu können, und das eigene Kind andererseits in eine ungewisse Zukunft zu geben. Wie traumatisch muss es für die Eltern gewesen sein, sich von ihrem Kind zu trennen – nicht wissend, ob man sich jemals wiedersehen würde?

Wie traumatisch muss es aber auch für die Kinder gewesen sein, von ihren Eltern weggeschickt zu werden, alleine in ein ihnen unbekanntes Land? Es war für diese Kinder die einzige Chance zu überleben. Viele dieser Kinder haben ihre Eltern, ihre Geschwister und ihre Freunde nie wiedergesehen.

Insgesamt sind etwa 1,5 Millionen jüdische Kinder vom NS-Terrorregime ermordet worden. Selbstverständlich ist jedes Menschenleben gleichwertig, völlig unabhängig vom Alter. Doch berührt uns das Schicksal der entrechteten, der gequälten, der ermordeten Kinder ganz besonders.

In Auschwitz-Birkenau waren die kranken und alten Menschen, vor allem auch schwangere Frauen, Kinder und ihre Mütter – diejenigen, die als nicht arbeitsfähig aussortiert und als erste ermordet wurden. Kein Ort steht so sehr für die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung sowie der Roma und Sinti.

In Auschwitz wurden über eine Million Menschen grausam ermordet. Hinter dieser riesigen Zahl stecken schier unvorstellbares Leid und die Schicksale so vieler Menschen und ihrer Angehörigen. Das machen insbesondere die Berichte der noch lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, also den Kindern, die dem Terror der NS-Zeit nur knapp entkommen sind, immer wieder deutlich; das haben wir auch heute Morgen alle so erlebt.

Heute, am 27. Januar, erinnern wir an die Befreiung von Auschwitz. Noch mehr erinnern wir an die Jüdinnen und Juden, an die Angehörigen der Minderheit der Roma und Sinti, an sowjetische Kriegsgefangene, an Homosexuelle, an behinderte Menschen und an alle Opfer, deren Leben von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde.

Dieser Tag ist für uns Erinnerung und Mahnung zugleich. Dieser Tag muss aber auch eine Handlungsaufforderung sein, Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und menschenverachtender Hetze immer und überall zu widersprechen.

Das gilt nicht nur für den 27. Januar, sondern an keinem Tag Jahr darf die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Identität oder anderer Merkmale unwidersprochen stehen bleiben. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung als Demokratinnen und Demokraten. – Vielen Dank dafür.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP, Dr. Martin Vincentz [AfD] und Klaus Kaiser, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaft)

Rede zum Antrag der SPD-Fraktion zur Hochwasserkatastrophe

„Die Menschen haben mir berichtet, dass sie nicht mehr schlafen können oder dass Regen für sie ganz furchtbar ist“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Hochwasser im Juli letzten Jahres hat weitreichende Folgen. Wie wir alle wissen, liegen die Schäden an Wohnhäusern von Privatleuten, an öffentlicher Infrastruktur und bei Unternehmen in Milliardenhöhe.

Aber noch viel schlimmer ist, dass in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz über 180 Menschen gestorben sind. Es ist furchtbar, dass Menschen ihre Angehörigen verloren haben, dass sie selbst um ihr Leben fürchten mussten oder dass sie mit angesehen haben, wie Menschen um Hilfe gerufen haben, ihnen aber niemand mehr helfen konnte, weil die Wassermassen einfach zu stark waren.

Ich habe bei meinen Besuchen in Altenahr, Hagen, Erftstadt und Euskirchen Menschen kennengelernt, die in dieser Hochwassernacht um ihr Leben gekämpft haben und stundenlang nicht wussten, ob sie die Nacht wirklich überleben würden.

Ich habe eine Frau aus dem Kreis Euskirchen kennengelernt, die doppelt betroffen war. Zum einen hat sie als Mutter von ihren zwei Töchtern tagelang keine Nachricht erhalten, wie es ihnen geht. Zum anderen war sie als Einsatzkraft einer Katastrophenschutzorganisation selbst über Tage im Einsatz und hat das Leid der Menschen mit angesehen.

Besonders traurig macht mich die Situation von Kindern, die alles verloren haben. Wir können uns als Erwachsene vielleicht gar nicht mehr richtig vorstellen, wie es ist, als Kind ein geliebtes Kuscheltier zu haben, das verloren geht und nie wieder da sein wird. Diese Kinder und Jugendlichen mussten miterleben, dass auch ihre Eltern in dieser Situation völlig hilflos und verzweifelt waren. Was macht das mit Kindern und Jugendlichen?

Aber was macht es auch mit Erwachsenen, in so einer Extremsituation zu sein? Die Menschen haben mir berichtet, dass sie nicht mehr schlafen können oder dass Regen für sie ganz furchtbar ist.

Wir wissen auch – das ist hier in den Reden bereits angeklungen und schon mehrfach gesagt worden –, dass ein solches Trauma auch später noch hochkommen kann und dass die Menschen – wahrscheinlich über einen sehr langen Zeitraum – Hilfe brauchen. Deshalb sind Angebote für die Menschen in den Gebieten, die vom Hochwasser betroffen sind, so wichtig – insbesondere niedrigschwellige Angebote, aber auch spezialisierte Angebote für Kinder und Jugendliche.

Ich möchte an dieser Stelle hinzufügen, dass auch Angebote für Einsatzkräfte wichtig sind: für Feuerwehren, für Hilfsorganisationen, für die Polizei, für all jene also, die im Einsatz waren, die solche Situationen erleben mussten, die sie auch erst mal verarbeiten müssen. Das Anliegen des Antrages teilen wir daher sehr.

Die Forderung an die Landesregierung, in einen koordinierten Prozess mit allen Akteuren zu gehen, um solche Angebote in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten zu schaffen, ist aus unserer Sicht richtig. Hier möchte ich allerdings ein Aber einfügen, da auch wir in unserer Fraktion einen Abwägungsprozess vorgenommen haben.

Wir haben sehr lange und sehr intensiv darüber diskutiert, wie wir bei diesem Antrag abstimmen wollen, ob wir zustimmen, ob wir uns enthalten. Ich mache dies deshalb so transparent, weil ich es wichtig finde, dass wir nicht einfach nur die Hand heben und sagen: Liebe Landesregierung, macht mal. – So einfach darf man es sich bei solchen Fragen nicht machen.

Wir haben uns gefragt: Was heißt „Traumazentrum“ – das klingt erst mal sehr gut – denn konkret? Was unterscheidet es zum Beispiel von den Traumaambulanzen, die bereits für die Opfer der Flutkatastrophe geöffnet wurden? Es ist richtigerweise darauf hingewiesen worden, dass es schon Angebote gibt.

Wir wissen auch, dass die psychotherapeutische Regelversorgung ein Problem ist und dass es hier Bedarfe gibt, die derzeit nicht gedeckt werden, nicht nur in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten. Es gibt in der Tat zu wenig Kassensitze für Psychotherapeutinnen und ‑therapeuten. Aber an wen richtet sich denn die Forderung, mehr davon zu schaffen? Das ist doch eine Forderung an die Krankenkassen, an die Kassenärztlichen Vereinigungen, die vor Jahren den Bedarf errechnet und bisher nicht angepasst haben.

Damit sich in dieser Frage etwas bewegt, plant die Bundesregierung, die Bedarfsplanung zu reformieren, damit die Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz reduziert werden können. Hier ist der Bundesgesundheitsminister in der Verantwortung, etwas vorzulegen.

Richtig ist, dass Rheinland-Pfalz ein neues Traumahilfezentrum im Ahrtal eingerichtet hat. Das kann vielleicht ein Vorbild für Nordrhein-Westfalen sein.

Richtig ist ebenfalls, dass man sich auf den Weg machen und Gespräche führen muss. Wenn man sich nämlich nicht auf den Weg macht, kommt man nicht an.

Daher will ich es noch einmal betonen: Wir haben lange abgewogen. Wir werden dem Antrag jetzt zustimmen. Ich will nur davor warnen, vorschnelle Versprechungen abzugeben, die die Politik nachher nicht einhalten, nicht einlösen kann. Das dürfen wir nicht machen. Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen, und zwar alle miteinander hier im Parlament.

Wir werden dem Antrag jetzt zustimmen, aber, wie gesagt, meine Bedenken und unsere offenen Fragen bleiben trotzdem bestehen. Es war uns wichtig, diese heute noch einmal zu artikulieren.

Ich glaube, in dem Ziel, nämlich dass die Menschen vor Ort Hilfe bekommen und unterstützt werden, sind wir uns sehr einig. Es ist sehr wichtig, das noch einmal herauszustellen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Ralf Nolten [CDU])

Rede zum Entwurf der Landesregierung zum Haushalt 2022 – dritte Lesung

„Wir müssen nachhaltige Investitionen fördern – das ist die Strategie heraus aus den Krisen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Legislaturperiode – ich glaube, heute ist auch ein guter Tag, auf die letzte Legislaturperiode zurückzublicken – war von Krisen geprägt, von der Klimakrise und von der Coronapandemie. In den vergangenen Jahren hat sich eines ganz deutlich gezeigt: Das Krisenmanagement dieser Landesregierung war und ist leider erbärmlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das Krisenmanagement in der Coronapandemie ist nach wie vor geprägt von einem Schlingerkurs und von Kommunikationschaos. Der Erlass von diesem Montag zeigt das überdeutlich. Die Ankündigung, dass sich jeder vier Wochen nach der Zweitimpfung boostern lassen kann, ist nicht nur medizinisch unsinnig, sondern sie führt auch zu vielen Fragen, zu Unsicherheiten und Unklarheiten bei den Menschen, die sich gerne impfen lassen wollen.

So ein Kommunikationschaos ist aus meiner Sicht absolut verheerend in einer Pandemie. Man fragt sich wirklich, wie so etwas mehr als 20 Monate nach Beginn der Pandemie noch passieren kann –

(Beifall von den GRÜNEN)

20 Monate, in denen wir erlebt haben, dass sich die FDP allzu oft mit ihrem Realitätsverlust als gefährlicher Bremsklotz für wirksame Schutzmaßnahmen erwiesen hat.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wenn man noch einmal an den Beginn dieses Jahres zurückerinnert, dann muss man klar feststellen: Das Hin und Her zu Beginn des Jahres verdanken wir der FDP, als in die dritte Welle hinein geöffnet wurde, um nur wenige Wochen danach alles wieder dichtmachen zu müssen.

Ministerpräsident Armin Laschet hat es allzu oft nicht geschafft, sich gegen den kleineren Koalitionspartner durchzusetzen. Er konnte es nicht, vielleicht wollte er es auch nicht. Von seiner verantwortungsvollen Normalität, die er ja mehrfach angekündigt hat, sind wir nach wie vor meilenweit entfernt.

Sie, Herr Wüst, stellen sich auf Bundesebene als Mitglied des Teams Vorsicht dar. In Nordrhein-Westfalen nutzen Sie aber Ihre Spielräume nicht. Das ist absurd, das ist widersprüchlich, und das wird Ihrer Verantwortung als Ministerpräsident nicht gerecht.

(Beifall von den GRÜNEN und Sven Wolf [SPD])

Im Coronarettungsschirm bildet sich das chaotische Krisenmanagement quasi spiegelbildlich ab. Ja, natürlich muss es einen Rettungsschirm geben; natürlich müssen vor allem zu Beginn der Pandemie flexibel und schnell Gelder, unter anderem für die Krankenhäuser, zur Verfügung gestellt werden – völlig einverstanden. Der Rettungsschirm hat sich aber immer mehr zu einem Selbstbedienungsladen der Ministerien entwickelt. Wenn Herr Löttgen jetzt noch hier wäre, müsste er zugeben, dass das das Gegenteil von seriöser Haushaltspolitik ist.

(Beifall von den GRÜNEN, Hannelore Kraft [SPD] und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Herr Reul, ich erinnere mich gut an eine Innenausschusssitzung – ich meine, wir diskutierten über die Software Palantir –, in der Sie auf den Punkt gebracht und zugegeben haben, dass sich eigentlich alle Ministerien aus diesem Rettungsschirm bedienen würden. Was für ein Offenbarungseid, dass Sie uns bis heute nicht schlüssig erklären können, was der Backup-Server oder die neuen Handys für unsere Polizeibeamtinnen und -beamten mit Corona zu tun haben. 50 Millionen Euro für IT in der Polizei: Das freut mich als Innenpolitikerin persönlich sehr für alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Man muss aber ganz klar sagen: Das ist ein Mitnahmeeffekt, und für solche Mitnahmeeffekte war der Rettungsschirm definitiv nicht gedacht.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Man muss auch klar sagen: An anderer Stelle hingegen zeigte sich die Regierung geiziger. Solo-Selbstständige, die coronabedingt tatsächlich vor dem Ruin standen, bekamen, anders als beispielsweise in Baden-Württemberg, kein wirksames Landesprogramm. Bis heute gibt es auch kein schlüssiges, nachhaltiges Landesinvestitionsprogramm als Konjunkturimpuls, wie es andere Länder mit ihren Coronahilfen umgesetzt haben. Bis heute bekommen die Kommunen ihre Mindereinnahmen durch den Steuerverbund nur kreditiert und werden so weiter in die Schuldenspirale gedrängt. Die Bewirtschaftung dieses Coronarettungsschirms steht absolut sinnbildlich für die Planlosigkeit der Regierung in der Coronakrise.

Wir als grüne Fraktion haben dem im Haushaltsverfahren ein Investitionspaket entgegengestellt. Wir werden es heute noch einmal zur Abstimmung stellen, weil wir ganz klar sagen: Wir müssen jetzt Konjunkturimpulse setzen. Wir müssen nachhaltige Investitionen fördern. Das ist die Strategie heraus aus den Krisen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gerade in dieser Zeit wäre es so wichtig, als Staat in die Zukunft zu investieren. Sie nutzen Ihre finanziellen Spielräume aber nicht, um genau das jetzt zu machen. Dabei hatte Armin Laschet damals im Wahlkampf große Versprechungen gemacht: Ein Drittel der Steuermehreinnahmen sollte für Investitionen genutzt werden. Von diesem vollmundigen Versprechen ist allerdings nicht viel übrig geblieben. Im kommenden Jahr – um jetzt noch einmal einen Blick auf die Zahlen zu werfen – wird Nordrhein-Westfalen laut aktueller Steuerschätzung trotz der Auswirkungen der Coronakrise 15 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen haben, als im letzten rot-grünen Haushalt 2017 vorgesehen waren – 15 Milliarden Euro. Laut des Versprechens von Armin Laschet – ein Drittel der Steuermehreinnahmen für Investitionen – müsste die jetzige Landesregierung 5 Milliarden Euro mehr für Investitionen ausgeben als die damalige im Jahr 2017. Aber was machen Sie? – Sie planen nicht einmal 3 Milliarden Euro mehr für Investitionen ein. Das ist einfach viel zu wenig.

(Beifall von den GRÜNEN und Heike Gebhard [SPD])

Die Investitionsquote soll 2022 von 10,4 auf gerade einmal 11 % steigen, um dann, wenn das Wahljahr vorbei ist, in der Finanzplanung wieder unter das Niveau von 2021 zu sinken.

Man muss eines ganz klar sagen: Die negativen Auswirkungen dieser fehlgeleiteten Politik auf Wirtschaft und Gesellschaft sind immens. Wir haben jetzt schon einen riesigen Investitionsstau. Der DGB hat es ausrechnen lassen: Der Investitionsstau bei Land und Kommunen liegt bei rund 27 Milliarden Euro. Wir als Opposition könnten jetzt hingehen und sagen: Ja, da hat Herr Laschet ein Versprechen gegeben. Versprochen gebrochen; wir setzen jetzt einen Haken dahinter.

Aber so einfach ist es nicht, denn das schwarz-gelbe Versäumnis, jetzt nicht zu investieren, lastet schwer auf den zukünftigen Generationen. Das sind Investitionen in Radwege und in die Sanierung von Straßen, in Hochschulen, in Studierendenwohnheime, in Klimaschutz und in Klimafolgenanpassung. Wenn diese Investitionen jetzt nicht getätigt werden, sind das angesichts sprudelnder Steuermehreinnahmen verpasste Chancen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn der Putz in den Hörsälen unseres Landes von den Decken rieselt und die Schulen tief in der Kreidezeit stecken, dann hat das ziemlich wenig mit vorausschauender und generationengerechter Haushaltspolitik zu tun. Ihnen geht es ja noch nicht einmal mehr um die Erhaltung des Status quo.

(Zuruf von Claudia Schlottmann [CDU])

Sie leben von der Substanz und gefährden damit den Wohlstand unseres Landes.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine zentrale Aufgabe müssen die Investitionen in mehr Klimaschutz sein. Im Sommer dieses Jahres haben wir direkt vor unserer Haustür erleben müssen, dass Sie die falsche Frage stellen. Sie darf nicht lauten: Wie teuer ist der Klimaschutz? Nein, die Frage heißt doch: Wie teuer ist kein Klimaschutz?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Im Sommer dieses Jahres haben wir die Auswirkungen der Klimakrise direkt vor unserer Haustür erleben müssen. Keinen Klimaschutz können wir uns nicht leisten – das ist die schreckliche Erkenntnis aus der Hochwasserkatastrophe.

Ich bin drei Tage nach dem Hochwasser nach Hagen gefahren. Da waren die Straßen noch graubraun vom Schlamm des Hochwassers. Am Straßenrand türmten sich die Sperrmüllberge, und es sind nicht nur Tische und Stühle und zum Teil die gesamten Inneneinrichtungen mancher Wohnungen, sondern auch private Erinnerungsstücke, Fotos, Kuscheltiere dem Hochwasser zum Opfer gefallen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass ich einen Blick in das Haus des Kinderschutzbundes in Hagen geworfen habe, in dem, kurz vor Schulanfang, unzählige Tornister in Schlamm schwammen. Am schlimmsten aber ist es, dass im Jahr 2021 so viele Menschen bei einem Hochwasser sterben mussten. Warum die Landesbehörden die Unwetterwarnungen nicht bewertet haben,

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

warum die Kommunen damit alleine gelassen wurden, das wird der Parlamentarische Untersuchungsausschuss klären. Ich bin der Auffassung, dass wir eine Verantwortung gegenüber den Menschen dafür haben, dass diese Fragen jetzt parlamentarisch aufgearbeitet werden.

Neben den vielen offenen Fragen steht für die betroffenen Menschen natürlich der Wiederaufbau an erster Stelle. Auch vier Monate nach dem Hochwasser sind die Schäden an den Privathäusern, an der öffentlichen Infrastruktur und bei den Unternehmen immens. Die Bilanz von Ministerin Scharrenbach von Mitte November zeigt, dass der Wiederaufbau schleppend läuft – zu schleppend. Menschen, die alles verloren haben, brauchen jetzt Antworten darauf, wie es mit ihren zerstörten Häusern, mit ihren zerstörten Unternehmen weitergeht. Das lange Warten auf die Bearbeitung der Anträge zur Wiederaufbauhilfe ist für viele einfach unerträglich.

Ja, es ist gut, dass die Landesregierung in den Ministerien und bei den Bezirksregierungen neue Stellen zur Bearbeitung der Anträge eingerichtet hat. Man fragt sich allerdings, warum sie erst drei Monate nach dem Hochwasser darauf gekommen ist. Erst drei Monate später kommen Sie auf die Idee, neue Stellen einzurichten. Aus meiner Sicht ist das viel zu spät. Sie haben den Menschen ein Versprechen gegeben. Sie haben gesagt, dass die betroffenen Privatleute, die Kommunen, die Unternehmen schnelle und unbürokratische Hilfen bekommen würden. Dieses Versprechen muss jetzt auch eingelöst werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden in Zukunft häufiger solche Extremwetterereignisse erleben. Deshalb wird es eine der großen Aufgaben der nächsten Legislaturperiode sein, den Katastrophenschutz noch besser aufzustellen. Wir brauchen Vorsorge vor Ort mit Katastrophenschutzbedarfsplänen. Wir brauchen klare Zuständigkeiten und Landeskompetenzen im Katastrophenfall, damit sich die Landesregierung nie wieder so aus der Verantwortung zieht, wie sie es im Juli dieses Jahres getan hat.

Wir Grüne haben Ihnen angeboten, gemeinsam an einem Konzept zur Stärkung des Katastrophenschutzes zu arbeiten. Leider wurde dieses Angebot vonseiten des Innenministers ausgeschlagen.

Wir Grüne haben sehr konkrete Vorschläge dazu gemacht, wie der Katastrophenschutz gestärkt werden kann, weil wir unsere Verantwortung als konstruktive Opposition sehr ernst nehmen. Ich will hier und heute unser Angebot noch mal erneuern, gemeinsam an diesem wichtigen Thema zu arbeiten.

Warum sage ich dies in einer Haushaltsdebatte? – Ich sage es deshalb, weil die Stärkung des Katastrophenschutzes – zum Beispiel durch ein eigenes Landesamt für Katastrophenschutz – Kosten für den Landeshaushalt nach sich ziehen wird; dies werden nicht wenige Kosten sein.

Ich bin aber der Überzeugung, dass dies gut investiertes Geld ist, wenn wir damit Menschenleben in einer Katastrophe retten können. Wir sollten an diesen Konzepten gemeinsam arbeiten und dieses Geld zur Verfügung stellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden in Zukunft nicht jede Katastrophe verhindern können, aber Vorsorge muss natürlich unser Leitprinzip sein. Hitze und Dürren, Starkregenereignisse und Hochwasser sind angesichts der Klimakrise die Herausforderungen für unsere Städte.

Bei meinem Besuch vor Kurzem in Erftstadt sind wir auch nach Blessem gefahren. Ich stand an der Stelle, an der früher die Häuser standen, die vom Wasser weggerissen wurden. Dieser bedrückende Ort zeigt, wie zerstörerisch die Kraft des Wassers ist.

Wasser braucht Fläche, um sich ausbreiten und versickern zu können. Doch Sie von der CDU und FDP haben ausgerechnet dem Flächenfraß Tür und Tor geöffnet. Mit der Änderung des Landesentwicklungsplans haben Sie den Fünfhektargrundsatz gestrichen. Mit der Änderung des Landeswassergesetzes haben Sie den Hochwasserschutz empfindlich geschwächt. Diese Änderungen müssen so schnell wie möglich rückgängig gemacht werden. Wir jedenfalls setzten dies ab Mai 2022 auf unserer Agenda ganz nach oben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Schutz vor den Auswirkungen von Starkregenereignissen ist nur ein Baustein der Klimafolgenanpassung vor Ort in den Städten. Unsere Städte müssen auch gegenüber Hitze oder Stürmen als Folgen des Klimawandels widerstandsfähiger werden. Damit können aber die finanzschwachen Städte – zum Beispiel im Ruhrgebiet, aber auch anderswo – nicht alleine gelassen werden. Sie stehen ohnehin schon mit einer desolaten Haushaltssituation da. Hinzu kommen noch die Steuermindereinnahmen durch Corona.

Klimafolgenanpassung darf aber kein Nice-to-have sein, sondern ist ein zwingender Teil der Daseinsvorsorge. Dem trägt dieser schwarz-gelbe Landeshaushalt leider keinerlei Rechnung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie rühmen sich immer für das Klimaanpassungsgesetz. Die Auskopplung des Klimaanpassungsgesetzes aus dem rot-grünen Klimaschutzgesetz ist aber reiner Etikettenschwindel.

Sorgen Sie dafür, dass die Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung mit Haushaltsmitteln hinterlegt werden, damit Vorsorge zum Leitprinzip wird. Die wenigen Millionen, die Sie aus dem Coronarettungsschirm für Klimaanpassung bereitgestellt haben, waren in kürzester Zeit überzeichnet. Dies zeigt doch, dass die Kommunen händeringend nach Mitteln für die Umsetzung ihrer Projekte suchen.

Die Landesregierung hat nach der Hochwasserkatastrophe versprochen, die Kommunen bei der Klimaanpassung deutlich stärker zu unterstützen. Im Haushalt selbst sehen wir aber keinerlei Erhöhung in diesem Bereich. Trotz des verheerenden Hochwassers im Juli diesen Jahres kommen nur Peanuts aus dem Rettungsschirm. Damit brechen Sie beim Thema „Klimaanpassung“ Ihr Versprechen an die Kommunen. Dies ist schlecht für uns alle.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klimafolgenanpassung ist wichtig. NRW muss aber natürlich auch der Verantwortung für den Klimaschutz nachkommen. Altena, Hagen, Erftstadt, Euskirchen und viele weitere Orte sowie ihre Bewohnerinnen und Bewohner haben im Juli dieses Jahres erlebt, was die Klimakrise konkret bedeutet.

Dabei sprechen wir von einer Erderwärmung von etwa 1,2°C. Die Erderwärmung – auch das wissen wir – wird weiter zunehmen. Es liegt in unser aller Verantwortung, sie auf 1,5°C zu begrenzen.

An vielen Stellen, an einer aber ganz explizit, muss ich Armin Laschet wirklich widersprechen.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Ich dachte, recht geben!)

Spätestens das Hochwasser im Juli war ein solcher Tag, der alles in der Politik verändern sollte. Der 29. April hätte aber bereits für diese Landesregierung ein Weckruf sein müssen. Am 29. April haben nämlich die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts einen historischen Beschluss gefasst: Konsequenter Klimaschutz schützt die Freiheit der zukünftigen Generationen.

(Beifall von den GRÜNEN und Marina Dobbert [SPD])

Die Eindämmung der Klimakrise ist damit auch höchstrichterlich zur Sache der Generationengerechtigkeit geworden. Die Politik steht in der Pflicht, nachfolgenden Generationen ein Leben in Freiheit zu ermöglichen, und dies geht nur durch konsequenten Klimaschutz, der die konkreten Maßnahmen nicht in die Zukunft verschiebt.

Diesem Beschluss müssen auch politische Taten folgen. – Nein, die eiligen Nachbesserungen beim NRW-Klimaschutzgesetz sind keine ausreichenden Taten. Es fehlen die konkreten Maßnahmen und die sektorspezifischen Ziele. Vor allem aber fehlt das entschlossene Handeln dieser Landesregierung.

Herr Wüst, reden Sie nicht nur darüber, was wünschenswert wäre, sondern handeln Sie. Dafür sind Sie schließlich Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Handeln Sie. Lösen Sie die Fesseln, die Sie dem Ausbau der Windenergie angelegt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sorgen Sie für den Kohleausstieg bis 2030. Sorgen Sie auch für die von Ihnen selbst eingeforderte Klarheit für die Menschen in den Dörfern, Herr Wüst. Drücken Sie sich nicht weiter um die Verantwortung und zeigen Sie nicht weiterhin mit dem Finger nach Berlin. Legen Sie in einer Leitentscheidung den Kohleausstieg bis spätestens 2030 fest und schließen Sie weitere Umsiedlungen aus. Machen Sie klar, dass die Dörfer gerettet werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass hinter der schwarz-gelben Klimapolitik nicht viel steckt, zeigt auch der letzte Haushalt Ihrer Regierung.

(Bodo Löttgen [CDU]: Dieser!)

Viele der Mehrausgaben im Bereich „Energiewende und Klimaschutz“ haben bei näherer Betrachtung mit Klimaschutzmaßnahmen nur indirekt etwas zu tun, Herr Löttgen.

Denn ob die gesamten Strukturfördermittel für den Umbau des Rheinischen Reviers – zweifelsohne ein wichtiges Thema; auch wir wollen den Umbau des Rheinischen Reviers – und damit jedes geförderte Gewerbegebiet und jeder Coworking-Space wirklich in den Klimaetat gehören, ist doch sehr zweifelhaft. Dies dient offenbar eher der künstlichen Aufblähung des Klimaetats als dem konsequenten Klimaschutz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Mittel für den Klimaschutz reichen angesichts der Investitionsbedarfe insbesondere in den Kommunen vorne und hinten nicht. Wir haben deshalb einen Änderungsantrag mit zusätzlichen Mitteln – 250 Millionen Euro – für kommunale Klimaschutzmaßnahmen eingebracht, und wir werden diesen heute noch mal zur Abstimmung stellen.

Auch die Industrie wartet auf konkrete Maßnahmen und klare Rahmenbedingungen. Wenn wir mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Wirtschaft sprechen, dann drängt sich immer mehr der Verdacht auf: Die Landesregierung hat den Bezug zur Wirtschaft schon komplett verloren.

Die Unternehmen haben diese Landesregierung in Sachen „Klimaschutz“ schon längst überholt, weil sie wissen, dass sie klimaneutral wirtschaften müssen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Was aber macht diese Landesregierung? – Ein Investitionsprogramm für den Umbau zur klimaneutralen Wirtschaft suchen wir vergebens. Sie haben gerade mal 15 Millionen Euro für Wasserstoff bereitgestellt und nur 7 Millionen Euro für mehr Energieforschung. Das ist alles.

Sie setzen sich Klimaschutzziele, tun aber faktisch kaum etwas dafür, dass diese auch erreicht werden können.

(Christof Rasche [FDP]: Das ist ja wohl der Hammer!)

Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern diese Mutlosigkeit gefährdet den Industriestandort NRW.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb haben wir beantragt, dass es mehr Investitionen für den Umbau zur klimaneutralen Wirtschaft gibt.

Wer den Klimaschutz wirklich ernst nimmt, der kommt an der Mobilitätswende nicht vorbei. Der Verkehrssektor ist ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung der Klimakrise. Es ist allerdings auch der Sektor, in dem in den letzten Jahren praktisch keine klimaschädlichen Emissionen reduziert wurden.

Nicht der Neubau von Landesstraßen darf Priorität haben, sondern dies muss für den Erhalt der Straßeninfrastruktur gelten. Die Brückensperrung auf der A 45 führt uns dies derzeit nur zu gut vor Augen. Es ist eine riesige Belastung für alle Anwohnerinnen und Anwohner sowie für die Unternehmen in der Region.

Statt sich auf die Sanierung der zentralen Straßen und Brücken zu konzentrieren, haben Sie, Herr Wüst, als Verkehrsminister wieder einmal mit der Gießkanne Neubauprojekte geplant und die Schwerpunktsetzung aus der rot-grünen Regierungszeit, die auf Erhalt vor Neubau lag, zurückgenommen. Wir fordern Sie auf, die Kapazitäten auf die drängenden Probleme unserer wichtigen Routen zu konzentrieren. Spätestens jetzt muss die Landesregierung klare Prioritäten setzen. Statt auf dem Neubau von Straßen muss die Priorität auf dem Erhalt unserer Straßeninfrastruktur, auf der Reaktivierung und Elektrifizierung von Schienenstrecken und auf dem Ausbau des ÖPNV liegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ hatte Ihnen eigentlich ausreichend Rückenwind für ein ambitioniertes Gesetz gegeben. Ihr Gesetz bleibt jedoch hinter dem zurück, was die mehr als 200.000 Unterstützerinnen und Unterstützer der Volksinitiative gefordert hatten. Ähnlich wie beim Klimaschutz, reicht es einfach nicht aus, Ziele festzuschreiben, wenn diese nicht mit konkreten Maßnahmen verbunden sind. Die Mittelaufwüchse in Ihrem Haushalt sind noch keine Radwege. Sie werden sich daran messen lassen müssen, wie viele sichere und gute Radwege Sie damit tatsächlich bauen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klimaschutz wird vor Ort gemacht. Es braucht dafür handlungsfähige Kommunen, um den vielfältigen Herausforderungen wie dem Klimaschutz und der Klimafolgenanpassung, aber auch einer modernen Mobilitätspolitik, der Quartiersentwicklung und dem gesellschaftlichem Zusammenhalt gerecht zu werden.

Doch die Landesregierung verschleppt die Lösung der Altschuldenproblematik unserer Kommunen seit über vier Jahren. Wir alle wissen, dass die Coronakrise diese Ungleichheit noch weiter verschärfen wird und auch schon verschärft hat.

(Bodo Löttgen [CDU]: Deswegen geht es in Kommunen heute auch besser!)

Während die Finanzprobleme der Kommunen ungelöst bleiben, hat Corona bei den Kommunen zu neuen Mindereinnahmen und Mehrausgaben geführt. Die Mehrausgaben der Kommunen dürfen sie jetzt gnädigerweise in ihren Haushalten isolieren. Damit sind die Schulden aber nicht vom Tisch. Im Gemeindefinanzierungsgesetz bietet das Land den Kommunen den Ausgleich der Mindereinnahmen nur als Darlehen an. Im Klartext bedeutet das also: Städte und Gemeinden dürfen zusätzliche Schulden machen. Sie werden noch tiefer in die roten Zahlen rutschen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Noch tiefer?)

Damit erweisen Sie den Kommunen einen Bärendienst . Man muss eins wirklich feststellen: Die Kommunen sind der große Verlierer dieser Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Coronapolitik der Landesregierung führt Schätzungen zufolge dazu, dass die Kommunen in Nordrhein-Westfalen auf ca. 6 Milliarden Mindereinnahmen sitzen bleiben werden. Diese werden sie nicht alleine stemmen können. Ich will auch noch mal auf die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände verweisen und ein kurzes Zitat daraus vorlesen:

„Über die kommenden 50 Jahre werden die Handlungsspielräume lokaler Politik eingeschränkt. Haushaltsicherungskonzepte und dauerhafte Nothaushalte […] werden ohne Korrekturen zum Regelfall kommunaler Haushaltswirtschaft werden.“

(Josefine Paul [GRÜNE]: Verrückt, so etwas Undankbares!)

Das sind ziemlich düstere Aussichten für unsere Kommunen. Der letzte Haushalt dieser Landesregierung ist also auch ein weiterer Haushalt, der die überschuldeten Kommunen – gerade jetzt in der Coronakrise – im Stich lässt. Das bedeutet ganz konkret, dass die Lebensverhältnisse in Nordrhein-Westfalen weiterhin von der Postleitzahl abhängen werden und dass wir uns von dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in unserem Land weiter entfernen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Kann das Schwimmbad saniert werden? Wie hoch sind die Elternbeiträge für Kita oder OGS? Diese Fragen schiebt diese Landesregierung auf die Kommunen ab.

Zusammenleben wird vor Ort gestaltet. Sie hat ihre Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land längst abgegeben. Das zeigt sich auch bei Ihren kosmetischen Projekten im Bereich des Sozialindexes für Schulen oder Ihrem Leuchtturmprojekt, den Talentschulen. Für faire Bildungschancen müssten alle 5.000 Schulen in Nordrhein-Westfalen Talentschulen sein – gerade diejenigen in besonders benachteiligten Stadtteilen und nicht nur die 60 Schulen, die Sie quasi handverlesen dazu auserkoren haben.

Der schulscharfe Sozialindex ist ebenfalls eine bildungspolitische Mogelpackung. Die – in Anführungsstrichen – zusätzlichen Stellen rekrutieren Sie zum größten Teil aus bereits bestehenden Töpfen – aus dem Topf gegen den Unterrichtsausfall, dem Topf der Integrationsstellen und dem Topf der sozialpädagogischen Fachkräfte der Schuleingangsphase.

(Josefine Paul [GRÜNE]: So ist das!)

Statt dass besonders herausgeforderte Schulen wirklich unterstützt werden, stehen die Schulen jetzt also in einem Umverteilungskampf, weil der Sozialindex in der Realität mit zu wenig Stellen hinterlegt ist. Das ist das Gegenteil von einer Schulpolitik, die faire Chancen für alle Kinder zum Ziel hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Josefine Paul [GRÜNE]: So ist das!)

Dieser Haushalt hält eine weitere Enttäuschung bereit. Entgegen Ihrer eigenen Ankündigungen wird es keine Erhöhung der Besoldung für Lehrkräfte an Grundschulen und in der Sekundarstufe I von A12 auf A13 geben.

Das ist nicht nur ein Vertrauensbruch gegenüber den Lehrkräften. Vielmehr wäre das auch eine notwendige Konsequenz aus der Reform der Lehrerausbildung. Es ist vor allem außerdem Ausdruck Ihrer Haltung gegenüber dem öffentlichen Dienst insgesamt.

(Henning Höne [FDP]: Mutig für Leute, die gesagt haben, dass es ab A13 gar keine Erhöhung mehr gibt!)

– Herr Höne, ich kann Sie bei dem Gebrüll hier ehrlich gesagt kaum verstehen. Ihr Fraktionsvorsitzender hat aber ja gleich die Chance, hier zu reden.

(Henning Höne [FDP]: Darüber können wir ja noch mal reden! 0 % Erhöhung ab A13! – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Der kann uns ja noch mal einiges erläutern. A12, A13, faire Chancen für alle Schülerinnen und Schüler in den Schulen, das Thema „Altschuldenproblematik“ – Ihr Kollege, Ihr Vorsitzender hat gleich 45 Minuten Zeit, uns all das noch mal zu erklären. Wir sind sehr gespannt auf seine Rede.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schauen wir mal, was seine Antworten auf diese Herausforderungen und auf diese gebrochenen Versprechen, die diese Landesregierung zu verzeichnen hat, sind. Herr Rasche, wir dürfen sehr gespannt sein, welche Antworten Sie darauf haben.

(Henning Höne [FDP]: Dringend notwendig!)

Morgen Abend diskutieren wir hier im Plenum ein Gesetz mit dem schönen Titel „Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes in Nordrhein-Westfalen“. Das klingt gut, es steckt aber eigentlich überhaupt nichts darin. Es ist ein Gesetz, auf das viele Beschäftigte dieses Landes gewartet haben.

Vor dem Hintergrund von rund 20.000 unbesetzten Stellen im öffentlichen Dienst des Landes wäre eine echte Attraktivitätsoffensive mehr als angemessen. Ich will korrigieren: Das wäre nicht nur angemessen, es ist sogar dringend notwendig.

Der Gesetzentwurf, den Sie für morgen vorgelegt haben, liegt aber meilenweit hinter den Erwartungen zurück. Man muss feststellen: Die im Koalitionsvertrag groß angekündigte Attraktivitätsoffensive ist einfach komplett gescheitert. Das sagen auch alle Gewerkschaften und Verbände. Der Gesetzentwurf ist schlicht eine Nullnummer. Das wissen Sie auch, sonst hätten Sie ihn nicht als letzten TOP des Tages und sogar des Jahres auf der morgigen Tagesordnung versteckt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf hat nichts mehr mit den Gesprächen zwischen der Landesregierung und den Gewerkschaften und den dort gemachten Vorschlägen zu tun.

Der Grund für das Scheitern ist, dass aus Ihrer Sicht die Attraktivierung des öffentlichen Dienstes nichts kosten darf. Attraktive Arbeitsbedingungen zum Nulltarif wird es aber nicht geben können.

Wir können uns diese Haltung angesichts der Höchststände bei den unbesetzten Stellen und angesichts des Wettbewerbs um die besten Köpfe im Land schlicht nicht mehr leisten. Wir brauchen einen attraktiven öffentlichen Dienst und engagierte Beschäftigte, wenn wir den Herausforderungen der Zukunft begegnen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte meine Rede gerne mit dem Blick auf eine weitere Krise dieser Zeit neben der Klimakrise abschließen. Es ist die Bedrohung der biologischen Vielfalt.

Dass die Koalitionsfraktionen die Forderungen der Volksinitiative abgelehnt haben, ist im Endeffekt eine Fortsetzung Ihrer ignoranten Politik der vergangenen vier Jahre.

Die Reduzierung des Flächenfraßes oder den Schutz von Schutzgebieten haben Sie in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt. Wenn man noch mal in den Etat, in die Haushaltsbücher schaut, möchte ich daraus zum Vergleich zwei Zahlen nennen. Der gesamte Naturschutzhaushalt in NRW beträgt gerade einmal 37 Millionen Euro. Daran hat sich in den letzten Jahren im Endeffekt nicht viel geändert; das ist ziemlich gleich geblieben.

Nur einmal zum Vergleich: Für die Heimat-Projekte von Frau Scharrenbach steht ein Volumen von 33 Millionen Euro zur Verfügung – 37 Millionen Euro für den gesamten Naturschutzbereich, 33 Millionen Euro für die Heimat-Projekte.

Wenn Sie unsere heimatliche Flora und Fauna schützen wollen,

(Bodo Löttgen [CDU]: Flora und Fauna sind wichtiger als die Menschen?)

müssen Sie die Mittel im Naturschutzetat erhöhen. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei, Herr Löttgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gerade der Schutz der biologischen Vielfalt berührt die Frage der Generationengerechtigkeit. Es ist nämlich die Frage, welche Tier- und Pflanzenarten unsere Kinder und Enkelkinder noch erleben dürfen. Es ist die Frage, welche Welt wir ihnen hinterlassen werden.

Herr Wüst, wer die Bewahrung der Schöpfung als größte Aufgabe unserer Zeit bezeichnet, muss Worten auch Taten folgen lassen. Das findet sich in diesem Haushalt nicht wieder. Ändern Sie das! Wir brauchen mehr Geld und mehr Aktivitäten im Bereich der Artenvielfalt. Wir müssen die biologische Vielfalt erhalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Krisen unserer Zeit zeigen uns sehr deutlich, welche Auswirkungen eine Politik hat, die nicht vorausschauend ist und nicht auf Vorsorge ausgerichtet ist.

Mit diesem Haushalt hätten Sie letztmalig die Gelegenheit gehabt, wichtige Zukunftsinvestitionen vorzunehmen.

(Christof Rasche [FDP]: Das machen wir nächstes Jahr wieder!)

Mit diesem Haushalt zeigen Sie einmal mehr: Sie stehen noch nicht einmal mehr für den Erhalt des Status quo. Das ist wirklich bitter für unser Land. Es zeigt einmal mehr, dass es einen Aufbruch für Nordrhein-Westfalen braucht. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN)

Rede zum Entwurf der Landesregierung für ein neues Versammlungsgesetz – zweite Lesung

„In seinem gesamten Duktus ist dieses Gesetz darauf ausgelegt, in jeder Versammlung eine Gefahr zu sehen“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt den Spruch: „Was lange währt, wird endlich gut.“ Das kann man mit Blick auf dieses Versammlungsgesetz nicht so wirklich sagen. Daran ändert leider auch der Änderungsantrag von CDU und FDP aus der vergangenen Woche nicht allzu viel. Ich gebe zu, der Änderungsantrag verbessert den Gesetzentwurf an einigen Stellen, aber wirklich retten kann er ihn leider nicht.

Bevor ich zum Inhalt komme, würde ich gern noch ein paar Worte zum Gesetzgebungsverfahren sagen, weil CDU und FDP im Innenausschuss letzte Woche betont haben, wie ausgiebig man diesen Gesetzentwurf im Landtag beraten hätte. Das stimmt meines Erachtens so nicht.

Die Einbringung im Januar erfolgte ohne Plenardebatte. Bei der Anhörung im Mai haben wir das erste Mal überhaupt über den Gesetzentwurf gesprochen. Danach folgte monatelang nichts. Erst letzte Woche haben wir dann im Ausschuss über den Gesetzentwurf diskutiert. Parallel erfolgte die Auswertung der Anhörung. Ihren Änderungsantrag haben wir immerhin zwei Tage vorher, am Nikolaustag, erhalten.

Ich würde sagen, das war alles andere als eine intensive parlamentarische Befassung mit einem so weitreichenden und wichtigen Gesetzgebungsverfahren. Das finde ich schade, und das wird auch der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht ganz gerecht.

Wir wollten eine zweite Anhörung machen. Ich hätte das gut und notwendig gefunden. Das haben Sie leider abgelehnt. Sehr schade! Wie gesagt, die Versammlungsfreiheit hat eine sehr hohe Bedeutung in unserer Demokratie. Es wäre gut gewesen, diesen Gesetzentwurf ausgiebig zu diskutieren.

Ich will auch sagen: Die heutige Verabschiedung dieses Gesetzes ist wahrlich keine Sternstunde für die frühere Bürgerrechtspartei FDP. Wir kennen das schon von dem Polizeigesetz, aber das macht es mit Blick auf die Versammlungsfreiheit nicht besser.

Die FDP hat als Teil der Regierung den Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht. Herr Lürbke hat ihn damals sehr begrüßt. Dass es letzte Woche überhaupt noch zu Änderungen gekommen ist, liegt bekanntermaßen einzig und allein daran, dass im Juni die Demonstration hier in Düsseldorf stattgefunden hat,

(Daniel Sieveke [CDU]: Das stimmt nicht! – Zuruf von der CDU: Nee, ist klar!)

dass es ein großes Medienecho gab, dass wir uns mitten im Bundestagswahlkampf befanden und die FDP-Bundestagsabgeordneten mitbekommen haben, was hier gerade für ein Gesetz diskutiert wird.

(Gregor Golland [CDU]: Von Linksradikalen!)

Ansonsten hätte die FDP heute einfach munter zugestimmt. Ich finde, das gehört einfach zur Wahrheit dazu.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auch wenn Sie es vielleicht nicht hören wollen – es ist einfach so.

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

Der Änderungsantrag, der letzte Woche von den Koalitionsfraktionen in den Innenausschuss eingebracht wurde, bringt durchaus einige Klarstellungen und auch Verbesserungen. Das erkenne ich ganz ausdrücklich an, das ist auch gut so.

Dass Sie zum Beispiel für die Spontanversammlungen die Pflicht zur Benennung einer Versammlungsleitung gestrichen haben, finde ich eine sehr gute Änderung.

Ich finde es auch gut, dass Sie eine Überprüfungsklausel, eine Evaluation, eingeführt haben. Darauf haben wir Grüne sehr gedrängt und von vornherein gefordert, dass es das geben muss. Aber der Kollege Sven Wolf hat mich gerade schon darauf hingewiesen: Wahrscheinlich werden die Gerichte schon evaluieren. – Wir dürfen gespannt sein, wie die Gerichte über diesen Gesetzentwurf entscheiden werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch die Änderungen beim Störungsverbot waren notwendig. Denn klar ist, dass nicht nur die Versammlung selbst geschützt wird, sondern auch jede Gegendemonstration ist natürlich von der Versammlungsfreiheit geschützt. Das ist richtig so. Es ist gut, dass Sie das in dem zukünftigen Gesetz durch Ihren Änderungsantrag klarstellen.

Zum Militanzverbot finde ich, die Änderung der Überschrift ist ein bisschen eine Mogelpackung. Darauf hätten wir verzichten können. Aber das ist in Ordnung. Sie haben in der Tat substanziell bei diesem Paragrafen etwas geändert und klargestellt. Auch das erkenne ich an.

Eines verstehe ich aber nicht. Das habe ich im Innenausschuss schon gesagt, und wir haben es auch vorher schon mehrfach angesprochen. Das war Thema in der Anhörung, und zwar der Vergleich in der Gesetzesbegründung, Seite 77. Dort ist von nationalsozialistischen Aufmärschen von SA und SS die Rede. Das wird verglichen mit dem heutigen Schwarzen Block und der Klimabewegung. Ich finde es nicht in Ordnung, dass hier solche historisch unzulässigen Vergleiche aufgeführt werden.

Der Minister sorgt sich sehr, kümmert sich und engagiert sich für die historisch-politische Bildung der Polizeibeamtinnen und -beamten. In Selm-Bork läuft total viel dazu. Es ist großartig, was da gemacht wird. Gleichzeitig finden sich solche unsäglichen Vergleiche in Gesetzentwürfen des Innenministeriums. Das geht einfach nicht.

Dass Sie die Chance nicht genutzt haben, das in dem Änderungsantrag klarzustellen und zu sagen: „Okay, das ist uns irgendwie durchgerutscht; keine Ahnung, wie das da reingekommen ist, das verstehen wir selbst nicht so richtig“, verstehe ich einfach nicht. Wir haben Sie mehrfach darauf hingewiesen. Gut. Ich habe mich schon im Innenausschuss darüber aufgeregt. Mich macht das immer noch fassungslos. Ich weiß nicht so richtig, wie das passieren konnte und warum Sie das nicht klargestellt haben.

Ich will darauf hinweisen, es gibt noch mehr Kritik, unter anderem aus der Anhörung zu dem Gesetzentwurf. Die Kritik haben Sie in Ihrem Änderungsantrag nicht aufgegriffen.

Das gilt zum Beispiel für das Kooperationsgebot, was durch den Gesetzentwurf zu einer faktischen Pflicht gemacht wird, weil bei Nichtkooperation Beschränkungen der Versammlung angedroht werden. Damit wird es zu einer Pflicht, und das steht eigentlich im Widerspruch zu dem, was das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss 1985 festgestellt hat.

Auch bei den Bild- und Tonaufnahmen gibt es keine Veränderungen durch den Änderungsantrag. Die Voraussetzung für Übersichtsaufnahmen, also wann die Polizei Aufnahmen bei Demos machen darf, sind unverändert vage formuliert. Es geht um die Größe und Unübersichtlichkeit von Versammlungen. Aber was das konkret bedeutet, wird leider nicht klargestellt.

Ich will noch mal daran erinnern, dass Gerichte mehrfach gesagt haben, dass Bild- und Tonaufnahmen bei Demonstrationen einen Abschreckungseffekt haben können, dass Menschen gar nicht erst zu Demonstrationen gehen, wenn beispielsweise der Datenschutz nicht ausreichend gesichert ist. Auch da will ich noch mal an Brokdorf erinnern, denn das Bundesverfassungsgericht hat ganz, ganz deutlich gesagt, dass die Teilnahme an Versammlungen zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gehört. Deshalb, finde ich, muss das auch in solch einem Gesetzentwurf berücksichtigt werden.

Ein weiterer Hinweis ist das Thema „Autobahn“. Sie haben in Ihrem Änderungsantrag geschrieben, dass es ein pauschales Verbot von Demonstrationen auf Autobahnen gibt.

(Marc Lürbke [FDP]: Finden Sie das falsch?)

– Wie bitte?

(Marc Lürbke [FDP]: Finden Sie das falsch?)

– Zumindest fehlt mir die Begründung, die Erläuterung, die Erklärung.

(Gregor Golland [CDU]: Das ergibt sich doch wohl von selbst! Was muss man denn da noch erklären?)

Es gibt auf jeden Fall Bedenken dazu, die besagen, dass so ein pauschales Verbot für einen Ort …

(Marc Lürbke [FDP]: Bei Autobahnen!)

– Ja, bei Autobahnen. Wir haben das auch mit Verfassungsrechtlern noch mal …

(Gregor Golland [CDU]: Finden Sie das gut, wenn die Chaoten sich da abseilen?)

– Herr Golland, es geht nicht darum, was ich finde.

(Gregor Golland [CDU]: Doch, darum geht es! Genau darum geht es!)

Es ist die Frage, was rechtmäßig ist, was auch verfassungsrechtlich geregelt werden darf.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist der Punkt.

Ich will noch mal zum Thema „Evaluation“ zurückkommen. Gegebenenfalls müssen dann Gerichte klären, ob das zulässig ist oder nicht.

(Gregor Golland [CDU]: Sollen sie mal!)

Aber das wäre ein Punkt gewesen, den man in einer Anhörung hätte klären können. Da geht es nicht um die Frage, ob ich das für richtig oder falsch halte, sondern es geht um die Frage, ob man es verfassungsrechtlich so pauschal regeln darf, wie Sie das hier vorgenommen haben. Das ist doch die Frage. Die Begründung fehlt. Die haben Sie mir auch im Ausschuss nicht gegeben. Der Minister kann gleich vielleicht erläutern, wie er das verfassungsrechtlich begründet.

Man könnte die Liste mit Kritikpunkten aus der Anhörung noch fortsetzen. Leider läuft mir hier die Zeit davon, weil ich mich jetzt zu lange mit Herrn Golland beschäftigt habe. Das ist sehr schade.

(Beifall von den GRÜNEN – Heiterkeit von der CDU – Gregor Golland [CDU]: Das ist aber schön!)

Ich hätte gerne noch etwas zum Schutz von Medienschaffenden und zu weiteren Kritikpunkten gesagt. Sie haben mich ein bisschen aus dem Konzept gebracht, Herr Golland. Das ist sehr bedauerlich, weil ich noch mehr Kritikpunkte hätte aufführen können. Aber das können wir gerne zu einem anderen Zeitpunkt machen.

Mein letzter Satz – ich weiß, Herr Präsident, ich muss zum Punkt kommen –: Wir sind ganz und gar nicht zufrieden mit diesem Gesetzentwurf und auch nicht mit dem Änderungsantrag. In seinem gesamten Duktus ist dieses Gesetz darauf ausgelegt, in jeder Versammlung eine Gefahr zu sehen. Es ist leider kein Versammlungsfreiheitsgesetz. Das ist sehr schade, das ist sehr bedauerlich. Ich hoffe, dass sich im Mai die Mehrheiten ändern. Dann kann man an solchen Gesetzen auch etwas ändern. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Rede zur Unterrichtung der Landesregierung zur aktuellen Situation in der Corona-Pandemie

„Das reicht doch nicht aus, wenn man Verantwortung für die Menschen in diesem Land trägt“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach Ihrer Rede, Herr Löttgen, muss man wirklich erst mal tief durchatmen. Ich finde es unglaublich, wie Sie hier die Lage schönreden, wie Sie sich selbst absolut widersprechen, wie Sie auf der einen Seite sagen, in Nordrhein-Westfalen sei doch alles gar nicht so schlimm, und auf der anderen Seite die Maskenpflicht in den Schulen wieder einführen, was ich übrigens richtig finde.

Sie bringen einen Antrag ein, um das gesamte Register des Bundesinfektionsschutzgesetzes zu ziehen, was ich auch richtig finde. In Ihrem Antrag steht übrigens: Sie wollen damit der konkreten Gefahr der epidemischen Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit begegnen. – Das ist also alles ziemlich widersprüchlich, was Sie hier in Ihrer Rede gerade dargestellt haben. Sie widersprechen dem Ministerpräsidenten.

Ich kann Ihnen wirklich nur sagen, Herr Löttgen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist ein Ausweis dessen, dass Sie an Realitätsverlust leiden –

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

und das in so einer Situation und als Vorsitzender der größten Fraktion hier.

Herr Wüst, Sie sprechen von einer „konzentrierten Wachsamkeit“. Eine konzentrierte Wachsamkeit heißt offenbar bei dieser Landesregierung: Zugucken und Nichtstun und Abwarten und Mit-dem-Finger-nach-Berlin-Zeigen. – Aber das reicht doch nicht aus, wenn man Verantwortung für die Menschen in diesem Land trägt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Stattdessen hören wir von Herrn Wüst viele markige Worte. Zitat: Da läuft uns die Zeit weg, wir müssen alle Register ziehen. – So am Montag im ARD-„Mittagsmagazin“.

Dann fragt man sich: Warum nutzt denn diese Landesregierung dann nicht alle ihre rechtlichen Möglichkeiten? Warum lässt sie schon wieder Zeit verstreichen? – Das Muster ist ja inzwischen sehr erkennbar: Die Landesregierung kündigt irgendetwas Unkonkretes an. Dann schiebt sie die Verantwortung nach Berlin und will erst mal abwarten, bis eine Ministerpräsidentenkonferenz entscheiden wird. Dann wartet man wieder eine ganze Woche ab, und dann haben wir hoffentlich irgendwann eine konkrete Schutzverordnung.

Und jeden Tag verlieren wir weiter wertvolle Zeit. Man muss einfach klar sagen: In dieser Situation zählt doch jeder einzelne Tag. Dass Sie immer wieder abwarten und nach Berlin zeigen, finde ich unverantwortlich. Ich finde das auch unangemessen für eine Landesregierung in dieser Situation.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn man sich hier so die Reden von Herrn Wüst – und, ja, auch von Herrn Löttgen – anguckt, dann muss man sagen: Sie scheinen sich ja in der Oppositionsrolle ganz gut zu gefallen. Sie sind ja mehr damit beschäftigt, sich gegen die kommende Ampelregierung in Berlin zu positionieren als hier in Nordrhein-Westfalen Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Auch wenn Sie die Oppositionsrolle hier in NRW ja zu reizen scheint,

(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])

geht Ihr Nichthandeln eindeutig zulasten der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen. Das ist einfach nicht in Ordnung. Das ist verantwortungslos.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da ja heute schon mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass wir es mit einer neuen Virusmutation zu tun haben, muss man ganz klar feststellen: Es mag der FDP jetzt hier als Gesichtswahrung dienen, dass man sich auf Omikron beziehen kann, um jetzt doch noch den Verschärfungen von Maßnahmen im Kabinett zuzustimmen. Aber klar ist auch, Herr Wüst, Frau Gebauer: Momentan ist unser Problem immer noch Delta. Die Auswirkungen der neuen Virusmutation werden wir wahrscheinlich erst noch zu spüren bekommen,

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

wenn die Vorhersagen der Expertinnen und Experten zutreffen. Das zeigt doch nur, wie dramatisch die Lage gerade ist und noch zu werden droht. Deshalb kann man nur hoffen, dass die FDP jetzt endlich aus ihrer Blockadehaltung herauskommt.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Och nee!)

Verantwortung in der Krise zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen – das sind aus meiner Sicht die Punkte, die zu einem guten Krisenmanagement dazugehören. Die Eckpfeiler von Krisenkommunikation sind Schnelligkeit, Wahrhaftigkeit, Verständlichkeit und Konsistenz, und auf das Krisenmanagement dieser Landesregierung trifft rein gar nichts davon zu.

Christian Lindner hatte noch am Montag bei Anne Will von einem Managementproblem in der Pandemie gesprochen. Dieses Managementproblem wird in Nordrhein-Westfalen doch offenkundig.

Deshalb wäre es wichtig, dass Sie auch hier in Nordrhein-Westfalen endlich den Krisenstab der Landesregierung aktivieren, um das Managementproblem in den Griff zu kriegen, zum Beispiel bei der Organisation der Impfungen, aber auch, um endlich konsistent und angemessen zu kommunizieren, mit der Bevölkerung, mit den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit den Kommunen.

Wir fragen uns im Parlament seit inzwischen über anderthalb Jahren: Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, den Krisenstab der Landesregierung einzuberufen? Da kann ich nur sagen, Herr Wüst: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt. Es ist dringend notwendig, endlich den Krisenstab einzuberufen und zu aktivieren.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Krisenkommunikation der Landeregierung ist ja nicht erst seit heute ein Desaster. Aber je schlimmer die Situation wird, desto wichtiger wird auch die Kommunikation in die Bevölkerung hinein, aber auch mit den Kommunen.

Wie, Herr Wüst, konnten Sie ernsthaft am vergangenen Freitag ein Fußballspiel mit 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauern als angemessen bezeichnen? Ich finde das einfach unglaublich.

Auch heute geben Sie ja keine konkreten Antworten, wie es denn jetzt weitergeht. Sie sagen: Es muss eine Reduzierung der Zuschauerzahlen geben, auch mit Blick auf das Wochenende. – Aber auch hier warten wieder alle auf konkrete Antworten; die sind Sie schuldig geblieben.

Das tut mir leid für die vielen Fans, aber ich meine, wir kommen um Geisterspiele in dieser Situation einfach nicht herum, weil ein Fußballspiel auch nur mit einem Drittel der Auslastung in Dortmund derzeit einfach 27.000 Menschen zu viel in Straßenbahnen, in Bussen und Bahnen und eben auf den Tribünen bedeutet.

Für diese Regelung brauchen Sie auch nicht den Bund und nicht die MPK morgen. Sie können es einfach festlegen. Also fassen Sie doch endlich mal den Mut für solche auch unbequemen Entscheidungen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, wir Grüne haben letzte Woche hier im Landtag einen Antrag vorgelegt, damit der volle Instrumentenkasten des Bundesinfektionsschutzgesetzes aktiviert wird. Ich kann mich noch sehr gut an die Rede des gesundheitspolitischen Sprechers Peter Preuß erinnern. Da haben Sie uns hier wortreich vorgetragen, wir Grüne würden ja nur den Lockdown fordern. Die CDU und die FDP haben laut Beifall geklatscht und dann diesen Antrag abgelehnt, um jetzt, eine Woche später, zu sagen: Wir brauchen jetzt doch diesen Instrumentenkasten.

Es ist ja gut, dass Sie wenigstens jetzt zu dieser Einsicht gelangen; besser spät, als nie. Aber auch hier muss man wieder klar sagen: Wir befinden uns wieder hinter der Lage. Sie hätten es letzte Woche machen können. Sie hätten es letzte Woche beschließen können, die Maßnahmen planen können, eine Coronaschutzverordnung vorbereiten können. Auch hier sind wir wieder völlig hinter der Lage.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ja, es ist gut, dass die Maskenpflicht an den Schulen wieder eingeführt werden soll. Und wie man hört – ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich habe es gehört, auch schon mehrfach –, musste der Ministerpräsident seine Richtlinienkompetenz geltend machen, um die Schulministerin endlich zum Einlenken zu bewegen.

Es ist ohne Frage absolut bitter, dass es wieder eine Situation geben wird, in der wir Kindern und Jugendlichen solche Einschränkungen auferlegen müssen, weil wir Erwachsene es nicht geschafft haben, uns ausreichend zu impfen.

(Helmut Seifen [AfD]: Das bedauern Sie?)

– Ja, ich bedaure es.

(Helmut Seifen [AfD]: Das meinen Sie doch nicht ernst, das Bedauern! – Ministerin Yvonne Gebauer: Das bedauern Sie doch gar nicht!)

– Doch, Frau Gebauer. Ich habe eine Tochter, die in die Schule geht und die sich sicherlich nicht darüber freut,

(Ministerin Yvonne Gebauer: Nein, das bedauern die Grünen nicht!)

dass sie ab morgen wieder Maske tragen muss.

(Helmut Seifen [AfD]: Dann haben Sie Erbarmen! Dann reden Sie doch nicht so!)

Aber ich sage auch ganz klar: Wir wissen, dass es zu Infektionen in den Schulen kommt. Wir wissen aber auch, dass die Masken bei den Kindern und generell in der Pandemie ein wirksames und auch mildes Mittel sind, um diese Pandemie zu bekämpfen und Infektionen zu verhindern.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch Quatsch!)

Da will ich auch ganz deutlich sagen: Es tut mir leid für meine Tochter, und es tut mir leid für alle Kinder und Jugendliche in diesem Land,

(Helmut Seifen [AfD]: Das tut Ihnen doch gar nicht leid!)

aber ich möchte, dass mein Kind und alle Kinder in dieser Pandemie geschützt werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deshalb sage ich in meiner Verantwortung als Politikerin, aber auch als Mutter, dass ich dieses mildere Mittel befürworte, damit keine weiteren Kinder krank werden. Ich weiß – glauben Sie mir –, was es bedeutet, wenn Kinder krank werden, und ich weiß auch, was es bedeutet, wenn Kinder danach Long COVID haben. Das können Sie mir glauben, Frau Gebauer; wir können uns gerne an anderer Stelle noch einmal darüber austauschen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Ich glaube Ihnen nicht! Seien Sie einfach Mutter!)

Ein weiteres unrühmliches Kapitel dieser Landesregierung ist die Beschaffung von Luftfiltern für Schulen, damit Kinder und Jugendliche möglichst sicher lernen können. Und auch hier zeigt sich wieder, dass die Landesregierung zu spät handelt, zu unentschlossen handelt, dass sie es nicht schafft, die Maßnahmen auf die Schiene zu setzen.

Wir haben im Haushalts- und Finanzausschuss nachgefragt. Von den 90 Millionen Euro für das zweite Programm sind – Stand: Ende Oktober – gerade einmal 3,2 Millionen Euro bewilligt worden. Das ist eine Abrufquote von gerade einmal 3,5 %. Insofern frage ich mich wirklich, Frau Gebauer, was Sie daran hindert, ein wirklich funktionierendes Landesprogramm aufzusetzen, damit die Luftfilter endlich in den Schulen ankommen. Das müssten Sie jetzt dringend auf den Weg bringen.

(Beifall von den GRÜNEN – Ministerin Yvonne Gebauer: Das habe ich Ihnen schon mehrfach gesagt!)

Ich möchte zum Schluss noch einmal das Thema „Impfen“ ansprechen, weil es mir wichtig ist. Wir wissen, dass wir konsequent die Kontakte einschränken müssen, dass wir das Impfen massiv hochfahren müssen, und wir sehen, dass die Impfungen durch diese Landesregierung nach wie vor total schlecht organisiert sind.

Es reicht nicht, sich hierhin zu stellen und zu sagen: Wir danken den Kommunen dafür, dass sie es gut machen. – Nein, es muss doch in der Verantwortung des Landes und dieser Landesregierung liegen, die Impfungen ordentlich zu organisieren. Man muss den Menschen wirklich dankbar dafür sein, dass sie stundenlang in der Kälte und im Nieselregen für ihre Impfungen anstehen. Information, Aufklärung, mobile Angebote, proaktive Terminvergaben – das hätten Sie längst angehen müssen. Das müssen Sie jetzt umso dringender angehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme zu meinem letzten Punkt. Herr Wüst, Sie sind ja Vorsitzender der MPK. Wir wissen, wir befinden uns in einer weltumspannenden Pandemie. Und wir wissen auch, dass wir diese Pandemie nur besiegen und weitere Virusmutationen verhindern werden können, wenn wir dafür sorgen, dass in alle Teile dieser Welt Impfstoff gelangt und in allen Teilen dieser Welt verfügbar ist. Ich wünsche mir, dass sich die MPK auch mit diesen Fragen auseinandersetzt; denn ansonsten wird uns die Pandemie noch lange Zeit beschäftigen. Ich meine, dass Solidarität in einer Krise auch für unsere eigene Gesundheit auch im internationalen Kontext wichtig ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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