Meine Rede zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir müssen derzeit eine besorgniserregende Entwicklung feststellen: In allen Phänomenbereichen, aber insbesondere im Salafismus und im Rechtsextremismus steigt die Radikalisierung und die Gewaltbereitschaft von jungen Menschen, von Jugendlichen und sogar bei Minderjährigen unter 16 Jahren.

Dabei ist eins völlig klar – das will ich hier noch einmal sagen, weil mir das wichtig ist –: Die allergrößte Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen steht für Demokratie und Vielfalt und es ist nur eine absolute Minderheit von Jugendlichen, von Minderjährigen, die sich radikalisieren und gewaltbereit werden. Ja, von dieser Minderheit geht eine Gefahr aus. Aber ich will noch mal sagen: Wirklich die allermeisten Jugendlichen engagieren sich für Demokratie. Das möchte ich einfach noch einmal festhalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben hier heute zwei Gesetzesentwürfe vorliegen. Einen von der CDU. Die CDU will die Altersgrenzen letztendlich komplett aufheben, was die Speicherung personenbezogener Daten angeht, und damit die Möglichkeit der Beobachtung und der Datenspeicherung durch den Verfassungsschutz auch auf Kinder ausweiten. Das halte ich, ehrlich gesagt, für grundlegend falsch, weil Minderjährige einfach besonders schutzbedürftig sind und wir in der Politik in der Verantwortung stehen, für genau diesen Schutz zu sorgen.

Frau Korte, ich finde, dass das nichts mit parteitaktischer Hampelei zu tun hat. Es sind einfach zwei unterschiedliche Gesetzesentwürfe, über die wir im Innenausschuss beraten haben.

Ich finde es richtig, dass wir auch über den CDU-Gesetzentwurf eine Anhörung eingefordert haben, weil es hier um Grundrechtseingriffe gerade bei Minderjährigen geht. Das muss man diskutieren, und man kann nicht einfach sagen: Zack, wir übernehmen das Bundesrecht. Vielmehr muss es eine eingehende Beratung geben, die wir auch durchgeführt haben.

Ja, es stimmt, der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht ebenfalls eine Absenkung der Altersgrenze von 16 auf 14 Jahre vor. Der Gesetzentwurf hält aber an einer Altersgrenze fest, und das finde ich richtig. Die Verhältnismäßigkeit dieser Altersabsenkung wird zum einen durch die besonderen Voraussetzungen und zum anderen im Vergleich zu den 16-Jährigen und zu den Erwachsenen durch abgestufte kürzere und damit auch strengere Löschfristen gewährleistet.

Wir wollen überprüfen, wie wirksam und wie verhältnismäßig dieser Grundrechtseingriff gerade bei den Minderjährigen ist. Deswegen haben wir als rot-grüne Fraktionen einen Änderungsantrag zu dem Gesetzesentwurf der Landesregierung eingebracht, in dem wir eine Evaluationspflicht dieser neuen Regelung ins Gesetz aufnehmen.

Klar ist aber auch – das möchte ich gerade für uns Grüne noch mal feststellen –, dass wir mit der Beobachtung und der Speicherung personenbezogener Daten von Minderjährigen nicht sagen können: Da machen wir einen grünen Haken dran; das Problem ist erledigt.

Ganz im Gegenteil, wir brauchen gerade für diese Zielgruppe der Jugendlichen Prävention, Prävention und noch mal Prävention, damit sie sich eben erst gar nicht solchen salafistischen, solchen rechtsextremen Netzwerken anschließen. Hier sind etwa die Schulen und die Jugendarbeit gefragt. Natürlich brauchen wir gerade für diejenigen Jugendlichen, die sich bereits radikalisiert haben, Angebote. Mit den Beratungsstellen „Wegweiser“ und mit der interministeriellen Arbeitsgruppe, die ein ganzheitliches Handlungskonzept erarbeitet, sind wir meines Erachtens bereits auf einem guten Weg.

Wir haben in der Anhörung sehr gut gemeinsam herausgearbeitet, dass der Verfassungsschutz die Möglichkeit hat, Informationen an Behörden weiterzugeben – darunter auch die Jugendämter. Es ist natürlich immer eine Einzelfallentscheidung, und es muss stets abgewogen werden, ob das sinnvoll ist. Aber ich will betonen, das Ziel muss sein, Jugendliche nicht nur zu beobachten, sondern ihnen insbesondere Hilfestellung zu geben und Angebote zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber der Gesetzentwurf der Landesregierung – das hat Frau Korte angesprochen – regelt neben der Altersabsenkung noch weitere Punkte, die nach der aktuellen Rechtsprechung und aufgrund von Änderungen im Bundesverfassungsschutzgesetz notwendig sind bzw. in unserem Gesetz vollzogen werden sollten. Da kann man sich, wie ich finde, nicht auf die Frage zurückziehen: Werden einzelne Maßnahmen überhaupt angewandt oder nicht? Entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit dazu und dass wir schon heute eine Regelung zur Abgeordnetenbeobachtung im Verfassungsschutzgesetz haben, deren Anpassung an die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts absolut sinnvoll ist.

Mit unserem rot-grünen Änderungsantrag präzisieren wir genau diese Regelung, die im Innenausschuss von FPD und Piraten kritisiert wurde. Ich will noch mal darauf hinweisen, dass wir uns sehr eng an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts anlehnen, es im Prinzip abschreiben und ins Gesetz aufnehmen. Insofern sorgt der Änderungsantrag aus meiner Sicht für die notwendige Klarstellung. Ich denke, wir sind uns hier alle einig, dass die Beobachtung von Abgeordneten natürlich ein sehr sensibler Punkt ist. Wir alle hoffen, dass davon hier in Nordrhein-Westfalen niemals Gebrauch gemacht werden muss.

Ich finde, dass der vorgeschlagene Gesetzentwurf der Landesregierung mit unserem Änderungsantrag verhältnismäßig ist und den aktuellen Entwicklungen gerecht wird. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Newsletter Aktivitäten gegen Rechtsextremismus Juli 2016

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

in diesem Newsletter möchte ich über Aktuelles aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus im Landtag NRW berichten.

In der vergangenen Woche wurde der Verfassungsschutzbericht des Landes für das Jahr 2015 veröffentlicht. Dieser macht auf äußerst problematische Entwicklungen aufmerksam. Angesichts der dort beschriebenen Problemlagen wird nochmal deutlich, wie wichtig die Erstellung des integrierten Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus und Rassismus war, über das wir in unserer vergangenen Kommunalinfo berichtet haben. Inzwischen ist das Interessenbekundungsverfahren für die Teilnahme am Förderprogramm für lokale Handlungskonzepte gegen Rechtsextremismus und Rassismus gestartet. Auch hierzu wollen wir in diesem Newsletter informieren.

Herzliche Grüße aus dem Landtag!

Verena Schäffer

 

Inhalt des Newsletters:

  • Förderprogramm für lokale Handlungskonzepte gegen Rechtsextremismus und Rassismus
  • Verfassungsschutzbericht des Landes NRW 2015

Förderprogramm für lokale Handlungskonzepte gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Im Rahmen der Erstellung des integrierten Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus und Rassismus des Landes NRW wurde der Bedarf an Unterstützungsangeboten für die Kommunen deutlich. Deshalb haben wir gemeinsam mit der SPD-Fraktion bereits im vergangenen Jahr Haushaltsmittel für diese Aufgabe bereitgestellt. In unserem Kommunalinfo hatten wir angekündigt, dass bald ein entsprechendes Förderprogramm für Kommunen, die sich in der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus bereits engagieren oder entsprechendes Engagement planen, starten würde. Nun ist es so weit. Das Interessenbekundungsverfahren ist in dieser Woche gestartet worden. Bis zum 7. Oktober 2016 können Kreise und kreisfreie Städte Interessenbekundungen über eine maximale Fördersumme von 70.000 Euro beim Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW einreichen. Voraussetzung ist neben einem der Umsetzung bzw. der Entwicklung eines Handlungskonzepts auch ein Rats- bzw. Kreistagsbeschluss. Wir hoffen, dass viele Kommunen dieses Angebot annehmen und die Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus vor Ort gestärkt werden kann.

Weitere Informationen zum Förderprogramm und Interessenbekundungsverfahren sind hier zu finden.

 

Verfassungsschutzbericht des Landes NRW 2015

Der Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2015 bestätigt, was sich bereits in der Berichterstattung der vergangenen Monate gezeigt hat: Konflikte und Radikalisierung nehmen zu. Sowohl das rechtsextreme, als auch das neosalafistische Spektrum sind heute stärker ideologisiert und vor allem auch gewaltbereiter als zuvor. Auch von der linken Szene gehen mehr Straftaten aus als im Vorjahr.

Im Laufe der vergangenen Jahre sind die politisch rechts motivierten Straftaten in Nordrhein-Westfalen kontinuierlich angestiegen. Dieser Trend hat sich auch im Jahr 2015 fortgesetzt. Im Jahr 2015 wurden 4.437 (2014: 3.286) rechte Straftaten registriert. Das ist ein Anstieg um 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Gegen diese Radikalisierung geht die Landesregierung sowohl mit  repressiven Mitteln, als auch mit gestärkter Präventionsarbeit vor.

Staatliche Maßnahmen können aber nur dann wirklich Wirksamkeit gegen Radikalisierung entfalten, wenn sie von der demokratischen Zivilgesellschaft getragen werden. Das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen braucht das Engagement und Eintreten aller Demokratinnen und Demokraten gegen menschenverachtende und antidemokratische Kräfte. Dieses Engagement ist groß in NRW. Es verdient unsere Anerkennung und Unterstützung, damit es weiter wachsen kann.

Wir haben die Ergebnisse aus dem Verfassungsschutzbericht kurz zusammengefasst und in einem Blog aus unserer Sicht bewertet. Er kann hier nachgelesen werden.

Meine Rede zur Aktuellen Stunde über den Verfassungsschutzbericht kann hier angeschaut und hier nachgelesen werden.

Bei Fragen und Anmerkungen stehen Hasret Karacuban, meine Mitarbeiterin und Referentin für Strategien gegen Rechtsextremismus (hasret.karacuban@landtag.nrw.de; Tel.: 0211 884 4321), und ich gerne zur Verfügung.

Meine Rede zur Aktuellen Stunde zum Verfassungsschutzbericht 2015

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=FM1NCU-LVwg[/youtube]

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer in den letzten Monaten die Presse aufmerksam verfolgt hat, wer sich in den sozialen Netzwerken bewegt und vielleicht auch einmal einen Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik geworfen hat, kann von dem aktuellen Verfassungsschutzbericht eigentlich nicht überrascht sein. Das macht aber die aktuelle Entwicklung von Gewalt und Hass in unserer Gesellschaft, die wir haben, nicht weniger dramatisch.

Ein Anstieg der politisch motivierten Kriminalität um insgesamt 28 % im Vergleich zum Vorjahr, eine Verachtfachung der Zahl rechts motivierter Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, ein Anwachsen der gewaltbereiten, verfassungsfeindlichen salafistischen Szene auf 2.700 Personen in Nordrhein-Westfalen, eine Verdoppelung der Zahl der Straftaten im Bereich der politisch links motivierten Kriminalität – das muss uns allen hier Sorgen machen. Das ist eine Entwicklung, die wir hier so nicht stehen lassen können und mit der man sich beschäftigen muss.

Aber diese Entwicklung der Landesregierung zuzuschreiben verkennt aus meiner Sicht nicht nur den bundesweiten Trend; ich finde, es ist, ehrlich gesagt, auch arg unterkomplex – auch für die Opposition –, solche Behauptungen aufzustellen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In Bezug auf den Rechtsextremismus muss man sagen, dass es in Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten eine gewaltbereite Neonaziszene gibt. Wir arbeiten das gerade im NSU-Untersuchungsausschuss sehr gut auf. Der Rechtsextremismus ist kein Ostproblem; er war es nie. Er wurde hier lange Zeit verharmlost – zu lange. Rechtsextremismus ist aber auch kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern rechtsextremistische, rassistische und andere menschenfeindliche Einstellungen sind in der Mitte der Gesellschaft vorhanden – das wissen wir seit Jahren aus Studien, und diese Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft bilden den Nährboden und bieten eine Legitimation für rechtsextreme Übergriffe.

Wenn man sich die Zahlen anguckt, ist es interessant, zu sehen, dass die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im vierten Quartal 2014 rasant angestiegen ist. Zeitgleich hatten wir die Demonstrationen von Hogesa und von Pegida, und wir hatten die Radikalisierung bei der AfD. Das sind Zusammenhänge, die man hier auch einmal nennen muss. Wenn Mitglieder der AfD zum Beispiel den Holocaust leugnen, wenn sie Schießbefehle propagieren, wenn sie gegen schwarze Nachbarn hetzen und wenn sie Flüchtlingskinder vom Regelunterricht ausschließen lassen wollen, schürt das in unserer Gesellschaft Hass, der schnell in rassistische Gewalt umschlagen kann. Das muss man wahrnehmen; das muss man hier so klar benennen.

Wir wissen, dass bei Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte zwei Drittel der Tatverdächtigen den Sicherheitsbehörden vorher nicht als organisierte Rechtsextreme bekannt waren. Das heißt, das Potenzial an Personen, die Anschläge begehen können, ist höher als das, was wir im organisierten Rechtsextremismus haben. Das ist besorgniserregend. Aber der rot-grünen Landesregierung hier Untätigkeit vorzuwerfen – Entschuldigung, das zielt eindeutig ins Leere, und ich vermisse dabei auch die Lösungsansätze der Opposition.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben seit Regierungsantritt vielfältige Maßnahmen gegen den gewaltbereiten Rechtsextremismus ergriffen. Was die Repression betrifft, wurden vier gewaltbereite Kameradschaften verboten: Die Kameradschaft Aachener Land, die Kölner Kameradschaft Walter Spangenberg, die Kameradschaft Hamm und der Nationale Widerstand sind 2012 verboten worden.

Zugegebenermaßen – auch das gehört zur Analyse dazu – stellt uns das vor neue Herausforderungen, insbesondere was die Partei „Die Rechte“ angeht. Aber ich will hier auch noch einmal klar sagen: Diese Kameradschaftsverbote waren ein richtiges und wichtiges Signal in die rechtsextreme Szene.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber nicht nur das: Wir haben Sonderkommissionen in den Polizeipräsidien eingerichtet. Wir haben – Herr Biesenbach – eine beim LKA eingerichtete Taskforce, die sich damit beschäftigt, rechte, menschenverachtende, hetzende Postings im Internet herauszufiltern und zur Anzeige zu bringen. Da sind die Spezialisten, die Sie gesucht haben. Vielleicht gucken Sie sich solche Sachen einfach mal an, bevor Sie hier die Behauptung aufstellen, wir würden nichts tun. Das stimmt einfach nicht. Wir setzen diese Spezialisten an den richtigen Stellen ein. Es stimmt nicht, dass wir hier untätig sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber – auch das ist klar – mit der Repression alleine werden wir es nicht schaffen. Wir brauchen die Prävention. Deshalb haben wir in Nordrhein-Westfalen zwei Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt eingerichtet. Wir haben die mobilen Beratungsteams in die Landesförderung aufgenommen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das gefällt bestimmt der CDU!)

Wir fördern Aussteigerprogramme beim Verfassungsschutz und ein zivilgesellschaftliches Programm. Wir haben erst im letzten Plenum das Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus vorgestellt.

Das sind nur einige von vielen wirklich wichtigen Bausteinen im Kampf gegen rechts, die wir von SPD und Grünen auf den Weg gebracht haben. Ehrlich gesagt, ich habe hier an vielen Stellen die Unterstützung von CDU und FDP vermisst. Ich hoffe, dass wir jetzt gemeinsam auf derselben Seite kämpfen und uns gegen Rechtsextremismus aufstellen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Dieses Zusammenspiel von Repression und Prävention brauchen wir meines Erachtens auch im Vorgehen gegen den gewaltbereiten, verfassungsfeindlichen Salafismus. Die jüngsten Anschläge in Europa, nicht zuletzt ein Anschlag, der in Deutschland erstmals nicht nur geplant, sondern auch durchgeführt worden ist, nämlich der Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen, zeigen, dass eine große Gefahr von dieser neosalafistischen Ideologie ausgeht.

Man muss aber auch klar sagen, dass die erschreckende Bilanz von Terroranschlägen in Westeuropa nur einen Teil der Gewalttaten umfasst, die vom IS verübt wurden. Die Kampfhandlungen und Anschläge des IS in Syrien, im Irak, in der Türkei und in anderen Ländern haben bisher viele Todesopfer gefordert. Deshalb – nicht nur weil wir uns vor den Rückkehrern fürchten, sondern auch weil Personen auch aus Deutschland woanders Anschläge begehen – ist es so wichtig, dass unsere Sicherheitsbehörden die Verhinderung von Ausreisen nach Syrien und in den Irak betreiben. Sie sind da auch gefragt.

Zuletzt geht es aber immer darum, den Zulauf zur salafistischen Szene zu stoppen. Dabei – das ist mir in der bisherigen Debatte heute viel zu kurz gekommen – muss es doch auch darum gehen, zu gucken: Wer geht eigentlich zu dieser salafistischen Szene? Wir haben momentan vor allen Dingen einen Zulauf von Minderjährigen, von Mädchen bzw. jungen Frauen. Deshalb müssen wir doch gerade auch auf diese Zielgruppen ein Augenmerk richten. Das ist mir hier, ehrlich gesagt, bisher zu kurz gekommen. Wir müssen doch die Frage stellen, warum sich junge Menschen radikalisieren, warum es eine Anziehungskraft gerade auch für junge Frauen gibt.

Wir haben vor einem Jahr zwar noch nicht ein Handlungskonzept beschlossen, aber wir haben die Landesregierung beauftragt, eines zu diesem Themenfeld zu erstellen. Das ist auf dem Weg, es wird gerade erarbeitet. Sie kennen zudem alle das Projekt „Wegweiser“, das noch ausgebaut werden soll. Ich finde, dass ist die richtige Antwort auf den Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen. Wir brauchen nicht weniger Prävention, wir brauchen mehr „Wegweiser“. Wir brauchen mehr Prävention, und deshalb ist es gut, dass wir hier auch weiter ausbauen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Noch etwas: Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen 2013 – auch unter dem Eindruck der NSU-Mord- und Terrorserie – eine Verfassungsschutzreform vorangetrieben. Wir haben den Verfassungsschutz hier in NRW richtig aufgestellt bzw. richtig auf die gewaltbereiten Szenen fokussiert. Und wir haben den Verfassungsschutz in den letzten Jahren massiv personell gestärkt. Gerade wir Grünen haben immer gesagt: Wir wollen keine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen, wir wollen, dass die Sicherheitsbehörden personell gut ausgestattet sind. Und das haben wir in Nordrhein-Westfalen getan.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Verena Schäffer (GRÜNE): Das ist mein letzter Satz: Die Arbeit des Verfassungsschutzes kann aber natürlich nie die Arbeit unserer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft ersetzen. Das soll der Verfassungsschutz auch nicht. Es braucht engagierte Demokratinnen und Demokraten, die Gewalt und Hetze eine Absage erteilen und sich für Vielfalt und Demokratie in diesem Land stark machen. – Herzlichen Dank.

SAVE THE DATE: Herausforderung Neosalafismus – gesamtgesellschaftliche Strategien im Umgang mit neosalafistischer Radikalisierung

 Freitag, den 9.September 2016, 15-20 Uhr im Landtag NRW

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

seit einigen Jahren gehört der Neosalafismus zu den am stärksten wachsenden Bewegungen unter den verfassungsfeindlichen Strömungen. Spätestens seit den jüngsten Attentaten in Europa ist auch klar, dass der gewaltbereite Neosalafismus eine ernsthafte Bedrohung für unsere demokratische und vielfältige Gesellschaft ist.

Gerade junge Menschen fühlen sich von neosalafistischer Propaganda angesprochen und so häufen sich die Schlagzeilen über Jugendliche, die sich radikalisieren und zum IS/Daesh in den Krieg nach Syrien und in den Irak ziehen wollen. Wir stellen fest, dass sich immer jüngere Personen und darunter viele Mädchen und junge Frauen auf diesen Weg begeben.

Wir müssen darauf reagieren, wenn Jugendliche in unserer Gesellschaft keinen Halt finden, keine Vorbilder erkennen, sich im Abseits der Gesellschaft fühlen und so ansprechbar für antidemokratische und gewaltbefürwortende Ideologien werden. Die Ursachen dafür sind komplex – daher brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Strategie im Umgang mit dem gewaltbereiten Neosalafismus, die neben repressiven Elementen vor allem präventive Maßnahmen beinhaltet.

Auf unserer Tagung werden wir zusammen mit namenhaften Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis in den Fachbereichen Jugend, Bildung, Frauen sowie Inneres und Justiz über mögliche landespolitische Handlungsoptionen diskutieren. Wir freuen uns unter anderem auf

 

  • Prof. Dr. Peter Neumann (King‘s College London),
  • Prof. Dr. Andreas Zick (Universität Bielefeld),
  • Sylvia Löhrmann (Ministerin für Schule und Weiterbildung NRW),
  • Lamya Kaddor (Religionspädagogin) und
  • Samy Charchira („Wegweiser“/Düsseldorf)

 

Wir bitten darum, den Termin schon einmal vorzumerken. Das Programm werden wir in Kürze versenden.

Anmeldungen zur Fachtagung sind bereits jetzt schon möglich unter ali.bas@landtag.nrw.de oder unter 0211 884 2823. Bei Fragen ist der persönliche Mitarbeiter von Ali Ba?, Meinolf Sellerberg, unter den genannten Kontaktdaten erreichbar.

 

Meine Rede zum Gesetzesentwurf der CDU zum Thema Verfassungsschutz

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind erschüttert über den Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen. Dieser Anschlag zeigt noch einmal auf sehr erschreckende Weise, dass Jugendliche hier in Nordrhein-Westfalen in der Lage sind, Anschläge zu planen, Bomben zu basteln und auch tatsächlich Anschläge durchzuführen. Dazu gehört ja einiges. Es ist aber offensichtlich hier passiert.

Dieser Anschlag auf den Sikh-Tempel war ein Anschlag auf die Religionsfreiheit und damit auf ein zentrales Grund- und Menschenrecht hier in Deutschland.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist eine erschreckende Erkenntnis, die uns wachrütteln und auch dazu führen muss, unsere Anstrengungen, die wir ja ohnehin schon vornehmen, weiter zu intensivieren.

Dazu will ich noch einmal, Herr Sieveke – weil Sie hier immer von Nordrhein-Westfalen und den Zahlen sprechen –, das unterstützen, was der Kollege Körfges gerade schon sagte. Ja, wir haben hier eine besorgniserregende Entwicklung, gerade was die Radikalisierung von Jugendlichen angeht – insbesondere auch von jungen Frauen bzw. Mädchen. Diese jungen Menschen gehen in die salafistische Szene, planen zum Teil auch Ausreisen und führen diese durch. Das ist aber eine bundesweite bzw. europaweite Entwicklung. Das nicht zu betrachten, ist, ehrlich gesagt, Herr Sieveke, schon ziemlich verkürzt und auch unterkomplex.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sollten aber, wenn wir gerade im Bereich Verfassungsschutzgesetzänderungen – die ja nicht nur auf salafistische Jugendliche zutreffen würden, sondern auch auf viele andere Phänomenbereiche – über die Radikalisierung von Minderjährigen sprechen, feststellen, dass wir eine Radikalisierung nicht nur im Salafismus wahrnehmen, sondern auch bei Jugendlichen zum Beispiel im Rechtsextremismus. Wir haben also eine besorgniserregende Entwicklung in beiden Phänomenbereichen.

Deshalb sage ich auch: Es ist folgerichtig, darüber nachzudenken, ob wir diese Regelungen im Verfassungsschutzgesetz NRW anpassen und die Alterssenkung auf 14 Jahre vornehmen sollen, weil der Bund und alle anderen Länder außer NRW und Mecklenburg-Vorpommern bereits unter strengen Voraussetzungen erlauben, dass personenbezogene Daten von Minderjährigen gespeichert werden dürfen. Da Nordrhein-Westfalen im Verfassungsschutzverbund auf diese Daten bereits zugreifen darf, ist es aus meiner Sicht auch folgerichtig, darüber nachzudenken. Die Landesregierung hat ja bereits einen Gesetzentwurf angekündigt, mit dem das durchgeführt werden kann. Dafür brauchen wir also nicht den CDU?Antrag. Für uns ist aber klar – da will ich mich an das anschließen, was Herr Körfges gesagt hat –, dass wir das nur unter engen Voraussetzungen – das gilt auch für die Löschfristen – machen können.

Sie wollen nach Ihrem Gesetzentwurf – wenn ich den richtig gelesen habe; er lehnt sich an die Regelungen im Entwurf des Bundesverfassungsschutzgesetzes an – auch eine Speicherung von Daten für unter 14-jährige – also für Kinder – zulassen.

Da muss ich für uns als Grüne klar sagen, dass wir das nicht mittragen werden, sondern wir uns ganz klar dafür aussprechen, wenn eine Speicherung einer Altersabsenkung, dann eben nur ab 14 Jahren und nicht darunter.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will auch noch einmal einen anderen Aspekt mit in die Debatte bringen, und zwar bezeichnet sich der Verfassungsschutz selbst auch immer als Frühwarnsystem. Ich habe gerade noch einmal auf der Seite vom Bundesinnenministerium nachgeschaut. Auch da wird der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem betitelt und beschrieben. Als Frühwarnsystem gerade im Bereich von Minderjährigen, von Jugendlichen ist es für uns wichtig, dass wir hier die Jugendhilfe, die Jugendarbeit, die Schulen und die Eltern brauchen. Und die müssen wir in diesem Themenfeld stärken, für die brauchen wir Ansprechpartner, für die brauchen wir Fachkräfte, die informiert sind, die helfen können.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Deshalb ist es richtig und auch wichtig, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen mit dem Programm „Wegweiser“ schon ein Netzwerk an Ansprechpartnern haben, wenn Jugendliche sich radikalisieren und sich das Umfeld an Fachkräfte wenden will. Deshalb ist „Wegweiser“ ein richtiger Ansatz, den wir hier in Nordrhein-Westfalen schon ausgebaut haben. Daher ist es auch richtig, dass wir schon vor einem Jahr über ein Handlungskonzept der Landesregierung diskutiert haben, dass wir ein integriertes, ein vernetztes Handlungskonzept aller Bereiche brauchen, um eben diesen Aspekt der Prävention, der Stärkung der Jugendarbeit, der Schulen voranzutreiben. Dieses Handlungskonzept brauchen wir – das haben wir hier explizit eingebracht –, und zwar nicht nur im Bereich der Prävention, sondern zum Beispiel auch im Bereich der Forschung, um an die Ursachen heranzukommen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Sieveke?

Daniel Sieveke (CDU): Vielen Dank, Frau Schäffer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben eben in Ihren Ausführungen gesagt, die Landesregierung hat ein Gesetz angekündigt, und deswegen bedarf es nicht eines Antrags der CDU. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die CDU einen Gesetzentwurf vorgestellt hat, der schon vorliegt, und die Landesregierung danach etwas ankündigt? Nehmen Sie das zur Kenntnis?

(Zuruf von Dirk Schatz [PIRATEN] – Dietmar Bell [SPD]: Das ist eine intelligente Frage!)

Verena Schäffer (GRÜNE): Ja, Sie haben hier gerade einen Gesetzentwurf eingebracht. Das stimmt.

(Daniel Sieveke [CDU]: Was heißt denn das?)

Wir brauchen Ihren Gesetzentwurf aber ganz bestimmt nicht, um bei uns die Diskussionen zu führen. Im Übrigen ist es so, dass wir, wenn wir über den Verfassungsschutz und über mögliche Änderungen reden, wir auch noch einmal überlegen sollten, in welchen anderen Punkten Änderungen beim Verfassungsschutzgesetz notwendig wären. Es gibt verschiedene Urteile, zum Beispiel zur Anti-Terror-Datei, zum Ramelow-Urteil. Das sind Punkte, die wir in unser Verfassungsschutzgesetz auch noch einbauen müssten. Die Punkte haben Sie in Ihrem Entwurf gar nicht berücksichtigt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Entwurf – das habe ich hier gerade noch einmal gesagt – geht viel weiter als das, was wir wollen. Sie wollen eine Speicherung auch für unter 14-Jährige ermöglichen. Da sage ich ganz klar im Interesse von Kindern und Jugendlichen. Um deren besonderem Schutz Rechnung zu tragen, werden wir das so nicht mittragen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen einen eigenen Gesetzentwurf, um diese Altersabsenkung vorzunehmen. Wir werden Ihren Entwurf natürlich auch im Innenausschuss beraten, aber wie gesagt, im Detail sind wir da unterschiedlicher Meinung. Insofern ist Ihr Gesetzentwurf nicht so, dass wir ihn so mittragen können.

Ich will noch etwas zum Thema Prävention etwas sagen, weil ich es wirklich wichtig finde. Wenn wir darüber reden, wie wir wirksam salafistischem Zulauf und auch der Ausreise von Menschen im Salafismus nach Syrien und in andere Länder unterbinden wollen, dann brauchen wir eine Doppelstrategie aus Repression auf der einen Seite und aus Prävention auf der anderen Seite. Allein mit der Möglichkeit, dass man Daten über 14- und 15-Jährige speichern kann, werden sie keine Ausreisen verhindern können, sondern da brauchen wir eine Doppelstrategie. Daran arbeiten wir. Ich lade ganz herzlich die Opposition dazu ein, mit uns gemeinsam daran zu arbeiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)