Meine Rede zum Antrag der FDP Drucksache 16/2884

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt seit drei Jahren Mitglied im Landtag und habe in dieser Zeit noch keinen Antrag gesehen, der so unnötig war wie dieser Antrag.

Herr Biesenbach, es ist schon sehr peinlich, wenn Sie sich hier hinstellen und über den Gesetzentwurf reden, den Sie selbst noch nicht einmal gelesen haben. Waren Sie nicht derjenige in der Anhörung zum Verfassungsschutzgesetz, der nachgefragt hat, wie die Online-Durchsuchung geregelt sei und ob sie ausreichend geregelt sei?

Hätten Sie den Gesetzentwurf gelesen, dann hätten Sie auch gesehen, dass die Online-Durchsuchung im Verfassungsschutzgesetz gar nicht geregelt wird. Das ist ein klarer Beweis dafür, dass Sie sich in keinster Art und Weise mit der Materie beschäftigt haben.

Jetzt schauen Sie so verdutzt. Lesen Sie es im Protokoll zur Anhörung noch einmal nach. Es ist eine ziemlich peinliche Nummer, die Sie da gefahren haben. Insofern, finde ich, sollten Sie sich hier doch etwas zurückhalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich finde, dass die Debatte über den Verfassungsschutz und über die Sicherheitsarchitektur insgesamt dringend notwendig ist. Natürlich gibt es Fragen, die sich aufdrängen: Wie konnte es sein, dass eine Terrorgruppe jahrelang unbemerkt vom Verfassungsschutz mordend und raubend durch Deutschland ziehen konnte? Auf welchem Wissen saß der Verfassungsschutz möglicherweise und hat das Wissen nicht weitergegeben? Hat der Verfassungsschutz den Rechtsextremismus und die davon ausgehende Gefahr in den vergangenen Jahren womöglich verharmlost?

Das sind alles berechtigte Fragen, denen wir nachgehen müssen. Deshalb finde ich diese Diskussion, die momentan hier im Parlament, in anderen Parlamenten und in der Zivilgesellschaft läuft, absolut legitim. Ich finde es auch legitim, die Frage zu stellen: Können wir eigentlich mit einem Verfassungsschutz weiterleben, einem Verfassungsschutz in einem demokratischen Rechtsstaat, wo der Verfassungsschutz schon immer per se ein Fremdkörper sein muss?

Deshalb finde ich es auch legitim und angebracht, nicht nur über den Verfassungsschutz als solchen, sondern natürlich auch über seine nachrichtendienstlichen Mittel und insbesondere über V-Leute zu diskutieren.

Sie schauen so verdutzt. Aber ich finde, es ist eine legitime Debatte, die man in einer Demokratie auch führen kann und die man aushalten muss, auch wenn man anderer Meinung ist.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Wir führen diese Diskussion. Wir führen diese Diskussion mit Zivilgesellschaft. Da wird sie sehr heiß diskutiert, und das zu Recht, weil es einen hohen Vertrauensverlust in der Bevölkerung gibt. Wir führen diese Diskussion auch innerparteilich. Die grüne Partei zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie Diskussionen und Debatten führt und sie auch aushält. Wir sind eine meinungsfreudige Partei, und das finde ich auch richtig.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, Entschuldigung. Herr Kollege Biesenbach und Herr Dr. Stamp würden Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Verena Schäffer (GRÜNE): Sehr gern.

Präsidentin Carina Gödecke: Dann der Kollege Biesenbach zuerst.

Peter Biesenbach (CDU): Ich wollte keine Zwischenfrage stellen. Ich will nur gleich gern intervenieren.

Präsidentin Carina Gödecke: Dann kommt jetzt Herr Kollege Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Kollegin Schäffer, wenn Sie ausführen, dass es legitim ist, die V-Leute infrage zu stellen, ist es dann nicht umgekehrt auch legitim, diese Position hier im Hause zu thematisieren und zu hinterfragen? Warum ist die Debatte dann bitte Quatsch? Da widersprechen Sie sich doch selbst.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Verena Schäffer (GRÜNE): Nein, ganz und gar nicht. Denn wir führen diese Diskussion, und wir führen sie mit Zivilgesellschaft, wir führen sie innerparteilich. Ich halte diese Diskussionen auch für notwendig, weil ich

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– ich komme gleich zu der Antwort – der Meinung bin, dass man Vertrauen nur dann wiedergewinnen kann, wenn man diesen Vertrauensverlust in der Bevölkerung ernst nimmt und wenn man diese Diskussionen ernst nimmt und sie entsprechend führt.

Wir sind in Nordrhein-Westfalen zu einem Ergebnis gekommen, dass wir gesagt haben: Ja, wir brauchen einen Verfassungsschutz. Ich sage es auch ganz klar: Wir brauchen eine Vorfeldbeobachtung. Denn es gibt Bestrebungen gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, gegen die Verfassung. Es gibt Verfassungsfeinde, wo ich glaube, dass es zu spät ist, wenn man erst bei konkreten Straftaten oder bei konkreten Gefahren durch die Polizei ansetzt. Wir brauchen eine Vorfeldbeobachtung durch einen Verfassungsschutz. Ich sage auch: Ja, wir brauchen V-Leute, weil wir auf die Informationen von V-Leuten nicht verzichten können.

Sie führen hier jedoch eine Diskussion, die völlig unnötig ist, weil wir vor Kurzem einen Gesetzentwurf eingebracht haben, der in der vorletzten Woche auch in der Anhörung diskutiert wurde. Wir befinden uns gerade in der Auswertung der Anhörung. Ich hoffe, Sie als Fraktion auch. Ansonsten wäre es schade, wenn Sie als FDP-Fraktion diese Debatte nicht nachvollziehen würden, was offensichtlich der Fall ist, dass Sie das nicht tun.

Insofern ist der Antrag völlig unnötig, weil wir uns natürlich als Regierungsfraktionen sehr deutlich für diesen Gesetzesprozess und diesen Reformprozess ausgesprochen haben. Das habe ich bisher in allen meinen Reden auch entsprechend getan. Wir brauchen im Plenum auch keine Glaubensbekenntnisse für Dinge, die völlig klar sind und bei denen wir uns bisher auch immer völlig klar positioniert haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, bevor Sie zu Ihrem eigentlichen Argumentationsgang zurückkommen, gibt es jetzt den Wunsch bei Herrn Dr. Orth, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen.

Verena Schäffer (GRÜNE): Bitte.

Dr. Robert Orth (FDP): Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Sie haben ausgeführt, dass Sie dafür sind, V-Leute einzusetzen. Meine Frage: Sie setzen sich also als Abgeordnete der Grünen über den Parteitagsbeschluss der Grünen auf Bundesebene hinweg?

Verena Schäffer (GRÜNE): Wie Sie wissen, haben wir einen Parteitagsbeschluss zu unserem Bundestagswahlprogramm beschlossen. Wir befinden uns hier am im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf diesen Prozess verständigt und werden diesen auch fortführen. Das tue ich mit gutem Gewissen hier als Abgeordnete

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– das habe ich gerade schon ausgeführt –, weil ich der Meinung bin, dass wir V-Leute brauchen, um entsprechende Informationen aus den verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu bekommen. Das sind vor allen Dingen die rechtsextremistischen und die islamistischen Bestrebungen. Deshalb gibt es in dem Gesetzentwurf auch eine klare Konzentration der nachrichtendienstlichen Mittel genau auf diese Bestrebungen, von denen Gewalt ausgeht.

Wenn Sie den Gesetzentwurf gelesen hätten, dann wüssten Sie das. Das halte ich nach wie vor für richtig, und diesen Prozess werden wir hier weiter führen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich finde, es ist dem Hohen Haus nicht würdig, dass Sie sich als FDP-Fraktion dieser politischen Debatte anscheinend völlig verschließen. Denn wir brauchen die Diskussion. Sie wollen anscheinend nicht mitdiskutieren, sondern wollen Behauptungen und Fragen in den Raum stellen, auf die Sie selbst jedoch keine Antworten geben wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Vorschlag, einen Bürgeranwalt als Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium in Gestalt des LDI einzuführen, ist Ihnen in der Anhörung ja um die Ohren geflogen. Der LDI hat selbst gesagt, dass er das nicht machen wird. Ich glaube, Sie versuchen, davon abzulenken, statt die eigentlichen inhaltlichen Diskussionen zum Verfassungsschutzgesetz zu führen.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein vorbildliches und richtungsweisendes Gesetz auf den Weg gebracht. Herr Biesenbach, ich muss Ihnen leider widersprechen: Es stimmt nicht, dass von anderen Gesetzen abgeschrieben wurde. Wir sind nämlich das Land, das vorangeht und sagt, dass wir klare Kriterien für den Einsatz von V-Leuten brauchen, gerade weil das ein so umstrittenes nachrichtendienstliches Mittel ist. Das müssen wir hier auch anerkennen.

Natürlich bewegen wir uns als Rechtsstaat auf einem schmalen Grat. Wenn wir V-Leute einsetzen, geht es immer um eine Abwägung zwischen rechtsstaatlichen Grundsätzen auf der einen Seite und der Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger und unserer Demokratie auf der anderen Seite. Insofern ist es richtig, diese gesetzlichen Regelungen einzuführen und zu sagen: V-Leute dürfen nicht abhängig sein vom Staat, auch nicht finanziell. Wir müssen klar sagen: Es muss bei den V-Mann-Führern eine Rotation geben. Das sind alles Aspekte, die wir im Gesetzentwurf regeln.

Es dürfen von V-Leuten keine erheblichen Straftaten begangen werden. Auch dort gibt es eine klare Linie, die wir erstmals gesetzlich festschreiben. Was vorher in geheimen Richtlinien festgehalten wurde, das packen wir jetzt auf den Tisch und wollen darüber diskutieren. Wir wollen mit den Bürgerinnen und Bürgern wirklich darüber diskutieren. Deshalb schreiben wir das ins Gesetz, auch um die Legitimation für den Einsatz von V-Leuten zu erhöhen.

Aber nicht nur das wird geregelt, sondern auch die Befugnisse im Verfassungsschutzgesetz werden transparent und abschließend geregelt, sodass jeder Bürger und jede Bürgerin nachvollziehen kann, welche Befugnisse der Verfassungsschutz eigentlich hat. Denn der Verfassungsschutz ist natürlich an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden, muss sich an das Gesetz halten. Insofern ist es richtig, das entsprechend darzustellen.

Wir werden durch die neuen Regelungen, die das PKG betreffen, die Transparenz und Kontrolle erhöhen. Ich halte das in der Tat für wegweisend. Sie sagen, wir hätten abgeschrieben. Legen Sie mir bitte auf den Tisch, wo wir abgeschrieben haben. Das möchte ich wirklich sehr gerne sehen. Sollte das der Fall sein, habe ich kein Problem damit, entsprechende Quellen zu benennen.

Ich sage Ihnen aber: Ich habe mir die Verfassungsschutzgesetze aller anderen 15 Länder angeschaut. Die Regelung, die die V-Leute betrifft, finden Sie in keinem anderen Verfassungsschutzgesetz. Sollten Sie andere Quellen haben, dann bin ich gerne zur Diskussion bereit. Diese Quellen werden Sie aber nicht finden. Dessen bin ich mir ziemlich sicher.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Bleiben Sie gleich hier. Der Kollege Biesenbach wollte ja intervenieren. – Herr Kollege Biesenbach, bitte schön.

Peter Biesenbach (CDU): Danke schön. – Frau Kollegin Schäffer, ich lade Sie gerne ein, mit mir gemeinsam das Protokoll der Anhörung anzuschauen. Ich lade Sie darüber hinaus gerne ein, dass wir uns einmal die schriftliche Stellungnahme des Landesdatenschutzbeauftragten zur Anhörung ansehen.

Wir werden dann feststellen, dass Herr Lepper seinerzeit eine Klarstellung zu § 5 des Entwurfs angeregt hatte, weil er daraus möglicherweise die Sorge entnahm, dass daraus das Recht zur Online-Durchsuchung hätte abgeleitet werden können. In diesem Zusammenhang habe ich mir die Frage zu Online-Durchsuchungen erlaubt. Nachdem wir beides gemeinsam gelesen haben, entscheiden wir unter uns, wer was nicht gelesen hat. – Einverstanden?

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Bitte schön, Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Ich finde es großartig, noch die Möglichkeit zu einer Kurzintervention zu bekommen. Dann kann ich über dieses Thema noch länger reden.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

– Ich weiß, dass Herr Lepper zum § 5 bei den Befugnissen entsprechend Kritik geübt hat. Schaut man in die Begründung zum Gesetz, findet man, dass dort sehr klar beschrieben und geregelt wird, dass die Quellen-TKÜ, solange wir die entsprechenden Voraussetzungen nicht geschaffen und keine zertifizierungsfähige Software haben, nicht durchgeführt wird und auch sonst keine Befugnisse zur Online-Durchsuchung bestehen. Das ist im Gesetzentwurf sehr klar und eindeutig geregelt. Das haben auch alle anderen Sachverständigen entsprechend dargestellt. Als Sie in der Anhörung Ihre Frage gestellt haben, gab es bei den Sachverständigen ein großes Kopfschütteln und es ging ein Raunen durch den Saal, weil alle wussten: Herr Biesenbach hat diesen Gesetzentwurf nicht gelesen, sonst hätte er diese Frage nicht stellen dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN)