Zum Antrag der AfD-Fraktion zu einem „PUA Lügde“

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss wird kommen, weil wir ihn brauchen. Über 40 Kinder und Jugendliche – die jüngsten Kinder noch im Kitaalter – wurden brutal missbraucht. Die Behörden haben diesen Missbrauch trotz Hinweisen – wir wissen das – in den Jahren 2016, 2017 nicht gestoppt. Ich denke, man kann gar nicht anders, als zu dem Fazit zu gelangen, dass hier ein eklatantes Behördenversagen von Polizei und Jugendämtern vorliegt.

Damit muss sich die Politik auseinandersetzen. Unser Ziel muss sein, den Kinderschutz und die Strukturen zu verbessern und alles dafür zu tun, damit es hoffentlich nicht noch einmal zu solchen Fällen kommt. Wir als Grüne haben angekündigt, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen, sobald die Anklage erhoben ist. So habe ich auch den Beschluss der SPD-Fraktion vom gestrigen Tage verstanden.

Die Anklage gegen den zweiten Tatverdächtigen auf dem Campingplatz steht derzeit aber noch aus. Es gibt zwei Anklagen, darunter die gegen den Haupttatverdächtigen. Gegen den zweiten Tatverdächtigen auf dem Campingplatz wurde aber noch keine Anklage erhoben. Darauf warten wir noch, weil wir der Meinung sind, dass die Ermittlungen derzeit die allerhöchste Priorität haben müssen. Deshalb ist es richtig, diese Anklage abzuwarten.

Im Übrigen wissen die Abgeordneten der AfD, dass wir darauf noch warten. Dass Sie heute den Antrag trotzdem zur Abstimmung stellen, zeigt aus meiner Sicht, dass Sie auf parteipolitische Geländegewinne aus sind. Angesichts der Dimension dieses Falls in Lügde finde ich das ehrlich gesagt widerwärtig. Das gehört sich nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich finde, dass die weiteren Fehler, die nach dem letzten Plenum – als der erste Antrag der AfD abgelehnt wurde – öffentlich wurden, noch einmal zeigen, dass es richtig war, zu diesem Zeitpunkt noch keinen Untersuchungsausschuss zu beantragen und zu beschließen. Denn dann wären diese weiteren Fehler nicht mehr im Untersuchungsauftrag enthalten gewesen.

Am Wochenende vor Ostern ist bekannt geworden, dass weitere Datenträger im Abrissschutt der Behausung des Tatverdächtigen gefunden wurden. Herr Reul, Ihre Erklärung, dass der Durchsuchungsbeschluss nicht ausgereicht hätte, um den möglichen doppelten Boden, um mögliche Wandverkleidungen zu durchsuchen, finde ich nach wie vor abenteuerlich.

Auch das auf dem Campingplatz noch ein Schuppen des Haupttatverdächtigen auftauchte, der bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchsucht wurde, stärkt das Vertrauen in die Polizei nicht.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Der Bericht der Kreispolizeibehörde Lippe vom 11.01., der ans LKA und am 14.01 an das Innenministerium ging und der bei „Westpol“ veröffentlicht wurde, macht für mich deutlich, dass wir diesen Untersuchungsausschuss brauchen. Es ist wichtig, dass wir uns als Abgeordnete selbst von dem Bericht ein Bild machen und auch Zeugen vernehmen können.

Herr Reul, es stimmt nicht, dass, wie Sie sagen, alle Informationen aus dem Bericht vorher öffentlich gewesen seien. Das stimmt nicht. Ja, es stimmt: Wir wussten, dass es mindestens 30 Opfer gibt. Das war am 11.01. klar, das geht aus den Zeitleisten hervor. Nicht hervor gingen daraus die anderen Punkte, die auch in diesem Bericht stehen, nämlich die Datenmenge bei dem dritten Tatverdächtigen. Das heißt, es gab auch noch zwei andere Tatverdächtige, wo auch entsprechende Bilddateien und Datenmengen gefunden wurden.

Wichtig finde ich auch die Frage nach der möglichen Aktenmanipulation beim Jugendamt in Hameln. Wenn man das liest, muss einem doch die Dimension des Falls klar sein. Die Tatsache, dass es schon zu Beginn der Ermittlungen Fehler bei der Kreispolizeibehörde Lippe gegeben hat, dass man beispielsweise zu spät, nämlich eine Woche nach der Durchsuchung, nach der Festnahme des Haupttatverdächtigen, eine Ermittlungskommission eingesetzt hat, zeigt doch, dass man schon vorher die Ermittlungen auf Bielefeld hätte übertragen müssen. Offenbar war Lippe nicht geeignet, diese Ermittlungen in einem so großen Umfangsverfahren zu führen. Hier hätte das Innenministerium handeln müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Um auf den Untersuchungsausschuss zurückzukommen: Wenn wir uns als Parlament ernst nehmen – und das tun wir – und wenn wir Aufklärung wollen, dann müssen wir Abgeordnete uns selbst ein Bild über das Versagen der Behörden machen und daraus Konsequenzen ziehen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns genau diese Akten anschauen müssen.

Wir müssen – das ist der eine Komplex – die Fehler der Behörden vor Aufdeckung des Missbrauchsfalls untersuchen. Da stellen sich Fragen in Bezug auf die Jugendämter und auf die Polizei. Beides müssen wir im Untersuchungsausschuss untersuchen.

Es stellen sich Fragen, wie ernst die verschiedenen Hinweise genommen wurden. Warum brauchte es diese Strafanzeige, bis die Behörden endlich handelten? Wie wurde mit diesen Hinweisen umgegangen? Wie konnte die Pflegeerlaubnis durch das Jugendamt erteilt werden? Welche strukturellen Probleme gab es sowohl bei der Polizei als auch bei den Jugendämtern – Stichworte: länderübergreifende Zusammenarbeit, Schnittstelle Polizei/Jugendämter, aber auch fachliche Qualifikationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in beiden Behörden.

Wir müssen aber auch den ganzen Komplex der Fehler nach der Aufdeckung untersuchen. Auch hier stellen sich Fragen bezüglich struktureller Probleme, die erklären könnten, wie es zu solchen Fehlern in der Kreispolizeibehörde Lippe kommen konnte.

Mich macht immer noch fassungslos, warum sich der Minister die Berichte nicht hat vorlegen lassen. Welche Kommunikation hat eigentlich zwischen dem Bericht am 11.01. und dem 30.01. stattgefunden?

(Herbert Reul, Minister des Innern: Das habe ich alles erzählt!) Nein, Herr Reul, das haben Sie eben nicht alles erzählt.

(Daniel Sieveke [CDU]: Doch, Sie hören nur nicht zu!) Ich höre zu, hören Sie bitte auch zu.

(Herbert Reul, Minister des Innern: Ich höre den ganzen Tag schon zu und darf nichts sagen!)

So ist das, wenn es um Untersuchungsausschüsse geht. Das ist Sache des Parlaments und nicht der Regierung. Insofern ist es richtig, dass Sie nicht dazu reden dürfen.

(Zurufe von der CDU)

Was war zwischen dem 11.01. und dem 30.01.?

(Herbert Reul, Minister des Innern: Sie wissen mehr als die meisten hier!)

Herr Reul, vielleicht hören Sie mir einfach ganz in Ruhe zu, dann können wir noch einmal darüber diskutieren. – Die Frage nach der Kommunikation in dem Zeitraum haben Sie nicht beantwortet. Wir haben nachgefragt, welche Kommunikation es gab. Sie haben sich auf die schriftliche Kommunikation zurückgezogen und gesagt, dass es keine gab. Sie haben nach wie vor nicht beantwortet, ob es eine andere Kommunikation gab. Und Sie haben nicht beantwortet, warum es in dieser Zeit keine Kommunikation gab. Diese Fragen sind nach wie vor offen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich weiß gar nicht, warum CDU und FDP so allergisch und dünnhäutig auf die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss reagieren. Ich persönlich sehe einen Untersuchungsausschuss als Chance, aus den Fehlern zu lernen und die Behörden bestmöglich im Sinne des Opferschutzes aufzustellen.

Ich habe zwei Jahre im NSU-Untersuchungsausschuss sehr gut mit den Kollegen Biesenbach, Stamp und anderen zusammengearbeitet. Ich glaube, wir haben da etwas Gutes gemeinsam auf den Weg gebracht. Wenn wir als Parlament Aufklärung wollen, dann müssen wir dies auch ernsthaft betreiben, und dann brauchen wir einen Untersuchungsausschuss.

Wir können doch die Aufklärung nicht alleine der Regierung überlassen. Wir müssen uns doch selbst ein Bild davon machen, welches Versagen es gegeben hat, wo es Veränderungen bedarf. Das ist unsere Aufgabe als Abgeordnete. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir diesen Untersuchungsausschuss brauchen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Schaffung der Stelle einer oder eines unabhängigen Polizeibeauftragten

Wir Grüne im Landtag NRW haben gestern unseren grünen Gesetzentwurf für eine unabhängige Polizeibeauftragte oder einen unabhängigen Polizeibeauftragten veröffentlicht und in einer Presskonferenz über die wichtigsten Forderungen und Argumente informiert. Damit bringen wir eine langjährige grüne Forderung in den Landtag ein. Hier könnt ihr den Gesetzentwurf einsehen.

Mit dem Gesetzentwurf wollen wir die Stelle einer oder eines Polizeibeauftragten schaffen, die oder der sowohl ansprechbar für Bürger*innen als auch für Polizeibeamt*innen ist und einen niedrigschwelligen Zugang für Beschwerden, Lob und Anregungen ermöglicht. Die Person soll durch den Landtag für eine Dauer von sechs Jahren gewählt werden. Eine einmalige Wiederwahl ist dabei möglich. Die Stelle soll beim Landtag angesiedelt sein, um die Unabhängigkeit gegenüber der Landesregierung sicherzustellen.

Momentan müssen sich Bürger*innen in NRW bei einem Problem mit der Polizei an die Polizei selbst wenden. Das stellt für viele Menschen eine Hürde dar – dabei würde vielen Bürger*innen ein klärendes Gespräch bereits helfen. Eine oder ein Polizeibeauftragte*r bietet deshalb eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Konfliktlösung mit der Polizei. Aber auch bei Konflikten innerhalb der Polizei kann der oder die Polizeibeauftragte vermitteln, sei es bei Ungleichbehandlung durch Vorgesetzte oder wegen mangelhafter Ausrüstung. Wir sind davon überzeugt, dass eine solche Stelle das Vertrauen in unsere Polizei stärkt. Der oder die unabhängige Polizeibeauftragte könnte den professionellen Umgang mit Fehlern in den Behörden verbessern sowie strukturelle Defizite erkennen und beheben.

Der oder die Polizeibeauftragte soll unter anderem das Recht zur Akteneinsicht, ein Betretungsrecht für Dienststellen und Fahrzeuge sowie ein Befragungsrecht bekommen. Sie oder er soll außerdem ein elektronisches Zugriffsrecht auf das bereits bestehende dezentrale Beschwerdemanagement der Polizei bekommen, um sich einen Überblick über möglicherweise strukturelle Mängel verschaffen zu können. Die oder der Polizeibeauftragte kann dem Innenministerium Empfehlungshinweise zur Verbesserung festgestellter Defizite geben. Damit sich das Ministerium mit diesen Vorschlägen befasst, muss es der oder dem Polizeibeauftragten über die Umsetzung ihrer bzw. seiner Verbesserungsvorschläge berichten.

Der von Innenminister Herbert Reul kürzlich eingesetzte Polizeibeauftragte ist aus unserer Sicht reiner Etikettenschwindel. Der Polizeibeauftragte ist nicht unabhängig, da er direkt im Innenministerium angesiedelt und damit sehr eng an den Minister gebunden ist. Die Unabhängigkeit im Konfliktfall mit den Behörden ist nicht gewährleistet. Der aktuelle Polizeibeauftragte ist außerdem ausschließlich für Polizeibeamt*innen ansprechbar und nicht für Bürger*innen. Zusätzlich fehlt eine Rechtsgrundlage mit seinen Aufgaben, Rechten, Pflichten und Befugnissen. Konkret besteht eine große Rechtsunsicherheit, ob er beispielsweise von Dienststellen Personalakten erhalten darf. Außerdem ist es zweifelhaft, dass sich die Beschäftigten der Polizei nach der derzeit geltenden Rechtslage überhaupt an den Polizeibeauftragten wenden dürfen, ohne den Dienstweg einzuhalten.

Der Gesetzentwurf wird in der Plenarwoche vom 22.-24. Mai erstmalig im Parlament diskutiert. Danach wird eine Sachverständigenanhörung im Innenausschuss erfolgen, bevor der Landtag dann in einer zweiten Lesung abschließend über den Gesetzentwurf abstimmt. Wir freuen uns auf die Debatte mit den anderen Fraktionen über den Gesetzentwurf.

Falls ihr noch Fragen habt, könnt ihr euch an gerne an unseren wissenschaftlichen Mitarbeiter für Innenpolitik, Laurens Lange, unter laurens.lange@landtag.nrw.de, oder an mich wenden.

 

Zur Landeskriminalstatistik

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mal abgesehen davon, dass wir heute eigentlich nur über eine Pressemitteilung diskutieren und gar nicht über die PKS sprechen können, weil sie uns schlicht nicht vorliegt, würde ich doch gerne vier Feststellungen machen.

Das Erste ist: Ich empfinde diese Debatte hier als sehr ritualisiert, wenig ergiebig und sehr durchsichtig, denn in der Zeit, als die Zahlen insbesondere in der Wohnungseinbruchskriminalität bis 2015 angestiegen sind, haben CDU und FDP das sehr häufig zur Aktuellen Stunde gemacht.

Als dann die Kriminalität gesunken ist – ab 2015, ab 2016 –, hat Sie das gar nicht mehr so richtig interessiert; da wollten Sie gar nicht mehr über das Thema diskutieren.

Jetzt sind Sie an der Regierung; der Trend von Rot-Grün setzt sich fort. Plötzlich haben wir es wieder als Thema in einer Aktuellen Stunde.

Ich wage mal die vorsichtige Frage, ob es sein könnte, dass CDU und FDP die polizeiliche Kriminalstatistik immer nur dann diskutieren wollen, wenn es ihnen politisch in den Kram passt.

(Beifall von den Grünen und der SPD)

Zweite Feststellung. Ja, die Zahlen der PKS sind sehr erfreulich. Unser Dank gilt den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die tagtäglich für unsere Sicherheit im Einsatz sind.

Klar ist aber auch, wenn man sich die Zahlen ehrlich anschaut: Die Trendwende hat Rot-Grün geschafft. Anders als CDU und FDP das ja so häufig sehr populistisch und unsachlich im Wahlkampf suggeriert haben, muss man feststellen, dass die Wohnungseinbruchskriminalität bereits seit 2015 sinkt.

Im Jahr 2016 gab es im Vergleich zum Jahr 2015 15,7 % weniger Straftaten.

Die von uns eingeführten Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungseinbruchskriminalität, zum Beispiel „Riegel vor!“, „MOTIV“, führen Sie eins zu eins fort. Das ist auch gut so. Aber klar ist eben auch, die Statistik, über die wir heute diskutieren, zeigt den rot-grünen Erfolg und welchen unsachlichen Wahlkampf Sie 2017 geführt haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dritte Feststellung. Ich mache mal ein dickes fettes Fragezeichen hinter der Sinnhaftigkeit der Diskussion über diese Polizeiliche Kriminalstatistik; denn die PKS hat deutliche Schwächen.

Hier möchte ich gern mal Innenminister Herbert Reul aus der „Rheinischen Post“ von heute zitieren:

„Statistik kann nie perfekt sein, aber die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik ist die beste und objektivste, die wir haben.“

Das ist traurig; denn die PKS hat sehr deutliche Schwächen.

Fragen wir uns doch mal, wie sich die PKS zusammensetzt. Da werden Straftaten aufgezählt, die entweder von Opfern angezeigt oder von der Polizei selbst entdeckt werden. Die PKS kann deshalb bestimmte Trends abzeichnen, wie zum Beispiel in der Wohnungseinbruchkriminalität, wo wir eine sehr hohe Anzeigebereitschaft der Opfer haben. Doch es gibt Straftaten, da haben wir diese hohe Anzeigebereitschaft nicht.

Das LKA Niedersachsen hat in einer Studie herausgefunden, dass zum Beispiel im Bereich der Sexualdelikte nur 6 % der Straftaten zur Anzeige gebracht werden. Das heißt, wenn hier laut PKS plötzlich die Anzahl der Straftaten steigt, dann heißt das noch lange nicht, dass es mehr Straftaten gibt. Es kann sein, es kann aber auch nicht sein. Es kann sein, dass einfach mehr angezeigt wird.

Ich finde, das zeigt das deutliche Defizit, das wir in der PKS haben, sehr deutlich auf. (Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben in sehr vielen Bereichen wahrscheinlich eine erhebliche Dunkelziffer, die hier über- haupt nicht verzeichnet werden kann.

Darüber hinaus haben wir auch keine Verlaufsstatistik. Es ist eine reine Statistik über die Arbeit der Polizei, aber es ist keine Verlaufsstatistik. Es trifft überhaupt keine Aussage darüber, wie viel tatsächlich bei der Justiz landet. Es zeigt nicht, wie viele Tatverdächtige angeklagt und auch verurteilt werden.

Wenn man sich die Statistiken von 2016 ansieht, dann stellt man fest, dass in der PKS die Aufklärungsquote – von der Polizei angegeben – bei 52,3 % laut. Laut Strafverfolgungsstatistik der Justiz endeten aber nur 21 % der 1,2 Millionen Fälle der Staatsanwaltschaft mit Anklage oder Strafbefehl.

(Gregor Golland [CDU]: Das ist keine Strafverfolgungsstatistik!) Die Hälfte aller Verfahren wurde sogar eingestellt.

Ich finde, wenn man Kriminalität betrachten will, muss man auch das im Blick haben.

Wir brauchen eigentlich etwas völlig anderes. Wir brauchen eine echte Verlaufsstatistik, wir brauchen Dunkelfeldstudien, wir brauchen wissenschaftliche Untersuchungen, wir brauchen einen Periodischen Sicherheitsbericht, wie es ihn mal vor zwölf Jahren im Bund gegeben hat, es ihn aber seitdem nicht mehr gibt. Der Sicherheitsbericht ist nicht fortgeschrieben worden; eigentlich müsste er das. Es steht im Koalitionsvertrag der Großen Koalition. Da ist bisher überhaupt nichts passiert. Wenn wir eine echte, eine ehrliche Debatte über Kriminalität in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen haben wollen, dann bräuchten wir viel mehr. Wir bräuch- ten den Periodischen Sicherheitsbericht, wir bräuchten die Verlaufsstatistik. Herr Reul, an diesen Punkten müssen Sie arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mein vierter und letzter Punkt. Nur mal angenommen – hypothetisch –, die PKS würde ein echtes Bild über die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen liefern, wie Herr Golland und andere das hier behaupten, dann frage ich mich, warum Sie allen Ernstes das Polizeigesetz Ende Dezember 2018 mit dieser ganz Großen Koalition hier im Landtag beschlossen haben. Denn die Kriminalität ist laut PKS bereits im Jahr 2018 deutlich gesunken. Das ist die niedrigste Kriminalitätsrate seit 1991 – keine Frage –. Es wäre erfreulich, wenn man das alles so hinnehmen könnte. Aber das Polizeigesetz, Ende Dezember in Kraft getreten, hat hierzu überhaupt keinen Beitrag geleistet. Im Umkehrschluss kann man auch sagen, die Kriminalitätsrate sinkt, und zwar ohne, dass man diese massiven Eingriffe in die Bürgerrechte beschließen muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

In NRW gibt es ja jetzt die Schleierfahndung, die Auswertung der Videobeobachtung, Staatstrojaner und viele andere Dinge mehr, die die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land einschränken.

Wenn Sie die Debatte heute im Landtag zu Ihrer eigenen Aktuellen Stunde und zur PKS ernst nehmen würden, dann müssten Sie das Polizeigesetz eigentlich zurücknehmen. Ich weiß, das werden Sie nicht tun. Deshalb kann ich, ehrlich gesagt, die Debatte hier auch nicht mehr ernst nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zur zweiten Lesung des Entwurfs für das Polizeigesetz

Verena Schäffer (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zur Selbstbeweihräucherung, die Sie im Innenausschuss gemacht haben wie auch hier wieder, dass man eine Anhörung auswertet und Änderungsanträge stellt, sagen: Entschuldigung, ich finde, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man das macht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU: Das haben Sie nie gemacht!)

Dass ein Innenminister, der auch Verfassungsminister ist, sagt, man habe die Anhörung nicht als Showveranstaltung gesehen: Entschuldigung, Herr Reul, das ist aus meiner Sicht eine infame Unterstellung gegenüber dem Parlament, wir würden ansonsten Showveranstaltungen durchführen. Das möchte ich deutlich zurückweisen. Das tun wir als Parlament nicht. Sie sind zu Gast in diesem Hohen Hause, und ich finde, Sie sollten sich auch entsprechend verhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn Sie sich so dafür loben, diese Nachbesserungen gemacht zu haben, stellt sich doch die Frage: Wie konnte ein solcher Gesetzentwurf eigentlich durch ein Kabinett gewinkt werden, in dem ein Innenminister sitzt, der auch Verfassungsminister ist, ein Justizminister sowie drei Mitglieder der FDP?

Man hat hier ein offensichtlich verfassungswidriges Gesetz durch das Kabinett gewinkt. Nur die harsche und massive Kritik von Burkhard Hirsch und anderen hat dazu geführt, dass Sie nachgebessert haben.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP] – Gegenruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Sich vor diesem Hintergrund als Bürgerrechtler darzustellen, Herr Lürbke, finde ich schon ziemlich peinlich. Das finde ich wirklich peinlich für diese Regierung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Golland ist gerade leider gegangen, aber das Bild, das er gerade wieder gezeichnet hat von der Unsicherheit in Nordrhein-Westfalen, stimmt so einfach nicht. Werfen Sie doch mal einen Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik: Seit Jahren sinken die Zahlen.

Sie haben auch schon im Wahlkampf auf unredliche Art und Weise Ängste in der Bevölkerung geschürt. Das setzen Sie hier fort. Das finde ich auch unredlich.

Wir haben als Politiker die Verantwortung, redlich zu agieren und aufgrund von Fakten zu entscheiden. Genau das tun Sie nicht, und das werfe ich Ihnen auch vor.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich finde es wichtig, dass die Gleichung „mehr polizeiliche Befugnisse schaffen automatisch mehr Sicherheit“ so einfach nicht stimmt. Ich könnte Ihnen ein Beispiel aus dem NSU-Komplex nennen, bei dem es nicht an den Befugnissen gescheitert ist, sondern es an ganz anderen Dingen gelegen hat, weshalb diese Morde nicht aufgedeckt wurden und die Täter nicht gestoppt wurden. Es waren nicht die mangelnden Befugnisse.

Neue Befugnisse, wie sie jetzt hier vorgesehen sind wie die Gewahrsamnahme von potenziellen Terroristen, die Fußfessel und die Ausweitung der Videobeobachtung, schaffen objektiv betrachtet nicht mehr Sicherheit,

(Zuruf von der CDU: Doch!)

schränken aber Grundrechte ein. Sie gaukeln der Bevölkerung eine Sicherheit vor, die Sie letztlich nicht einlösen können. Das finde ich wirklich unredlich und falsch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Lieber Hartmut, liebe SPD, wenn ihr jetzt sagt, nach den Änderungsanträgen wäre so viel geändert worden, muss ich euch sagen: Das stimmt so einfach nicht. Selbst der Minister hat doch im Innenausschuss gesagt, dass nichts Substanzielles im Gesetzentwurf geändert wurde.

(Christof Rasche [FDP]: Was?)

–  Das hat der Minister gesagt. Sie können es gerne im Protokoll nachlesen.

Genau das ist der Fall. Der Kern des Gesetzes, ins Vorfeld zu gehen, bleibt doch weiterhin bestehen.

(Gregor Golland [CDU]: Gut so!)

Man geht ins Vorfeld, wo Straftaten noch gar nicht begangen worden sind. Damit wird im Übrigen auch das historisch begründete Trennungsgebot in Deutschland zwischen Nachrichtendiensten und Polizei aufgeweicht.

Herr Reul selbst hat noch in einem „SZ“-Interview letzte Woche gesagt, es handele sich um ein ausbalanciertes System, das wir in Deutschland haben. Mit diesem Gesetzentwurf gerät das System aber ins Wanken.

Herr Reul, das reiht sich ein in Ihre – ich nenne es mal – Informationspolitik, die Sie ständig betreiben. Sie stellen sich in der „Süddeutschen Zeitung“ als Wahrer und Schützer des Trennungsgebotes dar, machen in Wahrheit aber genau das Gegenteil: Sie weichen das Trennungsgebot auf und erzählen der Bevölkerung etwas völlig anderes.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Gesetz sieht vor, dass die Polizei in Zukunft allein auf eine Prognose gestützt tätig werden können soll, wenn Personen einer konkreten Wahrscheinlichkeit nach in einem übersehbaren Zeitraum Straftaten begehen werden.

Man sieht schon, wie unbestimmt diese Begriffe sind. Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Gesetzgeber aufgegeben, genau diese Begriffe zu definieren. Das ist ein Auftrag des Bun- desverfassungsgerichts. Genau dem kommen Sie nicht nach.

In Zukunft müssen Menschen, die noch keine Straftat begangen haben, also Unschuldige, in Nordrhein-Westfalen eine Fußfessel tragen, ihre Handys werden ausspioniert, und sie wer- den in Gewahrsam genommen, obwohl gar keine Straftat begangen wurde. Das sind tiefe Eingriffe in Grundrechte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Daran, liebe SPD, aber auch liebe FDP und liebe CDU, ändert doch auch nichts, dass man einen Richtervorbehalt und einen Rechtsbeistand beim Gewahrsam vorsieht. Ich finde, dass es eines Rechtsstaates nicht würdig ist, wenn unschuldige Menschen hinter Gittern sitzen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Hartmut Ganzke [SPD])

Das Gewahrsam ist ein tiefer Grundrechtseingriff bei Menschen, die keine Straftaten begangen haben. Ich könnte aus dem Beschluss des SPD-Parteitags zitieren, den ich mir extra herausgelegt habe, aber die Zeit reicht dafür nicht mehr aus. Lesen Sie es noch mal nach.

Es wurde immer argumentiert, nach einem Monat im Gewahrsam könne man die Gefährder abschieben. Das ist völliger Blödsinn. Das ist völlig naiv, wie auch meine Anfrage ergeben hat. Sie haben den Gewahrsam von einem Monat auf 14 Tage heruntergeschraubt.

Glauben Sie allen Ernstes, dass Sie innerhalb der 14 Tage einen Gefährder abschieben können? Glauben Sie allen Ernstes, dass Sie innerhalb von 14 Tagen jemanden dazu bringen können, seine Meinung zu ändern, dass diese Person nach 14 Tagen geläutert aus der Haft entlassen wird? Das ist doch völlig lebensfremd und naiv.

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

Deshalb sage ich auch, dass dieses Gesetz nicht nur tiefe Grundrechtseingriffe vornimmt, sondern auch wirkungslos ist, weil es zwar mehr Sicherheit verspricht, diese Sicherheit aber überhaupt nicht einlösen kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zur Identitätsfeststellung: Wer ist denn hier ideologiegetrieben? Lesen Sie doch mal die Begründung des Gesetzentwurfs. Das ist pure Ideologie,

(Dr. Werner Pfeil [FDP]: Das stimmt doch nicht!)

wie Sie die Identitätsfeststellung begründen. Das Festhalten, um die Identität festzustellen, soll von zwölf Stunden auf bald sieben Tage ausgeweitet werden. Es gibt massive verfassungsrechtliche Bedenken.

(Gregor Golland [CDU]: Ich habe Bedenken, wenn sich Leute der Feststellung ihrer Identität verweigern!)

Auch hier könnte ich wieder den Beschluss des SPD-Parteitages zitieren, der das massiv kritisiert hat. Liebe SPD, wenn Sie Ihre eigenen Parteitagsbeschlüsse ernst nehmen würden, müssten Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir Grüne haben schon angekündigt, dass wir das prüfen lassen. Vielleicht sieht man sich ja vor Gericht wieder. Das Gericht wird es dann zu entscheiden haben.

Zur Quellen-TKÜ: Der Staat wird sich mit der Quellen-TKÜ selbst zum Hacker machen. Damit wird der Staat nicht nur Menschen abhören und ausspionieren, sondern er gefährdet auch die IT-Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, der Wirtschaft, aber auch der kritischen Infrastruktur und sogar die eigene IT-Sicherheit der Polizei und der öffentlichen Verwaltung. Das alles nehmen Sie in Kauf.

Dazu kommt noch, dass es derzeit keine Spionagesoftware gibt, die den hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügt. Eine Zertifizierung, wie sie die SPD gefordert hatte, findet überhaupt nicht statt. Wie auch?

Es ist vorgesehen, dass man den Trojaner von privaten Unternehmen kaufen kann. Die werden selbstverständlich nicht den Quellcode preisgeben. Eine Zertifizierung kann überhaupt nicht stattfinden.

Auch ein Richter wird ohne Quellcode niemals entscheiden können, ob dieser Trojaner nur das kann, was er können darf, oder ob er nicht viel mehr kann, ob er auch meine Urlaubsfotos ausspioniert, ob das nicht schon in Richtung Online-Durchsuchung geht.

Wie man so etwas mittragen kann, das kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. (Zurufe)

Herr Reul, Sie haben gesagt, bei diesem Gesetz hätten Sie Maß und Mitte gefunden. Das ist aus meiner Sicht mitnichten der Fall! Hier werden einseitig neue Befugnisse geschaffen. Von Grundrechtsschutz, von Bürgerrechten ist in diesem Gesetz überhaupt nicht die Rede. Sie machen das alles, obwohl Sie noch nicht einmal mehr Sicherheit schaffen. Das ist der Grund, warum wir Grüne den Gesetzentwurf mit – wie ich finde – sehr guten Gründen ablehnen.

Ich weiß, die Redezeit ist vorbei, aber ich würde dem Minister kurz vor Weihnachten gerne noch ein Weihnachtsgeschenk machen. Eigentlich war es schon als Urlaubslektüre vorgesehen; dazu ist es vor den Sommerferien aber nicht gekommen. Darum bekommen Sie es jetzt als Weihnachtsgeschenk. Das ist ein Buch von Heribert Prantl: „Der Terrorist als Gesetzgeber“.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Ich wünsche Ihnen eine sehr gute Lektüre unter dem Weihnachtsbaum. Vielleicht geben Sie das Buch danach an Herrn Golland und an Herrn Lürbke weiter. Ich glaube, die könnten es auch gut gebrauchen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schwarz-gelbes Polizeigesetz: Trotz Änderungen – weniger Rechtsstaat und viel Symbolpolitik

 In der kommenden Wochen wollen CDU und FDP im Landtag das nordrhein-westfälische Polizeigesetz erheblich verschärfen und eine deutliche Ausweitung polizeilicher Befugnisse beschließen. In einem Pressegespräch haben wir über unsere Haltung informiert. Hier ist das Handout für die Journalistinnen und Journalisten.

Die Fraktionen von CDU und FDP haben nach massiver Kritik von Expert*innen und der Demonstration mit mehreren Tausend Teilnehmer*innen im Juni inzwischen zwei Änderungsanträge vorgelegt, um den offensichtlich verfassungswidrigen Ursprungsgesetzentwurf der Landesregierung nachzubessern. Doch trotz der Nachbesserungen kann keine Rede von einer Entschärfung des Gesetzesvorhabens sein. Zum einen werden viele Vorhaben aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf durch die Änderungsanträge gar nicht oder nicht substantiell geändert. Zum anderen muss man die Änderungen im Vergleich zum derzeitig gültigen Gesetz sehen – und da stellen sie eine deutliche Ausweitung der derzeitigen Befugnisse dar.

Mit dem neuen Polizeigesetz sollen unter anderem die Zuständigkeit der Polizei weit ins Vorfeld der Begehung einer Straftat gelegt werden, die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Fußfessel eingeführt sowie das Unterbindungsgewahrsam ausgeweitet werden.

Wir haben den Gesetzentwurf und die Änderungsanträge sehr intensiv geprüft. Die Planungen der Koalition sehen zum einen unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe vor, zum anderen enthält das Gesetz viel Symbolpolitik, ohne einen Mehrwert an Sicherheit zu schaffen. Deshalb werden wir das Gesetz in der kommenden Woche im Plenum ablehnen.

Nach Verabschiedung des Gesetzes durch CDU und FDP werden wir als Landtagsfraktion ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, um zu klären, ob das Gesetz verfassungswidrig ist, und dann je nach Ausgang des Gutachtens eine Verfassungsbeschwerde dagegen einreichen.

Zum Haushaltsplan 2019 des Ministerium des Inneren

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Katzidis, Herr Reul, die 100 zusätzlichen Stellen bei der Polizei begrüßen wir ausdrücklich; das habe ich bereits im Innenausschuss gesagt. Sie setzen damit eine Linie fort, die wir unter Rot-Grün begonnen haben. Es ist, gerade wenn mehr Geld zur Verfügung steht, nur richtig, das auch weiterzuführen. Insofern haben Sie hier die Unterstützung der Grünen.

Hierzu haben wir, Herr Katzidis, wie Sie das gerade sehr unredlich dargestellt haben, keine Änderungsanträge gestellt. Wir haben Änderungsanträge gestellt, aber sicherlich nicht zu den 100 Stellen. Ganz im Gegenteil, diese begrüßen wir.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch dass Sie 500 Regierungsbeschäftigte einstellen wollen, halte ich für eine gute Idee. Das haben wir im Ausschuss immer so kommuniziert. Nur finde ich es immer lustig, wenn Sie sich dafür hier loben. Denn wir haben mal nachgefragt, wie viele von den 500 im letzten Jahr eingestellt worden sind. Bis zum 01.10.2018 waren gerade einmal 370 Stellenäquivalente besetzt.

(Zurufe von der CDU – Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Ja, Herr Katzidis, auch das gehört zur Wahrheit, wenn man hier von der Schaffung von 500 neuen Stellen spricht. Wenn sie nicht besetzt sind, sind sie nicht da und helfen der Polizei auch nicht. Ich finde, das muss man hier richtigerweise darstellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und weil Sie auf die Abgänge infolge von Pensionierungen hingewiesen haben: Ja, genau das ist das Problem.

Ja, wir haben bei der Polizei eine hohe Zahl von Abgängen durch Pensionierung, weshalb da auch ein Loch entstanden ist und weshalb wir auch in der rot-grünen Regierungszeit mehr Personen eingestellt haben. Worauf ist dieses Loch denn zurückzuführen? Das geht auf die schwarz-gelbe Regierungszeit von 2005 bis 2010 zurück.

(Beifall von den GRÜNEN)

In dieser Zeit haben Sie nämlich weniger Personal eingestellt, da sind die Lücken durch Pensionierung entstanden. Das ist doch genau das Problem, vor dem wir jetzt stehen.

Ich will aber auch noch einmal – ich finde, dazu eignet sich eine Haushaltsdebatte sehr gut – …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schäffer, Entschuldigung, dass ich Sie jetzt unterbreche. Herr Dr. Katzidis würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Verena Schäffer (GRÜNE: Bitte.

Dr. Christos Georg Katzidis (CDU): Kollegin Schäffer, ist es nicht zutreffend, dass von 2003 auf 2004 die Einstellungszahlen von 1.090 jährlich auf 500 reduziert worden sind? Und ist es nicht zutreffend, dass in der Zeit von Ministerpräsident Rüttgers die Einstellungszahlen von 500 auf 1.100 erhöht worden sind? Ist das zutreffend oder ist das nicht zutreffend?

(Beifall von der CDU)

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Katzidis, gucken Sie sich bitte noch einmal die Berechnungen an, über die wir im Innenausschuss bereits diskutiert haben.

(Dr. Christos Georg Katzidis [CDU]: Ist es zutreffend? Ja oder nein?)

– Es ist so, dass zwischen 2005 und 2010 weniger eingestellt wurde. Dadurch ist ein Defizit entstanden. Auch ist es richtig, dass davor schon unter Rot-Grün die Zahlen reduziert wurden. Das geschah aber in Verbindung mit der Erhöhung der Arbeitszeit. Das heißt, dass die zur Verfügung stehende Stundenanzahl der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten unter Rot- Grün gleichgeblieben ist. Sie müssen das ins Verhältnis zu den Arbeitsstunden setzen, die damals geleistet wurden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die sind erhöht worden. Insofern gab es da keine Reduzierung.

Unter Schwarz-Gelb aber ist damals die Zahl der Einstellungen bei der Polizei abgesenkt worden. Deshalb haben wir dieses – ich nenne es einmal so – Pensionsloch. Das können Sie in allen dem Innenministerium vorliegenden Berechnungen noch mal nachlesen, Herr Katzidis. Wenn Sie das machen, werden Sie sicherlich zum selben Ergebnis kommen wie ich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte die Haushaltsdebatte gerne nutzen, um den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie den Einsatzkräften bei Feuerwehr und Bevölkerungsschutz – die Menschen insbesondere beim Bevölkerungsschutz arbeiten dort ehrenamtlich – auch von grüner Seite herzlichen Dank zu sagen. Ich finde, es gehört sich so, zum Ende des Jahres denjenigen Danke zu sagen, die immer zur Verfügung stehen und auch dann im Einsatz sind, wenn wir unter dem Weihnachtsbaum sitzen oder am Wochenende bei der Familie sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme auf den Haushalt zurück: Der Haushaltsentwurf zeichnet die politische Linie von Schwarz-Gelb nach. Sie wollen hier in zwei Wochen das Polizeigesetz verabschieden. Die Mittel für die Umsetzung dieses Gesetzes stellen Sie – natürlich ist das konsequent – in dem hier zur Diskussion stehenden Haushalt zur Verfügung. Darauf beziehen sich übrigens, Herr Katzidis, unsere Änderungsanträge. Wenn Sie hier am Rednerpult redlich gewesen wären, hätten Sie das auch so gesagt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Unsere Haushaltsänderungsanträge beziehen sich genau auf die Mittel, welche für die Umsetzung des Polizeigesetzes, welches wir in erheblichem Umfang kritisieren, gebraucht werden. Ich gehe gerne auf die einzelnen Punkte ein:

Stichwort „Bodycams“: Sie haben hier gerade gesagt, dass Sie beschließen wollen, im Haushalt 4,5 Millionen Euro zur Beschaffung von 4.200 Bodycams bereitzustellen. Dabei ist noch nicht einmal die Evaluation fertig. Und der Innenminister konnte auf meine Nachfrage im Innenausschuss die Frage nicht beantworten, wie die 4.200 Geräte auf die Kreispolizeibehörden verteilt werden sollen. Dafür gibt es überhaupt keine Planung.

Ich will noch einmal auf den Zwischenbericht zu den Bodycams hinweisen. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass es durchaus sein kann, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die Bodycams tragen, im Vergleich zu solchen ohne Bodycams häufiger Opfer von Angriffen werden. Solche Ergebnisse müssen wir doch, meine ich, ernst nehmen. Wir alle haben doch dasselbe Ziel, nämlich die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten schützen zu wollen.

(Zuruf von der CDU)

In der rot-grünen Regierungszeit haben wir die Rechtsgrundlage für Bodycams geschaffen. Auch wir wollen diese Bodycams; aber wir wollen sie nur, wenn sie auch wirklich für Sicherheit sorgen. Alles andere wäre doch kontraproduktiv. Das kann doch keiner von uns wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb bin ich der Meinung, Herr Golland, dass wir die Evaluation abwarten müssen. Dass Sie von Schwarz-Gelb nicht wirklich Interesse an Evaluation haben, sehen wir gerade beim Tierschutzverbandsklagerecht. Ich finde das sehr bedauerlich. Politik sollte, wie ich finde, nicht auf der Grundlage von Bauchgefühl gemacht werden. Vielmehr brauchen wir, bevor wir solche Mittel einführen, diese Evaluation und wissenschaftliche Erkenntnisse, weil Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten durch diese Mittel wirklich geschützt werden sollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweites Stichwort „Ausweitung der Videobeobachtung“: Dafür sehen Sie 2 Millionen Euro vor. Die bisherige Regelung des § 15a Polizeigesetz tragen wir als Grüne mit. Er entstammt ja der Zeit rot-grüner Regierungsverantwortung. Wir haben auch die Verlängerung im Sommer dieses Jahres mitbeschlossen, weil wir § 15a mit den gegebenen Voraussetzungen richtig finden. Sie planen jetzt aber mit dem neuen Polizeigesetz eine Ausweitung, die von Sachverständigen in der Anhörung als „uferlos“ bezeichnet wurde. Ich sehe das genauso, denn die geplante Gesetzesänderung sieht im Prinzip vor, dass man an allen Orten in Nordrhein-Westfalen eine polizeiliche Videobeobachtung durchführen kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist aus unserer Sicht nicht mehr verhältnismäßig. Deshalb haben wir hierzu unseren Änderungsantrag auf Reduzierung der Mittel gestellt.

Drittens geht es um die Fußfessel. Sie wollen im Haushaltsplan 1,1 Millionen Euro für die elektronische Aufenthaltsüberwachung festschreiben und dem Innenministerium zur Verfügung stellen. – Auch die Fußfessel stellt einen tiefen Eingriff in unsere Grundrechte dar. Sie soll schon bei Personen angewandt werden, die noch gar keine Straftaten begangen haben, wo wir uns also weit im Vorfeld von Straftaten befinden. Wir sprechen dabei über eine Prognose darüber, ob möglicherweise Straftaten irgendwann – in einem überschaubaren Zeitraum passieren könnten. Genau so reichlich unkonkret ist es in Ihrem Gesetzentwurf formuliert worden. Die Effektivität ist nicht gesichert. Wir sind uns sogar einig darüber, Herr Reul, dass man mit keiner Fußfessel der Welt einen Terroranschlag wird verhindern können.

Ich will noch auf eines hinweisen, Herr Reul: Heute steht in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview von Ihnen. Das war das Erste, was ich heute Morgen gelesen habe. Ich würde gerne daraus zitieren:

„Der Verfassungsschutz hat nachrichtendienstliche Mittel, die Polizei nicht. Dafür hat die Polizei exekutive Befugnisse. Die hat der Verfassungsschutz nicht. Das ist ein gut ausbalanciertes System.“

Das leiten Sie dann auch noch historisch her; denn das Trennungsgebot in Hinblick auf Polizei und Verfassungsschutz ist unter Berücksichtigung der deutschen Geschichte eingeführt worden. Es ist aus meiner Sicht auch richtig und gut, dass wir dieses Trennungsgebot haben.

Herr Reul, es ist nur so: Mit diesem Polizeigesetz weichen Sie genau dieses auf historischen Gründen beruhende Trennungsgebot auf.

Das ist so, wenn Sie der Polizei in Zukunft Befugnisse geben, mit denen sie schon weit im Vorfeld tätig werden kann. Das betrifft die Beobachtung von Bestrebungen bestimmter Gruppierungen bzw. Personen, die noch gar keine Straftaten begangen und diese noch nicht einmal geplant haben. Diese Beobachtung wäre schon dann möglich, wenn es lediglich eine Prognose gibt, dass diese Gruppen bzw. Personen irgendwann Straftaten begehen könnten. Eine solche Beobachtung aber ist Aufgabe des Verfassungsschutzes. Damit weichen Sie das Trennungsgebot auf.

Wenn Sie das, was Sie im heute veröffentlichten Interview der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt haben, wirklich ernst nehmen würden, Herr Reul, müssten Sie konsequenterweise das Polizeigesetz in der Form zurücknehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ macht noch einmal ganz deutlich: Offenbar – das wurde auch schon in der Anhörung zum Polizeigesetz von einem Sachverständigen so benannt – ist hier die Reform des Verfassungsschutzes geplant. Sie wollen die ganze Bandbreite beobachten. Dazu, Herr Reul, möchte ich Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie das machen, dann leiten Sie einen Paradigmenwechsel beim Verfassungsschutz ein.

Wir haben nach der Aufdeckung des NSU hier wie auch in allen anderen deutschen Parlamenten sehr intensiv darüber diskutiert, welche Aufgaben der Verfassungsschutz haben soll und haben darf. Danach haben wir 2013 die Reform des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen vollzogen. Diese war Vorbild für viele andere Gesetze in anderen Bundesländern. Wir haben damals betont, den Verfassungsschutz auf die wirklich gewaltbereiten, gewaltbefürwortenden und verfassungsfeindlichen Bestrebungen, Gruppierungen und Bewegungen konzentrieren zu wollen. Wenn Sie das jetzt aufweichen wollen, dann nehmen Sie hier einen Paradigmenwechsel vor.

Herr Reul, Sie haben es bislang nach eineinhalb Jahren im Regierungsamt noch nicht einmal geschafft, die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses in Nordrhein-Westfalen umzusetzen. Wenn Sie jetzt anfangen, schon wieder an neuen Gesetzen zu schrauben, dann finde ich das wirklich unhaltbar. Fangen Sie erst einmal damit an, die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Ich glaube, dann wären wir in Nordrhein-Westfalen in der Terrorismusbekämpfung ein ganzes Stück weiter.

(Beifall von den GRÜNEN)